29.05.2011 | St. Lukas 11,5-13 | Rogate

Vor einigen Monaten wurde in meiner Garage ein neues Garagentor eingebaut, weil das alte allmählich auf mein Auto zu fallen drohte. Das neue Garagentor lässt sich nun mit einer Fernbedienung öffnen: Ich muss einfach nur auf einen Knopf drücken, und schon bewegt sich das Tor auf wundersame Weise nach oben. Da ich eine völlige technische Niete bin, tat ich mich am Anfang mit der Öffnung des Garagentors ein wenig schwer: Ich drückte immer wieder auf den falschen Knopf oder drückte nicht lange genug auf den richtigen und wunderte mich dann, weshalb das Tor trotz meines guten Willens verschlossen blieb. Doch mittlerweile habe ich den Mechanismus kapiert, und nun ist es für mich ganz einfach und praktisch, die Garage auf diese Weise zu öffnen.

Um die Öffnung einer Tür, eines Tores, geht es auch in der Predigtlesung des heutigen Sonntags. Gewiss, Christus, unser Herr, spricht hier nicht von Fernbedienungen für Garagentore, doch auch für ihn scheint die Öffnung des Tores, von der er spricht, kinderleicht zu sein: „Bittet, so wird euch gegeben, klopfet an, so wird euch aufgetan!“ Anklopfen reicht – und schon geht die Tür auf, gleichsam wie von selbst. Nun spricht allerdings Christus in diesem Zusammenhang vom Gebet – und da leuchtet uns das Bild von der Tür, die sich so schnell und einfach öffnet, vielleicht doch nicht unbedingt ein. Das ist nicht unbedingt unsere Erfahrung, dass wir einfach nur schnell mal ein Gebet sprechen müssen und dass sich dann die Tür, die vorher verschlossen war, wie von selbst hebt und wir das bekommen, was wir gerne wollen. Oder stellen wir uns beim Beten vielleicht einfach nur ein wenig blöde an wie ich anfangs mit meiner Fernbedienung? Haben wir vielleicht einfach ein paar Tricks noch nicht richtig mitbekommen, wie man richtig betet, wie man den Zugang zu Gott knackt und sich bei ihm holen kann, was man möchte?

Schwestern und Brüder, wir tun gut daran, uns den Zusammenhang der Worte Jesu von der Tür, die sich auf unser Anklopfen hin öffnet, noch einmal genauer anzuschauen und uns gerade so von Christus wieder neu ins Beten einweisen zu lassen. Nein, Christus verrät uns hier keine Gebetstricks, sondern er gibt uns hier drei ganz wichtige Hinweise für unser Beten:
Bedenke, an wen du dich wendest!
Bedenke, in welcher Lage du dich befindest!
Bedenke, worum du bittest!

I.
Vor einigen Jahren veranstaltete ein rühriger Forscher ein Experiment in Sachen „Beten“: Er ließ eine Reihe von Leuten für bestimmte Kranke in Krankenhäusern beten, die selber von diesen Gebeten nichts wussten. Anschließend überprüfte er dann, ob diese Kranken eher genesen seien als diejenigen, für die nicht gebetet worden sei – und in der Tat: Diejenigen Patienten, für die er hatte beten lassen, schienen sich gesundheitlich in der Tat etwas besser entwickelt zu haben als diejenigen, für die nicht gebetet worden war.

