25.07.2014 | St. Matthäus 20,20-23 | Tag des Apostels St. Jakobus d.Ä.
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Wenn ich mich mit nichtpersischen Menschen über unser Missionsprojekt hier in Steglitz unterhalte, ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich anfange, das Missionsprojekt und mich selber zu verteidigen und in Schutz zu nehmen: Ja, die Perser und Afghanen sind wirklich nett. Und sie laufen auch gar nicht mehr so oft aus der Kirche heraus. Und etwas pünktlicher sind sie auch schon geworden. Und es tut mir auch wirklich sehr leid, dass unsere Gottesdienste nun so lange dauern – aber kirchenmusikalisch hat sich wirklich nicht viel verändert, und auch bei der Predigt versuche ich durchaus weiterhin, auch deutschen Ansprüchen gerecht zu werden!

Doch als ich mir das heilige Evangelium dieses heutigen Aposteltages durchlas, habe ich mich dann doch gefragt: Was mache ich da eigentlich? Ja, was für Erwartungen versuche ich da eigentlich zu befriedigen?

Um Erwartungen, die an Jesus und sein Reich gerichtet werden, geht es hier bei St. Matthäus. Eine menschlich sehr nachvollziehbare Szene wird uns hier geschildert: Jesus befindet sich auf dem Weg nach Jerusalem, und für seine Jünger, für seine Gefolgschaft war die Sache klar: Jetzt würde er in Jerusalem das Reich Gottes errichten, würde die Römer aus dem Land jagen und selber die Königsherrschaft übernehmen. Und da wurden nun natürlich alle möglichen Stellen frei, etwa das Innen- und Außenministerium. Nein, direkt dafür bewerben wollten sich Jakobus und Johannes dafür natürlich nicht. Aber sie hatten glücklicherweise noch eine Mutter, die sich um sie sorgte und für ihre Söhne nur das Beste wollte. Und wenn die Söhne nicht in die Pötte kamen, dann preschte eben Muttern vor und richtete ihre unmissverständlichen Erwartungen an Jesus, dass ihre Söhne bei der Verteilung der Posten ja nicht übergangen werden sollten. Das Reich Gottes als Gelegenheit, die eigenen Wünsche, Hoffnungen und Bedürfnisse zu befriedigen – so stellte sich das die Mutter von Jakobus und Johannes vor, so stellten wohl auch die beiden sich das selber vor, denn Jesus richtet seine Antwort ganz direkt an sie. Und dabei klärt er sie sehr eindeutig darüber auf, dass sie noch überhaupt nicht verstanden haben, was Menschen zu erwarten haben, wenn sie in seiner Nähe, in seiner Gemeinschaft leben: nicht die Erfüllung ihrer Wünsche, sondern der Kelch, das Leiden in der Gemeinschaft mit Christus, ihrem Herrn. Das ist das Einzige, was die beiden für ihre Zukunft erwarten durften, das ist das Einzige, was Christus den beiden hier verspricht.

Ja, was für eine Erwartungshaltung an Christus, an die Kirche, an das Leben als Christ unterstütze ich eigentlich, wenn ich Menschen damit für den Gottesdienst, für das Leben in der Kirche zu gewinnen versuche, dass ich ihnen verspreche, dass sie in der Kirche genau das geboten bekommen, was sie wollen? Und was sie wollen, ist oft genug eben gerade nicht das Leiden, sondern die Vermeidung von Leiden, die Vermeidung von Problemen, etwas Ruhe und Seelenmassage, etwas deutsche Kultur.

Von Christus können wir lernen, auf solche Wünsche und Erwartungshaltungen anders zu reagieren: „Ihr wisst nicht, was ihr bittet; ihr habt noch gar nicht verstanden, wie schräg ihr mit euren Erwartungen an Kirche und Gemeinde daneben liegt!“ Was ihr von einer christlichen Gemeinde erwarten könnt, ist zuerst und vor allem dies eine, dass sie euch darauf vorbereitet, für euren christlichen Glauben auch zu leiden, weil ihr in ihr erfahrt, was den Glauben an Christus so wichtig, so kostbar macht. Wer seine Teilnahme am Gottesdienst, am Gemeindeleben davon abhängig macht, dass er sich mit seinen Wünschen und Bedürfnissen durchsetzt, dass alles so läuft, wie es immer schon gelaufen ist oder wie es dem eigenen Befinden entspricht, der steht in der Gefahr, den Glauben an Christus schnell aufzugeben, wenn es für ihn wegen dieses Glaubens im Leben einmal unangenehm werden sollte.

