13.04.2014 | Hebräer 12,1-3 | Palmarum
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Am vorletzten Sonntag fand hier in Berlin wieder der große Halbmarathon statt. Über 30.000 Läufer begaben sich auf den mehr als 20 km langen Weg durch die Straßen von Berlin, und die meisten von ihnen hatten nur ein großes Ziel: Am Ende auch tatsächlich anzukommen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss man als Läufer eine Reihe von Dingen beachten: Man muss die richtige Kleidung tragen, keinen unnötigen Ballast mit sich herumschleppen, man darf die Strecke nicht unterschätzen und dabei übersehen, dass man nicht nur die ersten zwei Kilometer durchhalten muss, man muss mental das Ziel immer im Auge behalten – ja, und dann sind da natürlich auch noch die Zuschauer, die einen anfeuern und einem helfen, durchzuhalten, auch wenn man eigentlich gar nicht mehr kann.

Solch eine Marathon-Geschichte erzählt uns auch der Verfasser des Hebräerbriefes in unserer heutigen Predigtlesung. Dabei berichtet er allerdings nicht bloß von einem netten Hobby, das einige besonders Sportbegeisterte ausüben mögen, sondern er spricht von unserem Leben als Christen, spricht von dem entscheidenden Lauf unseres Lebens schlechthin. Mit einem Langstreckenlauf vergleicht er unser Leben als Christen, mit einem Langstreckenlauf, bei dem wir in der Gefahr stehen, unterwegs schlapp zu machen. Er schreibt seinen Brief an Christen, die mit großer Begeisterung ihren Lauf als Christen begonnen hatten, die, im Bilde gesprochen, losgesprintet waren, voller Freude darüber, zum Glauben an Jesus Christus gefunden zu haben. Doch nun, nachdem sie eine Wegstrecke gelaufen waren, war von diesem ersten Elan bei ihnen nicht mehr viel zu spüren. Die Christen, an die er schreibt, waren matt geworden; von der ersten Begeisterung des Glaubens war bei ihnen nicht mehr viel zu spüren. Immer öfter blieben sie dem Gottesdienst fern; immer größer wurde die Gefahr, dass sie aus dem Rennen ausstiegen – und das, obwohl das Ziel für sie doch gar nicht mehr so weit weg war.

Ach, wie aktuell ist das, was der Verfasser des Hebräerbriefs schreibt, auch für uns in unserer Gemeinde! Da sind so viele hier unter uns, die den christlichen Glauben ganz neu für sich entdeckt haben, die im Augenblick, im Bilde gesprochen, voller Begeisterung losgesprintet sind. Nein, ich will euch dabei auch gar nicht bremsen. Aber eines dürft ihr nicht übersehen: Vor euch liegt noch eine lange Strecke, so können es all diejenigen unter uns bezeugen, die nun schon viele Jahrzehnte ihres Lebens als Christen verbracht haben. Und diese lange Strecke, die kann ganz schön beschwerlich werden, die kann einen auch im Glauben leicht müde werden lassen. Und eben darum ist es so hilfreich, auf die Ratschläge zu hören, die der Verfasser des Hebräerbriefs damals den Christen in Italien für ihren Langstreckenlauf mit auf den Weg gab, Ratschläge, die heute genauso aktuell sind wie damals vor mehr als 1900 Jahren:

-    Tragt die richtige Laufkleidung!
-    Lasst euch durch die Anfeuerung der Zuschauer ermutigen!
-    Blickt immer ganz nach vorne!

I.
Ich vermute mal, dass nur die wenigsten Läufer des Berliner Halbmarathons in ein Messgewand gekleidet waren, wie ich es heute Morgen trage. Mit solch einem Messgewand kann man nämlich nicht sehr schnell rennen, sonst gerät einem die Kleidung schnell zwischen die Beine, und man liegt auf der Nase. Und wahrscheinlich wird auch kaum ein Läufer auf die Idee gekommen sein, nach ein paar Kilometern einen Rucksack, gefüllt mit schweren Steinen, aufzusetzen und seinen Lauf mit diesem Rucksack fortzuführen. Solch ein Rucksack raubt sehr schnell Kräfte, lässt einen im schlechtesten Fall schon nach kurzer Zeit zusammenklappen.

Was beim Berliner Halbmarathon so unrealistisch erscheint, kommt in Wirklichkeit bei dem Lauf, den wir als Christen vollführen, immer wieder vor. Da sind auch in unserer Gemeinde so viele ganz fröhlich losgelaufen; doch sobald sie ihren Pass bekommen hatten, fingen sie an, sich alle möglichen Dinge aufzuladen, die sie am Weiterlaufen hinderten: Da gab es in ihrem Leben so viel Anderes zu tun, da musste man unbedingt am Sonntagmorgen Geld verdienen, da schien vieles im Leben mit einem Mal so viel wichtiger zu sein, als bei Christus und seiner Kirche zu bleiben. Und so wurden sie in ihrem Lauf schnell müde und matt, kamen kaum noch voran, und manch einer steht mittlerweile in der Gefahr, ganz aus dem Rennen auszusteigen. Und da gibt es sie eben auch in unserem Leben, die Sünde, die uns ständig umstrickt, wie der Hebräerbrief hier formuliert, die sich wie ein Gewand zwischen unseren Beinen verheddert, dass wir stürzen und nicht weiterkommen. Da läuft so mancher fröhlich seinen Glaubenslauf in der Gemeinde – doch dann gibt es mit einem Mal einen Streit, und der ist dann Anlass dafür, nicht mehr zu kommen, den Langstreckenlauf zum Ziel des ewigen Lebens einfach für beendet zu erklären. Oder da nimmt ein anderer Gottes Wort eigentlich so ernst; aber dann kommt er in Konflikt mit dem 6. Gebot, tut, was nach Gottes Wort und Gebot eindeutig Sünde ist – doch der, der dies tut, wird mit einem Mal taub für Gottes Wort, nein, nicht nur für dieses eine Gebot, sondern schließlich auch für Gottes Wort insgesamt.