Sollten wir für diese Untersuchung nicht sehr dankbar sein? Sollten wir sie nicht als willkommenes Argument dafür ansehen, dass Beten tatsächlich hilft? Nein, wir haben als Christen keinen Grund, uns durch solch eine Untersuchung in unserem Glauben bestätigt zu sehen. Einmal abgesehen davon, dass jener rührige Forscher ja nun nicht verhindern konnte, dass vermutlich auch für die Patienten, für die seine Gebetsgruppe nicht gebetet hatte, doch auch von anderen Menschen gebetet worden war, hatte er bei seinem Experiment auch den Adressaten der Gebete nicht näher bestimmt, hatte auch Muslime und Buddhisten gebeten, sich mit ihren Gebeten an diesem Test zu beteiligen. Doch genau das ist eben nicht die Botschaft des christlichen Glaubens, ist auch nicht die Botschaft Jesu in unserer heutigen Predigtlesung, dass Beten irgendwie hilft, dass das mit dem Beten tatsächlich klappt. Jesus redet hier nicht vom Gebet an sich, sondern seine Worte richten unsere Aufmerksamkeit auf den, an den wir uns in unseren Gebeten wenden. Er vergleicht das Gebet also gerade nicht mit einer Fernbedienung, die gleichsam automatisch funktioniert, wenn man nur auf den richtigen Knopf drückt, sondern er spricht, im Bilde gesprochen, von dem, der sich hinter der Tür befindet und der auf unsere Bitte hin ganz ohne Knopfdruck die geschlossene Tür öffnet.

Nicht Beten an sich hilft, sondern der hilft, den wir als lebendiges Gegenüber in unseren Gebeten ansprechen dürfen. Wer der ist und wie der ist, das sollen wir wissen, so prägt es uns Christus hier ein. Mit einem Freund vergleicht er unser Gegenüber im Gebet zunächst einmal, mit einem Freund, den wir auch in schwierigsten Lebenssituationen behelligen dürfen. Da schildert uns Christus hier sehr eindrücklich eine Szene aus dem dörflichen Leben im Heiligen Land zur damaligen Zeit: Kühlschränke und Mikrowellengeräte waren damals noch nicht sehr weit verbreitet, und so bereitete die Frau des Hauses das Essen immer nur für den jeweiligen Tag vor. Grundnahrungsmittel war dabei Brot, das jeweils früh am Morgen für die Mitglieder des Haushaltes gebacken wurde: Drei Fladen pro erwachsene Person für jeden Tag. Abends war das Brot dann in aller Regel verbraucht; dass Brot bis zur Nacht noch übrig blieb, kam nicht häufig vor. Und wenn das doch der Fall war, dann bekamen das die anderen Dorfbewohner zumeist auch mit, wussten, wer zur Not noch ein wenig Brot übrighatte. Und dann bekommt in der Geschichte, die Jesus hier erzählt, einer der Dorfbewohner nachts noch Besuch von einem Freund. Das kam durchaus vor, denn im Heiligen Land ist es tagsüber oftmals ziemlich heiß, sodass es nicht ungewöhnlich war, nachts zu reisen. Und da auch Telefon und E-Mail damals noch nicht so verbreitet waren, konnte es passieren, dass mitten in der Nacht mit einem Mal ein alter Freund ohne Vorwarnung vor der Tür stand und nun nach allen Regeln der Gastfreundschaft nach seiner langen Wanderung erst einmal verköstigt werden musste. Doch, wie gesagt, Kühlschränke gab es nicht, und so bleibt dem Gastgeber, von dem Jesus hier erzählt, nichts anderes übrig, als mitten in der Nacht zu einem Freund im Dorf zu gehen, von dem er wusste, dass bei ihm im Haus noch einige Fladen Brot übriggeblieben waren. Nun sahen die Häuser damals ein wenig anders aus als bei uns heute: Sie bestanden nur aus einem einzigen Raum, in dem nachts nebeneinander die ganze Familie, Kinder und Eltern, schliefen. Die Tür zu diesem Haus wurde nachts mit einem großen Riegel fest verschlossen. Den zur Seite zu schieben, machte eine Menge Krach und weckte auf jeden Fall sämtliche Bewohner des Hauses auf, auch diejenigen, die vom Klopfen an der Tür zuvor noch nicht wach geworden waren. Und nun steht da also dieser Freund vor der Tür und bittet seinen Kumpel drinnen um die drei Fladenbrote. Besonders begeistert wird der Freund vermutlich von dieser Bitte nicht unbedingt gewesen sein; diejenigen unter euch, die aus eigener Erfahrung das Glück kennen, nach langem Theater im Kinderzimmer endlich alle Kinder zum Schlafen gebracht zu haben, werden den Mann verstehen können, der beim Öffnen der Tür damit rechnen muss, die ganze Familie aufzuwecken und damit mitten in der Nacht nun wieder ein Rambazamba im ganzen Haus anzufangen. Doch er macht’s, öffnet die Tür, gibt dem Freund, der ihn bittet, das, was er braucht.

