09.08.2012 | Epheser 5,15-20 | Do. nach dem 9. Sonntag nach Trinitatis

Manchmal wird einem in der Beschäftigung mit Fremdem noch einmal richtig deutlich, was man am Eigenen eigentlich hat. So ist es mir in dieser Woche wieder ergangen. Da hatte ich parallel zueinander im Persischen Taufunterricht über das Thema zu sprechen, was es eigentlich bedeutet, als Christ zu leben, worin sich das von dem unterscheidet, was der Islam zu sagen hat, und ich hatte mich in der Vorbereitung auf diesen Gottesdienst mit den Worten aus dem Epheserbrief zu befassen, die ich euch eben vorgelesen habe. Und da fingen diese Worte für mich noch einmal ganz neu an zu leuchten, ja, sie waren und sind im Grunde genommen genau die Antwort auf die Frage, was denn nun das Leben eines Christen ausmacht.

Bei dem, was der Apostel Paulus hier schreibt, fällt zunächst einmal auf, dass er keine Liste von Einzelanweisungen liefert, wie sich ein Christ in welcher Situation zu verhalten hat. Und das ist kein Zufall, sondern das ist von grundsätzlicher Bedeutung: Christen orientieren sich in ihren Lebensentscheidungen nicht daran, was irgendwelche religiösen Rechtsgelehrten als Anweisung für bestimmte Situationen im Leben veröffentlichen, sondern sie orientieren sich schlicht und einfach an dem Grunddatum ihrer Taufe in ihrem Leben. Da ist Christus der Herr ihres Lebens geworden, da hat Christus ihnen Freiheit und ein neues Leben geschenkt. Und seitdem dürfen sie, dürfen wir unser Leben mit anderen Augen sehen: Entscheidend ist nicht mehr, was alle anderen denken, ob sie gut finden, was wir sagen und tun. Entscheidend ist für uns einzig und allein der Wille des Herrn, der mit seinem Tod am Kreuz alle Schuld und alles Versagen unseres Lebens auf sich genommen hat. Ja, mehr noch: Dieser Herr hat uns in unserer Taufe seinen Geist geschenkt, und dieser Geist des Herrn, der hilft uns, weise und nicht unweise zu leben, nicht unverständig, sondern verständig, wie es Paulus hier formuliert. Aber was dieses weise, verständige Leben im Einzelnen bedeutet, darüber sagt Paulus hier nicht sehr viel, vertraut darauf, dass wir als Christen einen Kompass geschenkt bekommen haben, der uns hilft, auf dem Weg zu bleiben, auf den uns Christus in unserer Taufe gestellt hat.

„Kauft die Zeit aus, denn es ist böse Zeit“, schreibt der Apostel weiterhin. Auch das ist kennzeichnend für das Leben eines Christen, dass wir als Christen wissen, dass wir einem Ziel entgegengehen, auf das wir uns jetzt schon von Herzen freuen dürfen. Es wird nicht immer alles so weiterlaufen wie bisher, und wir brauchen erst recht nicht zu resignieren oder frustriert das Handtuch zu werfen, weil ja doch alles keinen Zweck hat, weil es sich ja doch nicht lohnt, für Christus und seinen Willen in dieser Welt einzutreten. Gewiss, jetzt ist böse Zeit, so formuliert es der Apostel hier. Wer glaubt, mit seinem Einsatz diese Welt in ein Paradies verwandeln zu können, der wird notwendigerweise scheitern und sich seinen Frust abholen, wenn er denn in seinem Eifer nicht gleich anfängt, auf seine Weise die Welt in eine Hölle zu verwandeln. Seien wir nicht überrascht, wenn Menschen auf die Verkündigung der biblischen Botschaft mit Ablehnung, Gleichgültigkeit oder Empörung reagieren. Es ist und bleibt böse Zeit, in der auch wir heute leben. Und doch ruft der Apostel die Christen nicht dazu auf, sich zurückzuziehen von dieser bösen Welt. Im Gegenteil: Er ruft die Christen dazu auf, die Zeit, die uns bis zum Kommen unseres Herrn noch bleibt, zu nutzen, sie auszukaufen, zu leben in der Gewissheit, dass jeder Tag, der uns noch bleibt, ein Geschenk Gottes ist, das wir nutzen sollen, um Menschen mit Gottes guter Botschaft zu erreichen, um unseren Glauben im liebevollen Umgang mit anderen Menschen, auch mit solchen, die uns das Leben schwer machen, zu bewähren. Nutzt die Zeit, die euch bleibt, vertrödelt sie nicht, dazu ist die Botschaft, die uns anvertraut ist, zu wunderbar, zu kostbar, als dass wir sie einfach vertun könnten!

