23.12.2012 | St. Johannes 1,19-28 | 4. Sonntag im Advent

Es ist gerade einmal vier Jahre her, da herrschte hier in Deutschland eine allgemeine Euphorie: Ein neuer amerikanischer Präsident war gewählt worden, Barack Obama, mit dessen Wahl man geradezu messianische Erwartungen verband: Mit ihm würde nun ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit nicht nur in den USA, sondern weltweit anbrechen. Doch vier Jahre später ist diese Obamania auch hier in unserem Land gewaltig abgeflaut. Gewiss besitzt der amerikanische Präsident hier immer noch mehr Sympathien als in seinem Heimatland; doch dass er nicht als Messias taugt, das hat sich mittlerweile auch über den Atlantik herumgesprochen.

Ja, so sind wir Menschen, ganz besonders in unserer heutigen Zeit: Wir jubeln Menschen als Hoffnungsträger hoch, verbinden mit ihnen hochtrabende Erwartungen – und sind dann immer wieder von Neuem darüber enttäuscht, wenn diese Menschen die Erwartungen dann doch nicht erfüllen, die wir an sie gerichtet haben. Und doch bleibt unsere Neigung ungebrochen, mehr noch als auf Programme und Inhalte auf Personen zu schielen, von ihnen etwa Wahlentscheidungen abhängig zu machen – in der Politik oft ebenso wie in der Kirche.

Eine geradezu messianische Euphorie herrschte auch damals in Quellhausen am Jordan, auf Hebräisch Betanien, einem kleinen Ort nicht weit entfernt von Qumran, nicht weit entfernt von der Stelle, an der einst der Prophet Elia gen Himmel gefahren war. Da war ein Prediger aufgetreten, der doch sehr an den Propheten Elia erinnerte, ja, der die Menschen mit seiner Verkündigung so mitzureißen vermochte, dass sich die Kunde immer weiter verbreitete, dieser Prediger in der Wüste sei möglicherweise gar der kommende Messias, auf den Israel nun schon so lange so sehnsüchtig wartete.

Und genau das löste bei der Religionsbehörde in Jerusalem nun doch einige Unruhe aus: Da laufen die Leute in Scharen in die Wüste an den Jordan zu einem Mann, mit dem sie offenbar ganz große Hoffnungen verbinden, ja, den einige ganz offen für den Messias halten. Da müssen wir doch mal nachfragen, was es damit auf sich hat. Und so trifft eine Untersuchungskommission von Priestern und Leviten bei Johannes am Jordan ein und stellt ihm ganz offiziell die eine entscheidende Frage: „Wer bist du?“ Und Johannes weiß natürlich gleich, worauf die Herren da hinauswollen und antwortet ganz klar und eindeutig: Ich bin nicht der Christus, ich bin nicht der Messias. Nein, ich bin auch nicht Elia oder der große Prophet, den man im Judentum vor dem großen Tag Gottes erwartet; ich bin einfach nur die Stimme eines Predigers in der Wüste. Ich selber bin gar nicht wichtig; wichtig ist allein der, der nach mir kommt, auf den ich hinweise.

„Ich bin nicht der Christus“ – werbestrategisch war das nicht sehr geschickt, was der Johannes hier macht und sagt. Denn nach dieser klaren Ansage musste er damit rechnen, dass der Zustrom der Massen zu ihm an den Jordan bald nachlassen würde. Werbestrategisch wäre es allemal geschickter gewesen, die Antwort ein wenig offener zu formulieren – so, dass die Leute mehr Möglichkeiten gehabt hätten, ihre Wünsche und Hoffnungen auf ihn zu projizieren. Damit hätte er mit Sicherheit mehr Erfolg gehabt, hätte es mit Sicherheit geschafft, die anströmenden Massen fester an seine Person zu binden. Doch genau das will Johannes eben nicht. Wie sollte er sich um seinen persönlichen Erfolg Gedanken machen, wo doch der schon bereit steht, der nach ihm kommt und im Vergleich zu dem er es noch nicht einmal wert ist, ihm die Schuhriemen zu lösen?

„Ich bin nicht der Christus!“ – Was für eine tröstliche, was für eine hochaktuelle Nachricht ist das auch heute noch für uns in ganz vielfältiger Weise!

