20.03.2011 | St. Matthäus 12,38-42 | Reminiszere

„Wo ist er denn nun, euer Gott? Wo war er denn, als die Flutwelle auf die japanische Küste zurollte, mehr als zehntausend Menschen in den Tod riss, allein hunderttausend Kinder obdachlos machte, Leid und Elend in unvorstellbarem Maße über Millionen von Menschen brachte? Wo war er denn in dem ganzen Katastrophenszenario der vergangenen Tage, das uns in den Medien so eindrücklich vor Augen gestellt wurde? Ja, erzählt uns doch, was das alles für einen Sinn haben soll, was wir da, wenn auch aus der Ferne, miterlebt haben! Wenn es den Gott gibt, an den ihr glaubt, dann soll er doch endlich mal seine Macht zeigen, soll sich doch endlich mal zu erkennen geben!“
 
Schwestern und Brüder, wir kennen diese Anfragen, diese Kommentare nur allzu gut, und sie gehen uns an die Nieren. Wir schauen auf der einen Seite auf diejenigen, die diese Kommentare äußern. Für viele von ihnen sind das keine echten Fragen. Sie wissen ohnehin, dass es keinen Gott gibt, dass es Quatsch ist, an Gott zu glauben. Ihnen könnte man noch so viele Beweise für die Existenz Gottes liefern, noch so viele Zeichen. Sie würden sich davon doch nicht überzeugen lassen, weil ihr Urteil längst schon feststeht, weil das, was sie nun erlebt haben, sie einfach nur noch mal in dem bestärkt hat, was sie vorher schon wussten. Mit ihnen zu diskutieren, hat oft herzlich wenig Sinn.
 
Doch diese Anfragen gehen uns eben dennoch an die Nieren; denn sie formulieren Fragen, die auch uns selber in diesen Tagen immer wieder durch den Kopf gehen mögen: Wo ist er denn nun tatsächlich, dieser Gott, an den ich glaube? Was ich da sehe, das kriege ich mit meinem Glauben so wenig zusammen! Kann Gott denn nicht auch mir ein Zeichen geben, damit ich das alles kapiere und klar kriege, damit mein Glaube wieder festen Boden unter die Füße bekommt?
 
Hochaktuell ist auch auf diesem Hintergrund, was uns St. Matthäus in der Predigtlesung dieses Sonntags schildert: Da berichtet er auch von Menschen, die nicht ganz allgemein Gott, sondern ganz konkret Jesus um ein Zeichen bitten, ein Zeichen, das ihnen Klarheit verschafft, dass er tatsächlich Gottes Sohn ist, dass es sich lohnt, an ihn zu glauben: „Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen.“ Ja, es mag wohl sein, dass diese Leute, die ihn da fragen, in Wirklichkeit ähnlich wenig lernfähig und lernbereit sind wie die Leute in unserer Bekanntschaft, die uns mit der Frage nach der Katastrophenserie in Japan glaubensmäßig in die Ecke zu drängen versuchen. Es mag wohl sein, dass Jesus gerade deshalb vielleicht auch ein wenig genervt reagiert, weil er weiß, dass er diese Leute mit überhaupt keinem Zeichen beeindrucken könnte, weil sie ja ohnehin vorher schon wissen, dass Jesus ihnen kein befriedigendes Zeichen liefern kann. Und doch reihen wir uns innerlich doch ganz gerne in die Reihe der Fragesteller ein und sprechen es ihnen nach: Ja, Jesus, wir möchten wirklich gern ein Zeichen von dir sehen, eines, das unseren Glauben stärkt und mit dem wir möglicherweise all denen, die uns wegen unseres Glaubens blöde anmachen, auch gleich noch das Maul stopfen können!
 
Doch was könnte das für ein Zeichen sein, das die Katastrophen in Japan für uns erklärbar machen könnte, so, dass sie uns nachvollziehbar, ohne Probleme mit unserem Glauben vereinbar erscheinen könnten? Jesus verweigert den Fragestellern damals und auch uns heute das erhoffte und erwünschte Zeichen – und gibt seinen Gesprächspartnern damals und uns doch zugleich ein anderes Zeichen, das scheinbar mit ihrer und unserer Bitte wenig zu tun hat und in Wirklichkeit doch eine viel tiefere Antwort enthält, als die, die wir uns selber vielleicht gewünscht hätten:
 
