28.12.2011 | Offenbarung 12,1-6.13-17 | Tag der unschuldigen Kinder

Als wir neulich mit unserer Vorkonfirmandengruppe drüben in der Herz-Jesu-Kirche waren, schauten wir uns dort auch einen Altar an, der eine Marienkrönung zeigte: Auf goldenem Grund wird dort dargestellt, wie Christus Maria zur Himmelskönigin krönt. Fremd mutet uns als lutherischen Christen solch eine Darstellung an; doch natürlich hat sich die römisch-katholische Kirche solche Darstellungen auch nicht einfach aus den Fingern gesogen, nimmt auch in solchen Darstellungen auf biblische Zitate Bezug. Ganz konkret ist auch dieses Altarbild gestaltet in Anlehnung an den ersten Vers unserer heutigen Predigtlesung: „eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond zu ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.“

Das soll Maria sein? - So mögen wir fragen. Doch ganz so an den Haaren herbeigezogen ist diese Deutung nicht, denn einige Verse weiter heißt es, dass die Frau einen Sohn gebar, der alle Völker weiden sollte mit eisernem Stabe. Und das ist eine eindeutige alttestamentliche Anspielung auf den Messias, also auf Christus. Und von ihm gilt eben auch, dass sein Weg ihn schließlich zu Gott und seinem Thron führte. Die Mutter des Messias, die Mutter Christi – das kann eigentlich nur Maria sein.

Sollten wir also einräumen, dass wir als lutherische Christen hier vielleicht doch ein Defizit haben, sollten wir uns vielleicht auch solch ein Marienkrönungsbild hier in unsere St. Marienkirche hängen? Es lohnt sich jedenfalls, die Verse der Epistel des heutigen Tags der unschuldigen Kinder noch einmal genauer zu betrachten.

Zweierlei fällt bei genauerer Betrachtung auf: Zum einen ist offensichtlich: Hier wird in Bildern, in einer ganz besonderen Bildersprache geredet, die selbst in der Johannesoffenbarung ihresgleichen sucht. Man tut den Worten unserer heutigen Predigtlesung kein Unrecht, wenn man behauptet, dass hier die Sprache des Mythos gesprochen wird, solange man sich klarmacht, dass damit nichts über die Wahrheit und Wirklichkeit dessen gesagt und entschieden wird, was hier geschildert wird. Es gibt Völker in Afrika, die ihre Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg in die Form eines Mythos gekleidet haben, um der unfasslichen Größe und dem unfasslichen Schrecken dessen, was sie da erlebt haben, in rechter Weise Ausdruck zu geben. Niemand würde ernsthaft auf die Idee kommen, zu behaupten, der Zweite Weltkrieg habe in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden, nur weil Menschen ihn in Form eines Mythos schildern.

Zugleich fällt aber auch ein Zweites auf: Die Geschichte, die Johannes hier in dieser so besonderen Form beschreibt, ist keine Triumphgeschichte, sondern sie ist eine furchtbare Geschichte, voller Angst und Schrecken und Bedrohung – und sie ist doch zugleich eine Trostgeschichte, die man aber erst da wahrzunehmen vermag, wo man die Augen vor dem Schrecklichen und Furchterregenden nicht verschließt: Die Frau mit der Krone von zwölf Sternen strahlt eben nicht einfach auf Goldgrund vor sich dahin, sondern sie muss Entsetzliches durchmachen: ein Kind muss sie zur Welt bringen, dem grausame Mächte sofort nach der Geburt nach dem Leben trachten, muss dann erfahren, wie der Hass, der eigentlich ihrem Kind galt, nun auch sie trifft und sie zur Flucht veranlasst. Verfolgt wird sie mit allen Mitteln, muss schließlich erleben, wie zwar nicht das eine erstgeborene Kind, wohl aber viele anderer ihrer Kinder schließlich von den grausamen Mächten umgebracht werden.

Wir erkennen in dieser Geschichte sehr wohl auch das Schicksal der Gottesmutter Maria, die bald nach der Geburt ihres Sohnes in Bethlehem, der Geburtsstadt des Messias, fliehen muss, weil Herodes ihrem Sohn nach dem Leben trachtet. Genau so haben wir es eben ja auch im Heiligen Evangelium gehört. Maria – sie wird hier im Verlauf der Verse gerade nicht als triumphierende Königin geschildert, sondern als leidende Mutter, die vom Verfolgungsgeschick ihres Sohnes betroffen wird und schließlich zurückbleiben muss, als ihr Sohn seinen Weg zu Gott und seinem Thron antritt. Das Bild, das der Schilderung Mariens hier in unserer Predigtlesung also am besten entspricht, ist die Pietà, die in unserer Taufkapelle hängt und die zeigt, wie Maria um ihren hingerichteten Sohn trauert, wie sein Geschick auch sie leiden lässt.

