4. - Artikel 3: Vom Sohn Gottes

Ferner wird gelehrt, dass Gott der Sohn Mensch geworden ist, geboren aus der reinen Jungfrau Maria. Die zwei Naturen, die göttliche und menschliche, sind also in einer Person untrennbar vereinigt: ein Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, wahrhaftig geboren, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben; so ist er ein Opfer nicht nur für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden und hat Gottes Zorn versöhnt; dieser Christus ist niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wahrhaftig auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, herrscht ewig über alle Geschöpfe und regiert sie; alle, die an ihn glauben, heiligt, reinigt, stärkt und tröstet er durch den Heiligen Geist, teil ihnen auch Leben und allerlei Gaben und Güter aus, schützt und beschirmt sie gegen Teufel und Sünde; dieser Herr Christus wird am Ende öffentlich kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten – wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt.

Nach den Artikeln und über Gott und über den Menschen bzw. die Sünde muss nun sachlogisch von Christus die Rede sein – vom Sohn Gottes, der Mensch geworden ist um unserer Sünde bzw. um unserer Seligkeit willen.

Über die Inhalte des dritten Artikels gibt es zwischen den Bekennern von Augsburg und der Gegenseite keine kontroversen Ansichten, so stellt es auch die Erwiderungsschrift der Gegenseite, die „Confutatio“, fest. Im Gegenteil: Melanchthon setzt auch im dritten Artikel alles daran, deutlich zu machen, dass die Bekenner von Augsburg in der Tradition der katholischen Kirche aller Zeiten stehen. Ganz ausdrücklich nimmt er darum Formulierungen altkirchlicher Bekenntnisse und Konzilsentscheidungen auf, um deutlich zu machen, dass im Augsburger Bekenntnis nichts Neues über Christus gelehrt wird. So finden wir in dem deutschen und dem lateinischen Text des 3. Artikels Formulierungen aus dem Apostolischen, dem Nizänischen und dem Athanasianischen Glaubensbekenntnis ebenso wie aus dem Entscheid des ökumenischen Konzils von Chalcedon aus dem Jahr 451, bei dem es um die Frage ging, wie man das Geheimnis, dass Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, angemessen umschreiben und in Worte fassen kann.

Deutlich wird im Augsburger Bekenntnis zunächst einmal: In der Lehre von Person und Werk Jesu Christi geht es nicht um eine philosophische Spekulation, sondern es geht um die Heilsfrage – genau wie dies auch schon in der Alten Kirche gesehen wurde: Ist Gott nicht wirklich Mensch geworden, ist das Wort nicht wirklich Fleisch geworden, dann sind wir verloren. „Was nicht angenommen ist, ist nicht geheilt; was mit Gott vereint ist, das wird auch gerettet“, schreibt der heilige Gregor von Nazianz.

Wenn es um die Person Christi geht, muss sehr genau formuliert werden, um dem biblischen Befund wirklich gerecht zu werden: Der Sohn Gottes hat die menschliche Natur angenommen bzw. ist Mensch geworden, heißt es im deutschen und lateinischen Text. Das heißt: Es gab niemals einen Menschen Jesus, dessen „Ich“, dessen Subjekt nicht der ewige Sohn Gottes gewesen wäre. Der Sohn Gottes hat nicht einen Menschen, sondern die menschliche Natur angenommen, und zwar so, dass göttliche und menschliche Natur untrennbar in einer Person vereinigt sind. Das Augsburger Bekenntnis übernimmt damit, ebenso wie die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen Osteuropas, die Lehre des Konzils von Chalcedon von den zwei Naturen Christi, die zum Beispiel von der syrisch-orthodoxen Kirche abgelehnt wird, weil sie befürchtet, dass damit die Vereinigung der beiden Naturen in Christus und das „Ungleichgewicht“, dass der ewige Sohn Gottes die menschliche Natur, nicht aber ein Mensch die göttliche Natur angenommen hat, nicht angemessen ausgedrückt wird. Schaut man genau hin, setzt Melanchthon hier aber schon einen Akzent: Aus den vier Adjektiven, mit denen das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in Christus im Konzil von Chalcedon beschrieben wird – unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, ungesondert – übernimmt er nur den Begriff „ungetrennt“ bzw. „unzertrennlich“, also den Begriff, der gegen die Irrlehre der Nestorianer gerichtet war, die behaupteten, Maria habe nicht den ewigen Gottessohn, sondern nur den Menschen Jesus zur Welt gebracht und dürfe darum auch nicht als Mutter Gottes bezeichnet werden.

