10. Der Beerdigungsgottesdienst

Während im antiken Heidentum die Beerdigung eines Verstorbenen im Wesentlichen Sache der Familie war, findet die Beerdigung von Christen im Rahmen eines Gottesdienstes der Gemeinde statt. In diesem Gottesdienst geht es natürlich auch darum, der Trauer um den Verstorbenen und der Liebe zu ihm Ausdruck zu verleihen; der Beerdigungsgottesdienst ist von daher immer auch ein Liebesdienst an dem Verstorbenen. Der Beerdigungsgottesdienst ist aber vor allem eben ein Gottesdienst, das heißt, dass in ihm die christliche Botschaft im Angesicht des Todes verkündigt und zugesprochen wird. Während im ersten Jahrtausend der Kirche die Auferstehungshoffnung und die Bezeugung des Triumphs Christi über den Tod im Zentrum der Begräbnisordnungen stand, erhielten diese im Mittelalter einen eher düsteren Charakter: Buße und Fürbitte für die Toten traten nun ins Zentrum der Ordnung; schwarz wurde zur liturgischen Farbe der Beerdigung.

Der Reformation ging es in Bezug auf die Gestaltung der Beerdigung vor allem darum, Missbräuchen entgegenzuwirken, die den Eindruck erweckten, als seien wir dazu in der Lage, auf das Schicksal der Verstorbenen im Jenseits irgendwie einzuwirken. Die Totenmessen, in denen das Messopfer für die Verstorbenen dargebracht wurde, wurden abgeschafft, die Fürbitte für die Toten wurde zwar nicht verworfen, aber nicht länger ins Zentrum des Beerdigungsgottesdienstes gestellt. Stattdessen sollte die Botschaft der Auferstehung von den Toten wieder deutlicher ins Zentrum gerückt werden. Dennoch behielten die Ordnungen des Beerdigungsgottesdienstes auch nach der Reformation oftmals einen starken Bußcharakter. In der Aufklärung wurde der Beerdigungsgottesdienst zunehmend als Privatfeier der Familie verstanden; der Pastor wurde zum Zeremonienmeister, der die Wünsche der Familie nach einer angemessenen Würdigung des Verstorbenen und nach einer individuellen musikalischen Ausgestaltung des Gottesdienstes umzusetzen hatte. Kam er diesen Wünschen nicht nach, verzichtete man bisweilen auch ganz auf ihn und bediente sich stattdessen freier Redner.

Diese Entwicklungen der Aufklärungszeit vor 200 Jahren wirken zum Teil bis heute im Bewusstsein der Menschen nach: Dass der Beerdigungsgottesdienst ein Gemeindegottesdienst ist, dass auch seine musikalische Gestaltung der Verkündigung der Kirche und nicht dem musikalischen Geschmack des Verstorbenen oder der Angehörigen zu dienen hat, dass die Ansprache des Pastors nicht den Sinn hat, ein Loblied auf den Verstorbenen zu singen, sondern die Hoffnung zu verkündigen, die wir als Christen haben, ist durchaus nicht für alle selbstverständlich. Der Pastor muss hier dann oftmals eine Gratwanderung vollziehen: Er möchte auf der einen Seite die trauernden Angehörigen nicht verletzen, die ohnehin zumeist in einem emotionalen Ausnahmezustand sind, er kann aber auf der anderen Seite auch nicht Wünschen und Vorschlägen zustimmen, die mit dem Charakter des Beerdigungsgottesdienstes als eines christlichen Gottesdienstes nicht vereinbar sind. Dass der Beerdigungsgottesdienst ein Gemeindegottesdienst ist, wird beispielsweise darin erkennbar, dass in ihm die Gemeinde mit ihrem Gesang beteiligt ist und der Gemeindegesang nicht etwa durch einen CD-Player ersetzt wird. Wir müssen als Christen im Angesicht des Todes eben nicht stumm bleiben wie die, „die keine Hoffnung haben“ (1. Thessalonicher 4,13). Zunehmend beobachte ich in den letzten Jahren, dass dieses gemeinsame Singen als typisches Kennzeichen einer christlichen Beerdigung von Außenstehenden sehr deutlich wahrgenommen wird: „Sie singen ja noch!“ Darauf sollten wir keinesfalls verzichten.

Im Jahr 2007 hat die Kirchensynode unserer SELK die von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands neubearbeitete Ausgabe der Bestattungsagende von 1996 für den gottesdienstlichen Gebrauch in unserer Kirche angenommen. Diese Entscheidung war nicht unumstritten, da diese Agende eine Reihe von Gebetsvorschlägen und Formulierungen enthält, die theologisch mehr als fragwürdig sind. Die Verkündigung, dass der Tod der Sünde Sold ist (Römer 6,23), und die Verkündigung des Gerichts Gottes, dem jeder Mensch entgegengeht, fehlen in der Agende fast völlig; an die Stelle der klaren Bezeugung der Hoffnung auf die Auferstehung des Leibes treten oftmals schwammige Formulierungen wie die, dass Gott „unser Leben vollenden wird“. Erfreulicherweise hat unser Bischof Hans-Jörg Voigt diese Agende nun mit einem Vorwort für den Gebrauch in unserer Kirche versehen und dieses Vorwort mit einer Reihe von Hinweisen und Ergänzungen ergänzt, die die gröbsten „Hämmer“ beseitigt. So können nun die positiven Aspekte der neuen Beerdigungsagende, die auch in unserer Gemeinde Verwendung findet, deutlicher hervortreten. Dazu zählen die verständlichere Sprache, die häufigen Bezüge auf die Heilige Taufe und die größere Auswahl an Texten und Gebeten, die das Eingehen auf die je verschiedenen Situationen erleichtert. Dass ich mir bei der Vorbereitung von Beerdigungsgottesdiensten die Texte dieser neuen Agende jeweils besonders gründlich anschaue und bestimmte Texte, die fragwürdig oder zweideutig sind, nicht verwende, ist natürlich klar.

