29.09.2011 | Josua 5,13-15 | Tag des Erzengels Michael und aller heiligen Engel

Kann es Reliquien von Erzengeln geben? Diese Frage stellte sich ganz konkret dem Gründer des Klosters auf dem Mont Saint-Michel, das auf dem Umschlag des neuen Feste-Burg-Kalenders 2012 abgebildet ist. Bischof Aubert, so hieß der Gründer des Klosters, war fest davon überzeugt, dass ihm der Erzengel Michael erschienen sei und ihm befohlen habe, auf dem Felsen vor der Küste des Normandie ein Kloster zu errichten. Aber für ein anständiges Kloster brauchte man eben auch Reliquien. Doch worin sollten diese im Fall des heiligen Michael bestehen? Knochen kamen wohl kaum in Frage, denn abgesehen davon, dass es zutiefst ungewiss war, ob Engel Knochen haben, war es doch ziemlich klar, dass Engel nicht sterben und damit ihre Gebeine als Reliquien zur Verfügung stellen könnten. Schließlich wurde Bischof Aubert in einem Kloster in Italien fündig: Dort konnte er einen Fußabdruck des Erzengels Michael erwerben, den dieser bei einer Erscheinung dort in der Gegend hinterlassen hatte, und außerdem einen Schleier, den der schusselige Erzengel bei seinem Abflug dort hatte liegen lassen. In späteren Jahrhunderten hätte sich der Bischof dann auch noch bei den zahlreichen Federn von Erzengeln bedienen können, die die Kreuzfahrer aus dem Heiligen Land als Reliquien mitbrachten.

Von der Begegnung mit einem Erzengel berichtet auch die alttestamentliche Lesung des heutigen Festtags. Allerdings wird dieser Erzengel hier nicht als solcher bezeichnet, sondern nennt sich selber „Fürst über das Heer des HERRN“. Als Engel wird er von Josua auch gar nicht gleich erkannt; offenbar hatte er also keine Flügel, geschweige denn, dass er sich gerade in der Mauser befunden und somit irgendwelche Federn bei seiner Begegnung mit Josua zurückgelassen hätte. Einen gewaltigen Eindruck hinterlässt das Gegenüber bei Josua – aber nicht unbedingt im Boden vor den Stadttoren von Jericho, sondern in seinem Gedächtnis. Und so wird uns von dieser Begegnung auch keine Reliquie überliefert, sondern ein Bericht, der auch uns heute dreierlei erkennen lässt:
- Engel kommen überraschend.
- Engel kämpfen.
- Engel kommunizieren Gottes Gegenwart.

I.
Da hat der Josua gerade mit dem Volk Israel den Jordan überschritten und ist nun endlich im Gelobten Land angekommen. Doch nun beginnen die Herausforderungen erst so richtig: Vor ihnen liegt die Stadt Jericho mit ihren festen Mauern, die nun erobert werden soll. Doch wie soll Josua das bloß anstellen? Weder für eine Belagerung noch für eine Schlacht waren die Israeliten eigentlich ausgerüstet. Josua blickt zu Boden; viele Gedanken schießen ihm vermutlich durch den Kopf. Doch als er dann wieder aufblickt, bekommt er einen kräftigen Adrenalinstoß: Mit einem Mal sieht er einen Mann einige Meter vor sich stehen mit gezücktem Schwert. Josua ist kein Feigling; er läuft nicht weg, sondern er geht zu dem Mann hin, um sich zu erkundigen: Gehörst du zu unseren Leuten, oder gehörst du zu unseren Feinden? Die Antwort des geheimnisvollen Gegenübers fällt dann allerdings ganz anders aus, als Josua dies wohl erwartet hätte: „Nein“, antwortet der Mann mit dem Schwert. Das heißt: Du kannst mich nicht einfach in deine Schubladen einordnen; ich kämpfe nicht so auf einer der beiden Seiten, wie du dir das vorstellst. „Nein“, sagt der Mann, „sondern ich bin der Fürst über das Heer des HERRN und bin jetzt gekommen.“ Damit hatte der Josua nun in der Tat überhaupt nicht gerechnet; doch darauf reagiert er sofort: Er fällt auf sein Angesicht zur Erde nieder und betet an.

