12.08.2007 | Jeremia 7, 1-11 (10. Sonntag nach Trinitatis)

10. SONNTAG NACH TRINITATIS – 12. AUGUST 2007 – PREDIGT ÜBER JEREMIA 7,1-11

Dies ist das Wort, das vom HERRN geschah zu Jeremia: Tritt ins Tor am Hause des HERRN und predige dort dies Wort und sprich: Höret des HERRN Wort, ihr alle von Juda, die ihr zu diesen Toren eingeht, den HERRN anzubeten! So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels: Bessert euer Leben und euer Tun, so will ich bei euch wohnen an diesem Ort. Verlaßt euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel! Sondern bessert euer Leben und euer Tun, daß ihr recht handelt einer gegen den andern und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen und nicht unschuldiges Blut vergießt an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden, so will ich immer und ewig bei euch wohnen an diesem Ort, in dem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe. Aber nun verlaßt ihr euch auf Lügenworte, die zu nichts nütze sind. Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt. Und dann kommt ihr und tretet vor mich in diesem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, und sprecht: Wir sind geborgen, - und tut weiter solche Greuel. Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle? Siehe, ich sehe es wohl, spricht der HERR.
Geht hin an meine Stätte zu Silo, wo früher mein Name gewohnt hat, und schaut, was ich dort getan habe wegen der Bosheit meines Volks Israel. Weil ihr denn lauter solche Dinge treibt, spricht der HERR, und weil ich immer wieder zu euch redete und ihr nicht hören wolltet und ich euch rief und ihr nicht antworten wolltet, so will ich mit dem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, auf das ihr euch verlaßt, und mit der Stätte, die ich euch und euren Vätern gegeben habe, ebenso tun, wie ich mit Silo getan habe, und will euch von meinem Angesicht verstoßen, wie ich verstoßen habe alle eure Brüder, das ganze Geschlecht Ephraim.

Nun hat er uns hier in Deutschland also wieder ganz allein zurückgelassen – der Dalai Lama. Eine Woche lang strahlte er von Hamburg aus in unser Land hinein, zog Zehntausende in seinen Bann, die zu seinen Vorträgen über den Buddhismus ins Hamburger Rothenbaumstadion pilgerten. Ja, der Dalai Lama ist in hier in Deutschland, ist, so belegt es eine kürzlich veröffentlichte Umfrage, bei den Deutschen noch beliebter als der Papst. Das liegt sicher auch daran, dass der Dalai Lama ja so nett und bescheiden und lustig ist und immer wieder so süß vor sich herumgluckst. Doch damit allein ließe sich der Zuspruch für den Dalai Lama in unserem Land noch nicht erklären. Sondern der eigentliche Grund für die Beliebtheit des Dalai Lama besteht darin, dass er eine höchst moderne Kombination von Spiritualität und Atheismus verkündigt, die in unserer heutigen Gesellschaft einfach sehr gut ankommt. Jeder muss das Glück in sich selber finden, so lautet seine Botschaft; ja, wichtig ist es, dass Menschen in Harmonie mit sich selber und in Harmonie mit ihrer Umwelt, mit anderen Menschen leben. Und genau diesem Ziel dienen eben auch alle Religionen: Sie sollen dem Menschen zu solchem inneren Glück und Frieden, zu solcher Harmonie verhelfen, jede auf seine Weise.
