28.03.2010 | Philipper 2, 5-11 (Palmarum)

PALMARUM – 28. MÄRZ 2010 – PREDIGT ÜBER PHILIPPER 2,5-11

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Die Angst vor dem Abstieg geht um in Berlin: Nur noch wenige Spieltage sind es bis zum Ende der Saison, und Hertha liegt in der Tabelle schon so weit zurück, dass mittlerweile kaum noch Hoffnung besteht, dass die Mannschaft am Ende der Saison doch noch die Klasse erhalten, doch noch weiter in der obersten Liga mitspielen kann. Gerade einmal ein Jahr, nachdem sie kurz davor standen, deutscher Meister zu werden, ganz, ganz oben anzukommen, könnte die Mannschaft von Hertha BSC absteigen – für viele Fans in unserer Stadt ist das ein geradezu unfasslicher Gedanke, genauso wie für die Spieler, die Vereinsführung und die vielen kleinen Leute, die wirtschaftlich davon profitieren, dass Hertha in der Ersten Bundesliga mitspielt. Ja, da würde für viele eine Welt zusammenbrechen, wenn das tatsächlich passieren würde, wenn Hertha in Zukunft statt gegen Bayern und Schalke gegen irgendwelche Dorfvereine in der Zweiten Bundesliga antreten müsste.
Abstieg ist etwas Fürchterliches, etwas, was man um jeden Preis vermeiden sollte – dieser Gedanke scheint uns selbstverständlich zu sein, nicht nur im Fußball, sondern auch sonst in unserem Leben: Nein, absteigen möchten wir auf keinen Fall, nicht bloß nicht mit unserem Lieblingsverein, sondern auch nicht beruflich, wirtschaftlich, sozial. So weit wie möglich oben bleiben wollen wir, das ist doch klar.
In der Epistel des heutigen Sonntags Palmarum wird uns der dramatischste Abstieg aller Zeiten geschildert, ein Abstieg, der den Absteiger viel, viel tiefer abstürzen ließ als bloß von einer Fußballliga in die nächste. Nein, tiefer als dieser Absteiger, den uns St. Paulus hier vor Augen hält, kann man gar nicht sinken. Doch nicht von einem Versager handelt diese Abstiegsgeschichte, nicht von einem, der nicht die Kraft hatte, sich genügend gegen andere durchzusetzen, nicht von einem, der einfach Pech gehabt im Leben. Sondern dieser Absteiger, den uns St. Paulus hier schildert, der steigt freiwillig ab, der wird zu diesem Abstieg nicht gezwungen, der setzt sich gegen ihn auch nicht zur Wehr, sondern der entscheidet sich selber, man mag es kaum glauben, für diesen Abstieg.
Ganz, ganz oben beginnt dieser Abstieg, weit höher als in der Champions League: Er beginnt tatsächlich im Himmel: In göttlicher Gestalt war dieser Absteiger, so beschreibt es das Lied, das der Apostel hier in unserer Epistel zitiert. Das heißt: Er wurde anerkannt als der, der er in Wirklichkeit war: Kein Geschöpf, sondern in Ewigkeit Gott gleich, berechtigt, dieselbe Anbetung und Verehrung zu empfangen wie sein Vater. Wenn eine Fußballmannschaft ganz oben angekommen ist, deutscher Meister geworden ist, dann ist dieses Glück vergänglich, immer nur von kurzer Dauer; schon in der nächsten Saison mag ihr dieser Titel wieder genommen werden. Bei ihm, dem Absteiger, war es ganz anders: Der war nicht nur zeitweilig mal ganz oben angekommen; der war dort schon in aller Ewigkeit – und nichts und niemand hätte ihn zwingen können, diese Spitzenposition jemals zu verlassen. Wonach Adam und Eva sich sehnten und was sie vergeblich durch den Verzehr der verbotenen Frucht zu erreichen versuchten, nämlich zu sein wie Gott, das galt für diesen Absteiger von vornherein, dazu musste er sich nicht mit irgendeinem Trick machen.