Ja, Leiden um Christi willen, das ist keine extreme Ausnahmesituation, das ist das Normale für einen Christen, der mit Christus lebt, so zeigt es uns unser Herr hier. Und das Leiden eines Christen besteht eben nicht darin, dass er sonntags etwas länger in der Kirchenbank sitzen muss, bis endlich alle das Heilige Abendmahl empfangen haben, oder dass er mit Menschen zusammen in der Kirche sitzen muss, die noch nicht so lange wie man selber zur Gemeinde gehören und sich noch nicht so gut im Gottesdienst auskennen. Was Leiden um Christi willen bedeutet, davon erfahren wir in diesen Tagen so manches, aber leider immer noch viel zu wenig in den Nachrichten, wenn da berichtet wird, wie in Mossul letzte Woche die ISIS-Milizen durch die Straßen gingen und die Häuser der Christen mit einem großen „N“ für „Nazaräer“, also „Christen“ markierten und diese nur noch ganz schnell ihre Sachen packen und fliehen konnten, bevor sie wahlweise gekreuzigt oder gesteinigt oder auf andere Weise zu Tode gebracht wurden. Was Leiden um Christi willen bedeutet, davon können die Christen in Syrien so viel erzählen, Christen in Ägypten und im Sudan und in so vielen muslimischen Ländern. Ja, was Leiden um Christi willen bedeutet, davon können eben auch so viele unserer Schwestern und Brüder, die hier mit uns gemeinsam sonntags in der Kirche sitzen, erzählen. Und wenn sie dann mal ihren Oberkörper frei machen, kann man es bei nicht wenigen von ihnen auch sofort sehen. Nein, ihr Leiden bestand nicht darin, sonntags nicht ausschlafen zu können oder etwas länger in der Kirche zu sitzen; es bestand auch nicht bloß darin, für ihren Glauben vielleicht mal ausgelacht zu werden.

„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ – So fragt Jesus hier Jakobus und Johannes. Und die beiden antworten ohne zu zögern: Ja, das können wir. Zehn Jahre später wurde Jakobus als erster der Apostel um seiner Zugehörigkeit zu Christus willen getötet. Er hat in der Tat zu dem gestanden, was er Jesus hier zugesagt hatte.

„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ So fragt Jesus auch uns heute. Und wir tun wohl doch gut daran, nicht gleich so vollmundig zu antworten wie Jakobus und Johannes, jedenfalls nicht, wenn wir es nicht schon selber unter Beweis gestellt haben wie so manche unserer persischen Geschwister. Jesus zwingt uns auch nicht dazu, gleich solch ein Versprechen abzulegen. Aber er möchte, dass wir uns wieder klar machen, was wir von unserem Glauben, was wir auch von der Kirche erwarten können: nicht ein geistliches Wellnessprogramm, sondern das ganze Evangelium, das nicht nur eine Wohlfühlbotschaft ist, sondern die Botschaft von unserer Rettung durch das Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus, von unserer Rettung, die nicht von uns, auch nicht von unserer Leidensbereitschaft abhängt, sondern einzig und allein von dem, was Gott in seiner Liebe zu uns getan hat und tut.

Ja, darum geht es bei jeder Feier des Heiligen Mahls, wenn wir aus dem Kelch das Blut Christi empfangen, für uns vergossen zur Vergebung der Sünden. Darum geht es bei jeder Feier des Heiligen Mahls, dass unsere Verbindung zu Christus gestärkt wird, so sehr, dass sie auch unter der Belastung von Leiden und Verfolgung nicht zerbricht, sondern nur noch fester wird. Darum geht es in jeder Predigt, in jeder Bibelstunde, dass wir lernen, die Geister zu unterscheiden, dass wir nicht hereinfallen auf eine Verdrehung der christlichen Botschaft, die uns verspricht, dass Christus alle unsere Probleme löst und wegnimmt. Nein, in die Kreuzesnachfolge ruft er uns. Doch wer sich durch Gottes Wort und Sakrament stärken lässt, der erkennt: Diese Nachfolge lohnt sich, lohnt sich allemal, selbst wenn sie uns erheblich mehr abverlangt als bloß ein wenig Rücksichtnahme auf den Nächsten. Es geht doch darum, dass wir für immer leben bei Christus, in seinem Reich. Gott geb’s, dass uns dies allein in unserem Leben und auch in unseren Erwartungen an die Kirche wichtig ist und bleibt! Amen.