Ja, das klingt nett, das klingt tolerant, auch wenn es mich persönlich immer wieder fasziniert, wie Menschen so voller Begeisterung auf die Wiedergabe von Allerweltsweisheiten fürs Poesiealbum abfahren können, als ob ihnen da nun gerade ganz neue Offenbarungen zuteil würden. Ja, was der Dalai Lama sagt, ist wirklich nett – nur: Gott ist in dem, was er da sagt, ganz und gar überflüssig. Er mag mir vielleicht noch als Erfüllungsgehilfe zur Erreichung meines persönlichen Glücks dienen; aber damit hat es sich dann auch schon. Und wenn ein persönlicher Gott in der Lehre des Dalai Lama ohnehin keine Rolle spielt, dann kann er natürlich auch großzügig erklären, er hielte den Wechsel von einer Religion zur anderen letztlich nicht für nötig. Wozu auch?
Und im Vergleich zu diesem fröhlich glucksenden Dalai Lama steht nicht nur der Papst, stehen wir als Christen insgesamt irgendwie ein wenig blöd da. Solche scheinbaren Nettigkeiten wie die, dass jeder seines Glückes Schmied ist, können wir eben nicht von uns geben. Im Gegenteil: Was wir verkündigen, ist nun mal mit der Botschaft des Dalai Lama gerade nicht vereinbar.
Doch das ist keine neue Situation, in der wir uns befinden. Ganz ähnlich sah es schon damals vor 2600 Jahren in Jerusalem aus. Da gab es auch schon Leute, die meinten, ihr althergebrachter Glaube, der reiche allein nicht aus, den müsse man doch ergänzen durch neue religiöse Angebote, die Glück, Harmonie und Fruchtbarkeit versprachen. Gewiss, der, zu dem sie damals pilgerten, hieß nicht „Dalai Lama“, sondern „Baal“; doch die Erwartungen, die sie an ihn richteten, unterschieden sich nicht sehr von den Erwartungshaltungen, mit denen die Menschen heute dem tibetischen Gottkönig gegenübertreten. Und auch damals stellte sich die Frage: Konnte man da nicht auch tolerant sein? Etwas Glaube an den Gott Israels und etwas Glaube an Baal – das ließ sich doch eigentlich ganz gut kombinieren! So dachten damals jedenfalls die meisten Leute. Doch einer macht dabei nicht mit: Er, der Gott Israels selber. Der zeigt sich hier nämlich erstaunlich intolerant, macht deutlich, dass er ganz anders ist, als sich die Leute ihn so vorstellten. Und was er damals seinem Volk mitteilen ließ, das betrifft auch uns unmittelbar, denn er, der Gott Israels, ist ja kein anderer als unser Gott, der Vater Jesu Christi, so bekennen wir es gerade heute am 10. Sonntag nach Trinitatis, dem Israelsonntag, zugleich dem Gedenktag der Zerstörung Jerusalems. Und so hören wir Seite an Seite mit dem Gottesvolk Israel, was sein Gott, was unser Gott hier von sich zu erkennen gibt:

- Er ist nicht stumm.
- Er ist kein Softie.
- Er ist kein Maskottchen.

I.

Schwestern und Brüder, diejenigen, die behaupten, es käme letztlich gar nicht so darauf an, welcher Religion man angehöre, letztlich würden alle doch an den gleichen Gott glauben – diejenigen, die das behaupten, gehen eigentlich immer von demselben Modell aus: Da gibt es irgendwo im Himmel ein höheres Wesen, und über dieses höhere Wesen machen sich die Menschen so ihre Gedanken, und diese unterschiedlichen Gedanken, die sich die Menschen so machen, das sind eben die verschiedenen Religionen. Und da kann man doch keinem vorwerfen, er sei dümmer als man selber – also müssen wir doch alle Religionen als gleich wertvoll ansehen. Doch dahinter steckt natürlich die Vorstellung, dass dieses höhere Wesen selber stumm ist, dass es sich uns Menschen nicht zu erkennen gegeben hat und uns Menschen von daher nichts anderes übrigbleibt, als uns eben selber so unsere Gedanken über diesen Gott zu machen.
Ebenso kann es aber auch geschehen, dass wir Gott durch die Art und Weise, wie wir mit ihm ganz praktisch umgehen, als einen stummen Gott erscheinen lassen: Eigentlich weiß ich ja genau, an was für einen Gott ich glaube. Das muss ich mir nicht extra noch sagen lassen, das weiß ich sowieso. Und darum kann ich ja auch ganz gut zu Hause an ihn glauben. Und wenn ich zur Kirche komme, dann weiß ich eigentlich auch schon, was ich da brauche, was ich mir da holen will. Dass Gott mir da irgendwie querkommen könnte, damit rechne ich doch ernsthaft gar nicht.
Nicht anders ging es den Besuchern des Tempels in Jerusalem damals auch. Die kamen in den Tempel, um den HERRN anzubeten. Gewiss, das war sehr ehrenhaft. Doch auf die Idee, dass dieser HERR, den sie da anbeteten, sie ganz direkt anreden könnte, kamen sie wohl erst mal gar nicht. Doch da stellt sich ihnen mitten im Toreingang zum Tempel der Prophet Jeremia in den Weg. Nein, er steht nicht da, weil er seine eigenen persönlichen Vorstellungen von Gott publikumswirksam absondern möchte, sondern er steht da, weil dieser HERR ihn persönlich dorthin geschickt hat, weil das Wort des HERRN zu ihm geschehen ist, wie es hier so treffend heißt. Der lebendige Gott ist eben nicht stumm, sondern er redet, redet durch seine Boten, spricht mitten in das Leben der Menschen hinein, die da in den Tempel marschieren, ohne ernsthaft mit irgendeiner Überraschung, irgendeiner Störung ihres Lebens zu rechnen. „Höret des HERRN Wort!“ – Die Ankündigung des Propheten klingt ja noch ganz schön, liturgisch feierlich. Doch was der HERR dann zu sagen hat, das wird den Tempelbesuchern weniger gefallen haben: „Bessert euer Leben und euer Tun, denn ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und lauft fremden Göttern nach.“ Das klingt ja überhaupt nicht nett. Und einige Kapitel weiter wird uns im Buch des Propheten Jeremia auch berichtet, wie seine Zuhörer darauf reagierten: Jeremia wurde am Ende seiner Rede festgenommen, und man wollte ihn für diese Worte umbringen, ihn auf diese Weise zum Schweigen bringen.
Schwestern und Brüder, genau auf diese Weise immunisieren wir uns bis heute immer wieder gegenüber dem Reden des lebendigen Gottes: Wir konzentrieren uns auf die Person des Boten, statt den wahrzunehmen, der durch ihn spricht. Und dann kann es entweder sein, dass wir das schön und nett finden, was dieser Bote zu sagen hat, und dann finden wir eben den Boten nett und mögen ihn. Oder aber wir ärgern uns über das, was der Bote uns verkündigt, und dann regen wir uns über den Boten auf und meinen, uns damit die Botschaft, die er uns verkündigt hat, vom Halse halten zu können: Das kann man doch heute nicht mehr so sagen; da gibt es aber andere, die sehen das viel lockerer, die sind viel netter und toleranter. Als ob es darum ginge, wenn Boten im Auftrag des Herrn sprechen!
Nein, Gott selber spricht bis heute durch seine Boten, lässt ihr Wort sein Wort sein. Um nicht weniger geht es in jedem Gottesdienst. Ja, Gott spricht in den Lesungen der Heiligen Schrift, Gott spricht in der Predigt zu dir, spricht in dein Leben hinein, will nicht einfach bloß bestätigen, was du sowieso schon weißt, sondern will dich in deinem Denken, Reden und Tun auch immer wieder ganz grundlegend in Frage stellen, will dir querkommen, will dich nicht einfach immer so weitermachen lassen wie bisher. Nein, Gott ist kein stummer Gott; er redet, redet auch dir in deinem Leben dazwischen, schweigt nicht vornehm, weil es doch um nicht weniger als um deine Zukunft geht, darum, ob du dein Leben verfehlst oder nicht. Um das Leben in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, um das Leben in seiner Gegenwart ging es damals in den Worten, die Jeremia im Auftrag des HERRN verkündigte; um das Leben in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, um das Leben in seiner ewigen Gegenwart geht es auch heute. Ist dir das eigentlich immer so klar, wenn du eine Predigt hörst, oder wartest du eher darauf, dass du hier gut unterhalten wirst und dass sie vor allem nicht zu lange dauert?
Gott ist kein stummer Gott; er meldet sich zu Wort, er redet. Und damit wird die Frage hinfällig, ob es denn nicht in allen Religionen kluge und weise Gedanken über Gott gibt. Darum geht es gar nicht mehr, sondern nur darum, wie wir uns zu diesem Wort des lebendigen Gottes verhalten, ob wir es hören oder ob wir unsere Ohren davor verschließen. Wo Gott selber redet, ist das die einzige Frage, die dann noch zählt.

II.