Doch dann passiert das Unfassbare: Er, der schon immer Gott war, entscheidet sich für den Abstieg, aus freien Stücken, klebt nicht an seinem Thronsessel, sondern begibt sich nach unten – nein, nicht bloß eine Liga hinab, nicht bloß ein bisschen mal auf Probe mit dem Recht auf sofortige Rückkehr, wenn es ihm weiter unten nicht passt. Sondern seinen Abstieg kann man sich gar nicht krass genug vorstellen: Er wird aus dem Himmel durchgereicht bis ganz nach unten, bis er schließlich allen Ernstes den Menschen gleich wird. Wir mögen das ja ganz schön finden, Menschen zu sein, mögen uns trotz unseres Verhaltens nicht ganz zu Unrecht als Krone der Schöpfung vorkommen: Was es jedoch für einen, der Gott gleich war, bedeutet, nun uns Menschen gleich zu werden, das können wir uns kaum vorstellen: Der Zwangsabstieg eines Champions League-Teilnehmers in die 4. Kreisklasse ist nichts gegen diesen Abstieg, den uns der Apostel Paulus hier schildert. „Er entäußerte sich selbst“, so übersetzt Martin Luther hier das entsprechende griechische Wort. Wörtlich steht da: Er machte sich selbst leer, gemeint ist: Er machte sich selbst ganz arm. Alles, was er besaß, Verehrung, Macht, Herrlichkeit, legte er ab, konnte mit keinen Privilegien rechnen, als er Mensch wurde. Nein, das war kein Spiel, kein Maskenball, was er da betrieb; bei diesem Abstieg gab es keine Sicherungsleine für ihn, mit der er sich wieder nach oben ziehen konnte, wenn ihm der Ausflug nach unten keinen Spaß mehr machte. Sondern dieser Abstieg, der war für ihn im wahrsten Sinne des Wortes eine todernste Angelegenheit.
Er, der in göttlicher Gestalt war, nahm Knechtsgestalt an, so übersetzt Martin Luther, gemeint ist: die Gestalt eines Sklaven, eines, der am alleruntersten Ende der Gesellschaft angekommen ist. Könnt ihr euch Königin Elisabeth von England als Hartz IV-Empfängerin vorstellen, als Ein-Euro-Jobberin, um ihre Haushaltskasse etwas aufzubessern? Selbst ein solcher Abstieg wäre nichts im Vergleich zu dem, was dieser Absteiger durchmacht, von dem uns der Apostel hier berichtet: Der, der seit Ewigkeit Gott war, wird Sklave, das heißt: Der Allmächtige wird ohnmächtig, der lebendige Gott begibt sich mit denen auf eine Ebene, die dem Tode verfallen sind. Keiner konnte ihm seine Vorgeschichte ansehen, nichts deutete in irgendeiner Weise darauf hin, dass er unendlich mehr sein könnte als nur der Mensch, als den ihn die Menschen in seiner Umgebung wahrnahmen.
Mensch wurde er – aber damit war sein Abstieg immer noch nicht beendet. Auch als Mensch kann man Karriere machen, kann versuchen, groß rauszukommen, vielleicht gar auf Kosten anderer. Auch als Mensch kann ich darauf hinarbeiten, mir gegenüber anderen eine bessere Position zu verschaffen, ganz oben anzukommen, soweit mir dies als Mensch möglich ist. Doch er, der Absteiger aus der Welt Gottes, nutzt nicht den Vorteil seiner Herkunft, nutzt nicht die Verbindungen, die er von früher besitzt, lässt nicht aufblitzen, wozu er fähig wäre, wenn er denn nur wollte. Im Gegenteil: Freiwillig lässt er es zu, dass die Menschen ihn verkennen. Freiwillig lässt er es zu, dass schließlich andere Menschen über ihn verfügen, andere Menschen über sein Schicksal entscheiden, ihn hin- und herschieben und schubsen wie einen Spielball. Er verzichtet darauf, sein Recht einzufordern, er wehrt sich nicht, greift nicht die an, die ihm Unrecht tun. Ja, sterblich geworden ist er schon mit seiner Geburt als Mensch. Doch er erleidet eben nicht bloß irgendeinen Tod, sondern den schlimmsten und schmachvollsten Tod überhaupt: den Tod am Kreuz. Ja, die Christen in Philippi, an die der Apostel Paulus diesen Brief schrieb, die wussten noch aus eigener Anschauung, was es bedeutete, gekreuzigt zu werden, die wussten, dass dies eine Strafe war, die nur Sklaven und Terroristen vorbehalten war, die wussten, dass sie als römische Bürger vor solch einer brutalen und entehrenden Strafe geschützt waren. Doch er, der größte Absteiger aller Zeiten, er lässt selbst dies mit sich geschehen, lässt sich in der Tat am Ende wie ein Sklave behandeln, wie der Abschaum der Gesellschaft. Tiefer kann man nicht mehr sinken, als schließlich an einem Kreuz aufgehängt zu werden. Der tiefste Abstieg aller Zeiten ist damit vollendet: aus der Herrlichkeit Gottes auf die Müllkippe von Jerusalem, von den Menschen entsorgt als Gefährdung für die Gesellschaft. Bis zu diesem Punkt war er, der Absteiger, noch selber aktiv gewesen, immer noch weiter runter ging er seinen Weg. Nun ist er ganz unten angekommen; nun kann er selber gar nichts mehr machen. Nun erlebt er nach seiner Empfindung als Mensch das endgültige Aus seiner Existenz. Unfasslich!