Bei der christlichen Beerdigung wird ein Weg vollzogen, der vom Sterbebett bis zum Grab führt. Wenn die Umstände es irgend zulassen, ist es gut, wenn der Pfarrer nach dem Eintreten des Todes (und natürlich hoffentlich auch schon vorher immer wieder!) an das Sterbebett gerufen wird und die Aussegnung vornehmen kann. Mit Gottes Wort und Gebet wird dabei von dem Verstorbenen Abschied genommen; wenn der Sterbesegen, der sogenannte Valetsegen, nicht schon zuvor gespendet wurde, so kann er auch jetzt noch am Sterbebett dem Verstorbenen gespendet werden, denn der Tod ändert ja nichts an der Zugehörigkeit des Verstorbenen zum Leib Christi. Auch bei der Abholung von Verstorbenen aus dem Trauerhaus ist ein gottesdienstliches Handeln möglich.

Der Beerdigungsgottesdienst selbst findet hier in Berlin meistens in einer Kapelle auf dem Friedhof statt; möglich ist es aber auch, dass er in der Kirche selber stattfindet, wie dies in zahlreichen Gemeinden unserer Kirche üblich ist. Bischof Voigt schreibt in seinem Vorwort zur Bestattungsagende: „die Feier des Heiligen Abendmahls im Gottesdienst zur Bestattung soll hier besonders empfohlen werden.“ Zumeist wird der Beerdigungsgottesdienst, vor allem in den Friedhofskapellen, nach einer Andachtsordnung gehalten, da dort die Zeit für den Beerdigungsgottesdienst zumeist auf 20 Minuten begrenzt ist. Als liturgische Farbe für den Beerdigungsgottesdienst wird in der Regel „weiß“ verwendet. Auf das Eingangslied folgen der Friedensgruß und eine Einleitung, die erkennbar macht, dass wir jetzt nicht bloß eine „Trauerfeier“ halten, sondern als Christen die Hoffnung des ewigen Lebens haben. Daran schließen sich ein Psalmgebet und eine Lesung aus der Heiligen Schrift an. Die Not, in die uns Sünde und Tod gebracht haben, wird darin ebenso zum Ausdruck gebracht, wie der Trost, den wir durch CHRISTUS haben, der die Auferstehung und das Leben ist. Die folgende Ansprache nimmt Bezug auf das Leben des Verstorbenen, stellt dieses aber in das Licht des Wortes Gottes und bezeugt die Botschaft, dass „Christus dem Tod die Macht genommen hat.“ (2. Timotheus 1,10) Es ist immer besonders schön, wenn der Verstorbene das Schriftwort für die Beerdigungsansprache und die Lieder für den Gottesdienst bereits selber zu Lebzeiten ausgesucht hat; damit legt er selbst am Tag seiner Beerdigung noch Zeugnis ab von der Hoffnung, mit der er heimgehen durfte. Neben Osterliedern und Liedern zum Thema „Tod und Ewigkeit“ haben durchaus auch Danklieder bei einer christlichen Beerdigung ihren Platz. An das Predigtlied kann sich der sogenannte „Abschied“ anschließen, bei dem die Gemeinde Gott für den Verstorbenen dankt und ihn in der Stille um Vergebung bittet für alles, was nicht zu Lebzeiten ausgeräumt werden konnte. Auch das folgende Gebet enthält den Dank für das Leben des Verstorbenen sowie die Fürbitte für ihn, seine Angehörigen und diejenigen, die Gott als nächste aus der Mitte der Gemeinde abrufen wird. Es folgt das sogenannte „In Paradisum“, ein Gebet, das bereits aus dem 7./8. Jahrhundert stammt und den Gang zum Grab als Wallfahrt zum himmlischen Jerusalem deutet: „Zum Paradies mögen Engel dich geleiten, die heiligen Märtyrer dich begrüßen und dich führen in die heilige Stadt Jerusalem. Die Chöre der Engel mögen dich empfangen, und mit Christus, der für dich gestorben, soll ewiges Leben dich erfreuen.“ Beim sich daran anschließenden Auszug des Sarges geht der Pfarrer dem Sarg voran – als Symbol dafür, dass Christus dem Verstorbenen nun den Weg zum Leben weist. Nach der Absenkung des Sarges ins Grab folgen ein biblisches Votum und der dreimalige Erdwurf auf den Sarg mit der Bestattungsformel. Neben der „traditionellen“ Formel „Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staube“ (vgl. 1. Mose 3,19) gibt es in der neuen Beerdigungsagende eine weitere Formel, die stärker die Hoffnung der Auferstehung zum Ausdruck bringt: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft.“ (vgl. 1. Korinther 15,42+43) Nach einer Erinnerung an die Heilige Taufe folgt dann die Einsegnung des Verstorbenen: Er bleibt auch im Tode Glied am Leib Christi und kann darum mit diesem Segen noch einmal angesprochen werden. Danach hat das Apostolische Glaubensbekenntnis, das Taufbekenntnis der Kirche, seinen Platz. Es folgt eine weitere Schriftlesung, in der Regel die wunderbare Lesung aus Offenbarung 21,1-5, das Vaterunser, ein Schlussgebet, der Osterchoral „Christ ist erstanden“ (ELKG 75) und der Segen für die Gemeinde. Damit endet der Gottesdienst; eventuelle Nachrufe und Ansprachen haben erst danach ihren Platz.