Genau diese Irrlehre der Nestorianer feierte in der Reformationszeit fröhliche Auferstehung in der Theologie des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli, dessen Statue noch heute im Berliner Dom auf die versammelte gottesdienstliche Gemeinde herabblickt: Wenn Jesus ein Wunder tut, dann ist es nur der Sohn Gottes, der dies Wunder vollbringt; wenn Jesus am Kreuz stirbt, dann ist es nur der Mensch Jesus und nicht der Sohn Gottes, der dort stirbt. Und genau gegen diese rationalistische, unbiblische Lehre Zwinglis betont Melanchthon das „untrennbar vereinigt“: Ich kann keine Aussage über Person und Werk Jesu machen, die nicht für beide Naturen zugleich gilt. Das Anliegen der mia-physitischen Kirchen wie der syrisch-orthodoxen Kirche, die von der einen „aus Gottheit und Menschheit zusammengesetzten Natur“ Jesu Christi sprechen, liegt dem lutherischen Bekenntnis also sehr viel näher als das der Nestorianer. 

Auch grammatisch bindet Melanchthon im lateinischen und deutschen Urtext des Augsburger Bekenntnisses Person und Werk Jesu Christi und dessen Heilsbedeutung ganz eng zusammen: Alles zielt darauf, dass er, der wahre Gott und wahre Mensch Jesus Christus, „ein Opfer“ für unsere Sünden ist und Gottes Zorn versöhnt hat: Sein Weg hat nur ein Ziel: das zerbrochene Verhältnis zwischen Gott und den Menschen wiederherzustellen. Wenn das Augsburger Bekenntnis hier formuliert, dass Christus Gottes Zorn versöhnt hat, meint es nicht, dass Christus sich gleichsam in eigener Initiative einem blutrünstigen, rachehungrigen Gott entgegengestellt hat: Die Sühne unserer Schuld, die Christus mit seinem Kreuzesopfer vollzogen hat, bleibt immer Initiative Gottes des Vaters: Er versöhnt die Welt mit sich selbst durch dieses Opfer; er lenkt seinen Zorn aus Liebe zu uns Menschen auf Christus, damit dieser Zorn uns nicht trifft: Es geht bei der Versöhnung ganz wesentlich um ein Geschehen in Gott selbst: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber.“ (2. Korinther 5,19)

Nicht gleich verständlich scheint die Formulierung, dass das Opfer Christi am Kreuz nicht nur für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden der Menschen gilt. Diese Formulierung wendet sich gegen die damals weit verbreitete Auffassung, dass der Kreuzestod Christi in der Tat nur die Erbsünde der Menschen gesühnt habe, dass aber für die Sühne der „Tatsünden“ der Menschen immer wieder neu das Messopfer im Gottesdienst dargebracht werden müssten, also Leib und Blut Christi im Sakrament geopfert und als Opfergabe Gott dargebracht werden müssten. Die Erwiderungsschrift der römischen Seite, die „Confutatio“, weist dies zwar als Unterstellung zurück, doch formuliert einige Zeit später das Konzil von Trient in der Tat, dass das Messopfer im Gottesdienst ein „wahres Sühnopfer“ sei, ohne allerdings das Verhältnis zwischen Kreuzesopfer und Messopfer genau zu bestimmen oder die Wirkung von Kreuzesopfer und Messopfer auf verschiedene „Sündenarten“ zu verteilen. Dennoch verweist Melanchthon hier an dieser Stelle schon auf ein strittiges Thema, das er dann im 24. Artikel des Augsburger Bekenntnisses noch ausführlicher behandelt: Weil der Tod Christi das einzige Opfer ist, das vor Gott gilt, kann dieses Opfer nur ausgeteilt, aber nicht noch einmal vollzogen oder gar ergänzt werden.