Natürlich ist das heute nicht mehr Johannes der Täufer, auf den wir unsere Hoffnungen und Sehnsüchte projizieren. Aber dass wir von Menschen erwarten, was doch allein der eine wahre Christus leisten kann, das kennen wir doch wohl auch bei uns.

Fangen wir ruhig mal bei uns in der Kirche an. Die Versuchung gibt es ja auf beiden Seiten: Da ist auf der einen Seite der Pastor: Dem geht es natürlich darum, dass die Menschen, die ihm in der Gemeinde anvertraut sind, selig werden. Ja, dem geht es natürlich auch darum, dass auch möglichst viele Menschen, die noch nicht zur Gemeinde gehören, selig werden. Und dann versucht er, hinter den Leuten herzulaufen, die den Kontakt zur Gemeinde, zum Heiligen Abendmahl zu verlieren drohen. Dann versucht er, was ihm möglich ist, Menschen zu Christus zu führen und sie bei ihm, in seiner Gemeinschaft zu halten. Das ist ja auch alles nicht unbedingt falsch. Aber als Pastor stößt man in dieser Arbeit eben immer wieder relativ bald an seine Grenzen: Da habe ich den Konfirmanden zwei Jahre lang nahezubringen versucht, wie wichtig es ist, bei Christus zu bleiben. Und am Ende frage ich mich dann doch bei so manchem, was dieser ganze Konfirmandenunterricht wohl eigentlich bei ihm gebracht hat. Da habe ich versucht, Jugendlichen immer wieder die Kirche, den Gottesdienst, das Heilige Abendmahl lieb zu machen – aber dann muss ich feststellen, wie schnell viele von ihnen dann doch von all dem nach ihrer Konfirmation nichts mehr wissen wollen, vielleicht noch nicht einmal Lust haben, noch bei irgendwelchen Jugendfahrten mitzumachen. Da habe ich Gemeindeglieder so oft besucht, sie immer wieder eingeladen zur Kirche, zu Christus, zum Heiligen Mahl. Und sie hatten mir immer wieder auch versprochen zu kommen – aber passiert ist am Ende doch gar nichts. Das kann ganz schön frustrieren, ja da stellt man sich dann immer wieder auch die Frage: Hat das alles denn überhaupt noch Zweck? Ich erreiche ja doch nichts! Wie gut, dass der Johannes es mir und uns allen hier so deutlich macht: Ich bin nicht der Christus, und du, Pastor, bist es auch nicht! Auch du bist nicht mehr als die Stimme eines Predigers in der Wüste. Deine Aufgabe ist, auf den Christus hinzuweisen, und dabei stehst du in der Tat oft genug in der Wüste. Stimme eines Predigers bist du, mehr nicht. Du kannst tatsächlich nicht mehr, als einzuladen, auf Christus hinzuweisen. Du bist nicht der Christus, überfordere dich nicht selber mit deinen Erwartungen, mit deinen Ansprüchen an dich. Richte die Botschaft aus – wer sich ihr verweigert, wird dies selber zu verantworten haben.

Doch die Versuchung besteht eben auch auf der anderen Seite, auf der Seite der Gemeinde. Ja, diese Versuchung gibt es, den eigenen Glauben an die Person des Predigers, des Verkündigers zu binden, so, als ob es eben doch wichtig wäre, wer es denn ist, der euch das Wort Gottes verkündigt, so, als ob es nicht reichen würde, dass da einer steht, der Stimme eines Predigers in der Wüste ist, mehr nicht. Herr Pastor, wenn Sie hier weggingen, würde die halbe Gemeinde wegbleiben, würde die Gemeinde zusammenbrechen. Furchtbar wäre das, wenn das stimmen würde, furchtbar wäre es, wenn ich mir vorwerfen lassen müsste, dagegen nicht genügend unternommen zu haben. Nein, ich bin nicht der Christus. Von mir hängt nichts ab. Ich kann bei keinem von euch den Glauben wirken, ich kann keinen von euch selig machen. Stimme eines Predigers bin ich, mehr nicht. Erwartet darum nicht von mir, was ihr allein von Christus erwarten dürft, kommt ja nicht auf die Idee, ihr würdet zu mir und nicht zu Christus sonntags in den Gottesdienst kommen! Und erwartet von mir bitte auch nicht, dass ich an der Allgegenwart Christi Anteil habe. Nein, ich schaffe es nicht, noch nicht einmal ansatzweise, all die Wünsche und Hoffnungen und Bedürfnisse zu erfüllen, die ihr an mich richten mögt. Das schafft auch Pastor Büttner nicht, das schaffen wir auch zusammen nicht. Wir sind nicht Christus. Wir sind Stimme eines Predigers, wir möchten euch auf Christus weisen, möchten euch ganz groß machen, dass ihr durch ihn allein selig werdet. Schaut darum bitte nicht auf uns, schaut allein auf den, der tatsächlich der Christus ist!

