25.01.2012 | Galater 1,11-24 | Tag der Bekehrung des Apostels Paulus

„Wieso sollte mir der Paulus was zu sagen haben? Der Mann war nachgewiesenermaßen ein Frauenhasser und Choleriker, streitsüchtig, eingebildet und fanatisch. Von solch einem Typen lasse ich mir doch nicht sagen, was ich glauben soll!“

„Wieso sollte mir der Paulus was zu sagen haben? Ich respektiere es ja, dass er der Meinung war, er müsse seine persönlichen theologischen Auffassungen der ganzen Welt verkündigen. Aber es bleiben eben seine persönlichen Auffassungen, es bleibt seine ganz persönliche Wahrheit, die er da den Menschen verkündigt hat. Jeder Mensch hat eben seine eigene Meinung, seine eigene Wahrheit; das gilt für Paulus genauso wie für mich. Was für Paulus wahr war, braucht für mich noch längst nicht wahr zu sein. Wieso sollte ich mir daher von ihm sagen lassen, was ich glauben soll?“

„Wieso sollte mir ausgerechnet der Paulus was zu sagen haben? Ja, natürlich, einige seiner Briefe finden sich im Neuen Testament. Aber mir sagt doch eher zu, was Johannes schreibt. Die Theologie des Paulus ist mir dann doch ein bisschen zu steil, zu wenig vermittelnd.“

„Wieso sollte mir ausgerechnet der Paulus was zu sagen haben?“ Paulus selber würde auf diese Frage ganz einfach antworten: Weil die Botschaft, die ich verkündige, von Christus stammt, weil sie nicht Menschenwort, sondern Gotteswort ist und darum allerhöchste Autorität besitzt. Oder, mit den Worten unserer heutigen Predigtlesung: Das Evangelium, das ich euch verkündige, ist nicht von menschlicher Art.

Schwestern und Brüder: Wir merken, wie da gerade zwei Welten aufeinanderprallen, die sich in der Tat nur schwer, nein: gar nicht miteinander vermitteln lassen.

Wir sind es gewohnt, Aussagen, die Menschen machen, von der Person und der Persönlichkeit dessen her zu verstehen, der diese Aussage gemacht hat. Was Menschen äußern, das lässt sich verstehen und einordnen auf dem Hintergrund ihrer Biographie, ihrer Prägung, ihres ganz persönlichen Charakters. So versuchen wir dann, Menschen zu verstehen – entweder mit gebührender historischer Distanz oder, wenn uns das, was sie sagen, dann doch sehr nahekommt, so, dass wir auch unsere eigene emotionale Betroffenheit in unser Urteil einfließen lassen. Ja, natürlich kann man so auch mit den Aussagen des Apostels Paulus umgehen, keine Frage.

Wir leben darüber hinaus in einer postmodernen Welt. Und in dieser Welt gilt das unumstößliche Dogma, dass es keine Wahrheit gibt, die für alle Menschen gilt, sondern dass nur jeder Mensch seine eigene Wahrheit hat. Auf der Grundlage dieses Dogmas ist es völlig klar, dass Paulus mir erst einmal nichts zu sagen hat, dass ich höchstens selber entscheiden kann, ob ich den einen oder anderen Gedanken für mich übernehme, ihn auch zu meiner Wahrheit mache.

Und auch im kirchlichen Bereich sind wir nicht selten dazu geneigt, die Aussagen des Apostels Paulus als „Theologie“, eben als „paulinische Theologie“ zu verstehen und einzuordnen, als eine Glaubensäußerung neben anderen, die sich im Neuen Testament befinden. Wir sind geneigt, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Autoren des Neuen Testaments herauszuarbeiten und daraus zu folgern, wie könnten uns aus der Vielstimmigkeit der neutestamentlichen Autoren heraussuchen, was uns gefällt.

Doch bei all diesen Ansätzen bleibt einer immer draußen vor: Er, Christus, der auferstandene Herr. Der kommt in diesen Ansätzen höchstens vor als Gegenstand unserer frommen Gedanken, als Aufhänger für unseren eigenen, selbstgebastelten Glauben.

Und genau so war ich früher auch vorgegangen, so schreibt es nun der Apostel Paulus hier in den Versen unserer heutigen Predigtlesung: Mit aller Gewalt hatte ich versucht, diesen Jesus aus meinem Leben fernzuhalten, hatte alles unternommen, um auch andere davon abzuhalten, diesen Jesus als letzte Autorität ihres Lebens anzuerkennen. Denn was die, die an ihn glaubten, behaupteten, war doch geradezu ungeheuerlich: Sie behaupteten, dass Gott diesen Jesus von den Toten auferweckt habe. Und das war doch völlig ausgeschlossen: Dieser Jesus war doch nach dem Gesetz Gottes zum Tode verurteilt worden, weil er sich selber als Sohn Gottes bezeichnet hatte. Und auf diese Gotteslästerung stand nun mal die Todesstrafe. Wenn nun Gott diesen Jesus von den Toten auferweckt hätte, dann hätte er ihm damit ja Recht gegeben, hätte damit seinem eigenen Gesetz widersprochen, dann wäre dieser Jesus ja das Ende des Gesetzes. Und diesen Gedanken, den durfte man doch eigentlich noch nicht einmal denken.

