11. Die Kommunion (Teil 1)

Nachdem die Gemeinde das „Agnus Dei“, das „Christe, du Lamm Gottes“, gesungen hat, hält der Liturg der Gemeinde noch einmal vor Augen, wen sie da in ihrem Gesang gerade angebetet hat: Ihn, Christus, der jetzt im Brot und Wein auf dem Altar leibhaftig gegenwärtig ist. So hebt der Liturg die Hostie und den Kelch empor und spricht die „Vorweisung“: „Seht, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ Daran schließt sich die Einladung an: „Kommt, denn ist es alles bereit!“ Gewiss sollte man mit einer „Ausschmückung“ der Sakramentsausteilung mit zusätzlichen Bibelworten, wie dies in der reformierten Kirche eingeführt wurde, zurückhaltend sein. Alles soll nun auf das Fleisch gewordene Wort in den Gaben des Sakraments ausgerichtet sein. Dennoch hat diese biblische Einladung an dieser Stelle ihren guten Sinn: Sie ist ja dem Gleichnis Jesu vom großen Abendmahl entnommen (St. Lukas 14,17) und erinnert daran, dass wir jetzt im Heiligen Abendmahl schon teilhaben an dem großen Freudenmahl im Reich Gottes, das kein Ende kennt. Von daher tun wir gut daran, dieser Einladung dann auch zu folgen und uns ihr nicht mit irgendwelchen vorgeschobenen Entschuldigungen zu entziehen.

Zum Empfang der Kommunion kommen die Abendmahlsgäste, wenn sie körperlich dazu in der Lage sind, nach vorne an den Altar. Der Gang zum Sakrament ist immer auch ein öffentliches Bekenntnis und ein Stück Verkündigung durch diejenigen, die zum Altar treten: „Sooft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1. Korinther 11,26) Es ist darum nicht angemessen, die Gaben des Sakraments einfach durch die Bankreihen in der Kirche zu reichen, wie dies in anderen Konfessionen zum Teil geschieht. Zum einen ist der Empfang des Leibes und Blutes des Herrn im Sitzen wirklich nur dann angebracht, wenn dies dem Kommunikanten anders nicht möglich ist, und zum anderen kann bei solch einem Reichen durch die Reihen der Liturg als Leiter der Sakramentsfeier auch nicht mehr seine Verantwortung für die Zulassung oder Nichtzulassung der Abendmahlsgäste wahrnehmen – einmal abgesehen davon, dass beim Reichen der Gaben durch die Reihen auch auf diejenigen, die in den Bänken sitzen, ein nicht unerheblicher Druck ausgeübt wird, das Sakrament empfangen zu müssen, wenn es einem so direkt unter die Nase gehalten wird.

Es ist eine gute Sitte in der lutherischen Kirche, zum Empfang des Sakraments am Altar niederzuknien, soweit dies den Kommunikanten physisch möglich ist. Nicht sinnvoll ist es natürlich, wenn die Kommunikanten sich beim Knien so sehr quälen, dass sie die ganze Zeit nur daran denken, wann und wie sie am Ende wohl wieder aufstehen können. Das Knien soll ja gerade zum bewussten Empfang der heiligen Gaben helfen. Im Normalfall bringt aber gerade das Knien noch einmal in besonderer Weise zum Ausdruck, dass wir hier eben nicht bloß „Brot und Wein“, sondern eben Leib und Blut Christi empfangen. Genau diesen Sinn haben auch die sogenannten Spendeworte, die bei der Austeilung verwendet werden: Sie lassen noch einmal hörbar werden, was die Kommunikanten mit ihren Augen noch nicht erkennen können: Dass die ausgeteilten Gaben „der wahre Leib“ und „das wahre Blut“ Christi sind. Im Laufe der Geschichte der letzten Jahrhunderte hat es nicht an Versuchen gemangelt, die klare Benennung dessen, was die Kommunikanten im Sakrament mit ihrem Mund empfangen, durch mehrdeutige Spendeformeln zu ersetzen. So hatte der preußische König Friedrich Wilhelm III. in seiner neuen Agende im Jahr 1830 eine sogenannte „referierende Spendeformel“ eingeführt: Die Pastoren sollten bei der Austeilung sagen: „Jesus Christus spricht: Nehmet hin und esset; das ist mein Leib …“ Diese Worte konnten von reformierten Abendmahlsgästen so verstanden werden, dass Jesus Christus dies damals so gesagt hat, dass er damit aber natürlich nicht gemeint hat, dass Brot und Wein, die jetzt ausgeteilt werden, wirklich Leib und Blut Christi sind, während lutherische Abendmahlsgäste diese Spendeformel auch wieder im Sinne ihres Glaubens auslegen konnten. Die Väter und Mütter unserer lutherischen Kirche hier in Preußen waren nicht dazu bereit, eine solche Spendeformel beim Sakrament zu akzeptieren, die die Gegensätze im Sakramentsverständnis verschleierte und den Abendmahlsgästen gerade nicht klar und eindeutig zu erkennen gab, was denn der Pastor nun bei der Austeilung eigentlich in der Hand hielt und die Kommunikanten empfingen. Darum waren sie nicht dazu bereit, sich an Sakramentsfeiern, bei denen solche Spendeformeln verwendet wurden, zu beteiligen, und darum ist es in der Agende unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche vorgeschrieben, dass den Kommunikanten klar und eindeutig gesagt wird, dass sie den „wahren Leib“ und das „wahre Blut“ Christi empfangen. Gemeint ist damit, dass Brot und Wein eben nicht bloß den Leib und das Blut Christi symbolisieren, sondern dass sie kraft der Einsetzungsworte wahrhaftig Leib und Blut Christi sind.