Vom Zeichen des Propheten Jona spricht Jesus hier. Wir erinnern uns: Jona, das war der Mann, der versucht hatte, vor Gottes Auftrag wegzulaufen, den Menschen in Ninive Gottes Gericht zu predigen. Seine Flucht führte ihn auf ein Schiff und ließ ihn schließlich in den Tiefen des Meeres landen, verschlungen von einem Fisch. Brüder und Schwestern: Wir mögen das heute im Rückblick für eine ganz witzige Erfahrung halten, die der Jona damals im Bauch des Fisches gemacht hat, weil wir wissen, dass er da schließlich wieder rauskam und vom Fisch mit einem kräftigen Rülpser an den Strand befördert wurde. Doch er selber empfand das, was er da durchmachen musste, zunächst völlig anders. Drei Tage und drei Nächte in völliger Dunkelheit, ohne Aussicht darauf, da noch einmal lebend herauszukommen – ja, die Erfahrung des Jona unterschied sich da gar nicht allzu sehr von der Erfahrung so vieler Erdbebenopfer in Japan, eingeklemmt unter einem zusammengestürzten Haus, verzweifelt darauf hoffend, dort nicht endgültig lebendig begraben zu sein. Und das Gebet des Jona, das uns in der Heiligen Schrift überliefert wird, erweist sich auf dem Hintergrund der Bilder, die uns aus der letzten Woche noch vor Augen stehen, erst recht als geradezu beklemmend aktuell: „Du warfst mich in die Tiefe, mitten ins Meer, dass die Fluten mich umgaben. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich. … Wasser umgaben mich und gingen mir ans Leben, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte mein Haupt. Ich sank hinunter zu der Berge Gründen, der Erde Riegel schlossen sich hinter mir ewiglich.“
 
Mit dem, was Jona damals erfuhr, beschreibt Jesus das Geschick, das ihn, den Menschensohn, selber nun bald erwartet: Todesangst, ja, mehr noch: das Ausbleiben einer Rettung vor dem Tod, das Versinken in die völlige Dunkelheit des Todes, ohne Anhalt und Perspektive, aus diesem Dunkel doch noch einmal gerettet zu werden: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ „Wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein.“ Sein Kreuz – das ist das Zeichen, das Jesus denen, die ihn fragen, entgegenhält, sein Kreuz, hinter dem zugleich aber auch schon seine Auferstehung am dritten Tage aufscheint. Länger als die drei Tage ist Jona nicht im Bauch des Fisches geblieben; länger als drei Tage wird auch er, Jesus, nicht im Grab bleiben, wird nicht für immer dem Tod ausgeliefert bleiben.
 
Das Kreuz Christi und seine Auferstehung – das ist die Antwort, die Christus den Fragestellern damals und uns heute gibt, wenn wir nach dem Zeichen fragen, das unseren Glauben wecken und stärken soll, gerade auch angesichts all der furchtbaren Ereignisse, die uns so unverständlich erscheinen mögen. Das Kreuz Christi und seine Auferstehung – inwiefern können die uns helfen, am Glauben an Gott festzuhalten?
 
Zeichen sind sie, mehr nicht. Zeichen zwingen niemanden zu etwas. Wenn jemand sie nicht beachten möchte, ist das seine Sache. Doch uns weisen sie darauf hin, wer denn dieser Gott ist, an den wir glauben. Dieser Gott, an den wir glauben und nach dem wir doch zugleich auch immer wieder fragen, dieser Gott beobachtet diese Welt, beobachtet die Geschehnisse in Japan und beobachtet auch unser Leben nicht aus der Satellitenperspektive, so macht es uns das Zeichen des Jona deutlich. Sondern dieser Gott, an den wir glauben und nach dem wir zugleich fragen, der weiß, was das heißt, keine Luft mehr zu bekommen, genau wie die vielen Tsunamiopfer in Japan auch, der ist am Kreuz einen qualvollen Erstickungstod gestorben. Der Gott, an den wir glauben und nach dem wir zugleich fragen, der weiß, was es heißt, sterben zu müssen, im Dunkel des Todes zu versinken, der weiß, was es heißt, völlig hilflos anderen Gewalten ausgeliefert zu sein. Wenn mir alle wohlfeilen Antworten auf die Fragen nach dem Sinn des unsagbaren Leides hier auf dieser Erde vergehen, dann kann und darf ich auf ihn, den Gekreuzigten, blicken, auf ihn, der schließlich als Leichnam vom Kreuz geborgen worden und schnell beigesetzt worden ist, nicht anders, als die vielen tausend Menschen in Japan nun auch. Ja, diesem Gott am Kreuz stelle ich meine Fragen auch weiter, aber ich weiß, er versteht sie, ja mehr, noch, er hat selber das Leid der ganzen Welt auf sich genommen und getragen. Ja, das Zeichen des Jona, es ist tatsächlich das einzige Zeichen, das weiterhilft, das nicht alle Fragen gleich beantwortet und uns doch an Gott nicht irre werden, sondern an ihm festhalten lässt.
 
