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Der Morgen- und Abendsegen.

Der Morgen- und Abendsegen.

 

Der Morgensegen
Des Morgens, wenn du aus dem Bette fährst,
sollst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sollst sagen:
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.
Darauf kniend oder stehend
das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser.
Willst du, so kannst du dies Gebet dazu sprechen:
Ich danke dir, mein himmlischer Vater,
durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn,
daß du mich diese Nacht vor allem Schaden und Gefahr behütet hast;
und bitte dich,
du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Übel,
daß dir all mein Tun und Leben gefalle.
denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele
und alles in deine Hände.
Dein heiliger Engel sei mit mir,
daß der böse Feind keine Macht an mir finde.
Amen.
Und alsdann mit Freuden an dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesungen
oder was deine Andacht gibt.

Der Abendsegen
Des Abends, wenn du zu Bette gehst, sollst du dich segnen
mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sollst sagen:
Das walte Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.
Darauf kniend oder stehend
das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser.
Willst du, so kannst du dies Gebet dazu sprechen:
Ich danke dir, mein himmlischer Vater,
durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn,
daß du mich diesen Tag gnädiglich behütet hast;
und bitte dich,
du wollest mir vergeben alle meine Sünden, wo ich unrecht getan habe,
und mich diese Nacht gnädiglich behüten.
Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele
und alles in deine Hände.
Dein heiliger Engel sei mit mir,
daß der böse Feind keine Macht an mir finde.
Amen.
Und alsdann flugs und fröhlich geschlafen.

Anlaß für die Abfassung der Katechismen Luthers waren dessen Erfahrungen bei Visitationen in den Gemeinden Kursachsens, daß den Menschen die elementarsten Kenntnisse christlichen Glaubens und christlichen Lebens fehlten. Zu den Fragen und Antworten über die grundlegenden Glaubenslehren fügt Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus darum auch eine Anleitung zum Gebet hinzu, „wie ein Hausvater sein Gesinde soll lehren, sich morgens und abends zu segnen“.

Martin Luther beginnt dabei ganz elementar mit einer Einweisung in die ganz äußerlichen Vollzüge des Gebets. Er weiß darum, daß nach biblischem Verständnis Leib und Seele untrennbar zusammengehören, „ganzheitlich“, so würden wir es heute neudeutsch formulieren. Darum können auch die äußerlichen Vollzüge des Gebets für den Beter eine wichtige Hilfe sein.

Als erstes leitet Martin Luther dazu an, sich zu bekreuzigen oder, wie er es nennt, sich zu „segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes“. Die Bekreuzigung ist also keinesfalls etwas „typisch Römisch-Katholisches“, sondern auch etwas „typisch Lutherisches“. Die Bekreuzigung gehört zu den ältesten Gesten des christlichen Glaubens überhaupt; ihre Anfänge reichen vermutlich bis in die apostolische Zeit zurück. Mit der Bekreuzigung bekunden wir unsere Zugehörigkeit zu dem gekreuzigten Christus; sie ist eine ganz elementare Form des Glaubensbekenntnisses. Mit der Bekreuzigung stellen wir uns zugleich unter den Schutz des gekreuzigten Christus, dessen Eigentum wir sind: Bei ihm Christus, unter dem Schutz seines Kreuzes, sind wir geborgen. Die Bekreuzigung ist zudem auch eine Erinnerung an unsere Heilige Taufe: Dort sind wir mit dem Zeichen des Heiligen Kreuzes gesegnet und Eigentum Christi geworden; wir sind mit Christus in seinen Kreuzestod hineingetauft worden. Darauf verweist uns das Zeichen des heiligen Kreuzes immer wieder von neuem. Im Gottesdienst bekreuzigen wir uns zudem immer wieder dann, wenn der Pastor die Gemeindeglieder mit dem Kreuzeszeichen segnet. So bringen wir zum Ausdruck: Das, was der Pastor dort mit dem Kreuzeszeichen zuspricht, gilt auch für mich ganz persönlich. Gewiß „muß“ man sich als Christ nicht bekreuzigen. In den äußerlichen Vollzügen des christlichen Glaubens haben wir als Christen eine große Freiheit; daran hängt nicht unser Heil. Daß die Bekreuzigung aber eine Hilfe zum Beten und zum Vollzug des Glaubens sein kann, das dürfen wir uns von Martin Luther sagen lassen, und so erfahren es ja heute auch wieder viele lutherische Christen. Sie entdecken wieder, was erst Jahrhunderte nach der Reformation hier in Deutschland im Zeitalter des Rationalismus in der Kirche verloren ging. Damals ging man übrigens auch dazu über, bei der Taufe das Kreuzeszeichen abzuschaffen und statt dessen den Kindern die rechte Hand auf die Brust zu legen, „zum Zeichen, daß es nach einer richtigen Aufklärung des Verstandes und nach einer höheren Veredelung seines Herzens streben solle.“

Als weiteren äußeren Vollzug neben dem Kreuzeszeichen nennt Martin Luther das Knien oder Stehen beim Gebet. Das Knien war die Gebetshaltung Jesu (vgl. z.B. Lukas 22,41) und der ersten Christen (vgl. z.B. Apostelgeschichte 20,36; 21,5). Mit dem Knien bringen wir unseren Respekt vor Gott, unsere Beugung unter seinen Willen zum Ausdruck, unsere Bereitschaft, ihn anzubeten. Im Gottesdienst hat das Knien seinen Platz dort, wo wir vor Gott unsere Schuld bekennen (Sündenbekenntnis in der Beichte), wo wir in Ehrfurcht das leibhafte Kommen des Herrn erfahren (Konsekration beim Abendmahl) und wo wir uns von Christus einfach beschenken lassen (Absolution, Kommunion und Segen). Wenn wir vor Christus niederknien, vollziehen wir im übrigen jetzt schon, was einmal am Ende alle Menschen tun werden oder tun werden müssen, „daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ (Philipper 2,10) Wem das Knien körperlich nicht möglich ist, kann statt dessen auch stehen, wie Luther es hier zum Ausdruck bringt. Dies gilt im übrigen auch für unseren Gottesdienst: Der Respekt vor dem Kommen Christi im Sakrament sollte es uns nahelegen, uns zu den Einsetzungsworten Christi wenigstens zu erheben, wenn wir denn nicht knien können, und uns nicht etwa dazu hinzusetzen. Nur wer auch zum Stehen körperlich nicht in der Lage ist, mag auch zu den Einsetzungsworten sitzenbleiben.

