Ich glaube, daß Gott Mensch geworden ist.

Ich glaube, daß Gott Mensch geworden ist.

 

1. Wer „Gott“ sagt, muß auch „Christus“ sagen.
Über Gott kann man viel reden, wenn der Tag lang ist. Man kann sich über Gott seine eigenen klugen Gedanken machen und sie zum besten geben; man kann sich beispielsweise auch mit Vertretern anderer Religionen über „Gott“ bzw. ihren Gott unterhalten. Dabei kann man dann auch leicht zu dem Schluß kommen: Wenn die anderen von „Gott“ reden und wir von „Gott“ reden, dann meinen wir damit logischerweise auch dasselbe Wesen.

Nun können wir uns als Christen gewiß auch an philosophischen Diskussionen über den Gottesbegriff und auch an interreligiösen Gesprächen beteiligen und in diesem Zusammenhang allgemein über „Gott“ reden. Aber wir wissen als Christen auch, daß wir letztlich doch nur so von Gott sprechen können, daß wir zugleich auch von Christus sprechen. Denn Gott ist für uns Christen eben nicht bloß eine allgemeine Idee, nicht bloß ein jenseitiges, unerkennbares und unerreichbares Wesen; sondern Gott ist, so bekennen wir, selber Mensch geworden in Jesus Christus.

Damit ist etwas ganz anderes gemeint, als wenn beispielsweise in griechischen Sagen davon die Rede ist, daß sich ein griechischer Gott für eine Zeitlang als Mensch verkleidet oder in einen Menschen verwandelt hat, um sich hier auf Erden ein wenig zu vergnügen, aber dann diese Verkleidung schließlich doch wieder abgelegt hat und auf den Olymp zurückgekehrt ist. Jesus Christus ist nicht bloß eine zeitweilige Verkleidung Gottes; sondern in Jesus Christus hat sich Gott endgültig festgelegt und mit uns Menschen verbunden: Es gibt für uns Christen keinen anderen Gott als den, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. „Fragst du, wer der ist? ER heißt Jesus Christ, der HERR Zebaoth, und ist kein andrer Gott“, so singen wir mit Martin Luther. Darum können wir auch im Gespräch mit anderen Religionen nicht von Jesus Christus absehen und wie selbstverständlich davon ausgehen, alle Religionen würden letztlich doch an denselben Gott glauben. Im Gegenteil: Ein Gott, an den wir ohne Jesus Christus oder an ihm vorbei herankommen könnten, ist eben nicht der Gott, an den wir Christen glauben. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich“, sagt Christus selber (St. Johannes 14,6).


2. Gott hat sich selbst definiert.
In der reformierten Theologie gibt es einen sehr vernünftig klingenden Satz: „Das Endliche kann das Unendliche nicht fassen.“ Das scheint sehr einleuchtend zu sein: Gott ist doch größer als alles; also läßt Er sich nirgendwo ganz finden, gibt es nichts Geschaffenes, in dem Er sich ganz fassen ließe. Und dennoch ist dieser Gedanke zutiefst unbiblisch: „In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol 2,9), schreibt der Apostel Paulus dagegen. In bezug auf Christus gilt eben gerade nicht, was sonst vernünftigerweise richtig zu sein scheint: In Christus läßt sich das Unendliche, nämlich Gott selbst, in der endlichen, begrenzten Gestalt eines wirklichen Menschen fassen. In Christus hat sich Gott selber de-finiert, das heißt: Er hat sich selber in ganz bestimmte Grenzen begeben, in denen Er ganz zu finden ist.

Das ist nicht bloß eine nette theologische oder philosophische Spekulation, sondern etwas zutiefst Tröstliches und Wichtiges für unseren Glauben: Ließe sich Gott in Christus nicht ganz finden und fassen, dann hieße dies ja, daß Er auch noch einmal ganz anders sein könnte, ja ganz anders ist als so, wie Er sich uns in Christus zu erkennen gegeben hat. Dann müßte ich letztlich doch daran zweifeln, ob Gott wirklich mein Heil will oder ob Er im tiefsten Grunde Seines Wesens vielleicht doch nur ein Sadist ist, der sich am Unglück der Menschen weidet. Doch weil Gott sich in Christus selber de-finiert hat, darf ich gewiß sein: Gott ist so, wie Christus ist, weil Christus selber der menschgewordene Gott, Gottes letzte und endgültige Selbstfestlegung ist. Gott ist, so erkenne ich an Christus, in Seinem tiefsten Wesen Liebe – Liebe, die dazu bereit ist, sich hinzugeben bis in den Tod.


3. Gott geht in die Geschichte ein.
Es gibt Religionen, die ohne Geschichte auskommen. Dazu zählt z.B. der Buddhismus. In ihm geht es um allgemeine Wahrheiten, die unabhängig von irgendwelchen historischen Ereignissen jederzeit gelten. Auch Buddha selber hat nur erkannt, was auch unabhängig von ihm immer schon gegolten hat und immer gelten wird.

