19.03.2014 | Bibel und Koran: Jesus - der Sohn Gottes? | Mittwoch nach Reminiszere
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Im letzten Informationsblatt unseres Missionsprojekts habe ich einen Fehler gemacht: Ich habe einen persischen „Haft-Sinn“-Tisch abgebildet, wie er nun morgen in vielen persischen Häusern anlässlich des persischen Neujahrsfestes zu finden sein wird. Doch auf dem Foto, das ich im Informationsblatt abgedruckt hatte, war eben auch ein Koran zu sehen, der tatsächlich in vielen persischen Häusern auf diesen Tisch zu Neujahr gelegt wird. Nur – ein Koran hat doch in einem christlichen Blatt nichts zu suchen, so empörten sich nicht wenige unserer Gemeindeglieder; und ich gestehe: Ich habe mich sogar darüber gefreut, dass sie dagegen protestiert haben. Denn sie wissen genau aus eigener Erfahrung: Bibel und Koran sind nicht einfach zwei auswechselbare „Heilige Bücher“; sondern Bibel und Koran sind in ihrem Inhalt unvereinbar miteinander. Und genau um dieses Thema soll es auch in den beiden Fastenpredigten dieses Jahres gehen: Was sind denn die beiden ganz entscheidenden Unterschiede zwischen Bibel und Koran? Und da soll es heute im ersten Teil um die Frage gehen: Ist  Jesus der Sohn Gottes?

Wir kennen ihn, den Ruf des Muezzins vom Minarett der Moschee, auch wenn wir den Inhalt nicht gleich verstehen mögen. Dabei ist er ganz einfach: Es gibt keinen Gott außer Gott, ruft der Muezzin, und was so banal klingen mag, ist in Wirklichkeit doch eine Kampfansage an den christlichen Glauben: Es gibt keinen Gott außer Gott – damit meint der Muezzin, damit meint auch der Koran: Gott hat keinen Sohn, kein Gegenüber in sich. Ja, dass Gott keinen Sohn hat und eben darum Jesus auch nicht der Sohn Gottes sein kann, ist letztlich das zentrale Thema des Koran überhaupt.
Einen positiven Dienst erweist uns der Islam mit diesem Insistieren darauf, dass Jesus nicht der Sohn Gottes ist. Er bewahrt uns davor, es für geradezu logisch oder selbstverständlich zu halten, dass der Mensch Jesus zugleich der Sohn Gottes ist, ja, dass wir diese Worte „Sohn Gottes“ überhaupt im Munde führen.
Wie unfasslich das ist, dass Jesus der Sohn Gottes ist, das machen die Schilderungen der vier Evangelien sehr eindrücklich deutlich: Im Judentum galt und gilt es bis heute, genau wie im Islam, als unmöglich, dass Gott selber einen Sohn haben kann. Entsprechend schildern auch die Evangelien, wie Jesus nicht gleich aufgetreten ist und allen Menschen direkt auf den Kopf zu gesagt hat: Schaut her, ich bin der Sohn Gottes. Sondern Jesus hat die Menschen in seiner Umgebung ganz behutsam dahin geführt, dass ihnen schließlich dieser für einen Juden letztlich kaum aussprechbare Satz über die Lippen gekommen ist: Jesus von Nazareth ist der Sohn Gottes.

Ein Beispiel dafür von ganz vielen haben wir gerade im Heiligen Evangelium des vergangenen Sonntags gehört: Da erzählt Jesus ein Gleichnis von einem Weinbergsbesitzer, der seinen Weinberg verpachtet hatte und schließlich durch Boten seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs abholen wollte. Doch die Boten wurden allesamt zurückgewiesen und zum Teil getötet. Da sendet der Weinbergsbesitzer am Ende seinen Sohn zu den Weingärtnern – doch statt dem Sohn zu geben, was ihm zusteht, töten sie am Ende auch ihn. Nein, Jesus sagt nicht: Schaut her, ich bin es, dieser Sohn des Weinbergbesitzers, ich bin es, der Sohn Gottes. Doch, so erklärt es St. Markus: Sie verstanden, dass er auf sie hin dieses Gleichnis gesagt hatte. Sie verstanden: Sie sind die Weingärtner – und vor ihnen steht er, der Sohn.

Anderes Beispiel: Da hält Jesus seine Bergpredigt. Nicht wenige sehen in ihr nur eine tiefgründige Moralpredigt. Doch in Wirklichkeit ist sie etwas ganz Anderes: Da zitiert Jesus das Gesetz des Alten Testaments – und dann lässt er die Worte folgen: „Ich aber sage euch.“ Jesus setzt diesem Gesetz sein eigenes Wort, seine eigene Weisung entgegen. Wer darf dies, wer darf so sprechen? – Nein, kein Mensch, sondern nur der Gesetzgeber selber, nur Gott selber. Nur dann können wir die Bergpredigt überhaupt verstehen, wenn wir begreifen: Hier spricht Gott selber in Person, in der Person Jesu, des Sohnes Gottes.

Die Gegner Jesu verstanden jedenfalls genau, was Jesus gemeint hatte. Und so stellen sie ihm in der Gerichtsverhandlung des Hohen Rates diese eine entscheidende Frage, so haben wir es eben in der Evangelienlesung gehört: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes.“ Und auf diese Frage hin spricht Jesus nun ganz klar aus, was Sache ist: „Du sagst es.“ Und wegen dieser Behauptung, der Sohn Gottes zu sein, wird Jesus dann auch vom Hohen Rat zum Tode verurteilt.

