05.06.2011 | St. Johannes 7,37-39 | Exaudi

„Wen da dürstet, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt!
Wie die Schrift sagt: Von Seinem Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen!“


Seit über hundert Jahren, ja seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1893 hat es in Deutschland im Frühling nicht so wenig geregnet wie in diesem Jahr. Es mag durchaus sein, dass viele von uns das in den vergangenen Monaten durchaus genossen haben: So viele Tage, an denen die Sonne schien, an denen man sich getrost ohne Regenschirm vor die Tür wagen konnte! Auf Regen konnten wir doch eigentlich immer wieder ganz gut verzichten!Doch in Wirklichkeit ist das natürlich keine gute Nachricht, dass in manchen Gegenden Deutschlands in diesem Frühling nur 4% des Niederschlags gefallen sind, der normalerweise in diesem Zeitraum fällt: Landwirte klagen über die Dürre, in Mecklenburg-Vorpommern führte die Trockenheit bereits zu einem verheerenden Sandsturm auf einer Autobahn, und letztlich wagen wir es  uns natürlich auch kaum vorzustellen, was denn bei uns los wäre, wenn eines Tages tatsächlich das Wasser bei uns knapp würde, sodass wir uns nicht bloß beim Duschen und bei der Klospülung oder beim Rasensprengen zurückhalten müssten, sondern kaum genug Flüssigkeit hätten, um unseren Durst zu löschen. Was den Menschen in den heißeren Gebieten des Nahen Ostens unmittelbar einleuchtet, müssen wir uns wohl erst als Gedankenexperiment klarmachen, leben ansonsten oft auch weiter so, als ob wir auf Regen eigentlich ganz gut verzichten könnten.

Um Wasser und seine besondere Bedeutung ging es damals in Jerusalem auch bei der Feier des Laubhüttenfestes, des fröhlichsten Festes des Jahres in Israel. Dankbar feierte man, wie Gott sein Volk durch die Wüste ins Gelobte Land geführt hatte und es auf diesem Wege immer wieder mit Wasser versorgt hatte; dankbar feierte man, dass er, der Gott Israels, dort im Gelobten Land sein Volk immer wieder genügend Wasser hatte finden lassen, Wasser, das doch die Grundlage allen Lebens war. Und so schöpften also am siebten, am höchsten Tag des Laubhüttenfestes die Priester Wasser unten aus der Siloahquelle und brachten dieses Wasser in einer feierlichen Prozession zum Tempel. Siebenmal umkreisten sie mit dem Wasser den Altar und schütteten dann das Wasser darauf aus – als Ausdruck der Freude und des Dankes für die Gabe des Wassers und des Lebens. Und indem die Priester das Wasser dort ausgossen, gedachte man zugleich der kommenden Heilszeit, in der, wie es der Prophet Hesekiel vorausgesagt hatte, aus dem Tempel Ströme des lebendigen Wassers quellen würden, das allen Menschen Heil und Leben bringen würde.

Doch nun berichtet uns der Evangelist St. Johannes hier in unserer Predigtlesung von einem ganz heftigen Zwischenfall während dieser feierlichen Wasserprozession: Während die Priester gerade feierlich mit dem geschöpften Wasser Richtung Tempel marschieren wollen, baut sich da mit einem Mal jemand auf und ruft ganz laut: Hier geht es lang; geht nicht hoch zum Tempel, kommt zu mir: Ich bin der wahre Wasserspender, bei mir bekommt ihr das Wasser, das ihr braucht, um euren Durst zu löschen; ich bin der neue Tempel, aus dem die Ströme des lebendigen Wassers quellen; wer zu mir kommt, wer von diesem Wasser schöpft, das von meinem Leib ausgeht, der wird Leben und Heil in Fülle empfangen, Leben und Heil, das nie mehr enden wird! Unfasslich ist das, was dieser Rufer da verspricht und zu sein beansprucht: Was er verkündigt und von sich behauptet, das kann doch eigentlich kein Mensch sagen – das kann wirklich nur Gott selber! Ja, bei dem, was Jesus hier dazwischenbrüllt, gibt es eigentlich nur zwei mögliche Reaktionen: Entweder erklärt man ihn zu einem durchgeknallten Ruhestörer und lässt ihn als Gotteslästerer kreuzigen – oder man kommt zu ihm, fällt vor ihm nieder, betet ihn an, ihn, den lebendigen Gott, der da im Tempel des Leibes Jesu selber gegenwärtig ist.

