Das Traubüchlein.

Das Traubüchlein.

 

Anlaß der Abfassung des Kleinen Katechismus waren für Martin Luther die Erfahrungen, die er während seiner Visitation in Kursachsen gemacht hatte: Die Glieder der christlichen Gemeinden hatten zumeist kaum eine Ahnung von den elementarsten Inhalten des christlichen Glaubens. Diese Ahnungslosigkeit beschränkte sich jedoch nicht bloß auf die Gemeindeglieder. Auch die Pfarrer waren in vielen Fällen mit ihrem Amt völlig überfordert und wußten oftmals nicht, wie sie überhaupt predigen oder auch die Sakramente verwalten sollten. So verfaßte Martin Luther neben dem Kleinen Katechismus auch den Großen Katechismus als eine Predigtanleitung für die Pfarrer; außerdem verfaßte er Ordnungen für die Durchführung der Amtshandlungen, die er den Pfarrern an die Hand gab. So wurden dem Kleinen Katechismus ein sogenanntes „Traubüchlein“ und ein „Taufbüchlein“ beigefügt.

Das „Traubüchlein“ trägt den offiziellen Titel „Ein Traubüchlein für die einfältigen Pfarrherrn“: Es enthält nach einer Einführung Anleitungen für die Formulierung des Aufgebots der Brautleute „auf der Kanzel“, für die Trauung „vor der Kirche“ (es war damals üblich, die eigentliche Trauhandlung vor der Kirchentür in der Öffentlichkeit vorzunehmen) sowie für die Lesungen und das Segensgebet „vor dem Altar“.

Sein Anliegen bei der Abfassung des Traubüchleins benennt Luther gleich in der Einführung: „Weil man denn bisher mit den Mönchen und Nonnen ein so besonders großes Gepränge gemacht hat bei ihren Einsegnungen, obschon ihr Stand und Wesen eine bloße Menschenerfindung ist ohne Grund in der Schrift, wieviel mehr sollen wir diesen göttlichen Stand der Ehe ehren und auf überaus herrliche Weise segnen, über ihn beten und ihn zieren? Denn wenn’s auch ein weltlicher Stand ist, so hat er dennoch Gottes Wort für sich und ist nicht von Menschen erdichtet oder gestiftet wie der Stand der Mönche und Nonnen. Darum sollte er auch hundertmal mehr als geistlicher Stand geachtet werden. … Auch deshalb sollte der Ehestand durch eine feierliche Trauung geehrt werden, daß das junge Volk diesen Stand mit Ernst ansehen lerne und in Ehren halte als ein göttliches Werk und Gebot und nicht so schimpflich dabei seine Narrheit treibe mit Lachen, Spotten und dergleichen Leichtfertigkeiten, die man bisher gewohnt gewesen ist, gerade als wäre es ein Scherz und Kinderspiel, ehelich zu werden oder Hochzeit zu machen. … Denn wer von dem Pfarrer oder Bischof Gebet und Segen begehrt, der zeigt damit wohl an – ob er’s gleich mit dem Munde nicht sagt – in was für Gefahr und Not er sich durch die Ehe begibt und wie sehr er zu diesem Stand, in den er eintritt, des göttlichen Segens und der allgemeinen Fürbitte bedarf. Wie es denn wohl auch täglich erfahren wird, welches Unglück der Teufel im Ehestand anrichtet mit Ehebruch, Untreue, Uneinigkeit und allerlei Jammer.“

Die Sprache Luthers mag uns in manchem altertümlich vorkommen; was er inhaltlich hier anspricht, ist auch für uns heute weiterhin und wieder neu ganz aktuell:

Luther liegt daran, daß die Ehe als ein „geistlicher Stand“ den Gliedern der christlichen Gemeinde wieder neu ins Bewußtsein gerückt wird. Die Ehe von einem Mann und einer Frau ist nach Gottes Willen nicht bloß eine beliebige Lebensform neben vielen anderen auch, sondern „hat Gottes Wort für sich“. Gerade weil die Ehe im Unterschied zu anderen Lebensformen diese ausdrückliche Verheißung Gottes hat, soll die christliche Gemeinde zu dieser Lebensform ermutigen und dies gerade auch durch eine festliche Gestaltung der kirchlichen Trauung zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt im Jahr 2005 genauso wie im Jahr 1529. Gerade auch da, wo der Staat andere Lebensformen neben der Ehe immer mehr aufwertet und der Ehe gleichstellt, und gerade auch da, wo auch innerhalb der christlichen Gemeinde die Eheschließung als Grundlage eines verbindlichen Zusammenlebens von Mann und Frau längst nicht mehr als selbstverständlich angesehen wird, hat die christliche Gemeinde die Aufgabe, zu tun, was ihr nur möglich ist, um zunächst und vor allem ihren eigenen Gliedern Mut zur Ehe, Mut zum Heiraten zu machen.