Um den Mann hinter der Tür geht es Jesus, nicht um die Öffnung der Tür als solche. Wie ein Freund ist er, der den, der ihn bittet, in einer Notlage nicht hängen lässt, so zeigt es uns Christus hier. Ja, so ist Gott: Wie ein Freund, der für uns Nachteile in Kauf nimmt, um uns aus der Not zu helfen. Gott hat mehr auf sich genommen als bloß ein wenig Kindergeschrei in der Nacht; er hat auf viel mehr verzichtet als bloß auf einen ruhigen Schlaf. Auf seinen Sohn hat er verzichtet, hat ihn für uns am Kreuz in den Tod gegeben, nur damit wir nicht für immer vor verschlossenen Türen bei ihm stehen, sondern Einlass erhalten zum Leben in seiner Gegenwart. Mit einem Vater vergleicht Jesus Gott, den Adressaten unserer Gebete, zum anderen. Ach, was sage ich: Er vergleicht ihn nicht bloß mit einem Vater, sondern lehrt uns in den Versen, die unserer Predigtlesung unmittelbar vorangehen, Gott tatsächlich auch als Vater anzureden, liebevoll, vertrauensvoll, nicht als Haustyrann, sondern als den, der in seiner liebenden Zuwendung zu seinen Kindern allen menschlichen Vätern als Vorbild dienen kann. Ein solcher liebender Vater würde seinen Kindern auf ihre Bitte hin niemals etwas geben, was ihnen schadet, sondern nur das, was ihnen nützt und ihnen zum Besten dient.

Klopft an, so wird euch aufgetan! – Ja, bedenkt zunächst einmal, wo ihr anklopft, so legt es uns Jesus hier ans Herz: Wendet euch in euren Gebeten nicht bloß an ein höheres Wesen, geschweige denn an Buddha oder Allah, sondern wendet euch an den, der seit eurer Taufe euer Vater ist, der seine Liebe, seine Freundschaft zu euch besiegelt hat in der Hingabe seines Sohnes am Kreuz. Vertraut ihm, dass er seine Ohren vor euren Gebeten nicht verschließen wird, dass er niemals auf eure Gebete so reagieren wird, dass er euch damit schadet. Nein, Gott ist kein Motor, der auf unseren Knopfdruck nach unseren Wünschen reagiert – ja, Gott sei Dank, dass er kein Instrument ist, das wir nach unseren Vorstellungen benutzen können. Er weiß ja viel besser als wir selber, was wirklich gut für uns ist, und wird gerade so uns geben, was wir brauchen. Mit diesem Vertrauen dürfen wir uns an ihn wenden – zu jeder Tag- und Nachtzeit.

II.
Ein Zweites stellt uns Christus hier in seinen Worten vor Augen: Bedenke, in welcher Lage du dich befindest!
Mit der Fernbedienung für mein Garagentor habe ich gleichsam die Kontrolle über das Geschehen: Ich kann das Tor ohne Mithilfe irgendeines anderen Menschen öffnen, und wenn ich es geöffnet habe, dann hole ich mir aus der Garage nur das, was mir zusteht und was mir ohnehin gehört, nämlich mein Auto.

