01.12.2013 | Hebräer 10,19-25 | Erster Sonntag im Advent
Pfr. Dr. Gottfried Martens


Heute liegen im Kirchenvorraum wieder die neuen Pfarrbriefe aus. Viele dieser Pfarrbriefe werden heute mitgenommen werden. Einige werden sicher auch noch nächste Woche mitgenommen werden. Aber dann bleiben immer noch einige Briefe übrig, die über Wochen hinweg liegenblieben und nicht abgeholt werden. Wenn ich die Namen durchgehe, werde ich doch traurig, denn ich denke daran, wie begeistert so mancher am Anfang jede Woche im Gottesdienst mit dabei war, wie begeistert so mancher am Anfang vom christlichen Glauben war und sich freute, den Weg zu Christus gefunden zu haben. Doch nun hat so mancher anscheinend keine Zeit mehr für den Gottesdienst, keine Zeit mehr dafür, der Einladung von Jesus Christus zu folgen.

Im Augenblick sind es nur einige wenige, die mittlerweile unseren Gottesdiensten weitgehend fernbleiben. Doch die Predigtlesung des heutigen Sonntags macht uns deutlich, dass die Christen von Anfang an mit diesem Problem zu tun hatten, dass Menschen die gottesdienstlichen Versammlungen nach einer Weile wieder verlassen. Ja, begeistert gewesen waren auch die Christen damals in Italien, an die die Worte des Hebräerbriefs gerichtet sind, hatten sich mit großer Freude dem Evangelium von Jesus Christus zugewandt. Aber nun, da der Reiz des Neuen verflogen war, nun, da man sich Schwierigkeiten einhandelte, wenn man seinen christlichen Glauben weiter praktizierte, klinkte sich so mancher wieder aus, verschwand ganz allmählich oder auch ganz plötzlich aus dem Kreis derer, die zusammenkamen, um miteinander das Heilige Mahl zu feiern.

Eindringlich bemüht sich der Verfasser des Hebräerbriefs darum, diese Menschen zurückzugewinnen, sie wieder in die Gemeinschaft des Gottesdienstes zurückzurufen. Und was er den Christen damals in Italien schrieb, ist auch für uns heute fast 2000 Jahre später hier in Berlin, hier in unserer ganz besonderen Situation immer noch unglaublich aktuell. Gleich eine ganze Reihe von Argumenten führt der Verfasser des Hebräerbriefs hier an, um den Christen deutlich zu machen, wie wichtig es für sie ist, dranzubleiben an Christus, dranzubleiben am Heiligen Mahl:

Auf Christus verweist er hier zunächst einmal: Schaut doch auf Christus, schaut auf das, was er für euch getan hat, damit ihr überhaupt die Möglichkeit habt, euch Gott zu nähern, ja in seine Gegenwart zu kommen: Sein Leben hat Christus geopfert, hat sein Blut für dich vergossen, hat sich für dich zu Tode foltern lassen, nur damit du es so leicht hast, ohne Angst und Furcht Gott zu begegnen, in sein Heiligtum zu kommen! Christus hat sich nicht für dich ans Kreuz schlagen lassen, damit du am Sonntagmorgen im Bett liegen bleibst und ihm erklärst, das sei dir zu anstrengend, zu seinem großen Fest zu kommen. Christus hat nicht dafür sein Leben für dich in den Tod gegeben, damit er sich von dir anhören muss, du hättest für ihn leider im Augenblick keine Zeit, jetzt sei es erst einmal wichtiger für dich, genügend Geld zu verdienen! Ja, schau auf deinen Herrn und Heiland, schau auf seine Wunden, denke daran, wie sehr er dich liebt – und dann freu dich wieder neu darauf, jawohl, an jedem Sonntag, dass dieser Herr und Heiland dich erneut in seine Arme schließen will!

Und dann stellt der Verfasser des Hebräerbriefs den Christen damals und uns heute noch einmal neu vor Augen, worum es im Gottesdienst eigentlich geht: Der Gottesdienst ist doch keine Pflichtveranstaltung, die man einmal in der Woche abzusitzen hat, er ist doch keine mehr oder weniger gelungene Unterhaltungsshow eines bunt gekleideten Entertainers auf der Kanzel und am Altar, und er ist auch nicht bloß das lästige Vorspiel vor dem leckeren persischen Mittagessen. Sondern im Gottesdienst trittst du ein in den Himmel, in die Gegenwart des lebendigen Gottes. Das ist nicht selbstverständlich, dass du dies darfst, das ist immer wieder neu ein Wunder, dass du in der Gegenwart des lebendigen Gottes nicht vergehst, sondern aufatmen, strahlen darfst vor Freude. Eintreten darfst du in das Allerheiligste, dort, wo Gott ist, weil Gott selber dich reingewaschen hat in deiner Taufe, weil er all deine Sünde und Schuld von dir genommen hat und dich zu einem Menschen gemacht hat, der so ist, wie er ihn gerne haben will. Und so darfst du nun kommen, darfst dich ihm nähern, darfst den Leib und das Blut deines Heilands mit deinem Mund empfangen, berühren, in dich aufnehmen, mit ihm eins werden. Ahnst du wenigstens, was das bedeutet, ahnst du wenigstens, was das heißt, dass dir Christus diesen freien Zugang schenkt? Ja, wenn du es auch nur ahnst, wirst du keinen Gottesdienst verpassen wollen, wirst du es niemals missen wollen, einzutreten in den Himmel, den großen Advent deines Gottes hier und jetzt schon mitzuerleben.