Ein doppeltes Ziel des Weges Christi benennt der dritte Artikel des Augsburger Bekenntnisses sodann: Er, Christus, herrscht über alle Geschöpfe und regiert sie. Noch bleibt diese Herrschaft dem menschlichen Auge verborgen – und doch dürfen wir sie als Christen jetzt schon bekennen. Diejenigen, die an ihn, Christus, glauben, regiert er allerdings auch noch auf eine andere Weise: Er „heiligt, reinigt, stärkt, tröstet“ sie „durch den Heiligen Geist“. Wir finden im Augsburger Bekenntnis keinen eigenständigen Artikel „Vom Heiligen Geist“. Und das hat einen guten und wichtigen theologischen Grund: Das Augsburger Bekenntnis und mit ihm die lutherische Kirche betont, dass der Heilige Geist und sein Wirken ganz an Jesus Christus gebunden sind: Es gibt kein Wirken des Geistes und keine Erfahrungen des Heiligen Geistes, die von Christus losgelöst werden könnten. Dies ist gerade heutzutage eine ganz wichtige und aktuelle Aussage: Immer weiter verbreiten sich heute kirchliche Gruppierungen, die das vermeintliche Wirken des Heiligen Geistes in ihrer Mitte nicht mehr erkennbar an die Verkündigung des gekreuzigten Christus rückbinden, sondern es an Gefühlen oder mehr oder weniger sensationellen Erlebnissen festmachen. Doch wo auf diese Weise das vermeintliche Wirken des Heiligen Geistes verselbständigt wird, ist eben nicht mehr klar zu erkennen, ob es sich hierbei tatsächlich noch um den Heiligen Geist oder um einen sich fromm gebärdenden menschlichen Geist handelt, der sich als Stimme Gottes ausgibt. Wo auch immer Menschen behaupten, der Heilige Geist habe ihnen dieses oder jenes gesagt, ist von daher Vorsicht angesagt. Eindeutig identifizieren lässt sich das Wirken des Heiligen Geistes nur da, wo es direkt und eindeutig auf den gekreuzigten Christus und sein Wort verweist.

Eben darum wird der Heilige Geist hier schon und vor allem im Artikel vom Sohn Gottes behandelt. Dieser handelt durch den Heiligen Geist und bleibt selber derjenige, der Leben, dazu allerlei Güter und Gaben austeilt. Als Christen sollten wir zunächst und vor allem nach den Gaben Christi und nicht nach davon losgelösten Geistesgaben streben.

Neben dem Heiligen Geist findet auch der Teufel im dritten Artikel des Augsburger Bekenntnisses seine Erwähnung. Auch er ist im Augsburger Bekenntnis nicht Gegenstand eines eigenen Artikels, ja noch nicht einmal „Glaubensgegenstand“, denn Christen glauben nicht an den Teufel, sondern an den dreieinigen Gott. Sie wissen jedoch sehr wohl um den Widersacher Gottes, der sie lebenslänglich in einen Kampf zwingt. Aber sie wissen vor allem darum, wer in diesem Kampf der Stärkere ist, eben Christus, der erhöhte Herr. Darum wird der Teufel hier in diesem Artikel von vornherein gleichsam als Verlierer geschildert, als einer, der keine Chance hat, wo Menschen im Glauben unter dem Schutz und Schirm ihres Herrn Jesus Christus stehen.

Ausdrücklich erwähnt wird am Ende des Artikels auch die Wiederkunft Christi, die im 17. Artikel noch einmal als eigenständiges Thema behandelt wird. Ein Bekenntnis zu Christus, das dessen Wiederkunft ausblendet oder gar leugnet, bleibt notwendigerweise defizitär. Wo Menschen sich nicht mehr nach dem wiederkommenden Herrn Jesus Christus sehnen, lassen sie sich stattdessen von anderem bestimmen und treiben: von Weltverbesserungsideologien oder von mancherlei Ängsten oder mehr oder weniger offenem Zynismus. Auch kirchliche Verkündigung, die die Wiederkunft des Herrn verdrängt, bleibt von solchen Gefahren nicht verschont.

Betont wird im Augsburger Bekenntnis, dass sich die Wiederkunft Christi „öffentlich“ vollziehen wird, also so, dass kein Zweifel bestehen wird, dass er, Christus, der Herr und Richter der Welt, es ist, der da kommt. Diese Aussage ist gerade heute wieder ganz aktuell angesichts so mancher Sekten, die entweder wie die Zeugen Jehovas eine „unsichtbare Wiederkunft“ Christi lehren, um damit ihre irrtümliche Ankündigung der Wiederkunft Christi im Jahr 1914 aufrechterhalten zu können, oder die gar ihren Sektenführer als wiedergekommenen Christus verehren. Die Identität des wiederkommenden Christus wird jedoch niemand in Frage stellen können – vor ihm werden einmal alle ihre Knie beugen: vor ihm, der Mensch geworden und am Kreuz gestorben ist um unsertwillen, „auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (St. Johannes 3,16)