So ist das mit dem Beten eben nicht: Gott ist nicht unser Dienstleister, den wir nach unseren Wünschen einsetzen können und der gleichsam dazu verpflichtet wäre, uns zu geben, was uns ohnehin zusteht und eigentlich schon längst gehört. Sondern indem wir beten, bringen wir Gott gegenüber zunächst und vor allem zum Ausdruck, dass wir überhaupt keine Ansprüche ihm gegenüber geltend machen können, dass wir mit ganz leeren Händen vor ihm stehen und nur darum bitten können, dass er uns in unserer Not weiterhilft. Nie und nimmer können wir darum unverbindlich testen, ob Beten hilft, ob das mit dem Beten tatsächlich klappt; nie und nimmer dürfen wir Gott zu einer Art von Versuchskaninchen degradieren. Sondern wir stehen vor ihm als Leute, die mitten in der Nacht an seine Tür klopfen, weil sie sonst keinen Ausweg sehen, weil sie nichts haben, und weil sie wissen, wo allein sie Hilfe bekommen können. Ja, als Bettler stehen wir vor Gott im Gebet, als Bettler, die zugleich darum wissen, wo die Quelle ist, an die sie sich wenden können, die darum wissen, wo der Reiche ist, der genug hat, um abzugeben. Kein Recht haben wir dazu, uns zu beschweren, wenn Gott nicht gleich so springt, wie wir uns dies wünschen – und dürfen doch zugleich immer wieder darüber staunen, dass Gott uns Bettler eben nicht wie lästige Bittsteller behandelt, sondern tatsächlich als seine Freunde, ja als seine Kinder, dass unsere Not sein Herz bewegt und er die nötigen Schritte einleitet, dass uns in dieser Not geholfen wird. Schwestern und Brüder: Ist uns das eigentlich klar, was für ein Wunder das immer wieder von Neuem darstellt, wenn Gott tatsächlich seine Tür auf unsere Bitte hin öffnet und uns gibt, was wir brauchen? Ist uns das so klar, dass bei den Bitten, die wir an ihn richten, der Dank niemals fehlt?

III.
Und noch ein Drittes legt uns Christus hier schließlich noch ans Herz: Bedenke, worum du bittest!
Gewiss, wenn Gott unser Vater ist und wir seine Kinder, dann dürfen wir uns an ihn mit allem wenden, was uns bewegt und auf dem Herzen liegt. Da gibt es keine Bitte, die zu klein und keine, die zu groß wäre, dass wir sie ihm gegenüber nicht aussprechen könnten. Doch bei all dem, was wir Gott bitten, sollen wir eben die eine allerwichtigste Bitte niemals vergessen, so macht es uns Christus hier deutlich: die Bitte um den Heiligen Geist. Nicht Gesundheit ist das Wichtigste, worum wir bitten sollen und dürfen, weder für uns selber noch für andere, nicht Bewahrung und Behütung, erst recht nicht Erfolg, Geld und Reichtum. Sondern die wichtigste Bitte, die Christus uns in den Mund legt, ist und bleibt die Bitte um die Gabe des Geistes Gottes. Nur in der Kraft dieses Heiligen Geistes können wir glauben, nur in der Kraft dieses Heiligen Geistes können wir beten, nur in der Kraft dieses Heiligen Geistes können wir bei Christus bleiben und selig werden, so hat es Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus so wunderbar zusammengefasst: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten einigen Glauben.“ In die Gemeinschaft der Kirche führt uns der Heilige Geist, bewahrt uns vor dem Irrglauben, dass wir ihn, den Heiligen Geist, anderswo finden und empfangen könnten als allein dort, wo das Evangelium von Jesus Christus verkündigt und die Sakramente nach seiner Einsetzung ausgeteilt werden. Beten können wir darum immer wieder nur als Glieder der Kirche in der Kirche und mit der Kirche, weil Gott selber dort unsere Bitte um die Gabe des Heiligen Geistes immer wieder erfüllt und uns dadurch zugleich immer wieder neu überhaupt erst zum Gebet befähigt. Ja, ganz weit zur Seite zieht Gott auch jetzt wieder in dieser Stunde den Riegel seiner Tür, öffnet sie ganz weit, dass wir durch diese Tür hindurchtreten dürfen und uns beschenken lassen dürfen mit dem, was uns doch eigentlich gar nicht zusteht: mit seiner Vergebung, mit Leben und Seligkeit. Denn wenn wir bei Gott anklopfen, dann öffnet sich nicht bloß das Tor zu einer Garage – da öffnet sich schon hier und jetzt die Tür zum Himmel. Amen.