Ich glaube, daß ich ein Glied am Leib Christ bin.

Ich glaube, daß ich ein Glied am Leib Christ bin.

 

„Glaube ja – Kirche nein!“ – Diese Titelschlagzeile einer Ausgabe des SPIEGEL vor einigen Jahren gibt sehr treffend die Einstellung vieler Menschen in unserem Land gegenüber „der Kirche“ wider: Religiosität in ihren vielfältigsten Erscheinungsformen wird durchaus als etwas Positives angesehen und gewertet – aber „meinen Glauben“ suche ich mir immer noch selber aus, den lasse ich mir nicht von irgend jemand anders vorschreiben, und den übe ich auch nicht in irgendeiner verbindlichen Gemeinschaft aus, sondern lasse mich allein von meinen Empfindungen und Bedürfnissen leiten. Diese Einstellung ist dann immer wieder verknüpft mit mehr oder weniger pauschalen Urteilen über die „Amtskirche“, mit der man nichts zu tun haben will, weil sie angeblich so „starr“ und „dogmatisch“ sei.

Das sahen die Christen der ersten Jahrhunderte durchaus anders: „Niemand kann Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat“, so formuliert der Kirchenvater Cyprian und bringt damit durchaus treffend zum Ausdruck, was schon das Neue Testament selber zum Thema „Kirche“ zu sagen hat: Christ sein kann ich nur in der Kirche. Doch diese Aussage will natürlich erläutert sein:
 

1. Die Kirche ist kein Verein.
 Der protestantische Theologe Friedrich Schleiermacher, der „Kirchenvater“ der unierten Landeskirche, schreibt in seiner „Christlichen Glaubenslehre“: „Die christliche Kirche bildet sich durch das Zusammentreten der einzelnen Wiedergebornen zu einem geordneten Aufeinanderwirken und Miteinanderwirken.“ Einzelne Gläubige kommen also zusammen und bilden einen Verein namens Kirche, der auf den gleichen „Gemütserregungen“, wie Schleiermacher sie nennt, seiner Mitglieder beruht. Dies ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was das Neue Testament über die Kirche sagt: Nicht die „Mitglieder“ schließen sich zu einer Kirche zusammen, sondern Christus stiftet die Kirche und fügt Menschen durch die Heilige Taufe in die Kirche ein. Die Kirche ist also immer schon vor mir und vor meinem Glauben da; sie ist „die Mutter, die einen jeden Christen zeugt“, wie Martin Luther es im Großen Katechismus schreibt. Entsprechend bin ich als Christ nicht „Mitglied“ in einem frommen Verein, sondern Christus macht mich durch die Taufe zu einem Glied an Seinem Leib. Die Kirche ist der Leib Christi, sie ist ein lebendiger Organismus, dessen Haupt Christus allein ist. Daß ich zur Kirche gehöre, hängt also nicht von meinem Glauben und meinen Empfindungen ab, sondern von dem, was Christus mit mir macht und mir als Glied an Seinem Leib immer wieder zuteil werden läßt. Was Kirche in Wirklichkeit ist, wird am allerdeutlichsten erkennbar und sichtbar bei der Feier des Heiligen Abendmahls: Da kommen eben auch nicht einfach einzelne Gläubige zusammen, um miteinander ein Gedächtnismahl zu feiern oder miteinander eine nette oder feierliche Gemeinschaft zu genießen. Sondern Christus ist der Gastgeber dieses Mahles; ER ist selber mit Seinem Leib und Blut im Brot und Wein des Heiligen Abendmahls wirklich gegenwärtig, und diese Gegenwart hängt eben nicht von unserem Glauben oder unserem Gefühl ab, sondern wird allein durch Christus selber, durch Sein wirksames Wort, bewirkt, das über den Elementen von Brot und Wein gesprochen wird. Jeder, der das Heilige Sakrament empfängt, empfängt den Leib und das Blut des Herrn und wird dadurch immer wieder neu als ein Glied am Leib Christi mit diesem Christus verbunden. Um diese Verbindung mit Christus, um diese reale Teilhabe an Ihm geht es also in der Kirche. Und weil ich ohne diese Teilhabe an Christus, ohne diese Verbindung mit Ihm durch das Evangelium und die Heiligen Sakramente nicht Christ sein und bleiben kann, kann ich eben zugleich auch ohne Kirche nicht Christ sein und bleiben. Und in diesem Sinne gilt dann auch, was das lutherische Bekenntnis sagt: „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“, denn außerhalb der Kirche schenkt Christus nicht die Gemeinschaft mit sich, die unser Heil ist.
 

