14.08.2011 | Jesaja 2,1-5 | 8. Sonntag nach Trinitatis

Nun ist die Kinderbibelwoche schon wieder eine Woche vorbei; doch noch immer klingen sie mir in den Ohren: die fröhlichen Stimmen der 55 Kinder, die in dieser vergangenen Woche in unseren Gemeinderäumen zusammengeströmt waren und dort in einer ganzen Reihe von Fällen ihre ersten Erfahrungen mit Kirche und Glauben überhaupt gemacht hatten. Weiter mit dabei bleiben wollen sie nun, so erklärten viele der Teilnehmer am Ende. Doch was haben wir ihnen als Kirche, als Christen denn nun zu bieten, warum lohnt es sich für Kinder, für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen, dranzubleiben an der Kirche, am christlichen Glauben, auch wenn kein Spaßbad, kein Deutsch-Amerikanisches Volksfest und kein McDonalds auf dem Programm stehen? Genau das ist eine Frage, mit der wir hier in unserer Gemeinde immer wieder konfrontiert werden, eben weil immer wieder Menschen hier bei uns ankommen, mitmachen wollen, getauft und konfirmiert werden wollen. Und genau darauf gibt uns die alttestamentliche Lesung des heutigen Sonntags nun in der Tat sehr hilfreiche Antworten.

Als Jesaja damals seine Botschaft verkündigte, da war es für seine Zuhörer alles andere als selbstverständlich, dass es sich lohnte, weiter am Glauben an den Gott Israels festzuhalten. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Jerusalem endgültig von den Assyrern erobert war, bis mit dem Tempel auch der Glaube an den Gott Israels untergegangen war. Doch Jesaja verkündigt hier im Auftrag Gottes dagegen eine Mutmachbotschaft, die auch fast 3000 Jahre später immer noch nichts von ihrer Faszination und ihrer Aktualität verloren hat, die nicht nur für Israel, sondern auch für uns Christen bis heute Bedeutung hat, uns deutlich macht, wie gut wir es haben, wenn wir uns an Christus und mit ihm an den Gott Israels halten und ihm allein vertrauen. Ja, es lohnt sich, Christ zu sein, es lohnt sich, zur Kirche zu gehören, denn wir Christen
- haben eine wunderbare Zukunftsperspektive
- sind Teil einer überwältigend großen Bewegung
- haben eine einmalige Kraftquelle

I.
In letzter Zeit werde ich immer wieder einmal auf das ominöse Datum 2012 angesprochen. Der gleichnamige Katastrophenfilm, der vor zwei Jahren in den Kinos lief, hat seine Wirkung offenbar gerade bei vielen Jugendlichen nicht verfehlt: Da glauben Leute allen Ernstes, Ende nächsten Jahres ginge doch ohnehin die Welt unter; also bräuchte man über dieses Datum hinaus sein Leben auch eigentlich gar nicht zu planen.

In einem haben diejenigen, die so auf das kommende Jahr blicken, ja durchaus recht, so macht es uns unsere alttestamentliche Lesung hier deutlich: Unsere Welt, unsere Geschichte, unser Leben läuft tatsächlich einem Ziel entgegen. Diese Welt wird nicht ewig währen; und wir befinden uns auch nicht in einem ewigen Kreislauf, in dem sich letztlich alles immer nur wiederholt. Es gibt sie, die letzte Zeit, von der Jesaja hier einleitend in seinen Worten spricht. Doch diese letzte Zeit, die wird eben nicht bestimmt durch irgendwelche Berechnungen eines Maya-Kalenders, sondern wann die Zeit dieser Welt, wann die Zeit auch unseres Lebens abläuft, das bestimmt Gott, der Herr der Geschichte, allein, das bestimmen gewiss auch nicht irgendwelche zufällig durchs Weltall fliegenden Meteoriten.

Ja, über das Ende der Zeit brauchen wir nicht zu spekulieren; Gott selber gestaltet es, und was er uns in seinem Wort darüber sagt, das allein ist die Grundlage für all unsere Zukunftsperspektiven, die wir uns machen mögen. Gott stellt keine Fahrpläne für das Weltende auf, er nennt auch kein Datum. Aber etwas Anderes macht er deutlich: Wir brauchen vor der Zukunft keine Angst zu haben. Denn Gott entgleitet unsere Zukunft, die Zukunft dieser Welt nicht; er behält die Zügel in der Hand, und wenn wir uns an ihn halten, dann braucht uns vor dem, was da auf uns zukommen mag, nicht bange zu sein. Gott will uns nicht vernichten; er will uns vielmehr ins Licht führen, so macht er es hier ganz deutlich.

