30.11.2012 | Römer 10,9-18 | Tag des Apostels St. Andreas

Wer prominente Politiker einmal aus der Nähe erleben wollte, konnte dies im Frühjahr letzten Jahres in der St. Matthäus-Kirche hier in Berlin tun. Dort hielten nämlich in der Osterzeit zahlreiche bekannte Politikerpersönlichkeiten jeweils die Predigt im Sonntagsgottesdienst: Wolfgang Schäuble von der CDU predigte dort ebenso wie Hubertus Heil von der SPD, Rebecca Harms von den Grünen ebenso wie Hermann Otto Solms von der FDP. Wäre das nicht eine Anregung für unsere Gemeinde, neue Zielgruppen für unsere Gemeinde zu werben, mal ein wenig Pep in unsere Gottesdienste zu bringen, statt sich immer nur mit dem gleichen langweiligen Bodenpersonal Gottes hier auf der Kanzel zu begnügen? Wie wäre es, wenn wir es fertigbrächten, Horst Seehofer und Claudia Roth, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Frank-Walter Steinmeier hier auf unsere Kanzel zu bekommen? Das wäre doch der Knaller, oder?

Schwestern und Brüder: Ich merke an euren Gesichtern, dass ich mit diesem Vorschlag bei euch wohl doch keine ganz großen Begeisterungsstürme auszulösen vermag. Und darüber bin ich auch froh. Denn es hat seinen guten Grund, dass wir in unserer Kirche und Gemeinde keine Politiker auf die Kanzel lassen, ganz gleich, welcher politischen Partei sie auch angehören mögen. Und dieser gute Grund, ja diese guten Gründe werden uns in der Epistel des heutigen Aposteltages von keinem Geringeren als dem Apostel Paulus selber klar und deutlich vor Augen gestellt:
Von der Predigt spricht der Apostel hier – und macht dabei gleich deutlich, dass eine Predigt etwas völlig Anderes ist als eine Kanzelrede. Es geht in einer Predigt nicht darum, dass ein Redner seine persönlichen Ansichten zu einem bestimmten Thema kundtut. Es geht in einer Predigt auch nicht darum, dass der Prediger seine religiösen Ansichten zum Besten gibt und damit dem anwesenden Publikum den einen oder anderen geistlichen Gedankenanstoß liefert. Der Prediger redet nicht im eigenen Namen – er hat im Gegenteil nur eine Aufgabe: Weiterzusagen, was ihm zu reden befohlen ist. Und dafür braucht man einen klaren Auftrag, mit den Worten des Apostels: „Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden?“ Wer nicht von Christus selber gesandt und beauftragt ist, der hat auf einer Kanzel nichts zu suchen, und wenn er noch so ein netter Mensch ist und möglicherweise auch viele kluge Dinge zu sagen hat und vielleicht sogar auch noch sehr unterhaltsam zu reden weiß. Worauf es ankommt, ist allein die Sendung durch Christus, die der Apostel Paulus damals vor den Stadttoren von Damaskus erfuhr, die der heilige Andreas am See von Genezareth erfuhr und die noch heute Menschen zuteil wird, wenn derselbe Christus ihnen die Hände auflegt in der Heiligen Ordination.

Von Christus gesandt zu sein, das ist kein Privileg, nichts, worauf derjenige, der gesandt wird, stolz sein könnte. Es ist einzig und allein eine Verpflichtung, ja, eine Verpflichtung, die nicht selten auch zu einer schweren Last werden kann. Denn gesandt zu sein, das bedeutet ja: Rechenschaft ablegen zu müssen für alles, was man im Namen des Sendenden redet und tut. Wenn ich hier vor euch auf der Kanzel stehe, dann kann ich es nur so tun, dass ich mit dem Anspruch auftrete, dass das Wort, das ich rede, Christi Wort ist und nicht weniger: „Wer euch hört, der hört mich“, so spricht es Christus denen, die er aussendet, zu. Doch dabei soll ich immer zugleich auch daran denken, dass Christus mich eben danach einmal fragen wird, ob ich denn nun wirklich sein Wort und nicht vielleicht doch mein eigenes Wort ausgerichtet habe. Eben damit ruft mich Christus immer und immer wieder zurück zu sich, stellt mir immer wieder vor Augen, was Paulus hier so eindrücklich formuliert: Das Predigen geschieht durch das Wort Christi.