Weiterhin fällt auf, daß Martin Luther in seinem Katechismus dazu anleitet, für den Morgen und Abend ein festes Gebet auswendig zu lernen. Damit lehnt Luther freie Gebete nicht ab; aber er weiß darum, was für eine Hilfe für das Gebetsleben und das Glaubensleben insgesamt die Kenntnis fester Gebete darstellt, die uns auch da noch zu halten vermögen, wo uns eigene Gebete kaum noch über die Lippen kommen. Zu den festen Gebeten, die Martin Luther hier nennt, zählt er das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis; dazu formuliert er für den Morgen und den Abend jeweils ein weiteres Gebet, das uns als „Luthers Morgen- bzw. Abendsegen“ bekannt ist.

Die Formulierungen des Morgen- und Abendsegens hat Luther der kirchlichen Tradition, vor allem den Stundengebeten, entnommen. Aus seinem Leben im Kloster hatte Luther die feste Ordnung der Gebete, mit denen die Zeit des Tages strukturiert wird, kennen- und schätzengelernt. So finden wir im Abendsegen zahlreiche Anspielungen auf das Gebet der Complet in ihrer lateinischen Gestalt, die uns auch in der deutschen Übersetzung noch geläufig sind.

Der Morgen- und der Abendsegen Luthers sollen darüber hinaus den Christen als Anleitung zum christlichen Beten überhaupt dienen. Dazu zählt beispielsweise die Anrede („mein himmlischer Vater“), mit der der Beter sich auf seine Taufe als Grundlage des Gebets zurückbezieht. Wir beten nicht allgemein zu einem „guten Gott“, wie dies in vielen modernen Gebetsformulierungen üblich ist, sondern konkret in der Kraft des Heiligen Geistes zu unserem Vater im Himmel. Dieses Gebet ist nur möglich „durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn“. ER, Christus, ist der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch IHN (vgl. Johannes 14,6). Darum sind „interreligiöse Gebete“, bei denen die Gebete nicht „durch Jesus Christus, unseren Herrn“ gesprochen werden können, für uns Christen grundsätzlich nicht möglich. Es geht hier nicht um eine „Floskel“, sondern um die Grundlage unseres Betens überhaupt: Entweder wird unser Gebet durch Christus an den Vater im Himmel gerichtet (ganz gleich, ob man die Formel „durch Christus, unsern Herrn“ wörtlich benutzt oder nicht), oder es ist nach unserem Verständnis kein christliches Gebet. Zu den Grundzügen christlichen Betens zählt weiter, daß der Bitte der Dank vorangeht. Dieser Dank wird von uns selber, wo wir nicht zum Beten angeleitet werden, allzu leicht und schnell übersprungen. Am Morgen und Abend bezieht er sich jeweils auf die zuvor erfahrene Bewahrung. Im Morgengebet blickt der Beter daraufhin in seiner Bitte nach vorne; seine Bitte um Bewahrung ist dabei konkret bezogen auf die Bewahrung vor „Sünden und allem Übel, daß dir all mein Tun und Leben gefalle“. Gott selber soll also der Richtpunkt des Lebens des Beters an diesem Tag sein, nicht bloß das Wohlbefinden des Beters. Im Abendgebet blickt der Beter statt dessen zunächst zurück und bittet Gott um Vergebung. So leitet Luther mit diesem Abendsegen zum täglichen Bekenntnis der Schuld und zur täglichen Hinwendung zu Gottes Vergebung an. Die abschließenden Formulierungen erinnern besonders stark an die Texte aus der Complet (Psalm 91: Er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen; Hymnus: Den Feind verjag, daß Seel und Leib in deinem Schutze reine bleib; Responsorium: In deine Hände befehle ich meinen Geist; Schlußgebet: Treibe von uns fern alle List des Feindes; laß deine heiligen Engel bei uns wohnen). Das vertrauensvolle Loslassen und sich Übergeben in Gottes Hände wird hier im Gebet tagtäglich eingeübt – und damit letztlich schon das Sterben selber. In dem „alles“, was wir in Gottes Hände befehlen dürfen, ist dabei nichts von dem ausgenommen, was uns als Sorge am Morgen und Abend auf der Seele liegt. Der Abschluß des Morgen- und Abendsegens verweist dann noch einmal auf unsere Taufe zurück: Durch unsere Taufe sind wir in einen lebenslangen Kampf mit den Mächten des Bösen gestellt, denen wir in der Taufe entrissen worden sind. In diesem Kampf können wir nicht selber bestehen; doch Christus selber will und wird diesen Kampf für uns durch seine heiligen Engel gewinnen. In Seiner Kraft dürfen wir jeden Morgen unser Taufgelübde wiederholen: „Ich entsage dem Teufel und all seinem Werk und Wesen und ergebe mich Dir, Du Dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, im Glauben und Gehorsam Dir treu zu sein bis an mein Ende. Amen."