Das eine zeigt er uns allerdings auch ganz klar: Am Ziel unseres Lebens, am Ziel der Welt werden wir erkennen, dass Dinge in unserem Leben, die wir vielleicht für ganz wichtig hielten, in Wirklichkeit gar nicht so bedeutsam waren, und dass umgekehrt Anderes, was viele Menschen vielleicht für völlig unwichtig gehalten haben, sich am Ende als allein wichtig herausstellen wird. Ein schönes Bild gebraucht der Prophet Jesaja hier: Am Ende der Zeit wird der Berg Zion, der Berg, wo das Haus des Herrn steht, höher stehen als alle Berge. Ja, so zeigt er uns damit: Am Ende wird sich herausstellen, dass dies das eigentlich Entscheidende in unserem Leben gewesen ist, dass wir Gott selber begegnet sind, dort, wo er sich finden lässt, in seinem Haus, an seinem Altar. Jede Begegnung mit dem lebendigen Gott in seinem Haus wiegt schwerer als eine noch so gute Schulnote; jeder Sonntag, den wir mit Gott verbracht haben, bedeutet mehr für unser Leben als das schönste Urlaubswochenende auf der Datsche; jedes Mal, wenn wir uns mit Christus verbinden lassen im Heiligen Mahl, ist das eine bessere Zukunftsvorsorge als die beste Lebensversicherung, die wir abschließen mögen. Nicht die Türme der Banken werden zur letzten Zeit über allem schweben, sondern allein das Haus Gottes. Was jetzt noch die meisten Menschen auch in unserer Stadt übersehen und für unwichtig, vielleicht gar für Quatsch halten, wird sich einmal als das bedeutsamste Geschehen überhaupt herausstellen. Ja, alle Menschen werden einmal erkennen, wie sehr es sich für uns gelohnt hat, mit Christus zu leben und bei ihm zu bleiben. Es ist nicht vergeblich, dass du heute Morgen hier sitzt; du investiert damit wieder neu in deine Zukunft, darfst dich freuen auf den Tag, an dem du einmal im hellen Licht der Gegenwart des Herrn genau das mit eigenen Augen erkennen wirst, was jetzt noch so unwichtig erscheinen mag. Ja, es lohnt sich, Christ zu sein, weil Gott selber das Ziel der Geschichte bestimmt und weil es darum nur allzu vernünftig ist, sich an den zu halten, der der Herr der Geschichte bleiben wird, ganz gleich, wann und wie er seine Pläne dann einmal endgültig umsetzen wird.

II.
Schwestern und Brüder, noch ist es nicht soweit, noch ist Gottes neue Welt, die er uns für das Ende der Zeiten angekündigt hat, nicht sichtbar angebrochen. Und das eine macht uns Jesaja hier auch ganz deutlich: Weh uns, wenn wir versuchen, Gott zu spielen, wenn wir versuchen, herbeizuführen, was Gott allein herbeizuführen vermag.

Wir haben gerade gestern an den 50. Jahrestag des Mauerbaus in unserer Stadt gedacht. Da waren Menschen allen Ernstes auf die Ideologie des Kommunismus hereingefallen, hatten allen Ernstes geglaubt, wir Menschen seien dazu in der Lage, früher oder später hier auf Erden das Paradies einer klassenlosen Gesellschaft zu errichten, in der nur noch Friede und Harmonie herrscht. Doch das funktionierte eben ganz offensichtlich nicht; die Menschen liefen in großen Scharen aus diesem Paradies im Aufbau weg, und so entschieden sich die Machthaber im Osten unseres Landes schließlich dazu, die Menschen zu ihrem vermeintlichen Glück zu zwingen, indem sie sie hinter einer Mauer einsperrten. In solchen Katastrophen enden immer wieder unsere menschlichen Versuche, schon jetzt zu schaffen, was Gott allein doch einmal zu schaffen vermag.

Geradezu ein Anti-Mauer-Bild stellt uns dagegen Jesaja hier vor Augen, gleichsam die wahre Internationale, die eben nicht durch menschliche Organisation, erst recht nicht durch menschlichen Zwang bewirkt wird: Alle Mauern zwischen den Völkern fallen, wo Menschen aus allen Völkern sich dem Gott Israels zuwenden, zu seinem Haus strömen und dort ihr gemeinsames Zuhause finden. So wird es geschehen zur letzten Zeit, so kündigt es Jesaja an – und wir stellen staunend fest: Was der Prophet damals vor 2700 Jahren angekündigt hat, davon können wir in der Tat schon jetzt etwas in dieser Welt, ja auch hier in unserer Mitte erkennen:
Die letzte Zeit, sie hat in der Tat schon begonnen, seit Christus am Ostermorgen die Macht des Todes gebrochen hat und uns damit die Hoffnung auf eine Welt geschenkt hat, in der Gott einmal endgültig alle Tränen von unseren Augen abwischen wird. Und er, der auferstandene Christus, ist es gewesen, der seine Jünger nach Ostern losgeschickt hat in alle Welt, um alle Völker einzuladen, sich dem Gott Israels zuzuwenden, der sich in seinem Sohn Jesus Christus den Menschen endgültig zu erkennen gegeben hat. Und so strömen seitdem Menschen dorthin, wo er, der lebendige Gott, sich finden lässt. Und auch wir sind hier in unserer Gemeinde Teil dieser überwältigend großen weltumspannenden Bewegung, die der Gott Israels, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, selber in Gang gesetzt hat. Ja, blicken wir ruhig einmal ganz konkret auf unsere Gemeinde: Wer hätte das auch nur vor 50 Jahren, als die Mauer gebaut und unsere St. Mariengemeinde gegründet wurde, je für möglich gehalten, dass hier in unserer Mitte Menschen, die noch vor 25 Jahren durch einen eisernen Vorhang scheinbar für immer voneinander getrennt waren, nun gemeinsam am Altar niederknien, um durch Christi Leib und Blut miteinander verbunden zu werden? Wer hätte das für möglich gehalten, dass in unserer Gemeinde Seite an Seite Menschen, die aus dem Gottesvolk Israel stammen, gemeinsam mit ehemaligen Muslimen aus dem Iran und Menschen aus vielen anderen Ländern dieser Erde auf das Wort das einen wahren Gottes hören?