Und was Gott dann den Israeliten damals durch seinen Boten Jeremia ausrichten ließ, das klang, wie gesagt, überhaupt nicht nett und erfreulich. Das war keine Frohbotschaft, sondern eine Drohbotschaft.
Nein, Gott gibt sich hier in seinen Worten gerade nicht als Softie zu erkennen, der für alles Verständnis hat, der alles in Ordnung findet, was wir Menschen so tun. Sondern er hat klare Vorstellungen davon, was richtig ist und was nicht, was seinem Willen entspricht und was nicht. Und wo Menschen seinem Willen entgegenhandeln, da übersieht er dies nicht großzügig, sondern bringt die Sache auf den Punkt: Bessert euer Leben und euer Tun, kehrt um, macht nicht weiter so wie bisher. Nicht Kuscheln ist angesagt, sondern Buße, Umkehr zu Gott. Und wo dies nicht geschieht, da hat das Konsequenzen, da zerbricht die Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott, da können auch die, die zu seinem Volk gehören, nicht damit rechnen, dass sie weiter in der Gegenwart Gottes werden leben dürfen.
Hochaktuell ist das, was der Prophet Jeremia hier als Willen Gottes seinem Volk verkündigt, als Willen Gottes, den er, der Herr, in den vergangenen 2600 Jahren auch nicht geändert hat, sondern der heute genauso gilt wie damals:
Ganz vorne nennt Gott der HERR Gewalt gegen Fremdlinge, gegen Ausländer als Verstoß gegen seinen Willen. Da ist Gott extrem intolerant, wenn Menschen um ihrer Herkunft willen benachteiligt werden, wenn ihnen das Lebensrecht in einer Gemeinschaft abgesprochen wird, wenn sie als minderwertig angesehen werden, nur weil sie anders sind als diejenigen, die immer schon im Lande gewohnt haben. Ich kann mich von daher nicht als Christ bezeichnen und zugleich selber in dieses dumpfe Horn stoßen, selber Verständnis zeigen für Einstellungen, für die Gott hier nicht das geringste Verständnis zeigt, für Einstellungen, die nicht mehr erkennbar werden lassen, dass jeder Mensch, ganz gleich, woher er kommt, Gottes geliebtes Geschöpf ist, dem wir entsprechend mit Respekt zu begegnen haben. Und erst recht ist Gott der HERR nicht dazu bereit, Feindseligkeiten gegen sein jüdisches Volk zu tolerieren, gegen sein Eigentumsvolk, seinen Augapfel. Nein, Schwestern und Brüder, wimmeln wir diese Worte ja nicht ab mit dem Hinweis darauf, das klinge doch jetzt politisch, und Politik habe doch bei uns auf der Kanzel nichts zu suchen. Es geht hier nicht um Politik, es geht darum, dass Gott selber hier spricht, ja auch zu diesem Thema.
Und dann spricht Gott der HERR gleich danach von der Unterdrückung der Waisen und Witwen, kurz gesagt: der Armen und Wehrlosen im Volk, derer, die keine Chance haben, sich gegen die legalen und halblegalen Tricks der Mächtigen und Einflussreichen zu verteidigen. Gott der HERR hat ein Faible für die Armen und Unterdrückten; ihm ist es nicht egal, ob auch bei uns soziale Gerechtigkeit herrscht oder nicht. Schwestern und Brüder, wie das im Einzelnen praktisch auszusehen hat, wie man soziale Gerechtigkeit in einer Gesellschaft am besten verwirklicht – darüber wird man immer wieder diskutieren und darum ringen müssen, da kann auch die Kirche nicht behaupten, sie hätte da für alles eine Patentantwort. Aber dass Gott soziale Gerechtigkeit will, Gerechtigkeit gerade auch für die, die selber nichts zu leisten vermögen, das sagt er uns ganz klar in seinem Wort, da mischt er sich auch bei uns ganz kräftig ein, wie er dies damals durch den Mund des Propheten Jeremia getan hat.
Und dann spricht Gott der HERR hier eben auch davon, dass er es nicht duldet, wenn die, die zu ihm gehören wollen, zugleich anderen Göttern nachlaufen. Auch da ist Gott der HERR kein Softie, sondern extrem intolerant. Ihr könnt nicht zugleich an mich glauben und ein bisschen auf Dalai Lama-Buddhismus machen; ihr könnt nicht zugleich an mich glauben und zugleich auf Holz klopfen, um Unglück zu vertreiben, oder euch vor Türschwellen fürchten. Ihr könnt nicht zugleich an mich glauben, mich aber, wenn es drauf ankommt, irgendwo auf Platz 17 in eurem Leben unterbringen und euch mit mir beschäftigen, wenn ihr alles andere, was wichtiger ist, in eurem Leben erledigt habt.
Und so fährt Gott fort, verweist ganz unbequem auf seine Zehn Gebote, möchte nicht, dass wir bloß über sie diskutieren, sondern dass wir sie befolgen. Nein, Gott ist kein Softie.