Jesus ruft dazwischen, ganz laut, ganz eindringlich, damit die Leute nicht an ihm vorbeimarschieren und gar nicht merken, dass sie eben dadurch, dass sie an ihm vorbeigehen, das eigentliche Ziel ihrer Prozession, ja das eigentliche Ziel ihres Lebens verpassen. Jesus ruft laut dazwischen – nein, nicht nur damals beim Laubhüttenfest in Jerusalem, sondern auch heute, immer und immer wieder, in jeder Predigt, die wir hören. Dabei kommt es allerdings nun nicht auf die Lautstärke des Predigers an, die manchem schon zu laut erscheinen mag: Es geht Jesus darum, dass die, diese Worte hören, aufmerken, innehalten und nicht das Wichtigste, nein: den Wichtigsten übersehen und verpassen, ihn, Christus, der auch jetzt in dieser Stunde wieder seine Stimme in unserer Mitte erhebt.

Was Jesus den Leuten damals zurief und uns heute zuruft, mag allerdings vielen erst einmal ziemlich überflüssig erscheinen: „Wen da dürstet, der komme zu mir!“ Mich dürstet aber gar nicht, mögen da viele antworten. Mich dürstet nicht im ganz wörtlichen Sinne; ich habe immer genügend Gelegenheiten zum Trinken. Und mich dürstet auch nicht im übertragenen Sinne: Ich habe keinen ungestillten Durst nach Leben, mir fehlt nichts, ich habe eigentlich alles, was ich brauche!

Das, Schwestern und Brüder, ist die Einstellung, der Jesus heute mit seiner Einladung in unserem Land immer wieder begegnet, das ist die Einstellung, mit der auch ich bei meinen Besuchen und Gesprächen immer wieder konfrontiert werde: Ich brauche diesen Jesus, ich brauche dieses Wasser des Lebens eigentlich nicht; ich komme auch so ganz gut mit meinem Leben klar. Und dann erzählen mir die Leute von ihren Familienfeiern, von ihrer Datsche im Grünen, von ihren Urlauben, von ihrem Familienleben, von ihrem Beruf, der sie ganz ausfüllt. „Wen da dürstet, der komme zu mir!“ Nein, sie leiden keinen Mangel, sie leiden keinen Durst. Ohne Christus, ohne Gottesdienst, ohne Heiliges Abendmahl lässt es sich auch ganz gut leben; nun gut, wenn der Pastor zu sehr drängelt, dann geht man mal wieder hin, nimmt es mal wieder mit, findet das ja vielleicht auch ganz schön und nett – nur: Stillung des Durstes nach Leben, das wäre dann wohl doch etwas übertrieben, wenn man das vom Gottesdienst erwarten würde!

Und wir – die wir im Namen Jesu seine Einladung, seinen Ruf weiterleiten: Wir können tatsächlich nichts mehr machen, als Boten dieser Einladung zu sein. Wir haben es nicht in der Hand, mit irgendwelchen Tricks bei denen, die wir im Namen Jesu einladen, diesen Durst hervorzurufen; es ist nicht unsere Aufgabe, Menschen dahin zu führen, dass sie sich ganz schlecht fühlen und dann endlich nach Jesus verlangen. Wir können nur darauf vertrauen, dass Jesus durch seine Einladung doch immer wieder zugleich Menschen auch ihren Durst wahrnehmen lässt, so wie wir mitunter in unserem Leben tatsächlich erst dann so richtig wahrnehmen, dass wir Durst haben, wenn uns ein Getränk angeboten wird. Wir können nur darauf vertrauen, dass die Einladung Jesu hier und da Menschen doch nachdenklich werden lässt, sie erkennen lässt, dass ihre Haltung, sie kämen auch ganz gut ohne das Wasser des Lebens aus, das Jesus anbietet, dass diese Haltung ähnlich kurzsichtig ist wie unser Wunsch, dass es in unserem Leben nie mehr regnen, sondern nur noch die Sonne scheinen soll. Wenn wir unseren Lebensdurst nur dadurch löschen, dass wir in unserer Freizeit ordentlich Spaß haben oder ein schönes Familienleben oder unsere Hobbys pflegen, dann werden wir irgendwann eben doch auf dem Trockenen sitzen, dann werden wir feststellen, dass uns diese Quellen allein irgendwann nicht mehr weiterhelfen. Ja, Gott geb’s, dass Menschen gerade dann, wenn sie das merken, die Einladung Jesu noch im Ohr haben, dass ihnen dann wieder neu oder ganz neu klar wird, wer ihren Durst nach Leben wirklich zu löschen vermag! Ja, Gott geb’s, dass diese Menschen dann auch genau das erfahren, was wir bei ihm, Jesus, schon längst erfahren haben: Je öfter wir zu ihm kommen, je mehr wir seiner Einladung folgen, desto größer wird zugleich die Sehnsucht nach ihm, desto beglückender wird es zugleich, sich den Durst nach Leben von ihm löschen zu lassen.

