24.12.2012 | Hesekiel | Heilige Christnacht

HEILIGE CHRISTNACHT – 24. DEZEMBER 2012 – PREDIGT ÜBER HESEKIEL 37,24-28

Wie bringt man Menschen, die in ihrem Leben noch nie Weihnachten gefeiert haben, eigentlich bei, wie man Weihnachten feiert, ja, wie wir Christen Weihnachten feiern? Das ist eine Frage, vor die ich mich in diesem Jahr in ganz besonderer Weise gestellt sah. Da sind in diesem Jahr viele Menschen in unsere Gemeinde gekommen, die in ihrem Leben tatsächlich noch nie eine Weihnachtsfeier miterlebt haben, die bisher höchstens vielleicht etwas vom Coca Cola-Weihnachtsmann und Jingle Bells aus dem Radio vernommen hatten. Ja, wie soll man diesen Menschen nun zeigen, wie wir als Christen wirklich Weihnachten feiern?

Schwestern und Brüder: Als ich darüber nachgedacht habe, ist mir wieder neu aufgegangen, wie wichtig für unsere Weihnachtsfeiern eigentlich ein Zuhause ist. Gewiss, wir müssen in diesem Kreis nicht weiter erläutern, dass Weihnachten natürlich ganz wesentlich auch mit der Kirche, mit den Gottesdiensten zu tun hat, das wir feiern. Aber es lässt sich eben doch nicht bestreiten, dass wir Weihnachten auch als Christen ganz wesentlich zu Hause feiern, dort, wo wir unser Zuhause haben. Und darum setzen sich kurz vor Weihnachten wie einst Maria und Josef auch heute unzählige Menschen in Bewegung, um zu Weihnachten dort zu sein, wo sie herstammen, wo sie ihrem Gefühl nach hingehören, auch wenn sie eigentlich in ihrem Alltag längst ganz woanders angekommen sind. Aber Weihnachten geht es ab nach Hause – und umso schmerzlicher ist es für diejenigen, die das nicht können, die Weihnachten nicht zu Hause sein können oder gar kein Zuhause haben, in dem sie Weihnachten feiern könnten.

Eigentlich hätten wir heute Abend unsere neuen Gemeindeglieder alle zu uns nach Hause einladen müssen, um sie etwas davon erfahren zu lassen, was es bedeutet, Weihnachten hier in Deutschland als Christ zu feiern. Aber wir wissen, dass wir das bei über hundert Kandidaten einfach nicht schaffen konnten – und abgesehen davon tun wir uns zumeist ohnehin schwer damit, ausgerechnet am Heiligen Abend den vertrauten Kreis durch uns zunächst unbekannte Menschen zu erweitern. Und so werden unsere neuen Gemeindeglieder wohl auch nach diesem Christfest nur sehr begrenzt nachvollziehen können, was für uns zu Weihnachten alles so mitschwingt, werden sich schwer damit tun, nun gerade zu Weihnachten zu erfahren, was es bedeutet, zu Hause zu sein.

So ähnlich muss es damals wohl auch den Israeliten im babylonischen Exil ergangen sein: Da war nichts mit Weihnachtsstimmung, mit heimeligem Zuhause. Weit weg waren sie von ihrer Heimat, hatten scheinbar nicht die geringste Chance, wieder dorthin zurückzukehren. Doch nun dürfen sie mit einem Mal eine Weihnachtsbotschaft der ganz besonderen Art vernehmen: Der Prophet Hesekiel verkündigt es ihnen im Auftrag Gottes: „Sie sollen wieder in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, in dem eure Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer.“ Was für eine Perspektive: „Driving home for Christmas“, es rückt in greifbare Nähe!

Doch was Hesekiel hier ankündigt, ist nicht einfach bloß ein Nostalgie-Trip in die Vergangenheit. Freuen dürfen sich die Israeliten eben darum auf die Rückkehr in ihr Zuhause, weil dort zugleich etwas ganz Neues anbricht: „Mein Knecht David soll ihr König sein und der einzige Hirte sein“, „und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer.“ Die Rückkehr in Altvertrautes allein bringt es nicht; da gab es allzu viel, was in der Vergangenheit nicht in Ordnung war, was ja schließlich zu eben dieser Katastrophe geführt hatte, dass der Tempel, das Heiligtum Gottes, zerstört worden war, dass die Israeliten ihre Heimat verlassen mussten. Anders konnte dies alles nur dadurch werden, dass ein anderer David kommen würde, einer, der sein Volk ganz nach dem Willen Gottes regieren würde. Anders konnte dies alles nur dadurch werden, dass Gott in der Mitte seines Volkes einen Ort seiner Gegenwart errichten würde, der nicht mehr zerstört werden kann, der Bestand hat für immer.

