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Die Zehn Gebote: Das fünfte Gebot.

Die Zehn Gebote: Das fünfte Gebot.

 

DAS FÜNFTE GEBOT
Du sollst nicht töten.

Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben,
dass wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun,
sondern ihm helfen und fördern in allen Leibesnöten.

 

Das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist mit Abstand das bekannteste der Zehn Gebote in der deutschen Bevölkerung, so hat neulich eine Umfrage der Zeitschrift „Reader’s Digest“ ergeben. Selbst Menschen, die dem christlichen Glauben fern stehen, akzeptieren in den meisten Fällen dies Gebot als eine ihrer ethischen Grundregeln. Dies gilt allerdings nur ganz im Allgemeinen; in konkreten Fällen lässt sich in unserer Gesellschaft bereits eine deutliche Verschiebung der Maßstäbe beobachten: Hier wird die absolute Bedeutung menschlichen Lebens zunehmend relativiert, indem das Leben eines Menschen gegen das Lebensglück eines anderen Menschen abgewogen wird und indem die Frage danach gestellt wird, welches menschliche Leben eigentlich noch „lebenswert“ und welches „lebensunwert“ ist. Wenn ein Kind die Lebensplanung seiner Eltern bedroht, kann es bereits vor seiner Geburt getötet werden, wie dies jedes Jahr hunderttausendfach in unserem Land geschieht; dieselbe Argumentation lässt sich problemlos auf schwer pflegebedürftige ältere Menschen übertragen, auch wenn hier die Hemmschwelle in unserem Land zurzeit noch etwas höher liegt.

Als „lebensunwert“ werden bei uns beispielsweise behinderte Kinder angesehen; darum dürfen sie in Deutschland seit einigen Jahren noch bis unmittelbar vor ihrer Geburt getötet werden, auch wenn sie bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig sind. Die Begründungsmuster hierfür ähneln oftmals in erschreckender Weise denen der Nationalsozialisten im Dritten Reich. Die Frage nach dem „lebenswerten Leben“ bestimmt mittlerweile auch die Diskussion um die aktive Sterbehilfe: Wo ein Leben nicht mehr als lebenswert angesehen oder empfunden wird, wünschen viele die Möglichkeit, dieses Leben vorzeitig beenden zu können. Wo man sich auf solch eine Relativierung der Unantastbarkeit menschlichen Lebens erst einmal einlässt, leistet man einem Dammbruch Vorschub, dem man dann letztlich nichts mehr entgegenstellen kann.

Dagegen bekennt der christliche Glaube: Der Mensch hat seinen Wert und seine Würde allein von daher, dass er Ebenbild Gottes ist; er wird nicht dadurch zum Menschen, dass er irgendwelche Fähigkeiten hat oder bestimmte Dinge zu leisten vermag (Aufrechter Gang, Sprache, Intelligenz). Diese Gottesebenbildlichkeit des Menschen unterscheidet ihn auch grundlegend vom Tier; das hebräische Wort für „töten“, das in der Formulierung des 5. Gebots verwendet wird, meint allein die Tötung von Menschen (was natürlich nicht heißt, dass Christen vor dem Leben von Tieren keine Achtung haben müssten!). Anders ausgedrückt: Das Leben des Menschen ist heilig, das heißt: Es gehört Gott; der Mensch hat über das Leben eines anderen Menschen keine Verfügungsgewalt; es ist grundsätzlich unantastbar und darf von daher niemals irgendwelchen Sachzwängen unterworfen werden, so einleuchtend diese auch erscheinen mögen. Dies ist der Grund dafür, warum der christliche Glaube die Abtreibung ungeborener Kinder, verbrauchende Embryonenforschung und die aktive Sterbehilfe im Sinne einer aktiven Verkürzung menschlichen Lebens ablehnt. Diese Ablehnung darf jedoch keinesfalls verwechselt werden mit der Verurteilung von Menschen, die sich in Notlagen befinden. Ihnen muss vielmehr geholfen werden, wo und wie dies nur möglich ist. Hier sind die christlichen Kirchen und Gemeinden in besonderer Weise vom 5. Gebot her gefordert. Dies gilt beispielsweise für die Unterstützung unehelicher Mütter, denen geholfen werden kann und soll, ihr Kind anzunehmen und aufzuziehen; es gilt für die Unterstützung behinderter Menschen, ihre Annahme in der Gemeinde und in unserem Alltag und bedeutet auch, dass wir unseren Mund aufmachen, wo Worte wie „Behinderter“ als Schimpfworte verwendet werden. Und es bedeutet schließlich auch, dass es eine besondere Aufgabe der Kirche ist, sich dafür einzusetzen, dass schwerkranken Menschen ein menschenwürdiges Sterben ermöglicht wird. So sind christliche Hospize und christliche Sterbebegleitung wichtige Antworten der Kirchen auf die sich ausbreitende Forderung nach der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe.