Was für ein wunderbares Bild ist es, das uns Jesaja hier vor Augen stellt und in dem sich doch unsere Wirklichkeit so treffend widerspiegelt: Menschen sind fasziniert davon, Gottes Gegenwart erfahren zu dürfen, und kommen dorthin, wo er sich finden lässt. Genauso erleben wir es bei uns. Wir versuchen nicht, Menschen zu bequatschen oder gar mit Gewalt rumzukriegen, dass sie in unsere Mitte kommen; wir sperren sie erst recht nicht hinter Mauern ein, um sie zu ihrem Glück zu zwingen, sondern wir weisen einfach hin auf den, der in unserer Mitte gegenwärtig ist. Und dann kommen die Menschen ganz von allein, ja, strömen immer wieder auch, wie ich es nun gerade nach dieser Kinderbibelwoche wieder erlebe, wo ich im Augenblick kaum hinterherkomme, mit all denen zu sprechen und all diejenigen auf die Taufe vorzubereiten, die sich auch diesem großen Zug mit anschließen wollen, den Jesaja hier beschreibt. Ja, es lohnt sich, Christ zu sein, weil wir als Christen schon hier und jetzt erleben dürfen, was Gott für das Ziel der Zeit angekündigt hat, weil wir als Christen unseren Platz haben in einer Familie, die Menschen aus allen Völkern umfasst. Was für eine mitreißende Aussicht!

III.
Spannend ist das Leben, das wir als Christen führen: Wir leben in der gespannten Erwartung dessen, was Gott allein herbeiführen wird, und dürfen doch jetzt schon erfahren, wie Gott zu erfüllen beginnt, was er durch seinen Propheten damals angekündigt hatte. Und genau diese Spannung erfahren wir auch in unserem Leben als einzelne Christen:
Da haben wir eben in der Predigtlesung das bekannte Wort von den Schwertern, die zu Pflugscharen werden, gehört. Immer wieder ist dieses Wort falsch verstanden und gebraucht worden, so als ob wir Menschen hier dazu aufgefordert würden, Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln. Sichtbarer Ausdruck dieses Missverständnisses ist die Skulptur des sowjetischen Künstlers Jewgeni Wutschetitsch, die im Garten des UN-Hauptgebäudes in New York steht: Sie zeigt einen muskelbepackten Mann, der mit großer Anstrengung gerade ein Schwert in eine Pflugschar umschmiedet. Doch hier bei Jesaja steht in Wirklichkeit etwas ganz Anderes: Da schildert Jesaja, dass Menschen zum Gott Israels strömen werden, dass sie auf sein Wort hören werden und durch dieses Wort so verändert werden, dass sie tatsächlich aufhören, gegeneinander das Schwert zu erheben. Jesaja appelliert also nicht an den guten Willen der Menschen, sondern er spricht von der Kraft, die das Wort Gottes in den Herzen der Menschen zu entfalten vermag, dass dadurch ihr Leben und auch ihr Verhalten verändert wird.

Genau davon können wir auch bei uns etwas erleben: Nein, Gottes neue Welt ist noch nicht sichtbar angebrochen – und so lange lernen Menschen eben doch immer wieder, Gott sei’s geklagt, Krieg zu führen, und setzen das Gelernte dann auch immer wieder um. Und das wird auch bis zur letzten Zeit so bleiben, machen wir uns nichts vor. Doch zugleich fängt Gott doch auch schon hier und jetzt an, etwas in unserer Welt zu verändern, fängt an bei dir und bei mir: Immer wieder umfängt er uns mit seiner Liebe, immer wieder prägt er uns durch sein Wort – und das bleibt nicht ohne Folgen, lässt uns auch in unserer Gemeinde anders miteinander umgehen als in irgendwelchen anderen Organisationen. Du musst das selber bei dir gar nicht fühlen und spüren – und doch darfst du gewiss sein: Du gehst niemals unverändert aus einem Gottesdienst heraus; da hat Gott dann wieder an dir gearbeitet, lässt mit dir seine neue Welt schon beginnen. Ja, sie steht dir zur Verfügung, die Kraftquelle, von der jener sowjetische Bildhauer so wenig wusste, die Kraftquelle des Wortes Gottes. Schöpfe darum immer wieder kräftig aus ihr, dann wirst du es auch in deinem Leben erfahren: Es lohnt sich allemal, ein Christ zu sein! Amen.