Drucken

6. Das Kirchenjahr (Teil2)

6. Das Kirchenjahr (Teil 2)
Mit dem Sonntag Palmarum beginnt die wichtigste Woche des Kirchenjahres, die „Karwoche“, in der die christliche Gemeinde das zentrale Geheimnis des christlichen Glaubens mitfeiernd nachvollzieht: den Weg Jesu durch Leiden und Sterben bis hin zu seiner Auferstehung. Das Wort „Kar“ kommt vom althochdeutschen Wort „kara“ und bedeutet so viel wie Trauer, Leid, Wehklage. Der Sonntag Palmarum hat seinen Namen von dem Evangelium des Sonntags, dem Einzug Jesu in Jerusalem, bei dem er von der Bevölkerung mit Palmzweigen begrüßt wurde. An diesem Tag denken wir in besonderer Weise daran, wie schnell die Stimmung bei uns Menschen umschlagen kann: Wenige Tage nach dem „Hosianna“ ruft dieselbe Volksmenge „Kreuzige ihn!“ So bitten wir an diesem Sonntag besonders darum, daß wir davor bewahrt bleiben, unseren Glauben und unser Christusbekenntnis an der jeweiligen Stimmung der Umgebung festzumachen. Der Gründonnerstag, der Tag der Einsetzung des Heiligen Altarsakraments, war in der Alten Kirche der Tag, an dem diejenigen, die aufgrund schwerer Verfehlungen aus der Gemeinde und vom Altarsakrament ausgeschlossen worden waren, wieder in die Gemeinschaft der Gemeinde aufgenommen und zum Sakrament wieder zugelassen wurden. Auf diese Praxis der „weinenden Büßer“, die wieder in die Gemeinde zurückkehrten, bezieht sich wohl der Name „Gründonnerstag“ („grün“ kommt von „greinen“, einem alten deutschen Wort für „weinen“). Der Gottesdienst am Abend des Gründonnerstags ist zum einen geprägt von der Freude über das kostbare Geschenk des Heiligen Altarsakraments; mitten in der Karwoche erstrahlt die Christusfarbe „weiß“ und erklingt das „Ehre sei Gott in der Höhe“. Andererseits endet der Gründonnerstag in der „Nacht, da Er verraten ward“. So schweigen am Schluß des Gottesdienstes die Orgel und die Glocken, um dann erst wieder beim „Gloria“ in der Heiligen Osternacht zu erklingen. Der Karfreitag ist der Tag der Kreuzigung des Herrn; seine Begehung reicht sicher bis in die Anfänge der Kirche zurück. Er ist ein Bußtag, an dem keine Feier des Heiligen Altarsakraments stattfindet. An diesem Tag wird statt dessen ein Bußgottesdienst ohne Orgel und Glocken, ohne Kerzen und mit entblößtem Altar gefeiert; dabei werden die „Improperien“ angestimmt, die Klagen des gekreuzigten Christus an sein Volk. Der Gottesdienst am Karfreitag wird üblicherweise zur Todesstunde des HERRN um 15 Uhr gefeiert; doch hat es sich in unserem Land eingebürgert, an diesem Tag auch noch einen Gottesdienst am Vormittag zu feiern.

Am Abend des Karsamstags versammelt sich dann die Gemeinde, um in der Heiligen Osternacht die Auferstehung ihres Herrn zu feiern: In die dunkle Kirche wird die Osterkerze als Symbol des auferstandenen Christus getragen; von ihr erhalten dann auch alle Gottesdienstteilnehmer ihr Osterlicht. Die Osternachtsfeier ist eine „Vigil“, ein Gottesdienst, in dem man sich durch das Hören auf Schriftlesungen auf ein besonderes Ereignis vorbereitet. So wird in den Lesungen der Osternacht das schöpferische und rettende Handeln Gottes von der Schöpfung über die Sintflut und die Rettung am Schilfmeer bis hin zu den Verheißungen der Propheten und ihrer Erfüllung in der Heiligen Taufe bedacht. Die Osternacht war in der Alten Kirche ein wichtiger Tauftermin, auf den die Täuflinge in der Fastenzeit vorbereitet worden waren. So gehört das Taufgedächtnis – und, wenn möglich, eine Taufe selber – zur Feier der Osternacht mit dazu. Nach der Litanei erklingen zum Gesang des Gloria wieder Orgel und Glocken, und nach den Wochen der Fastenzeit, in denen das „Halleluja“ verstummt war, wird es nun in der Osternacht um so häufiger gesungen. Die Osternachtsfeier leitet eine 50tägige Freudenzeit ein, in der die Gottesdienste, angefangen mit dem Festgottesdienst am Ostersonntag selber, besonders fröhlich und festlich gestaltet sind. Als Symbol des auferstandenen Christus brennt die Osterkerze in dieser Zeit bis zum Fest der Himmelfahrt Christi, wenn möglich, an hervorgehobener Stelle im Kirchraum. Alle Tage der Osterwoche gelten liturgisch gesehen als Festtage, auch wenn in unserem Land nur noch der Ostermontag auch ein staatlich anerkannter Feiertag ist.