Doch dann wird der Apostel mit einem Mal erstaunlich konkret: „Sauft euch nicht voll Wein“, schreibt er den Christen in Ephesus und in anderen Städten Kleinasiens. Wird an dieser Stelle der Apostel also doch zum Moralapostel, bedient er hier also doch wieder das Klischee, dass Religion ja nur dazu da ist, den Leuten den Spaß am Leben zu vermiesen?

O nein, all dies ist gerade nicht der Fall. Der Apostel verbietet uns Christen nicht das Trinken von Wein oder Alkohol überhaupt; wir haben keine Speise- oder Trinkgesetze wie der Islam. Und der Apostel fängt auch nicht an, hier irgendwelche Regeln aufzustellen: Zwei Gläser Wein sind in Ordnung, drei nicht mehr, Wein geht, Wodka nicht, Bier vielleicht. Sondern der Apostel argumentiert konsequent von unserer Taufe, von unserer uns dort geschenkten Freiheit her: Auch und gerade beim Trinken von Alkohol sollen wir darauf achten, dass wir freie Menschen bleiben, dass wir nicht abhängig werden, dass wir nicht den Alkohol die Kontrolle über unser Leben gewinnen lassen, dass wir selber gar nicht mehr wissen, was wir eigentlich tun. Wer sich von Alkohol oder von anderen Drogen beherrschen lässt, der gibt damit die Freiheit eines Christenmenschen auf – und davor warnt der Apostel in der Tat, und diese Warnung ist bis heute auch für uns ganz aktuell, dass auch wir uns immer wieder fragen sollen, wovon wir möglicherweise abhängig sind, ob es da auch in unserem Leben Dinge gibt, die uns so beherrschen, dass wir die Kontrolle über uns, über unser Verhalten verlieren.

Der Apostel nennt uns zugleich auch die entscheidende Hilfe, die wir brauchen, um als freie Menschen unser Leben führen zu können: Es ist der Gottesdienst, in dem uns Christus immer wieder mit seinen Gaben beschenkt. Es ist der Gottesdienst, in dem wir immer wieder Christus als unseren Herrn loben und preisen, der Gottesdienst, in dem wir gerade auch mit unseren Liedern und Gesängen einander ermuntern und stärken, bei Christus zu bleiben und unser Leben ganz durch ihn bestimmen zu lassen. Es ist der Gottesdienst, in dem wir immer wieder neu die Danksagung, auf Griechisch: die Eucharistie, einüben, in dem wir immer wieder auf das schauen, was Gott für uns getan hat und uns schenkt. Das schenkt uns zugleich eine andere Blickrichtung für unser Leben, das lässt uns unsere Umgebung mit anderen Augen wahrnehmen, wenn wir dies hier im Gottesdienst immer wieder trainieren, Gott für alles zu danken, eben nicht bloß für das, was uns unmittelbar Freude und Spaß bereitet, sondern gerade auch für das Schwere, für das, was wir nicht gleich verstehen können. Ja, Dankbarkeit, das ist schon ein entscheidend wichtiges Kennzeichen unseres Lebens als Christen im Alltag, Dankbarkeit, die darum weiß, dass Gott unser Vater ist, der uns am Ende doch alles zum Besten dienen lässt. Und eben darum ist der Gottesdienst für uns Christen nicht bloß eine Nische, in die wir uns aus dieser Welt flüchten, sondern er leitet uns gerade umgekehrt dazu an, in unserem Alltag als Christen erkennbar zu leben. Wie das im Einzelnen aussieht, das kann bei einem jeden von uns wieder seine ganz eigene Gestalt gewinnen. Aber was wir tun, wird in jedem Fall im Einklang stehen mit dem, was wir hier im Gottesdienst hören, singen und bekennen, ja, was uns hier immer wieder von neuem prägt.

Schwestern und Brüder: Gott geb’s, dass auch wir dies immer wieder wahrnehmen, dass das keine Schwäche, sondern eine Stärke unseres christlichen Glaubens ist, dass wir nicht für jede Lebenslage eine Anweisung haben. Es bleibt doch dabei: Zur Freiheit hat uns Christus befreit, jawohl, in unserer Taufe. Ja, schaut darauf immer wieder, und zwar ganz sorgfältig! Amen.