Dass der, der da vor euch auf der Kanzel steht, tatsächlich von Christus selber gesandt ist, dass sein Wort Christi Wort ist, dient also nicht zur Erhöhung dessen, der da spricht, sondern dient ganz und gar zu eurem Trost. Menschlich gesprochen mag das oft ziemlich mickrig sein, was ihr aus meinem Mund, aus dem Mund von Pastoren überhaupt zu hören bekommt. Es mag keinen sonderlichen Unterhaltungswert haben und nach eurem Empfinden ohnehin auch viel zu lang sein. Doch in diesem mickrigen Wort spricht doch kein Geringerer als Christus, euer Herr, zu euch, um euch zu warnen und zu trösten, um Schuld aufzudecken und euch Gottes Versöhnung zuzusprechen. Ja, eine Freudenbotschaft verkündigen euch die, die Christus zu euch gesandt hat, eine Freudenbotschaft, die nicht nur ein paar menschliche Nettigkeiten beinhaltet, sondern die euch Christus bringt, sein Heil, seine Vergebung.

Und damit sind wir schon beim Anderen, was eine Predigt von einer religiös-politischen Kanzelrede unterscheidet: Sie zielt auf Glauben, nein, nicht bloß auf einen allgemeinen Glauben an Gott, nicht bloß auf ein religiöses Wohlbefinden, sondern sie zielt ganz konkret auf den Glauben an Jesus Christus als den Herrn, als den wahren Gott, den Gott, sein Vater, von den Toten auferweckt hat. Ach, was sage ich: eine Predigt in der Vollmacht Christi zielt nicht bloß auf solchen Glauben an Christus, sondern sie wirkt ihn auch – die Predigt, wohlgemerkt, nicht der Prediger. „So kommt der Glaube aus der Predigt“, so formuliert es der Apostel hier.

Und dieser Glaube ist nicht einfach bloß die schönste Nebensache der Welt, sondern dieser Glaube an Christus, der rettet aus Gottes Gericht, der macht selig, so betont es St. Paulus hier: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“ Um nicht weniger als um die Rettung, um die ewige Seligkeit geht es in jeder Predigt, die im Auftrag Christi und in seiner Vollmacht geschieht. Da wird uns immer wieder dieser Glaube an Christus, den lebendigen, auferstandenen Herrn, ins Herz gelegt, da werden wir immer wieder dazu bevollmächtigt, das Glaubensbekenntnis der Kirche auch als unser eigenes Glaubensbekenntnis zu sprechen.

Und eben darum spielt man nicht mit der Predigt. Das ist nicht nett oder witzig, wenn einer Gemeinde im Gottesdienst statt der Botschaft von ihrer Rettung durch Christus ein bisschen religiös-politische Moral präsentiert wird. Die Predigt ist ein Gnadenmittel, ein Mittel, durch das Gott Menschen selig machen will, und keine Spielwiese für einen Markt unterschiedlicher menschlicher Meinungen. Gewiss, kein Prediger hat es in der Hand, dass die Botschaft, die er im Auftrag Christi verkündigt, auch tatsächlich bei seinen Zuhörern Glauben wirkt. Das wusste schon der Apostel Paulus, dass nicht alle dem Evangelium gehorsam sind, dass es immer Menschen geben wird, die sich der Christusbotschaft verweigern. An Zustimmungsquoten und dem Grad menschlicher Begeisterung über das Gehörte kann man also wahrlich nicht ablesen, ob eine Predigt eine gute Predigt gewesen ist, also eine, die in der Treue zu Christus und seiner Sendung verkündigt worden ist. Christus wird die, die er in seinen Dienst gerufen hat, am Ende nicht danach fragen, wie erfolgreich sie mit ihrer Verkündigung gewesen sind, sondern einzig und allein, ob es sein Wort war, das sie ausgerichtet haben.

Schwestern und Brüder: Dass Christus Menschen ausgerechnet durch das Hören der Predigt selig machen will, mag uns in unserer heutigen Zeit, in der wir Dinge immer mehr durch das Sehen statt durch das Hören wahrnehmen und aufnehmen, als eine immer anstößigere Behauptung erscheinen. Wir kennen diese Versuchung wohl alle miteinander, eine Predigt vor allem danach zu beurteilen, ob der Pastor möglichst bald nach der Einleitung auch zum Amen übergeht. Doch Paulus will uns heute Abend wieder neu Lust zum Predigthören machen. Denke doch daran, so ruft er es uns zu: Es ist Christi Stimme, die du hier hörst, gewiss verborgen in der Stimme eines schwachen Menschen. Und doch redet darin Christus zu dir, hat nur dies eine Ziel, auch heute Abend: dich zu retten, dich selig zu machen. Gott geb’s, dass ihr beim Hören der Predigt immer weniger auf den schaut, der euch die Botschaft überbringt, und stattdessen immer deutlicher darin die Stimme des guten Hirten selber vernehmt, die euch selig macht. Ja, hör, was er auch jetzt wieder zu dir sagt: Wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden! Amen.