Die Sonntage der Osterzeit haben, ähnlich wie die Sonntage der Fastenzeit, wieder ihre Namen vom lateinischen Beginn des Introitus dieses Sonntags. Der Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti, wird auch „Weißer Sonntag“ genannt, weil an diesem Tag in der Alten Kirche die Christen, die im Osternachtsgottesdienst getauft worden waren, zum letzten Mal ihre weißen Taufkleider trugen; er ist traditionell der Sonntag für Erstkommunionen und Konfirmationen. Der Sonntag Misericordias Domini wird auch „Hirtensonntag“ genannt, weil sich im Evangelium dieses Sonntags Christus als der gute Hirte vorstellt. Der Sonntag Jubilate ist geprägt vom Jubel über das neuschöpfende Handeln Gottes; der darauffolgende Sonntag Kantate („Singt“) wird seit dem 19. Jahrhundert in besonderer Weise als Sonntag der Kirchenmusik begangen. Mit dem Sonntag Rogate („Bittet“) beginnt die Kirche jeweils mit der Fürbitte um eine gute Ernte auf den Feldern; dieser Sonntag ist der Sonntag des Gebets. 40 Tage nach Ostern feiert die Kirche das Fest der Himmelfahrt CHRISTI. Als staatlicher Feiertag ist dieses Fest in weiten Teil der Bevölkerung unseres Landes mittlerweile zum „Vatertag“ oder gar – im Zeitalter sinkender Geburtenzahlen – zum „Herrentag“ entartet, wobei mit diesem Namen nicht der eine Herr Jesus Christus bezeichnet wird, dessen Erhöhung über die ganze Welt die Kirche an diesem Tag feiert, sondern die vielen „Herren“, die sich statt in die Kirche ins Grüne begeben. Leider wird dieser Tag auch von vielen Christen als Anlaß für ein „verlängertes Wochenende“ genommen. Mit der damit verbundenen Entleerung der Kirchen wächst die Gefahr, daß dieser Tag als staatlicher Feiertag auch in unserem Land, wie bereits in anderen Ländern, abgeschafft wird, wenn er auch von Christen selber nicht mehr für seinen eigentlichen Sinn und Inhalt genutzt wird. Die Feier des Himmelfahrtsfests ist weniger von „Abschiedsstimmung“ als vielmehr von der Freude geprägt, daß der erhöhte Christus nun in Seinem Wort und Sakrament in Seiner Kirche gegenwärtig ist.

Zehn Tage nach der Himmelfahrt CHRISTI und damit 50 Tage nach Ostern feiert die Kirche schließlich das Heilige Pfingstfest zur Erinnerung an die Ausgießung des Heiligen Geistes an diesem Tag, der bereits im Judentum als Ernte- und Wallfahrtsfest und Fest der Bundeserneuerung gefeiert wurde. Da sich am ersten Pfingstfest damals 3000 Menschen taufen ließen, wird Pfingsten auch der „Geburtstag der Kirche“ genannt. Als hohes kirchliches Fest wurde das Pfingstfest ebenfalls eine ganze Woche lang mit Festgottesdiensten gefeiert; übriggeblieben davon ist heute noch der Pfingstmontag als staatlicher Feiertag. Eine Festwoche wird in der Kirche jeweils mit der sogenannten „Oktav“, dem achten Tag nach dem Fest, abgeschlossen. Die Pfingstoktav feiert die Westkirche seit dem Jahr 1334 als Fest der Heiligen Dreifaltigkeit (Trinitatis) und betet darin das Geheimnis des Einen Gottes an, der sich uns in drei Personen zu erkennen gegeben hat. In der orthodoxen Kirche werden Pfingsten und Trinitatis gemeinsam in einem Fest gefeiert („troiza“). 