Und von daher hat der Verfasser des Hebräerbriefs diesen einen ganz wichtigen Rat für uns: Legt den Ballast eures Lebens ab, der euch am Weiterlaufen hindert, der euch niederdrückt, euch fallen lässt, euch auf dem Weg zum Ziel zusammenbrechen lässt! Zieht stattdessen den Laufanzug an, der euch wie angegossen sitzt, der euch Beinfreiheit und Bewegungsfreiheit schenkt, den Laufanzug eurer Heiligen Taufe. Erinnert euch immer wieder daran, wer ihr doch seid: Getaufte Christen, die nichts mit sich herumzuschleppen brauchen, nicht ihre Sünde und Schuld, nicht ihre Sorge, nicht all den letztlich unnötigen Krempel, an den Menschen so gerne sonst ihr Herz hängen. Lasst all diesen Krempel, eure Sünde, eure Sorgen, hier am Altar liegen! Christus nimmt euch das alles gerne ab. Dafür ist er doch für euch am Kreuz gestorben!

II.
Wenn man lange läuft, dann kommt man früher oder später an der Punkt, an dem man merkt: Ich kann allein nicht mehr weiter. Wie gut, wenn es dann Zuschauer am Wegesrand gibt oder Zuschauer im Stadion, die einen anfeuern, einen ermutigen, nicht aufzugeben, sondern weiterzulaufen! Solch eine Anfeuerung hat schon manch einen ins Ziel getragen.

So ist das auch mit uns Christen: Wir mögen ja mitunter denken, dass wir unseren Lauf ganz allein zu Ende bringen müssen. Doch das stimmt eben nicht: Wir sind umgeben von einer Wolke von Zeugen, wie es hier heißt, von einer riesengroßen Schar von Menschen, die schon vor uns ihren Glaubenslauf absolviert haben, die kämpfen mussten, angefochten waren wie wir. Und sie feuern uns nun an, machen uns Mut, ja nicht aufzugeben. Denn sie sind nun ja schon am Ziel, wissen, wie sehr es sich lohnt, nicht aufzustecken, nicht unterwegs aus dem Lauf aufzusteigen. Wenn wir heute unseren Gottesdienst feiern, dann sind sie wieder alle mit dabei: Die Glaubenszeugen des Alten Testaments, die Apostel und Märtyrer der alten Kirche, ja, all die vielen Christen, die in ihrem Leben so Schweres auf sich nehmen mussten um ihres Glaubens willen. Sie alle jubeln mit, wenn wir nun gleich das Heilige Mahl feiern, wenn wir das „Hosianna“ wieder anstimmen, mit dem Jesus damals bei seinem Einzug in Jerusalem empfangen wurde. Höre auf ihren Jubel, höre auf ihre Freude, und dann lauf, bleibe dran, gib nicht auf: Auch dich wird einmal dieser Jubel am Ende dieses Laufes erwarten!

III.
Und dann gibt uns der Verfasser des Hebräerbriefes hier noch den allerwichtigsten Rat: Blickt in eurem Lauf immer ganz nach vorne. Damals in den antiken Stadien stand am Ziel eine Statue der griechischen Siegesgöttin Nike. Auf sie blickten die Läufer und orientierten sich an ihr. Der, auf den wir blicken, ist der gekreuzigte Jesus Christus. Er ist selber auch unseren Lauf gelaufen, ja, hat einen noch viel schwereren Lauf durchgestanden, als wir dies je müssen, einen Lauf, der ihn schließlich in die tiefsten Tiefen des menschlichen Lebens, ja, am Ende ans Kreuz geführt hat. Er, Jesus, macht uns deutlich: Der Weg in seiner Nachfolge, der Weg, den wir als Christen zurückzulegen haben, ist oft schwer, ist verbunden mit Leid, mit Verzicht, ist nicht unbedingt immer der Weg, den wir uns selber wünschen. Aber er führt eben zu dem Ziel, wo uns Christus, unser Vorläufer schon erwartet, wo er uns in Empfang nimmt und uns mitmachen lässt bei seinem großen Siegesfest.

Und das Wunderbare ist zugleich: Christus steht nicht bloß am Ende unseres Laufes und wartet auf uns. Wir sind ihm doch schon längst begegnet, als er in uns den Glauben gewirkt hat, er, der Anfänger unseres Glaubens. Wir sind ihm doch schon längst begegnet in unserer Heiligen Taufe. Und er läuft zugleich auch neben uns her, ja, genauer gesagt: Er lebt in uns durch sein Heiliges Mahl, schenkt uns dadurch die Kraft, um weiterlaufen zu können, vollendet dadurch schließlich auch unseren Glauben.

Nein, wir können von uns aus das Ziel unseres Laufes nicht aus eigener Kraft erreichen. Da würden wir ganz schnell auf der Strecke bleiben. Aber Christus, der zieht uns gleichsam mit sich Richtung Ziel, ja, mehr noch, der trägt uns, wenn wir nicht mehr weiter können, schließlich auch dorthin. Wichtig bleibt für uns nur eins: Verlieren wir ja nicht die Verbindung zu ihm, Christus, ziehen wir uns ja nicht von ihm zurück! Bleiben wir nur dran an ihm, an seinem Wort, an seinen heiligen Gaben! Dann werden wir schließlich auch dort ankommen, wo unser Kampf endgültig beendet sein wird, dort, wo wir ihn für immer und ewig voller Glück vor Augen haben werden: ihn, Christus, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens. Amen.