Es ist ebenfalls ein guter und sinnvoller Brauch in der lutherischen Kirche, dass die Kommunikanten den Leib Christi in den Mund gelegt bekommen. Dies ist ein sehr sinnenfälliger Ausdruck dafür, dass wir zu unserem Heil nicht mitwirken können und sollen, sondern uns ganz von Gott beschenken lassen, dass wir „das Reich Gottes empfangen wie ein Kind“ (St. Markus 10,15). Dagegen wird mitunter eingewandt, dass es für einen mündigen Christen doch unangemessen sei, sich wie ein Kind füttern zu lassen; entsprechend hat man die ursprünglich reformierte Praxis der Handkommunion seit der Liturgiereform auch in der römisch-katholischen Kirche und auch in vielen evangelischen und zum Teil auch in lutherischen Gemeinden eingeführt. Doch beim Sakrament geht es eben gerade nicht darum, dass wir unsere „Mündigkeit“ zum Ausdruck bringen. Im Gegenteil zeigen gerade die Erfahrungen in der römisch-katholischen Kirche, wie eine äußerliche Praxis wie die Handkommunion, bei der die Hostie in die Hand der Gläubigen gelegt wird, auch die innere Einstellung der Kommunikanten zu verändern vermag und in vielen Fällen zu einem Verlust des Respekts vor der Heiligkeit der Gabe geführt hat. Hier sollte man darum äußerste Vorsicht walten lassen. Für den Fall, dass ein Kommunikant den Leib Christi mit der Hand empfängt, ist der austeilende Pfarrer übrigens verpflichtet, genau darauf zu achten, dass der Kommunikant die Hostie dann auch tatsächlich in den Mund nimmt und isst. Gerade bei größeren Sakramentsfeiern, bei denen der austeilende Pfarrer die Kommunikanten nicht alle genau kennt, besteht sonst die Gefahr, dass Kommunikanten die Hostie für andere, abergläubische Zwecke benutzen könnten – von der Praxis von Satanisten, die sich auf dem Wege der Handkommunion den Leib Christi erschleichen, um ihn für ihre schwarzen Messen zu missbrauchen, ganz zu schweigen.

Gemäß den Worten Christi: „Trinket alle daraus“ trinken alle Kommunikanten das Blut des Herrn aus dem Kelch. Mitunter werden Bedenken gegen diese Praxis geäußert, da dies angeblich „unhygienisch“ sei. Dagegen lässt sich festhalten, dass diese Praxis auch aus medizinischer Sicht unbedenklich ist. Die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten hat mitgeteilt, dass in mehreren Studien beispielsweise nie eine Übertragung von Hepatitis-B-Viren oder eine Infektion durch Herpes-simplex-Viren durch das gemeinsame Trinken aus dem Abendmahlskelch nachgewiesen werden konnte – von einer AIDS-Infektion ganz zu schweigen. Durch die kurze Kontaktdauer, den Alkoholgehalt des Weines, das Drehen des Kelches nach jedem Kommunikanten und das Material des Kelches selber ist die Infektionsgefahr so sehr minimiert, dass beispielsweise auch die Gefahr, sich eine Erkältung zu holen, sehr viel größer ist, wenn man einfach mit anderen Gemeindegliedern in derselben Kirchenbank sitzt oder mit dem Bus zur Kirche fährt, als wenn man beim Sakramentsempfang aus dem gemeinsamen Kelch trinkt. Eine Veränderung der Stiftung Christi ist von daher auch aus diesem Grund nicht nötig. Gegen die Verwendung von Einzelkelchen bei der Sakramentsausteilung spricht nicht nur, dass es sehr mühsam ist, diese kleinen Kelche am Ende zu „purifizieren“, das heißt: sie so zu reinigen, dass nichts mehr von dem Blut Christi in ihnen zurückbleibt. Vor allem ist zu bedenken, dass damals bei der Stiftung des Abendmahls jeder Jünger ja bei der Passahfeier durchaus seinen eigenen Kelch vor sich stehen hatte und Christus dennoch den einen Kelch herumreichte, aus dem alle trinken sollten, was auch damals durchaus ungewöhnlich war. Dieser Stiftung Christi wird nicht entsprochen, wenn jeder Kommunikant nur noch seinen „Privatkelch“ erhält und das gemeinsame Anteilhaben an dem einen Kelch (vgl. 1. Korinther 10,16) nicht mehr erkennbar wird. Das heißt nicht, dass bei größeren Sakramentsfeiern nicht auch zwei oder drei Kelche verwendet werden könnten. Aber auch diese sind dann eben Gemeinschaftskelche.

Mitunter praktizieren wir auch in unserer Gemeinde die sogenannte „Intinctio“, bei der der Leib Christi in den Kelch getaucht wird und der Kommunikant so zugleich Leib und Blut des Herrn empfängt. Dies ist eine Notlösung, die angebracht ist, wenn der Kommunikant aus irgendwelchen Gründen nicht dazu in der Lage ist, aus dem Kelch zu trinken. Dann ist es besser, wenn er das Blut Christi auf diese Weise empfängt, als wenn er es gar nicht empfangen könnte. Aber zu einer Regelpraxis sollte die Intinctio nicht werden, da sie dem Gebot Christi, aus dem Kelch zu trinken, nur begrenzt entspricht. Für denjenigen, der den Kelch austeilt, ist es eine praktische Hilfe, wenn die Kommunikanten den Kelch unten am Fuß mit anfassen und führen; ansonsten ist vor allem bei bestimmten Frisuren für den Austeilenden mitunter kaum zu erkennen, ob der Kommunikant tatsächlich schon aus dem Kelch getrunken hat oder noch nicht. Dies gilt gerade auch für diejenigen, die das Sakrament im Stehen empfangen.