Ähnlich wie Ostern als das höchste Fest des christlichen Glaubens hat auch das Weihnachtsfest eine Bußzeit, die dem Fest vorausgeht, und eine vierzigtägige Freudenzeit, die auf das Fest folgt. Die Bußzeit vor Weihnachten wird „Adventszeit“ genannt. Sie dauerte in früheren Zeiten ähnlich wie die Fastenzeit vor Ostern sechs Wochen, wurde dann aber in späteren Zeiten auf vier Sonntage reduziert. Die Feier des „Advent“ (auf deutsch: Ankunft) verweist auf das dreifache Kommen des Herrn: damals in Bethlehem als Kind in der Krippe, heute in Seinem Wort und Sakrament und zukünftig bei seiner Wiederkunft zum Gericht. Der erste Adventssonntag ist geprägt vom Evangelium von dem Einzug Jesu in Jerusalem; die Freude über diesen Einzug läßt an diesem Sonntag noch einmal das „Gloria“ erklingen, bevor es dann bis zur Feier der Heiligen Christnacht schweigt. An den folgenden drei Adventssonntagen wird die Gemeinde im Blick auf die Wiederkunft Christi (2. Adventssonntag), auf Johannes den Täufer (3. Adventssonntag) und auf Maria, die Mutter Gottes, (4. Adventssonntag) dazu angeleitet, „den Sohn Gottes mit Freuden zu empfangen“, wie es in einem Gebet der Adventszeit heißt. Der Charakter der Adventszeit als Fasten- und Bußzeit ist in unserer heutigen kommerzialisierten Gesellschaft oft kaum noch wahrnehmbar; Advent und Weihnachten verschwimmen dabei zu einem allgemeinen gefühlsbetonten „Geschenke- und Lichterfest“. Um so wichtiger ist es, daß Christen gerade diese Wochen zur geistlichen Konzentration in Vorbereitung auf die Feier der Geburt des HERRN nutzen und die Feier des Christfestes nicht schon in der Adventszeit ständig vorwegnehmen. Der „Adventskranz“ ist im übrigen eine Erfindung des Hamburger Pfarrers Johann Hinrich Wichern aus dem 19. Jahrhundert: Er stellte einen Adventskranz mit 24 Kerzen her, um den von ihm im „Rauhen Haus“ betreuten Kindern die Adventszeit nahezubringen. Erst seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts fand der Adventskranz seinen festen Platz auch in den Kirchen, nunmehr auf vier Kerzen als Symbole für die vier Adventssonntage reduziert.

Am Vorabend vor dem Christfest feiert die Kirche seit alters Vorbereitungsgottesdienste auf das Weihnachtsfest, die sogenannten „Christ-vespern“. In unserem Land hat sich bei vielen Menschen die merkwürdige Sitte entwickelt, zwar am Vorabend des Christfestes, also am 24. Dezember, zu einem dieser Vorbereitungsgottesdienste in die Kirche zu gehen, das Fest selber aber, auf das sie sich vorbereitet haben, nicht mehr in der Kirche und mit der Kirche zu feiern. Das Christfest selber wird seit dem Ende des 6. Jahrhunderts mit drei Messen gefeiert: dem „Engelamt“ in der Nacht, der sogenannten Christnacht oder Christmette (Lukas 2,1-14), dem „Hirtenamt“ am frühen Morgen (Lukas 2,15-20) und dem „Menschenamt“ oder Hochamt am Vormittag (Johannes 1,1-14). In unserer heutigen Ordnung sind die Lesungen des Hirtenamtes auf den Vormittagsgottesdienst am „ersten Feiertag“ gelegt und die Lesungen des Menschenamtes, die die Menschwerdung Gottes verkünden, auf den „zweiten Feiertag“. Die Tage vom 25.-28. Dezember werden zusammenfassend als „Weihnachten“, als die geweihten Nächte, bezeichnet; ursprünglich umfaßte der Begriff die zwölf Tage bis zum Epiphaniasfest. Der 26. Dezember ist zugleich der Tag des Erzmärtyrers St. Stephanus und erinnert ebenso wie der Tag der unschuldigen Kinder am 28. Dezember mit der Erzählung vom Kindermord des Herodes daran, in was für eine Welt der Sohn Gottes hineingeboren wurde. Am 27. Dezember feiert die Kirche den Gedenktag des Evangelisten St. Johannes, der die Menschwerdung Gottes in seinem Evangelium besonders eindrücklich beschrieben hat. (Fortsetzung folgt.)