Engel kann man, wie gesagt, nicht unbedingt an ihrem prächtigen Gefieder erkennen. Man kann sie auch nicht unbedingt daran erkennen, dass man sie gleich sieht. Der Josua hatte diesen Fürsten über das Heer des HERRN auch erst mal gar nicht gesehen und erkannt; so beschäftigt war er mit sich selber und seinen eigenen Gedanken. Auch wir können Engel in aller Regel nicht sehen. Engel müssen nicht immer sichtbar sein, sie können auch unsichtbar sein. Oft genug sehen wir sie aber auch deshalb nicht, weil wir zu sehr mit uns selber beschäftigt sind, weil wir glauben, alles in unserem Leben allein schaffen und bewältigen zu müssen, dass wir die Engel gar nicht wahrnehmen, die Gott uns schon längst an unsere Seite gestellt hat. Engel kommen überraschend. Sie fliegen nicht bloß am Heiligen Abend bei uns ein, um als stimmungsvolle Kulisse zu dienen, sondern wir sollen und dürfen immer damit rechnen, sie bei uns und um uns zu haben. Sie sind da, auch wenn wir sie nicht unbedingt sehen und identifizieren können, weil sie unseren Vorstellungen von Engeln vielleicht gar nicht entsprechen. Aber sie sind da, denn genau das ist ihr Auftrag, den sie von Gott haben: für uns da zu sein, ja bei uns zu sein.

II.
Und damit sind wir schon beim Zweiten, was Josua hier erfährt und uns deutlich macht: Engel kämpfen. Der Engel, dem Josua hier begegnet, ist kein pausbäckiges Püppchen zum Knuddeln, sondern der steht bewaffnet da, bereit zum Kampf. Allerdings lässt er sich von Josua nicht gleich vereinnahmen und in sein Heer integrieren: „Nein“, sagt er sehr deutlich. Du kannst mich nicht einfach für deine Zwecke gebrauchen.

Und genauso sagen die Engel auch heute noch „Nein“, wenn wir meinen, über sie nach unseren Wünschen verfügen zu können. Engel sind nicht dazu da, unsere Wünsche und Interessen durchzusetzen; sie lassen sich erst recht nicht als Maskottchen instrumentalisieren, geschweige denn, dass sich irgendwelche kriegführenden Parteien auf ihre Unterstützung berufen könnten.

Der Kampf, den der Engel, der Josua begegnet, führt, der Kampf, den die heiligen Engel Gottes insgesamt führen, ist ein anderer: Es ist der Kampf, den Gott selber gegen alle Mächte des Bösen führt, gegen all die Mächte, die Gottes Volk davon abhalten wollen, zum Ziel seines Weges zu gelangen. Diesen Kampf sollten wir ja nicht unterschätzen – im Gegenteil: Von uns aus hätten wir keine Chance, in diesem Kampf auch nur irgendwie zu bestehen. Hilflos wären wir den Tricks derer ausgeliefert, die uns wieder aus der Gemeinschaft mit Christus herausziehen wollen, die verhindern wollen, dass wir einmal für immer in der Gegenwart unseres Herrn leben. Doch wir sind nicht allein: Schau auf den Fürsten über das Heer des HERRN. Er lässt sich nicht von Josua instrumentalisieren; aber zugleich kämpft er doch für ihn und für Israel, sorgt dafür, dass Gottes Volk auch ohne Waffengewalt Jericho erobert und sich in dem Land ansiedeln kann, das Gott ihm versprochen hat. Der Engel zeigt sich Josua, damit der schon vorher erkennen kann: Alles, was jetzt passiert, ist eigentlich nicht mein Tun; dahinter steht Gott selber, der für uns kämpft. Posaunenklänge reichen bald darauf, um in Jericho am Ende einzumarschieren.