2. Die Kirche ist erkennbar.
Wenn Menschen über die „Amtskirche“ schimpfen, dann können wir also nicht mit dem Argument antworten, die Kirche sei in Wirklichkeit nur eine geistige Größe und etwas Unsichtbares. Nein, die Kirche Jesu Christi ist in der Tat erkennbar und wird immer wieder sichtbar – allerdings nicht in irgendwelchen Verwaltungsgebäuden oder Großorganisationen, sondern überall da, wo in einer christlichen Gemeinde das Evangelium unverfälscht gepredigt wird und die heiligen Sakramente so ausgeteilt werden, wie Christus sie gestiftet hat. Die Kirche hat also ganz bestimmte Kennzeichen, an denen sie erkannt werden kann: Da, wo Christus durch Sein Wort und Seine Sakramente wirkt, da ist Kirche. Das heißt allerdings umgekehrt auch: Nicht überall, wo „Kirche“ draufsteht, ist auch Kirche drin. Wenn zum Beispiel in einer Gemeinde nur von dem gepredigt wird, was wir als Christen alles tun sollen, wie wir sozial und politisch handeln sollen, und nicht von dem gesprochen wird, was Gott durch den Tod Christi für uns getan hat, dann fehlt dort, was Kirche zur Kirche macht. Und darum ist es auch nicht egal, zu welcher auch äußerlich erkennbaren Kirche und Gemeinde wir uns halten. 

Jede Gemeinde, in der das Evangelium von dem gekreuzigten und auferstandenen Christus verkündigt wird und in der die Sakramente nach der Einsetzung Christi gespendet werden, ist also ganz Kirche Jesu Christi, wird als Leib Christi erkennbar und sichtbar. Dabei kommt es durchaus nicht auf die Größe an: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen“ (St. Matthäus 18,20), sagt Christus. Aber die einzelne Gemeinde ist nicht die ganze Kirche Jesu Christi. Sondern Kirche ist ihrem Wesen nach immer katholisch. Das Wort „katholisch“ bedeutet soviel wie „allumfassend“, die ganze Welt umspannend und auch die ganze Zeit seit dem Beginn der Kirche nach der Auferstehung Jesu umfassend. Auch als lutherische Christen gehören wir also zur katholischen Kirche, auch wenn wir natürlich nicht römisch-katholisch sind, weil wir den Papst in Rom nicht als unser Oberhaupt anerkennen. Wenn wir beispielsweise in anderen Gemeinden unserer lutherischen Kirche in Deutschland oder auch in anderen Ländern zu Besuch sind und dort am Gottesdienst teilnehmen, dann erfahren wir etwas davon, daß die Kirche viel größer ist als unsere Gemeinde. Und wenn wir sonntags dieselbe Liturgie feiern, die auch Christen schon vor vielen hundert Jahren gefeiert haben und die auch jetzt zur gleichen Zeit Christen überall auf der Welt feiern, dann können wir auch darin etwas von dem Geheimnis der Katholizität der Kirche erahnen. Und die eine Kirche reicht schließlich sogar noch weiter, als wir es mit unseren Augen erkennen können: Die „Gemeinde der Heiligen“ umfaßt auch diejenigen, die schon heimgegangen sind und jetzt schon in der vollendeten Gemeinschaft mit Christus leben: Es gibt nur eine Kirche im Himmel und auf Erden.


3. In der Kirche gibt es Ämter und Dienste
Wenn auf die „Amtskirche“ geschimpft wird, dann wird das Wort „Amt“ zumeist im Sinne von „Büro“ und „Bürokratie“ verstanden. In der Kirche reden wir auch vom „Amt“, aber in ganz anderer Weise: Wenn die Kirche nur durch die Gnadenmittel Wort und Sakrament erkennbar wird und gebaut wird, dann müssen Menschen da sein, die diese Gnadenmittel austeilen. Und mit eben diesem Dienst hat Christus ganz konkrete Menschen beauftragt: Zuerst waren dies die Apostel, und in ihrer Nachfolge wird dieses Amt bis heute von denen ausgeübt, die Er, Christus, in der Heiligen Ordination damit betraut hat. Dieses apostolische Amt der Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung gehört wesenhaft zur Kirche dazu. Es hebt den, dem dieses Amt anvertraut ist, allerdings nicht über die anderen Glieder der Gemeinde – im Gegenteil: Es stellt ihn unter die anderen: „Wenn jemand will der Erste sein, der soll der Letzte sein von allen und aller Diener.“ (St. Markus 9,35) Auch die „Amtsträger“ sind fehlsame Menschen, die nicht anders als der Rest der Gemeinde ganz aus der Vergebung Gottes leben müssen. Wo sie jedoch im Auftrag Christi Seine Gnadenmittel austeilen, da sollen wir nicht auf ihre Person blicken, sondern in ihnen den erkennen, der sie gesandt hat: „Wer euch hört, der hört mich.“ (St. Lukas 10,16)

Das Amt des Pastors darf niemals der einzige Dienst in der Gemeinde sein: Alle miteinander sind wir Glieder am Leib Christi und haben damit Gaben und Aufgaben, mit denen wir den anderen Gliedern und damit dem ganzen Leib Christi dienen sollen und dürfen. Die Gemeinde hängt nicht am Pastor, sondern an Christus – und dessen Leib hat viele Glieder. Mögen wir uns von diesem Leib nicht selber amputieren, indem wir von Gottes Wort und Sakrament fernbleiben, und vielmehr entdecken, mit was für Gaben auch wir uns als Glieder in unsere Gemeinde einbringen können, damit „der Leib wächst und sich selbst aufbaut in der Liebe.“ (Epheser 4,16)