„Ich bin nicht der Christus!“ – Was Johannes hier sagt, das entlastet. Das entlastet uns nicht nur im Miteinander hier in der Gemeinde, das kann auch einen jeden von euch entlasten.
Da steht nun wieder Weihnachten vor der Tür. Ja, natürlich freuen sich viele von uns auf dieses Fest. Aber da ist zugleich bei vielen auch diese Angst: Werde ich das alles auch so schaffen, dass es für alle Beteiligten richtig schön wird? Werden wir es schaffen, dass alle, mit denen wir feiern, glücklich und friedlich zusammen sind? Werden wir es schaffen, wenigstens zu Weihnachten ein Stück Paradies auf Erden zu verwirklichen? Und wenn nicht – was dann?

„Ich bin nicht der Christus!“ Liebe Schwester, lieber Bruder, sage dir dies gerade in diesen Tagen immer wieder ganz bewusst. Du kannst nicht hier das Paradies auf Erden schaffen, noch nicht einmal in deiner Familie, und wir alle zusammen können auch nicht schaffen, was allein der wahre Christus zu schaffen vermag. Überfordern wir uns darum bloß nicht selber mit den Erwartungen, die wir an uns und an andere richten und die am Ende doch immer wieder nur in Enttäuschungen umschlagen! Wir sind keine Heilsbringer. Heil bringt nur der eine, dessen Geburt doch der eigentliche Inhalt dieses kommenden Weihnachtsfestes ist.

Gewiss, er, der wahre Messias, der wahre Christus, erfüllt auch nicht einfach unsere Wünsche und Erwartungen. Er legt es nicht darauf an, sich bei uns beliebt zu machen. Ihm geht es nicht um Spitzenwerte bei den Meinungsumfragen. Und doch ist er es, der von Gott gesandte Retter, der besser weiß als du selber, was du wirklich brauchst: Vergebung deiner Schuld und ewiges Leben. Dazu ist er in die Welt gekommen – nicht um sich bejubeln zu lassen, sondern um unser Menschenschicksal zu teilen, ja um sich für dich und für mich ans Kreuz nageln zu lassen, damit uns unsere Schuld nicht mehr von Gott trennt. Das konnte und kann nur er – und wir, wir können auf ihn, den Gekreuzigten, immer wieder nur hinweisen, unseren Blick ganz auf ihn lenken lassen.

Gewiss, auch heute noch übersehen ihn so viele, die ihre Hoffnungen auf andere Heilsbringer, auf andere Messiasse setzen. Hören wir darum, was Johannes schon damals bezeugte und was heute genauso gilt wie damals auch: Er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Während so viele Menschen in diesen Tagen auch hier in dieser Stadt Weihnachten feiern und gar keine Ahnung mehr haben, um wen es da eigentlich geht, tritt er nun auch jetzt wieder in unsere Mitte, verborgen in einem Stück Brot und einem Schluck Wein – ganz anders, als die Massen es sich wünschen und es von einem Messias erwarten. Und doch ist er es, er, vor dem auch wir nur auf die Knie sinken können, im Vergleich zu dem wir es noch nicht einmal wert sind, ihm die Schuhriemen zu lösen. Und er, der eine, der wahre Messias, er kommt, lässt sich uns in den Mund legen, um uns Anteil zu geben an seinem Paradies. Was er verspricht, das hält er auch, das wird er niemals enttäuschen. Übersieh ihn darum bloß nicht, den wahren Messias, begnüge dich nicht mit Tannenbaum, Weihnachtsgans und Familienfeier. Das macht dich nicht selig. Hör auf ihn, Johannes, und komm, denn siehe, er ist mitten unter euch getreten: das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt! Amen.