Luther hat dabei vor allem „das junge Volk“ im Blick: Auf der einen Seite sollen sie zum „göttlichen Stand der Ehe“ ermutigt werden, auch durch festliche Traugottesdienste. Andererseits soll ihnen aber auch der Ernst einer Eheschließung vor Augen gestellt werden. Eine Hochzeit ist eben kein „Scherz und Kinderspiel“; schließlich geht es bei der Ehe um eine lebenslange, unverbrüchliche Ordnung Gottes, die man nicht einfach wieder auflösen kann. Darum ist der Segen Gottes bei der Trauung von entscheidender Bedeutung, denn man begibt sich durch die Ehe durchaus „in Gefahr und Not“, der man nur mit Gottes Segen wehren kann. Gewiß gehen auch bei uns heute die meisten Heiratswilligen an ihre Eheschließung nicht mit der Leichtfertigkeit mancher Popsternchen und Hollywoodgrößen heran, die ihre Hochzeiten gerne als besondere Showevents zelebrieren, sich dann aber oftmals schon nach wenigen Monaten oder mitunter auch schon nach einigen Stunden wieder scheiden lassen. Doch die Gefahr, daß Heiratswilligen bei ihrer kirchlichen Trauung mehr an äußerlichen „Showelementen“ denn an dem Segen Gottes im Kampf gegen den Teufel gelegen ist, ist ja auch bei uns nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen. Dennoch sollten wir zugleich auch immer wieder froh sein, wenn Gemeindeglieder sich nicht mit einer standesamtlichen Eheschließung begnügen, sondern sich bewußt für eine kirchliche Trauung entscheiden. Auch dies ist leider längst nicht mehr selbstverständlich.

Martin Luther spricht in seinem Traubüchlein sehr offen an, daß in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten die Form der Eheschließung durchaus sehr unterschiedlich aussehen kann. Die Eheschließung ist eben nicht in gleicher Weise ein Sakrament wie etwa die Taufe oder das Heilige Abendmahl, deren Vollzug Christus ganz konkret gestiftet und beschrieben hat. So sah die Eheschließung zu Luthers Zeiten in vielem noch ganz anders aus als bei uns heute. Der entscheidende rechtliche Schritt war damals bereits die öffentliche Verlobung, die die beiden Partner schon aneinander band. Dann folgte nicht lange Zeit darauf die „Kopulation“, die wiederum aus zwei Teilen bestand: der Trauung durch den Pfarrer, die entweder vor der Kirchentür oder aber auch im Hochzeitshaus stattfand, und dem „öffentlichen Beilager“ in dem vom Geistlichen gesegneten Ehebett unter Anwesenheit von Zeugen. Bei aller heutigen Freizügigkeit würden es wohl die meisten Brautpaare heutzutage für keinen sehr verlockenden Gedanken halten, den Pfarrer als Zeugen bei ihrem ersten Beischlaf neben ihrem Bett stehen zu haben … Der dritte Teil war dann der öffentliche Kirchgang mit der Segnung der Eheleute, oftmals in Form einer Brautmesse, und die anschließende Hochzeitsfeier. Luther selber ging bei seiner Eheschließung sehr schnell zur Sache: Verlobung, Trauung durch den Stadtkirchenpfarrer Johannes Bugenhagen im Hause (in diesem Fall also nicht vor der Kirchentür!) und Beischlaf vor Zeugen fanden alle an einem Tag, dem 13. Juni 1525, statt. Der öffentliche Kirchgang und das Festmahl folgten dann erst zwei Wochen später am 27. Juni. Wir sehen, daß sich im Vergleich zu damals heute einiges geändert hat. Doch das entscheidende Anliegen ist geblieben: Eine Eheschließung muß „öffentlich vor Gott und der Welt“ geschehen. Alle Menschen sollen wissen, daß diese beiden Menschen nun endgültig „nicht mehr zu haben“ sind.  „Vor Gott und der Welt“ heißt dabei für einen Christen zugleich: in der Verantwortung vor Gottes letztem Gericht. Die Ehe beruht nicht bloß auf dem Bestehen gegenseitiger Sympathie der Brautleute füreinander; sie besteht auch nicht bloß, „solange es gut geht“ und „solange wir uns nicht auseinandergelebt haben“. Sie wird nicht durch das „Ja“ der Brautleute zueinander gestiftet, sondern durch Gottes Handeln: ER selber schließt die Brautleute als Mann und Frau zusammen.

