25.01.2015 | St. Matthäus 17,1-9 | Letzter Sonntag nach Epiphanias
Pfr. Dr. Gottfried Martens


Neulich wurde ich gefragt, warum ich diese ganze Arbeit hier in der Gemeinde eigentlich immer noch weiter mache; das sei am Ende doch alles sinnlos: Ob ich denn glaubte, dass ich die Welt retten könne, ja dass ich auch nur gegen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ankäme, ja, ob mir nicht zugleich auch klar sei, dass ich hier in meiner Arbeit am Ende doch immer wieder nur von Menschen ausgenutzt würde, denen es in Wirklichkeit gar nicht um Christus und den Glauben, sondern nur um ihren Aufenthalt hier in Deutschland ginge.

Schwestern und Brüder: Ich gestehe, dass mir manchmal solche Fragen auch selber kommen, wenn ich wieder einmal mit himmelschreiendem Unrecht hier in unserem Land konfrontiert werde und merke, wie begrenzt meine Kräfte sind, dagegen etwas auszurichten, oder wenn ich von Menschen enttäuscht werde, von denen ich glaubte, sie würden es mit dem christlichen Glauben ganz ernst meinen, und die dann doch so schnell nach ihrer Anerkennung wieder von der Bildfläche verschwinden, oder wenn ich von Menschen enttäuscht werde, denen ich so lange als Pastor zu dienen versucht habe und die nun am Ende von diesem Dienst gar nichts mehr wissen wollen, ja einen am Ende gar als Betrüger diffamieren.

Ist das am Ende nicht doch alles sinnlos? Schwestern und Brüder: Es gibt gewiss auch viele von euch, die sich diese Frage immer wieder stellen mögen: Da habe ich um meines Glaubens an Jesus Christus willen alles aufgegeben, was ich hatte – und nun sitze ich hier jahrelang in einem Mehrbettzimmer im Asylbewerberheim, und es gibt überhaupt keine Aussicht, dass sich das in Zukunft ändern könnte, dass sich jemand in diesem Land überhaupt dafür interessiert, warum ich eigentlich hierhergekommen bin. Ja, war das am Ende alles doch umsonst? Da habe ich in meinem Leben so viel aufzubauen versucht – doch all das, was ich in meinem Leben erreichen wollte, zerrinnt mir nun im Alter allmählich unter meinen Fingern.

Schwestern und Brüder: Wenn wir in unserem Leben nur auf das schauen, was uns vor Augen steht, was wir selber messen und beurteilen können, dann mag man sich in der Tat fragen, ob das nicht alles am Ende vergebliche Liebesmüh war, dann mag sich unsere Lebensperspektive im Laufe der Zeit in der Tat immer mehr verdunkeln.

Doch da leuchtet uns nun im Heiligen Evangelium des heutigen Festtages eine ganz andere Lebensperspektive entgegen, liefert uns einen guten, ja, geradezu den entscheidenden Grund, weshalb wir gut daran tun, in unserem Leben nicht aufzugeben, nicht einfach alles, was wir tun und erleben, am Ende für sinnlos zu halten.

Da schildert uns St. Matthäus, wie Jesus drei seiner Jünger mitnimmt auf einen hohen Berg, wie er sie herausnimmt aus den oftmals so frustrierenden Erfahrungen des Alltags. Nein, Jesus geht es nicht bloß um eine schöne Aussicht von oben, von wo her dann auch die großen Probleme des Alltags mit einem Mal ganz klein erscheinen. Jesus zeigt seinen Jüngern unendlich mehr: Er wird, so berichtet es uns St. Matthäus, vor den Augen seiner Jünger verklärt, verwandelt, ja, sie dürfen ihn für eine kurze Zeit so sehen, wie er in Wirklichkeit ist, wie er ihnen einmal in alle Ewigkeit vor Augen stehen wird: Er, Christus, das Licht der Welt, leuchtet vor ihnen in einem warmen, hellen Schein, in dem nichts Dunkles, nichts Unverständliches und Sinnloses mehr bleibt, in dem all das klar wird, was jetzt noch so unklar und widersinnig erscheint.