Der Verfasser des Hebräerbriefs legt noch weiter nach: Erinnert euch doch an das Bekenntnis, das ihr bei eurer Taufe gesprochen habt! Da habt ihr euch doch losgesagt von allen Mächten, die euch von Christus trennen wollen, habt doch klar und deutlich erklärt, dass Christus allein euer Herr, eure Hoffnung, euer Leben ist! Haltet euch doch an das, was ihr einmal versprochen habt, lasst euch doch bloß nicht wieder von dem abbringen, was ihr so klar und eindeutig als wahr erkannt habt, tut das doch bloß nicht ab, als ob es bloß irgendein Gerede aus der Vergangenheit sei! Schließlich geht Christus umgekehrt so auch nicht mit euch um: Der sagt auch nicht: Was ich euch in der Taufe mal versprochen habe, das kümmert mich jetzt nicht mehr, das nehme ich jetzt nicht mehr so ernst. Nein, Christus steht zu seinem großen Versprechen, das er euch gegeben hat, wird dieses Versprechen niemals zurücknehmen und brechen. Tut ihr es darum bloß auch nicht!

Der Verfasser des Hebräerbriefs ist immer noch nicht fertig: Denkt daran, so schreibt er weiter, dass ihr doch nicht nur für euch selber Christen seid. Ihr seid doch eingebunden in eine Gemeinschaft, und in dieser Gemeinschaft werdet ihr gebraucht. Das merken die anderen, wenn ihr fehlt, die vermissen euch – ja, hoffentlich tun die das, hoffentlich ist das den anderen nicht egal, wenn ihr nicht mehr kommt! Das, Schwestern und Brüder, ist gerade hier für unsere Gemeinde eine große Herausforderung: Da kommen immer wieder so viele Neue dazu, dass man denken könnte: Da kommt es doch nicht darauf an, wenn der eine oder andere wieder wegbleibt! Oder vielleicht denkt mancher gar: Das ist vielleicht sogar ganz gut, wenn einige wieder wegbleiben, sonst wird das hier allmählich zu voll! Doch wer so denkt und redet, hat eben noch nicht verstanden, worum es in der Kirche, worum es im Gottesdienst geht: Es geht doch darum, dass Menschen zum ewigen Leben gerettet werden. Und da soll dann in der Tat keiner zurückbleiben, gibt es keinen, auf den wir verzichten könnten. Achthaben sollen wir aufeinander, schreibt der Hebräerbrief. Nein, damit ist nicht gemeint, dass wir uns hier gegenseitig kontrollieren und hintereinander her schnüffeln. Der Verfasser des Hebräerbriefs predigt hier nicht eine Form von sozialer Kontrolle, die aus der christlichen Gemeinschaft ein unsichtbares Gefängnis macht. Nein, um Liebe geht es vielmehr, so schreibt er hier. So liebevoll sollen wir miteinander umgehen, dass die anderen erst gar nicht auf die Idee kommen, eine solch liebevolle Gemeinschaft wieder zu verlassen. Ja, Gott geb’s, dass Menschen hier in unserer Mitte auch und gerade von solcher Liebe immer wieder etwas spüren können!

Und dann führt der Verfasser des Hebräerbriefs hier im wahrsten Sinne des Wortes noch ein Letztes an: Ihr seht doch, dass sich der Tag naht, schreibt er. Es ist doch Advent, wir gehen der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus entgegen. Unsere Blicke sollen jetzt in diesen Wochen der Adventszeit doch nicht auf irgendwelche Tannenbäume gerichtet sein, sondern darauf, dass wir jederzeit mit dem großen Tag, dem Kommen unseres Herrn Jesus Christus rechnen dürfen. Weil Christus kommt, können wir nicht so tun, als ob wir unsere Gottesdienstbesuche irgendwann einmal auf später verschieben könnten, wenn wir mal mehr Zeit haben sollten. Keiner von uns weiß, wie viel Zeit uns noch bleibt, unser Leben auf diesen großen letzten Tag auszurichten. Aber das eine dürfen wir wissen: Wer der ist, der da kommt: Derselbe Herr, der für uns sein Leben in den Tod gegeben hat. Nicht aus Angst vor seinem Kommen, sondern aus Freude über sein Kommen sollen und dürfen wir der Einladung unseres Herrn folgen, ihm schon jetzt und hier im Gottesdienst zu begegnen. Ja, wie gut, dass ihr heute mit dabei seid, wie gut, dass ihr verstanden habt, worum es hier im Gottesdienst geht! Gott geb’s, dass ich keinem von euch seinen Pfarrbrief jemals hinterherschicken muss! Gott geb’s, dass ihr immer mit dabei seid, wenn hier der Himmel auf die Erde kommt, ja, Gott geb’s vor allem, dass ihr einmal für immer mit dabei sein werdet, wenn Christus die letzte Tür öffnen wird und mit uns feiern wird – in alle Ewigkeit! Amen.