Doch dem Mythos geht es um keine genaue Zeitabfolge, und so erkennen wir in dieser Frau, wenn wir genauer hinschauen, nicht nur Maria, sondern auch die Kirche. Beides widerspricht sich nicht: Maria ist in ganz besonderer Weise Urbild der Kirche. Was sie in ihrem eigenen Leben schon hat erfahren müssen – den Hass der widergöttlichen Mächte gegen ihren Sohn –, das erfährt die Kirche in der Folgezeit noch einmal in ganz besonderer Weise: Verfolgte Kirche ist sie, Kirche, die immer und immer wieder erfahren muss, wie die Mächte des Widersachers sie zu vernichten versuchen. So bedrohlich ist die Lage der Kirche, menschlich gesprochen, immer wieder, dass sie sich letztlich nur noch in mythischen Bildern angemessen umschreiben lässt, so macht es Johannes hier deutlich, schärft damit unseren Blick für das, was die Kirche Jesu Christi seit dem 1. Jahrhundert immer und immer wieder hat erleben müssen: Wer hat sich nicht schon alles daran versucht, die Kirche endgültig zu vernichten: römische Kaiser und Mongolenherrscher, Stalin und auch Hitler, wenn man ihn noch länger gelassen hätte, ein Herr Ahmadinedschad genauso wie ein Herr Kim Il Sung.

Doch was sie auch versuchen – sie schaffen es nicht, die Kirche zu vernichten. Auf wundersame Weise wird sie immer wieder von Neuem von Gott bewahrt.

Wie gesagt: Was Johannes hier schildert, ist trotzdem keine Triumphgeschichte, keine Geschichte auf Goldgrund. Eine Kirche, die sich einfach nur mit der gekrönten Himmelskönigin identifiziert und vielleicht gar von ihr noch irgendwelche irdischen Herrschaftsansprüche ableitet, hat ihre eigene Situation noch überhaupt nicht erkannt. Während wir hier in Ruhe und Frieden unseren Gottesdienst feiern, erleidet die Kirche in vielen Ländern dieser Welt Verfolgung und Unterdrückung, werden Christen in vielen Ländern dieser Welt um ihres Glaubens willen gefoltert und umgebracht. Sehr fein unterscheidet Johannes hier in unserer Predigtlesung zwischen der Frau und den „Übrigen von ihrem Geschlecht“, wie er sie nennt. Damit bringt er zum Ausdruck: Die Kirche kann als Kirche nicht von den Pforten der Hölle überwältigt werden; sie wird Bestand haben bis zum Jüngsten Tag. Doch die einzelnen Glieder der Kirche haben nicht die Gewähr, dass sie überleben, wo die Widersacher Christi versuchen, ihre Wut über Christus an denen auszulassen, die sich zu ihm, Christus, bekennen: Der einzelne Christ muss sehr wohl damit rechnen, dass seine Zugehörigkeit zu Christus ihm Nachteile, ja im Extremfall sogar den Tod einbringt.

Und was hat diese Geschichte, die uns St. Johannes hier schildert, nun mit uns, mit unserem Leben zu tun? Wir leiden keine Verfolgung, wir müssen nicht vor den Mächten des Bösen fliehen und uns verbergen wie so viele Christen in irgendwelchen Hausgemeinden rund um den Globus. Die furchterregenden Bilder, die uns St. Johannes hier vor Augen stellt, scheinen ziemlich weit weg von unserer Realität zu sein.

Doch Johannes öffnet uns mit dem, was er schildert, auch die Augen für unsere eigene Wirklichkeit: Rohe Gewalt, unmittelbare Verfolgung sind nicht die einzigen Mittel, die die Widersacher Christi kennen, um die Kirche Christi und ihre Glieder zu bekämpfen. Oft genug haben sie mit diesen Mitteln auch nur das Gegenteil bewirkt, haben erfahren müssen, wie die Kirche gerade da besonders gewachsen ist und noch heute wächst, wo sie unter Druck gerät. Andere Mittel sind da offenbar viel effektiver: die Kirche und ihre Glieder beispielsweise einzulullen, ihnen einzureden, man könne das Christsein so ein bisschen nebenbei von Zeit zu Zeit betreiben, eine nette Freizeitbeschäftigung, wenn man nichts Dringenderes zu tun hat. Damit hat der Widersacher Gottes viel mehr Erfolg, wenn es ihm gelingt, Christen einzureden, sie bräuchten die Kirche, sie bräuchten den Gottesdienst, sie bräuchten das Heilige Mahl eigentlich gar nicht, könnten auch ohne dies alles ganz gut Christen sein.

Unterschätzen wir darum die Macht der Widersacher Christi nicht: Sie sind sehr wohl dazu in der Lage, uns ganz langsam und behutsam von Christus wegzuziehen, ohne dass wir es vielleicht merken. Solange wir glauben, wir bräuchten nur ein bisschen christlich zu sein, haben wir gegen sie nicht die geringste Chance. Es hilft nur eins: ganz fest bei der Kirche zu bleiben, die die Verheißung hat, dass die Mächte des Bösen sie nicht überwinden werden, ganz fest bei dem erhöhten Christus zu bleiben, der uns doch seine Gegenwart hier auf Erden immer wieder erfahren lässt in seinem Heiligen Mahl. Dann wird Christus am Ende deines Weges auch dich krönen mit dem ewigen Leben, wie er auch Maria gekrönt hat, nicht weil sie es verdient hätte oder weil wir es verdient hätten, sondern weil er für dich und für mich Mensch geworden ist, für dich und mich Verfolgung und schließlich den Tod erlitten hat, damit uns in der Tat eine goldene Zukunft bevorsteht, dann, wenn die Zeit der Widersacher Christi einmal endgültig abgelaufen sein wird. Wie gut, dass Christus, dass auch seine Kirche und wir in ihr allemal den längeren Atem haben! Amen.