Wir wissen, dass sich diese Hoffnungen des Volkes Israel mit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil nicht erfüllt haben: Gewiss, sie waren wieder zuhause, aber von einem neuen David, der sie regierte, konnte auch in der Folgezeit wahrlich nicht die Rede sein. Und selbst der große Tempel des Herodes wurde schließlich Jahrhunderte später wieder dem Erdboden gleichgemacht.

Doch nun feiern wir in dieser Nacht, dass Gott eben doch Wort gehalten hat, dass er sein Versprechen doch eingehalten hat: Wir feiern die Geburt des neuen David, des Davidssohnes in der Davidsstadt. Wir feiern, dass Gott ihn schließlich doch zu seinem Volk gesandt hat, den einen guten Hirten, der sein Volk nicht ausnutzt, sondern im Gegenteil für sein Volk, ja für alle sein Leben in den Tod gibt. Wir feiern, dass Gott sein Heiligtum errichtet hat in der Mitte seines Volkes, kein Heiligtum mit Goldenen Säulen und imposanten Mauern, und doch den Ort seiner Gegenwart, seinen Tempel, zu finden in einem Futtertrog in einem Stall in Bethlehem.

Wenn Menschen Weihnachten nur als ein Familienfest feiern, nur als ein Fest der häuslichen Gemütlichkeit, dann verpassen sie das, was Weihnachten erst wirklich zu Weihnachten werden lässt: Wirklich Weihnachten wird es erst da, wo Menschen das Baby in der Krippe von Bethlehem als ihren Herrn, als ihren König und Hirten, verehren. Weihnachten wird es erst da, wo Menschen erkennen, dass sich Gottes Heiligtum in unserer Mitte befindet, der Leib Christi und sein Blut, ganz klein, ganz verborgen in einem Stück Brot, in einem Schluck Wein. Erst wenn wir zu ihm, Christus, kommen, kommen wir wirklich nach Hause, kommen wir tatsächlich dorthin, wo wir einmal für immer werden bleiben dürfen, von wo wir niemals mehr vertrieben werden oder flüchten müssen. So schön es auch ist, am Heiligen Abend Geborgenheit im vertrauten Kreise zu Hause erleben zu dürfen – Weihnachten ist unendlich mehr. Weihnachten ist auch für die da, deren irdisches Zuhause zurzeit nur aus einem Mehrbettzimmer in einem Asylbewerberheim besteht. Weihnachten ist auch für die da, die an diesem Abend deutlicher als sonst gespürt haben, dass ihnen ein geliebter Mensch fehlt. Weihnachten ist auch für die da, die aus welchen Gründen auch immer mit Familienfeiern nicht viel anfangen können. Ja, auch sie ruft Christus zu sich, in sein Zuhause, damit doch auch sie Heimat erfahren, wirkliche Heimat, hier in seiner Gegenwart, unter seiner Herrschaft, bei ihm, in seinem Lichtschein, dem Licht der Welt.

Das Weihnachtsfest wird bald wieder vorbei sein; Familien, die sich zu diesem Fest eingefunden haben, werden wieder auseinandergehen, Gott geb’s, im Frieden. Doch das Zuhause, das ihr hier am Altar findet, das bleibt, zu jeder Jahreszeit. Dahin dürfen wir immer wieder zurückkommen und uns stärken lassen für unseren weiteren Weg. Denn unterwegs bleiben wir, fahren immer noch nach Hause, bis wir den, dessen Geburt im Stall wir heute Nacht feiern, einmal mit eigenen Augen sehen werden, in Gottes neuer Stadt, aus der wir endgültig nie mehr werden ausziehen müssen, in Gottes neuer Stadt, in der es einmal keine Nacht mehr geben wird, in der es auch nicht nötig sein wird, dass wir uns irgendwie künstlich in Stimmung versetzen. Darum feiern wir Weihnachten, weil wir dorthin wollen, dorthin nach Hause. Eia, wär’n wir da! Amen.