Hier weicht Luther in seinem Traubüchlein vom römisch-katholischen Eheverständnis ab: Nach römisch-katholischer Lehre spenden sich die Eheleute gegenseitig das Sakrament der Ehe mit ihrem Jawort zueinander; der Priester ist bei dieser Sakramentenspendung nur Zeuge. Dagegen bringt Luther in seinem Traubüchlein zum Ausdruck, daß der dreieinige Gott selber durch den Diener der Kirche „zusammenfügt“ und damit die Ehe zwischen den Brautleuten stiftet. Nach dem Ringwechsel fügt Luther die Verlesung von Matthäus 19,6 ein: „Was Gott zusammenfügt, das soll der Mensch nicht scheiden“ und läßt daraufhin die Trauformel folgen: „Weil denn Hans N. und Grete N. einander zur Ehe begehren und dies hier öffentlich vor Gott und der Welt bekennen, weswegen sie sich einander die Hände und Trauringe gegeben haben, so spreche ich sie ehelich zusammen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“

Diese sogenannte „kopulative Trauformel“ war in allen lutherischen Kirchen bis ins 19. Jahrhundert üblich. Als Otto von Bismarck im Rahmen des Kulturkampfes die Zivilstandsgesetzgebung mit der standesamtlichen Eheschließung einführte und den Pfarrern das Recht nahm, staatlich gültige Trauungen vorzunehmen, änderten die Landeskirchen sofort willfährig ihre Gottesdienstordnungen: Sie redeten nunmehr die Brautleute als bereits Verheirate an und ließen die eigentliche Trauung mit der Trauformel ganz weg. So ist die kirchliche Trauung nach evangelischem Verständnis auch heute nur noch eine Bestätigung der standesamtlichen Trauung. Dagegen verwenden wir in unserer lutherischen Bekenntniskirche auch weiterhin diese „kopulative Trauformel“ und bringen damit zum Ausdruck, daß wir uns nicht vom Staat vorschreiben lassen, wann und wie eine christliche Ehe gestiftet wird.

Diese „kopulative Trauformel“ hat dabei vor allem auch eine eminent seelsorgerliche Bedeutung: Die Eheleute sollen gewiß sein, daß Gott selbst ihre Ehe gestiftet und sie zusammengefügt hat. Das können sie nicht mehr rückgängig machen, weil Gott es nicht rückgängig machen will und wird. Der Fortbestand ihrer Ehe hängt also nicht von ihrem Willen und ihren Wünschen ab. Dies kann eine wichtige Hilfe sein, auch in schwierigen Zeiten in der Ehe zusammenzubleiben, wenn beide Ehepartner um ihre Verantwortung vor Gott wissen, der sie miteinander verbunden hat. Wer sich dieser Verbindlichkeit einer christlichen Ehe entzieht, um damit scheinbar mehr „Freiheit“ zu behalten, entzieht sich in Wirklichkeit zugleich auch dem Segen Gottes, den dieser gerade auf diese verbindliche Form des Zusammenlebens in der Ehe gelegt hat, und entzieht sich auch der wunderbaren Verheißung für eine christliche Ehe, daß in ihr „das Sakrament Deines lieben Sohnes Jesus Christus und der Kirche, seiner Braut, darin bezeichnet“ wird, wie es im Segensgebet in Luthers Traubüchlein heißt: In einer christlichen Ehe spiegeln Mann und Frau das sakramentale Geheimnis der Gemeinschaft von Christus und Seiner Kirche wider, wird diese Ehe damit von dem Heilswerk Christi durchwirkt.

Am Rande sei noch erwähnt, daß Luther mit seinem Traubüchlein gerade die Position der Frau in der Ehe sehr aufwertet: Mann und Frau werden in der Trauung auf gleicher Ebene angeredet; weder „nimmt sich“ der Mann seine Frau, noch sind es die Eltern der Braut, die ihre Tochter gleichsam ihrem künftigen Schwiegersohn geben. Eine Aufwertung der Frau stellt auch der Bezug auf die Aussagen von Epheser 5 in der Trauordnung bei Luther dar: In der Ehe soll sich das Verhältnis von Christus zu Seiner Kirche widerspiegeln – von Christus, der Seinen Jüngern die Füße gewaschen hat und für sie bis in den Tod gegangen ist. Dem soll und darf der Mann in einer christlichen Ehe in seinem Verhalten entsprechen. So erweist sich das Traubüchlein als ausgesprochen modern – weil Gottes Wort zu allen Zeiten aktuell bleibt und  gerade nicht an  bestimmte Gesellschaftsmuster gebunden ist.