Das 5. Gebot gilt aber nicht nur an den Grenzen menschlichen Lebens; es betrifft uns auch in unserem Alltag. Um einige Beispiele zu nennen: Das Gebot wendet sich gegen rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, das Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer beeinträchtigt. Jedes Auto ist auch eine Waffe; darum sollte jeder Christ sich immer wieder gut überlegen, ob er diese Waffe wirklich (noch) beherrscht. Wer gar alkoholisiert ein Auto fährt, verstößt damit auch dann gegen das 5. Gebot, wenn er dabei keinen Unfall baut. Das 5. Gebot ermahnt nach Luthers Auslegung positiv dazu, unserem Nächsten zu helfen und ihn zu fördern in allen Leibesnöten. Damit kennzeichnet es umgekehrt auch unterlassene Hilfeleistung, das Weghören und Wegschauen von der Not anderer Menschen, ja die Gleichgültigkeit ihnen gegenüber als Sünde vor Gott. Das 5. Gebot schärft uns weiterhin unsere Verantwortung gegenüber der Schöpfung Gottes ein; wo wir sie unverantwortlich ausbeuten, ohne an die Konsequenzen zu denken, und damit Leben und Gesundheit unserer Nachkommen gefährden, werden wir ebenfalls vor Gott schuldig. Auch mit dem Konsum von Drogen, der unsere Gesundheit (und oft zugleich auch die anderer Menschen) an Leib und Seele schädigt (z.B. Rauchen oder Alkoholkonsum im Übermaß), verstoßen wir gegen das 5. Gebot. Als hochaktuell erweist sich das 5. Gebot erst recht, wenn man an die Gewalt an Schulen denkt; auch wenn es für viele Jugendliche mittlerweile schon normal ist, Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen oder Gewalt mit Gewalt zu beantworten, bleibt dies für Christen doch keine mögliche Option, auch wenn dies scheinbar doch „nicht anders geht“.

Das 5. Gebot wendet sich aber nicht nur gegen die Ausübung körperlicher Gewalt. In der Bergpredigt macht Jesus deutlich, dass auch verbale Gewalt (böse, verletzende Worte, Beleidigungen), ja im Tiefsten der Hass und die Verachtung gegenüber anderen Menschen in unseren Herzen dem 5. Gebot widerspricht und in Gottes Augen Sünde ist. Dies bedeutet nicht, dass Christen sich aus dieser Welt zurückziehen sollten, um nicht schuldig zu werden; sie wissen im Gegenteil um ihre Verantwortung, die sie für andere Menschen, für die Gesellschaft haben. Sie wissen zugleich aber auch, dass sich diese Welt nicht durch unser Engagement in ein Paradies verwandeln lässt. Diese Welt bleibt bis zur Wiederkunft Christi von der Sünde gezeichnet. Darum dürfen auch Christen Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen, die notfalls auch mit Gewalt dem Schutz anderer Menschen vor dem Bösen dienen (Polizei, friedenserhaltende militärische Maßnahmen). Das tatenlose Zuschauen von UN-Soldaten beim Massenmord an den Bewohnern der Stadt Srebrenica vor einigen Jahren hat die Notwendigkeit der Wahrnehmung solcher Aufgaben wieder einmal sehr drastisch vor Augen gestellt.  In seiner „Ethik“ hat Dietrich Bonhoeffer hierzu den tiefen Gedanken geäußert: „Wer sich in der Verantwortung der Schuld entziehen will, … stellt seine persönliche Unschuld über die Verantwortung für die Menschen, und er ist blind für die heillosere Schuld, die er gerade damit auf sich lädt.“ (S.256) Dennoch müssen all diejenigen, die in ihrem Amt um des Nächsten willen Gewalt ausüben, stets bedenken, wozu sie dies tun und zu welchem Zweck sie möglicherweise auch mit ihrem Tun missbraucht werden, und sich, wenn es sein muss, auch Anordnungen und Befehlen widersetzen. Wer sich als Christ umgekehrt aus Gewissensgründen grundsätzlich nicht zur Ausübung von Gewalt in der Lage sieht und darum beispielsweise den Wehrdienst verweigert, darf sich ebenfalls auf das 5. Gebot berufen. Wichtig bleibt dabei: Wie auch immer wir uns entscheiden – wir werden auf jeden Fall schuldig und brauchen von daher die Vergebung Gottes. Gerade auf dieser Grundlage können wir dann als Christen ganz nüchtern unsere Entscheidungen fällen und fragen, was nicht uns, sondern dem Nächsten am meisten dient.