Dieses Licht lässt sich auch vom Dunkel des Todes nicht mehr verschlucken, so bezeugen es Mose und Elia, die Seite an Seite mit dem verklärten Christus stehen. Ja, was Petrus, Jakobus und Johannes dort erleben, ist in der Tat schon ein Blick durch einen Türspalt in eine Realität, die jenseits all dessen liegt, was wir hier auf Erden in unserem Leben jemals zu erfahren vermögen. Kein Wunder, dass Petrus sich wünscht, am liebsten gleich dort zu bleiben, dass er sich wünscht, nie mehr zurückkehren zu müssen in das Dunkel des Alltags. Doch bevor er diesen Wunsch auch nur ganz ausgesprochen hat, wird ihm stattdessen ein ganz anderer Weg gewiesen: Gott der Vater selbst lässt ihn wissen, wie es mit ihm und den anderen Jüngern in Zukunft weitergehen soll: „Den sollt ihr hören“, so prägt es ihnen die Stimme vom Himmel ein. So sieht also der Weg aus, der nun vor Petrus und den anderen Jüngern liegt: Noch nicht das dauernde Schauen der Herrlichkeit des Herrn, sondern das Hören auf das Wort des Herrn mitten im Dunkel des Lebens unterhalb des Berges. Dorthin führt Jesus seine drei Jünger dann auch wieder herab, verbietet ihnen, über diesen Blick in die andere Wirklichkeit irgendjemandem zu erzählen, bis er, Christus, von den Toten auferstanden ist, bis öffentlich kund wird, wer er, Christus, ist: der lebendige Herr und Sieger über den Tod.

Ich habe in meinem Leben noch nicht solch eine Erfahrung gemacht wie damals die drei Jünger – und die meisten von euch haben solch eine Erfahrung bisher wohl auch noch nicht gemacht. Und doch ist diese Geschichte für uns alle miteinander eine ganz große Mutmachgeschichte: Was wir hier im Augenblick in unserem Leben erfahren, ist nicht alles, das Dunkle, das scheinbar so Vergebliche und Sinnlose. Christus, der uns auf unseren Lebenswegen oftmals so verborgen und unverständlich erscheinen mag, leuchtet uns hier in seinem Wort entgegen, lässt uns schon einmal ein wenig erahnen von dem Ziel, auf das unsere Lebenswege hinführen, von dem Ziel, in dem all das, was wir jetzt erleben, noch einmal in einem anderen Licht erscheint.

Ja, vielleicht hat es in deinem Leben doch schon die eine oder andere Gipfelerfahrung gegeben, dass dir Jesus so nahe erschien, dass er so hell in dein Leben hineinleuchtete, dass du gar nicht wieder von ihm weg wolltest, dass du es dir gewünscht hättest, diese Erfahrung von nun an gleich für immer machen zu können. Vielleicht war es ein schöner Gottesdienst, in dem für dich schon die Grenzen zwischen Himmel und Erde verschwanden, die Begegnung mit Christus im Heiligen Altarsakrament, vielleicht aber auch ein Traum, in dem er, Christus, dir selber als helles Licht erschienen ist. Doch selbst wenn wir solche Erfahrungen einmal gemacht haben, bleibt uns am Ende doch nichts Anderes übrig als den Jüngern damals auch: Wir müssen wieder vom Berg herunter, zurück in den Alltag, zurück in das Dunkel, ja auf den Weg hinter Christus her, der ihn schließlich ans Kreuz und in den Tod geführt hat. Das Sehen, das schöne Gefühl, die Ergriffenheit – sie hören wieder auf. Was bleibt, ist einzig und allein das Wort Christi, das uns den Weg weist: „Den sollt ihr hören!“

Darum machen wir also weiter trotz aller Enttäuschungen und Frustrationen, trotz allen Dunkels in unserem Leben: Weil es dieses eine Licht gibt, dem wir entgegengehen, und weil wir dieses Licht zwar noch nicht sehen, aber doch hören können. Und wenn wir recht zuhören, dann wird das auch unseren Blick verändern, dann werden wir wahrnehmen, was erst einmal gar nicht sichtbar zu sein scheint, dann werden wir auch heute wieder nach dem Heiligen Mahl singen: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen“, jawohl: gesehen, gewiss verborgen im Brot und Wein, und doch derselbe Herr, vor dem Petrus und die anderen Jünger damals niederfielen. Christus gönnt sie uns jetzt schon, hier an seinem Altar, die kleinen Gipfelerfahrungen in der Begegnung mit ihm. Das lässt uns durchhalten auf dem Weg durch alle dunklen Täler, das erinnert uns an die Realität hinter allem Sichtbaren, ja, an das Ziel, auf das wir zusteuern: dort, wo wir einmal diesen einen Satz des Petrus immer wieder vor Freude stammeln werden: „Herr, hier ist gut sein!“ Amen.