Doch dann bricht mit einem Mal das für Paulus völlig Undenkbare, völlig Unmögliche in sein Leben hinein: Der auferstandene Christus begegnet ihm vor den Stadttoren von Damaskus, oder, wie Paulus selber es hier formuliert: Gott selber offenbart ihm, Paulus, seinen Sohn. Und von einem Augenblick auf den anderen ist für Paulus nichts mehr so wie vorher, bricht seine ganze bisherige Welt, sein ganzes bisheriges Denken zusammen, wird er mit einer Realität konfrontiert, die er zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte, und er erkennt: Christus lebt; er ist der Sohn Gottes, ja mehr noch: nicht die Einhaltung der Vorschriften des Gesetzes, sondern allein der Glaube an ihn ist der einzige Weg, der zu Gott führt. Und eben darum hat die Thora, das Gesetz des Alten Testaments, ihre Bedeutung für die Regulierung des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott verloren, ja, eben darum gilt die Botschaft von Christus nunmehr für alle Völker, für Juden und Nichtjuden gleichermaßen.

Wieso sollte mir der Paulus was zu sagen haben? Die Antwort auf diese Frage hängt ganz und gar davon ab, ob wir dem Paulus eben dies abnehmen, dass es tatsächlich Gott war, der ihn dort vor Damaskus seinen Sohn als den auferstandenen Herrn schauen ließ. Wenn wir dieses Damaskus-Erlebnis des Paulus nur als seine persönliche religiöse Erfahrung abtun, dann brauchen wir uns in der Tat von ihm, Paulus, nichts sagen zu lassen. Dann müssen wir aber auch so konsequent sein und zugeben, dass unser Glaube letztlich seinen Ursprung auch nur in uns, in unserer Entscheidung, in unserer Erfahrung hat. Dann bleibt die Welt, in der wir uns gedanklich befinden, geschlossen, dann bleibt uns nicht mehr als der Versuch, uns auf irgendeine Weise gedanklich oder emotional Gott zu nähern.

Wenn wir es aber dem Paulus abnehmen, dass es tatsächlich Christus war, der ihm dort vor Damaskus begegnet ist, dass es tatsächlich Christus war, der diesen Paulus mit all seinen menschlichen Macken und Eigenheiten, mit seiner ganz besonderen Biographie zu seinem Apostel, zu seinem Bevollmächtigten machte, dann bricht dieser Christus auch in unsere geschlossenen Vorstellungswelten hinein, mutet es uns zu, in dem Wort eines schwachen Menschen ihn selber zu hören, dieses von einem Menschen gesprochene Wort als Grund und Inhalt unseres Glaubens wahrzunehmen und anzuerkennen. Das können wir von uns aus gar nicht – so sehr mag uns, menschlich gesprochen, die Persönlichkeit des Paulus erst einmal irritieren, so sehr mag uns, menschlich gesprochen, seine Botschaft ganz gegen den Strich gehen: Dass wirklich nichts, aber auch gar nichts von uns abhängt, wenn es darum geht, dass wir gerettet werden, sondern dass er, Christus, allein nicht weniger als alles für uns tut. Nein, wir können von uns aus ihm, Christus, und seinem Evangelium gar nicht glauben. Sondern dass wir es dennoch tun, liegt daran, dass dieser auferstandene Christus auch uns begegnet ist – nicht so dramatisch, wie dem Paulus damals, aber doch so, dass er hineingekommen ist in unsere verschlossene Welt und uns den Glauben an ihn ermöglicht und geschenkt hat. Und in diesem Glauben sehen wir tatsächlich die Welt noch einmal mit anderen Augen, sehen, was anderen unmöglich erscheint: Dass das Wort eines vielleicht charakterlich nicht ganz einfachen Menschen dennoch das Wort des lebendigen Gottes sein kann; dass der auferstandene Christus die letzte und entscheidende Wahrheit für alle Menschen ist und dass in ihm auch die verschiedenen Zeugen des Neuen Testaments doch eins sind, weil es derselbe Christus ist, der durch sie alle miteinander redet.

Darum lassen wir uns von Paulus etwas sagen, nicht weil es Paulus ist, sondern weil es Christus ist, der ihm gesagt hat, was er sagen soll. Darum feiern wir den heutigen Tag der Bekehrung des Apostels Paulus, weil Christus in seiner Bekehrung deutlich gemacht hat, dass das Evangelium nicht der Ausfluss menschlicher religiöser Sehnsüchte ist, sondern die Kraft hat, sogar den Menschen zu überwinden, der sich ihm am heftigsten entgegengestellt hatte. Und eben darum dürfen wir darauf vertrauen: Dieses Evangelium hat die Kraft, auch uns immer wieder neu zu überwinden – und selig zu machen. Amen.