Was macht eine Fußballmannschaft, wenn sie abgestiegen ist? Sie wird alle Energie, die sie hat, einsetzen, um möglichst schnell wieder aufzusteigen, um möglichst schnell wieder nach oben zu kommen. Bei dem Absteiger, von dem St. Paulus hier spricht, ist das etwas Anderes: Der ist so weit unten angekommen, dass der Apostel von keinen Bemühungen dieses Absteigers mehr berichten kann, sich selber wieder nach oben zu arbeiten. Dieser Absteiger tut selber gar nichts mehr – sondern ihm widerfährt etwas. Doch was ihm da widerfährt, das ist nun noch viel spektakulärer als sein Abstieg von ganz oben nach ganz unten: Gott selber greift nun ein, hilft ihm nicht bloß, sich Schritt für Schritt aus dem tiefen Loch wieder nach oben zu kämpfen, in dem sein Absturz geendet war. Sondern Gott packt ihn und führt ihn mit einem Mal von ganz unten nach ganz oben. Nein, er stellt nicht einfach bloß den alten Zustand wieder her, in dem dieser Absteiger sich befand, bevor sein steiler Abstieg nach unten begann. Sondern seine Erhöhung schließt ein, dass er einen Namen bekommt, der über alle Namen ist, dass er nun verehrt und angebetet werden kann nicht allein von den Engeln im Himmel, sondern auch von den Menschen auf der Erde, ja sogar von all denen, die unter der Erde, die schon gestorben sind. Ja, wir merken schon: Diese Karriere, die Gott diesem Absteiger ermöglicht, die hat eine unglaubliche Zukunftsperspektive: Der Tag wird kommen, an dem einmal alle Mächte dieser Welt, alle Engel und alle Mächte des Bösen, alle Menschen, ganz gleich, ob lebend oder schon verstorben, vor diesem Absteiger auf die Knie fallen werden, ihn anbeten werden, ihm als ihrem Gott huldigen werden.
Schon im Alten Testament hatte Gott der HERR angekündigt, dass sich einmal alle Knie vor ihm beugen werden, dass einmal Menschen aus allen Völkern und Sprachen bekennen werden: Unsere Rettung, unsere Zukunft liegt allein bei ihm, dem Gott Israels. Und nun erfahren wir, wer dieser Gott Israels, wer dieser HERR ist, der da im Alten Testament zu seinem Volk sprach: Er ist identisch mit diesem Absteiger, ja so werden es einmal alle Menschen und Mächte bekennen: Dieser HERR, der Gott Israels, hat einen Namen, mit dem er angesprochen werden kann, und dieser Name lautet: Jesus Christus. Jesus Christus ist HERR, Jesus Christus ist Gott, der Gott Israels, so wird es einmal mit unzähligen Stimmen erschallen. Alle werden sie ihn einmal anbeten, ihn, der seinen Weg so tief nach unten gegangen ist und damit gezeigt hat, wer er in Wirklichkeit ist: die Liebe in Person.
Alle werden einmal vor Christus niederfallen, ihn anbeten als ihren Herrn und Gott. Doch manche werden es voller Schrecken und Entsetzen tun, weil sie dann erst erkennen werden, wie sehr sie ihr Leben verfehlt hatten, als sie meinten, ohne diesen Christus in ihrem Leben auskommen zu können. Und andere werden es voll Freuden tun, werden es auch darum so fröhlich tun, weil sie genau das in ihrem Leben schon immer wieder eingeübt und trainiert hatten: vor Christus auf die Knie zu gehen und ihn als ihren Herrn zu bekennen.