Und zum Zeichen des Jona gehört zugleich auch die Auferstehung dazu. Auch der furchtbarste Tsunami, auch das heftigste Erdbeben, auch die tückischste Strahlung können eben nicht rückgängig machen, was am Ostermorgen damals in Jerusalem passiert ist: Dass er, Christus, aus dem Grab herausgekommen ist und die Macht des Todes damit endgültig gebrochen hat, ja die Macht dieses Todes, der sich jetzt in Japan wieder so furchtbar ausgetobt hat und dem doch auch wir hier in Deutschland genauso hilflos ausgeliefert sind wie die Menschen in Japan auch. Die Auferstehung Christi, sie bedeutet eben dies, dass der Tod, dessen Macht uns nun wieder so erschreckend vor Augen geführt worden ist, eben doch nicht das letzte Wort in dieser Welt hat, dass auch das, was uns jetzt wieder so aufwühlen mag, nicht das Letzte in dieser Welt ist, sondern allerhöchstens das Vorletzte. Die Macht, die Christus aus dem Grab herausgeführt hat, ist stärker als jede Flut, stärker als alle todbringenden Mächte. Das helle Licht der Auferstehung, es strahlt stärker als jeder Reaktorkern und bringt doch nicht den Tod, sondern das Leben. Ja, an diesem Zeichen des Jona hängt in der Tat schlechthin alles: Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube vergeblich, so verkündigt es der Apostel Paulus. Dann könnten wir einpacken, dann könnten wir angesichts all der Katastrophen dieser Welt nur verzweifeln. Nun aber ist Christus auferstanden, fährt Paulus fort. Das Zeichen des Jona, es hat Bestand, weist uns hin auf ihn, der auch uns aus dem Dunkel des Todes zu erretten vermag.
 
Doch mit dem Verweis auf dieses Zeichen dreht Christus den Spieß zugleich auch um: Ihr wollt Gott oder mich vor euren Richterstuhl stellen, damit wir nachweisen, dass wir euren Ansprüchen an einen anständigen Gott genügen? Wisst ihr denn nicht, in welcher Lage ihr euch befindet? Ihr werdet einmal vor Gottes Richterstuhl stehen, werdet euch vor ihm verantworten müssen, werdet einmal danach gefragt werden, ob ihr euch von dem Zeichen des Jona, von meinem Kreuz und meiner Auferstehung habt zur Umkehr rufen lassen.
 
Nein, ihr seid nicht bloß Zuschauer in diesen Tagen. Gott spricht euch an, auch und gerade durch die furchtbaren Bilder, die ihr in den vergangenen Tagen gesehen habt. Von einer Minute auf die andere wurde das Leben von Menschen da fortgeschwemmt. Glaubt ihr, dass ihr euer Leben besser sichern könnt, nur weil ihr hier in Berlin nicht unbedingt mit Tsunamis rechnen müsst? Habt ihr euch mal klargemacht, dass euer Leben ebenso schnell und unvermutet zu Ende sein kann, wie dies nun die Menschen in Japan erlebt haben, und was dann? Nein, dann ist eben nicht alles aus und vorbei, sagt Christus. Dann werdet ihr Rechenschaft ablegen müssen von eurem Leben, werdet euch fragen lassen müssen danach, worauf ihr euer Leben gegründet habt. Ja, da wird sich dann entscheiden, ob ihr euer Leben endgültig verfehlt habt oder nicht. Und was wird der Maßstab sein? Natürlich nichts anderes als das Zeichen des Jona. Wer sich an ihn, Christus, hält, wer glaubt und bekennt, dass er, Jesus, mehr ist als bloß ein Prophet, ein beeindruckender Weisheitslehrer, ein netter Kerl, wer glaubt und bekennt, dass er, Jesus, am Kreuz auch für ihn gestorben ist, auch seine Schuld getragen und weggenommen hat, wer darauf vertraut, dass Christi Auferstehung auch ihm das ewige Leben eröffnet hat, ja, der wird nicht im Dunkel des ewigen Todes bleiben, sondern teilhaben am ewigen Leben.
 
Was Jona erfahren hat, was Christus erfahren hat, das ist auch an uns schon geschehen in unserer Heiligen Taufe, das ist heute Morgen nun auch an Valentin und Leonard geschehen. Das Zeichen des Jona, es ist das Vorzeichen, unter dem nun auch ihr, unter dem auch unser Leben seit dem Tag unserer Heiligen Taufe steht. Tod und Vernichtung hat auch das Wasser der  Heiligen Taufe gebracht: Tod und Vernichtung für die Ausrichtung unseres Lebens ohne Gott. Als neue Menschen sind wir nun aus dem Wasser der Taufe herausgekommen – als Menschen, die ein Leben haben, das keine Katastrophe dieser Welt jemals mehr beenden oder in Frage stellen kann. Ja, haltet euch an dieses Zeichen des Jona! Es wird euch retten, selbst wenn die Welt um euch versinken mag. Denn ihr seid mit dem verbunden, der nicht länger als drei Tage im Grab geblieben ist, den ihr kennt und der euch kennt. Unscheinbar kommt er zu uns, und doch ist er es, er, der Gott, nach dem ihr fragt. Ja, siehe, hier ist mehr als Jona! Amen.