Es mag sein, dass du in deinem Leben sehr wohl etwas von diesem Kampf kennst, in den du gestellt bist, von diesem Kampf, in dem der Widersacher Gottes dich immer wieder daran zu hindern versucht, deinen Weg mit Christus zu gehen. Dann schaue auf diesen Fürsten über das Heer des HERRN mit seinem bloßen Schwert. Er ist bereit, mit seinem Heer auch immer wieder für dich zu kämpfen, dass der böse Feind keine Macht an dir finde. Ja, Gottes Engel kämpfen für dich; es hängt nicht an dir, nicht an deiner Kraft, nicht an deiner Glaubensstärke. Und wenn du von solch einem Kampf wenig spürst, dann lass dir doch durch Gottes Wort die Augen und Ohren öffnen: Der Kampf um dich, er tobt trotzdem; Gottes Engel führen ihn für dich. Doch Gott will, dass dir klar ist, auf welcher Seite du in diesem Kampf stehst. Du kannst nicht bloß ein bisschen Christ sein, du kannst nicht bloß ein bisschen zu ihm gehören. Schau auf den Fürsten über das Heer des HERRN mit seinem bloßen Schwert. Er kämpft im Auftrag des HERRN auch für dich; desertiere darum bloß nicht von ihm!

III.
Als Josua erkennt, mit wem er es da zu tun hat, fällt er auf sein Angesicht und betet an. Nein, er betet nicht den Engel als Engel an, sondern er weiß: durch diesen Engel begegnet ihm Gott selbst. Wo Engel auftauchen, da verweisen sie immer wieder auf Gottes Gegenwart, weisen von sich weg hin auf den, der sie gesandt hat. Und gerade so wird der Ort, an dem Josua hier dem Fürsten über das Heer des HERRN begegnet, zu einer heiligen Stätte, der Josua seinen Respekt erweist, indem er seine Schuhe auszieht.
Engel verweisen auf die Gegenwart Gottes selber, ja kommunizieren sie geradezu, so dürfen auch wir es immer wieder erfahren, ja, auch jetzt in dieser Stunde. Wir sind hier nicht unter uns, auch wenn es zunächst den Anschein haben mag. Sondern die Engel, die für uns kämpfen, die sind nun dieser Stunde auch mitten unter uns, um auch jetzt schon den Sieg in dem Kampf zu feiern, von dem uns eben in der Epistel berichtet wurde. Es ist nicht mehr unklar, ob am Ende die Mächte des Bösen oder Christus mit seinen Engeln den Sieg in dem Kampf behalten werden, der um uns tobt. Christus und seine Engel haben die entscheidende Schlacht schon gewonnen; wer sich an ihn, Christus, hält, steht auf jeden Fall auf der Seite des Siegers. Und das feiern wir heute Abend wieder mit allen Engeln, ja, das feiern wir heute Abend mit ihm, dem Sieger selber, der nun gleich wieder zu uns kommt mit seinem Leib und Blut hier im heiligen Mahl. Da singen wir mit allen Engeln und Erzengeln, da verweist uns ihr Gesang auf das Kommen des Herrn aller Herren, dass auch wir wie Josua damals nur zu Boden sinken können, weil auch wir erkennen: Die Worte des Boten, die er spricht oder singt, sind in Wirklichkeit die Worte des Herrn selber, wirken, was sie sagen: Die Gegenwart des Herrn der Heerscharen in den Gestalten von Brot und Wein in unserer Mitte. Auf die Anbetung dieses Herrn zielt der Dienst der Engel, den sie heute Abend an uns vollziehen, wenn sie diesen Gottesdienst gemeinsam mit uns feiern, dass wir das Wunder wahrnehmen, das in unserer Mitte geschieht: Christi Leib und Blut – hier auf dem Altar und dann gleich in unserem Mund. Da können wir auf Federn und Fußabdrücke von Erzengeln getrost verzichten! Amen.