Hast du dir das schon mal klargemacht, was du da eigentlich tust, wenn du hier im Gottesdienst Woche für Woche das Glaubensbekenntnis sprichst, Woche für Woche bekennst: Ich glaube an Jesus Christus, unseren Herrn, ich glaube an den einen Herrn Jesus Christus? Du nimmst schon einmal vorweg, was du einmal gemeinsam mit allen Menschen auf der Welt bekennen wirst, du trainierst schon für den Höhepunkt und Abschluss der gesamten Weltgeschichte, stellst dich jetzt schon auf die Seite deines Herrn, der auch für dich diesen Abstieg ganz nach unten durchgemacht hat.
Alle Zungen werden einmal Christus als ihren Herrn bekennen. Denke daran, wenn du von jemand blöde angemacht wirst wegen deines Glaubens: Auch der, der da jetzt seine dummen Sprüche reißt, wird einmal gemeinsam mit dir vor Christus seine Knie beugen. Auch der, der jetzt so arrogant von oben herab erklärt, er sei zu intelligent, um an Christus zu glauben, wird einmal das Glaubensbekenntnis mitsprechen, das du jetzt schon sprichst. Nein, du bist nicht rückständig, wenn du an Christus glaubst und dich zu ihm bekennst; du bist im Gegenteil deiner Zeit voraus. Ja, denke daran, wenn du heute wieder hier am Altar vor diesem Christus auf die Knie sinkst: Du machst hier schon mit bei der Generalprobe für die ganz große Anbetung, der sich einmal niemand wird entziehen können. Denn der, dessen Leib und Blut du heute wieder empfängst, ist in Wirklichkeit kein anderer als der, vor dem sich einmal alle Knie beugen werden.
Fußballmannschaften haben ihre Fans, die ihnen zujubeln und sie anfeuern. Christus möchte nicht bloß, dass du ein Fan von ihm wirst, dass du ihn gut findest und ihm die Daumen drückst. Er möchte nicht, dass du nur ein Zuschauer bleibst bei seinem Abstieg und seinem Aufstieg. Denn das war ja nicht bloß eine Show, die er da abgezogen hat, als er so tief nach unten gestiegen und dann wieder ganz nach oben befördert worden ist. Unendlich schwer ist ihm dieser Abstieg gefallen, so bedenken wir es gerade jetzt in dieser Passionszeit. Aber er hat es gemacht, für dich, um dich vor dem entscheidenden Abstieg deines Lebens zu bewahren – vor einem Abstieg, aus dem es für dich endgültig keine Aufstiegsmöglichkeit mehr gegeben hätte, vor dem Abstieg in den ewigen Tod. Darum ist er Mensch geworden, ein Sklave, darum hat er sich ans Kreuz nageln lassen, damit dein Lebensweg niemals so tief hinabführen muss, wie er hinabgestiegen ist. Darum ist er seinen Weg ganz nach unten gegangen, damit auch du gemeinsam mit ihm die Karriere deines Lebens machst, von Gott hochgehoben wirst bis in den Himmel.
Nein, Christus will dich nicht bloß als Fan haben; er will sich mit dir verbinden, so sehr, dass du in ihm lebst. Nein, das will er nicht bloß, das hat er schon getan, in deiner heiligen Taufe. Seitdem lebst du in Christus, in seiner Gemeinschaft. Und das wird dich dann hoffentlich prägen, einen Herrn zu haben, der nicht auf seinen eigenen Vorteil aus war, sondern auf alles verzichtet hat, um dich zu retten. Das wird auch dich hoffentlich vor der Angst bewahren, du könntest im Leben etwas verpassen, wird dich hoffentlich davor bewahren, auf Kosten anderer deinen Vorteil zu suchen. Du kommst doch nicht zu kurz; du bist doch mit Christus verbunden, und der fängt dich auf, wenn es in deinem Leben abwärts geht, der fängt dich auf und führt dich mit sich ganz nach oben.
Ob Hertha absteigen wird oder nicht – das ist für dein Leben nicht entscheidend, das ist der Aufregung nicht wert. Aber dass du mit Christus aufsteigst, daran hängt für dich nicht weniger als alles. Halte dich darum an ihn, auch wenn ihn jetzt noch so viele für einen Absteiger halten, fall vor ihm immer wieder auf die Knie und bekenne dich zu ihm als deinem Herrn. Ich verspreche dir, was dich dann am Ende erwartet: die größte Aufstiegsfeier aller Zeiten! Amen.