III.

Doch was ihn, Gott, den Herrn, am meisten aufregt, ist, wenn er von uns wie ein Maskottchen, wie ein Glücksbringer behandelt wird, wenn wir meinen, wir hätten ihn soweit im Griff, dass wir von ihm immer das bekommen, was wir wollen.
„Hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel.“ – So lautete damals das Schlagwort in Jerusalem. Wir haben doch den Tempel in unserer Mitte, dann kann uns doch gar nichts passieren, dann können wir leben, wie wir wollen; Gott kann uns doch gar nicht preisgeben, kann die Stadt Jerusalem doch gar nicht erobern lassen. Kann er eben doch.
Gott als Maskottchen, das uns Glück bringt – stehen wir auch in der Gefahr, mit dieser Einstellung an Gott heranzugehen? Hauptsache, ich gehöre noch zur Kirche; Hauptsache, ich bekomme noch meine christliche Beerdigung; dann kann mir am Ende doch nichts passieren. Und wenn ich immer an Gott geglaubt habe, dann habe ich doch irgendwo auch ein Recht darauf, dass er es mir dafür auch einigermaßen anständig gehen lässt.
Neulich las ich in der Zeitung eine interessante Meldung: In Rumänien hat ein Gefängnisinsasse offiziell Gott vor einem Gericht wegen Vertragsverletzung verklagt. Bei seiner Taufe habe Gott ihm doch versprochen, ihn vor dem Bösen zu bewahren. Aber das habe er offenbar nicht gemacht, denn sonst hätte er, der Gefängnisinsasse, ja nicht einen anderen Menschen umbringen können. Also ist Gott an seinem Gefängnisaufenthalt schuld, weil er, Gott, den Vertrag nicht eingehalten hat. Nein, so krass müssen wir es ja nicht gleich sehen. Aber können wir es uns überhaupt noch vorstellen, dass Gott auch unsere schöne St. Marienkirche als eine Räuberhöhle ansehen könnte, als einen Ort, an dem wir uns geborgen fühlen, während wir draußen im Alltag Gottes Gebote immer wieder mit Füßen treten?
Schwestern und Brüder, wir hören die Worte des Propheten Jeremia heute am Gedenktag der Zerstörung Jerusalems. Wenige Jahre später geschah, was Gott durch seinen Propheten ankündigte; wenige Jahre später wurde der Tempel in Jerusalem zerstört. Und gut 600 Jahre später wurde er dann noch einmal zerstört, so radikal, dass er bis heute nicht mehr aufgebaut worden ist.
O nein, Schwestern und Brüder, kommen wir ja nicht auf die Idee, hier mit dem Finger auf andere zu zeigen, dies vielleicht gar als die gerechte Strafe für „die Juden“ abzutun! Als ob wir nicht auch in der Gefahr stünden, Gott als einen stummen Gott zu behandeln, ihn als Softie zu verharmlosen, der das alles nicht so eng sieht, was wir tun; ja, als ob nicht auch wir in der Gefahr stünden, Gott zu unserem Maskottchen zu machen, das wir nach unseren Wünschen gebrauchen können! Ja, als ob Gott nicht auch mit uns tun könnte, was er damals mit dem Gottesvolk des Alten Bundes getan hatte!
Ja, zur Umkehr ruft Gott auch uns heute – und weiß zugleich, dass wir selber zu solcher Umkehr gar nicht in der Lage sind. Doch wo wir selber erkennen, dass wir Gottes Gericht verdient haben, dass wir uns selber nicht zu retten vermögen, stellt er uns den anderen, den neuen Tempel vor Augen, den er für uns errichtet hat im Leib seines Sohnes Jesus Christus. In ihn dürfen wir uns flüchten, in ihm dürfen wir die Vergebung empfangen, die wir so dringend brauchen, in ihm will er an uns arbeiten, uns verändern, uns zu Menschen machen, die nicht so bleiben, wie sie sind, die sich prägen lassen von seinem Wort. Nicht um Glück und Harmonie, nicht um Selbstverwirklichung geht es in diesem Tempel, sondern um Rettung, um Rettung vom ewigen Tod zum ewigen Leben. Ja, diese Rettung finden wir nur in ihm, Christus, und in keinem sonst. Das gilt für Juden, das gilt für Christen – und auch für den Dalai Lama. Amen.