Und damit sind wir schon bei dem anderen Widerstand, auf den Jesus damals mit seiner Einladung stieß und auf den er auch heute immer wieder stößt, wo diese Einladung verkündigt wird. Da gibt es natürlich auch genügend Menschen, die wissen, dass sie Durst haben, die sich nach wahrem Leben sehnen, die erkennen, dass das doch wirklich nicht alles im Leben sein kann, Geld zu verdienen, Spaß zu haben und das Familienleben zu pflegen. Ja, sie suchen nach Quellen des wahren Lebens – doch oft genug meinen sie, diese ganz woanders finden zu können.

Von sprudelnden Quellen, von Energieströmen, die wir entdecken und freilegen können, ist besonders immer wieder in Angeboten aus dem Bereich der Esoterik die Rede: Ja, du bist ausgetrocknet, in dir sind die Lebensströme blockiert, so verkündigen sie ihren potentiellen Kunden. Doch wir können dir helfen, die Quelle des wahren Lebens wiederzuentdecken: Sie liegt ganz tief in dir verborgen; du musst einfach nur lernen, in dich hineinzuhorchen, dich auf eine Reise in dein Innerstes zu begeben. Du musst einfach nur lernen, ganz still zu werden, dann findest du diese Quelle in dir, dann fangen die Lebensströme wieder neu an, in dir zu fließen, dann lösen sich Blockaden, und du erlebst, dass du dich so lebendig fühlst wie noch nie!

Doch genau da ruft Jesus nun laut dazwischen: Fang nicht an, die Quelle des Lebens in dir selber zu suchen! Vielleicht machst du, wenn es hoch kommt, ein paar besondere Meditationserfahrungen; doch das Leben, das wahre Leben, das wirst du nicht in dir selber finden. Das findest du allein dort, wo mein Leib ist. Mein Leib, er ist der neue Tempel, aus dem die Ströme des lebendigen Wassers quellen werden, wie dies schon die Propheten angekündigt hatten. Und was Jesus damit ganz konkret meint, das schildert der Evangelist St. Johannes dann einige Kapitel weiter in seinem Evangelium: Als der Soldat mit seiner Lanze in die Seite des gekreuzigten Leibes Jesu sticht, da quellen aus dieser Seitenwunde Wasser und Blut heraus – Wasser und Blut, die bei Johannes nichts Anderes bedeuten als die Taufe und das Heilige Mahl: Da quillt es, das Lebenswasser, da bekommen wir Anteil an dem Leben, das eben nicht in uns selber schlummert, sondern das wir nur dort empfangen können, wohin Jesus uns ruft.

Ja, seit dem Tag unserer Taufe haben wir Anteil an diesem lebendigen Wasser, das aus dem Leibe Christi fließt, seitdem haben wir es, das neue, unzerstörbare Leben, das auch einmal unser Tod nicht wird beenden können. Seitdem haben wir Anteil an dem Geist Christi, dem Heiligen Geist, ohne den wir doch gar nicht glauben und zu Christus kommen, ohne den wir doch gar nicht auf seine Einladung reagieren können. Und wann immer wir den Leib Christi und sein Blut im Heiligen Mahl empfangen, erhalten wir wieder von Neuem Anteil an diesen Strömen lebendigen Wassers, wird unser Durst nach Leben gelöscht, ganz gleich, ob wir ihn nun deutlich spüren oder nicht.

Komm und trink – das ist die große Einladung unseres Herrn, die er uns immer wieder zuruft. Gott geb’s, dass wir vor dieser Einladung nicht unsere Ohren verschließen, dass wir nicht an ihm vorbeilaufen, wenn er uns in unserem Leben ganz laut und deutlich dazwischenredet! Komm und trink – Gott geb’s, dass uns Christus diese Einladung so laut ins Ohr ruft, dass sie auch künftig immer wieder in uns nachklingt, wenn wir zu Hause sitzen und unseren Durst nach Leben vielleicht gar nicht mehr spüren! Christus weiß, warum er so laut ruft – es geht ihm auch um dich, um dein Leben! Amen.