Dass Jesus der Sohn Gottes ist, wird also erst am Schluss des irdischen Lebensweges Jesu, in seinem Leiden, Sterben und Auferstehen deutlich. Besonders eindrücklich stellt dies St. Markus in seinem Evangelium dar: Der erste Mensch, der in seinem Evangelium die Worte in den Mund nimmt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, ist der Hauptmann unter dem Kreuz: Erst von seinem Kreuz und seiner Auferstehung her können wir Menschen letztlich erkennen und recht davon reden, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Erst von seinem Kreuz und seiner Auferstehung her konnten die Jünger damals begreifen, was Jesus zuvor ihnen gesagt und was er getan hatte, und erst von daher bekommen die Worte, dass Jesus der Sohn Gottes ist, auch für uns ihre wirkliche Bedeutung.
Es geht eben nicht bloß darum, dass auch für Jesus die Worte aus Schillers Ode an die Freude gelten: „Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.“ Nein, als Sohn Gottes erweist sich Jesus darin, dass er am Kreuz unsere Sünde auf sich nimmt und wegträgt und dass er in seiner Auferstehung den Tod besiegt. Wäre Jesus nur ein Prophet, nur ein vorbildlicher Mensch, ja, selbst, wenn er sündlos gewesen wäre, wie es selbst der Koran zugesteht, dann hätte sein Tod am Kreuz doch nur für ihn selber, nicht für uns Bedeutung haben können. Nur weil Gottes Sohn sein Leben in den Tod gibt, reicht dies, ist dies genug, um auch unsere Sünden zu vergeben, um auch uns zu retten. Und nur weil es Gottes Sohn ist, der den Tod besiegt, ist Ostern nicht bloß eine sensationelle Geschichte, die einem Menschen damals vor knapp 2000 Jahren noch ein paar zusätzliche Lebensjahre beschert hat. Nur weil Jesus Gottes Sohn ist, gilt seine Auferstehung auch für uns, können auch wir an seinem neuen Leben Anteil haben.

Umgekehrt gilt natürlich auch: Seit die Jünger ihn, den Auferstandenen sahen, gab es für sie keine Zweifel mehr: Jesus ist nicht bloß ein besonderer Mensch, er ist auch nicht bloß der Messias, so, wie sie ihn sich früher immer vorgestellt hatten. Wer er ist, kann man nur noch mit eben diesen Worten beschreiben: Jesus, der Sohn Gottes, er, der mit dem Vater so eng verbunden ist, dass er sagen kann, was die Jünger vor Ostern in ihrer Bedeutung gewiss noch gar nicht erfassen konnten: „Ich und der Vater sind eins.“

Jesus – der Sohn Gottes: Das heißt: Gott ist nicht fern von uns geblieben, er ist erkennbar geworden, hat sich festgelegt, wer er ist. Jesus – der Sohn Gottes: Das heißt: Ich kann Gott begegnen, auch jetzt noch, weil Jesus uns ein Versprechen gegeben hat, das kein anderer als Gott geben kann, dass er da, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, mitten unter ihnen sein will und wird.

Jesus – der Sohn Gottes: Diejenigen, die ihn, Jesus, selber noch gesehen und erlebt haben, bezeugen es uns einmütig, bezeugen dies als das entscheidende Ereignis schlechthin: „Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“, so beginnt der heilige Markus entsprechend sein Evangelium. Davon soll vor allem und zuerst die Rede sein, darauf läuft alles zu, was er zu berichten hat.

Der, der fast 600 Jahre später den Koran schrieb, hatte diesen Zugang zu Jesus nicht mehr. Wenn er bestritt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, bastelte er sich dafür sein eigenes Jesus-Bild zusammen, das mit dem Bild des historischen Jesus nichts mehr gemein hatte. Es war und ist ein Rückfall hinter das Neue, was Jesus mit seinem Kommen in diese Welt gebracht hat und was die Augen- und Ohrenzeugen Jesu berichten. Und das hat Konsequenzen: Wenn Jesus nicht der Sohn Gottes ist, dann bleibt Gott groß und fern, unberechenbar, dann bleibt es dabei, dass der Mensch den Weg zu Gott finden muss, weil Gott nicht den Weg zum Menschen gegangen ist, dann bleibt es dabei, dass der Mensch sich diesen Weg mit seinen guten Werken erarbeiten muss.

Wie gut, dass wir das Zeugnis derer haben, die dichter dran waren an Jesus, die stammelnd das Wunder beschrieben haben, das sie erfahren haben. Ja, wie gut, dass Jesus sich in ihrem Zeugnis selber zu erkennen gibt und zu uns spricht. Denn dieses Wort hat Kraft, so erleben wir es in jedem Gottesdienst. Dieses Wort hat die Kraft, Menschen dazu zu bewegen, auszusprechen, was doch eigentlich gar nicht ausgesprochen werden kann: Er ist, Jesus, der Sohn Gottes, der HERR. So sprechen wir es im Glaubensbekenntnis am Sonntag, so sprechen es die Täuflinge bei jeder Taufe – und so werden es einmal die Zungen aller bekennen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, ja, so wird es dann auch Mohammad einmal bekennen müssen: Jesus ist der HERR. Jesus selber ist Gott. Ja, dieses Bekenntnis wird auch dich retten, wird auch dich selig machen. Mach es darum wie Thomas: Fall vor ihm, Jesus, auf die Knie und sprich es dem Thomas nach: „Mein Herr und mein Gott.“ Amen.