Im christlichen Glauben ist dies ganz anders: Er beruht auf ganz bestimmten einmaligen historischen Ereignissen, und er bezeugt, daß Gott sich mit seinem Handeln an diese ganz bestimmten einmaligen historischen Ereignisse gebunden hat. Daß Gott Mensch geworden ist, ist kein allgemeines religiöses Prinzip, das sich im Lauf der Geschichte immer wiederholt, sondern es ist ein einmaliges Geschehen, das vor gut 2000 Jahren in Nazareth stattgefunden hat und zu einer einmaligen Geburt in Bethlehem führte. Und ebenso sind der Tod Jesu am Kreuz und seine Auferstehung keine allgemeinen religiösen Wahrheiten, sondern einmalige Geschehnisse, die doch nach dem Zeugnis des christlichen Glaubens für die ganze weitere Menschheitsgeschichte von entscheidender Bedeutung sind: Als Jesus damals in Jerusalem starb, hat wirklich die Sühne für die Schuld aller Menschen aller Zeiten durch Gott stattgefunden. Und als Er am dritten Tag auferstand, wurde damit die Macht des Todes über alle Menschen aller Zeiten gebrochen.

Darum ist die christliche Lehre kein religiöses oder philosophisches System; sie ist auch nicht „logisch“. Sondern sie erzählt einfach von dem, was damals geschehen ist und bis heute Bedeutung hat und auch in alle Zukunft Bedeutung haben wird. Sie erzählt davon, weil Gott in Jesus Christus in unsere menschliche Geschichte eingegangen ist und sich in Ihm an diese menschliche Geschichte auch gebunden hat. Was damals in Jerusalem geschehen ist, läßt sich eben auch nicht mehr rückgängig machen.

Daß Gott in die Geschichte eingegangen ist, bedeutet aber natürlich nicht, daß Er nur in der Vergangenheit existieren würde. Wohl aber heißt dies, daß wir Gott auch weiterhin immer wieder in unserer Geschichte antreffen können: Gott bindet Seine Gegenwart auch weiterhin an bestimmte geschichtliche Geschehnisse: an die Taufe, an die Verkündigung Seines Wortes, an die Feier des Heiligen Mahls. Dort begegnen wir immer wieder dem auferstandenen Christus und in Ihm Gott ganz.


4. Gott wird solidarisch.
In Jesus Christus ist Gott Mensch geworden, das heißt: Jesus Christus ist wahrer Gott, und er ist wahrer Mensch. Über die Art und Weise, wie man das Verhältnis von Menschheit und Gottheit in Christus biblisch angemessen beschreiben kann, hat es in der Kirchengeschichte der ersten Jahrhunderte viele Diskussionen und Kämpfe gegeben. Auf keinen Fall, so erkannte man, darf man sich die Menschwerdung Gottes wie das Zusammenleimen von zwei Brettern vorstellen: Beide existieren letztlich doch unabhängig voneinander weiter, und man kann Aussagen über das eine Brett machen, die auf das andere Brett nicht zutreffen. So ist das bei Christus nicht: In Ihm existieren nicht Gottheit und Menschheit getrennt voneinander. Man kann auch nicht Aussagen über Christus jeweils auf Seine Gottheit und Seine Menschheit aufteilen und sagen: Wenn Christus Hunger hat oder leidet, dann leidet in Wirklichkeit nur der Mensch Jesus; und wenn Christus ein Wunder tut, dann tut dieses Wunder in Wirklichkeit nur Gott in Ihm. Nein, weil Gott in Christus wirklich ganz Mensch geworden ist, gelten alle Aussagen, die wir über Christus machen können, immer ganz für Gott und Mensch. Darum können wir in bezug auf Christus mit Recht sagen: Gott hat Hunger, Gott läßt sich anfassen, Gott leidet, Gott hat Angst, ja wir dürfen am Karfreitag singen: „O große Not, Gott selbst liegt tot.“ So sehr hat Gott sich mit uns Menschen in Christus solidarisiert; so sehr hat Er auf jeden Abstand zwischen sich und uns in Christus verzichtet. Umgekehrt gilt aber auch: Christus ist auch nach Seiner Menschheit nicht an Raum und Zeit gebunden; Er kann an ganz verschiedenen Orten zugleich gegenwärtig sein und leiblich erfahren werden. Genau darum geht es ja im Heiligen Abendmahl.

Wir merken schon: Auch hier geht es nicht um Spekulation, sondern um unseren Trost und unser Heil: Gott versteht uns, wenn wir selber Angst haben, selber leiden, selber sterben. Christus zeigt uns: Er hat dies selber alles durchgemacht. Und es geht darum, daß wir wirklich an Gott herankommen, gleichsam hautnah herankommen: Dazu ist Gott Mensch geworden, damit wir an Seinem göttlichen Leben Anteil erhalten. Gott ist eben wirklich etwas ganz anderes als bloß eine Idee!