25.08.2010 | St. Matthäus 17, 14-20 (Mittwoch nach dem 12. Sonntag nach Trinitatis)

MITTWOCH NACH DEM 12. SONNTAG NACH TRINITATIS – 25. AUGUST 2010 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 17,14-20

Als sie zu dem Volk kamen, trat ein Mensch zu ihm, fiel ihm zu Füßen und sprach: Herr, erbarme dich über meinen Sohn! Denn er ist mondsüchtig und hat schwer zu leiden; er fällt oft ins Feuer und oft ins Wasser; und ich habe ihn zu deinen Jüngern gebracht und sie konnten ihm nicht helfen. Jesus aber antwortete und sprach: O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch erdulden? Bringt ihn mir her! Und Jesus bedrohte ihn; und der böse Geist fuhr aus von ihm und der Knabe wurde gesund zu derselben Stunde. Da traten seine Jünger zu ihm, als sie allein waren, und fragten: Warum konnten "wir" ihn nicht austreiben? Er aber sprach zu ihnen: Wegen eures Kleinglaubens. Denn wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr sagen zu diesem Berge: Heb dich dorthin!, so wird er sich heben; und euch wird nichts unmöglich sein.

Da hatte ich mir so viel Mühe gegeben, einem Gemeindeglied mit seinen Problemen zu helfen, die es hatte und die es zu erdrücken drohten, hatte geglaubt, ich könnte wirklich mit meinem Einsatz etwas bei ihm bewirken und ausrichten. Doch das Ergebnis war dann doch ernüchternd: „Sie sind zwar Pastor; aber geholfen haben Sie mir mit dem, was Sie gemacht haben, schließlich doch nicht“, so lautete am Ende das Fazit.
Ja, ich kann sie gut verstehen, die Jünger, wie sie hier in der Predigtlesung des heutigen Abends ziemlich bedröppelt herumstehen. Da hatte sich ein Mensch in einer großen Not an sie gewandt: Sein Sohn war mondsüchtig, so nannte man das damals; er litt unter epileptischen Anfällen, so würden wir das heute formulieren. Und diese epileptischen Anfälle, sie waren so stark, so heftig, dass sie immer wieder ganz akut das Leben des Sohnes gefährdeten. Kein Wunder, dass der Vater die Jünger Jesu um Hilfe bittet! Die sollten doch dazu in der Lage sein, seinen Sohn zu heilen; schließlich hatte Jesus sie doch mit seiner Vollmacht ausgestattet und losgeschickt. Doch all ihre Heilungsversuche hatten sich bei diesem Jungen als Rohrkrepierer erwiesen; es klappte nicht, was sie wollten und versuchten; am Ende hatten sie diesem schwerkranken Jungen doch nicht helfen können. Frustriert und ratlos stehen die Jünger da: Warum haben wir nicht geschafft, wozu wir doch eigentlich bevollmächtigt waren? Warum haben wir vor der Macht versagt, die diesen Jungen so sehr quält?
Wie gesagt: Ich kann sie, die Jünger, so gut verstehen, und ich finde es so tröstlich, dass gerade auch diese Geschichte im Neuen Testament überliefert wird. Nein, St. Matthäus schildert nicht, wie die Jünger Jesu von Erfolg zu Erfolg eilen, wie sie sich als Glaubenshelden erweisen, denen sich nichts und niemand in den Weg zu stellen vermag. Sondern ausgerechnet der Trupp, mit dem Jesus seine Kirche bauen will, versagt hier jämmerlich, steht hilflos da, weiß auch nicht, was er jetzt noch machen soll. So sah es damals aus, so erlebe ich es immer wieder in meinem Dienst, so erleben wir es in der Kirche insgesamt immer wieder. Wir scheitern, wir versagen, sind aus welchen Gründen auch immer nicht dazu in der Lage zu tun, wozu wir doch eigentlich beauftragt sind, was wir doch eigentlich dringend tun müssten.
Und Jesus nimmt hier auch kein Blatt vor den Mund, spricht deutlich aus, worin die Krise seiner Jünger, worin die Krise seiner Diener bis heute, die Krise seiner Kirche im Tiefsten besteht: Darin, dass sie, dass wir so kleingläubig sind, dass wir Gott, dass wir Christus so wenig zutrauen in unserem Leben, in unserer Arbeit in der Gemeinde und Kirche, dass wir immer wieder glauben, wir könnten das schon alles selber hinkriegen, hätten letztlich nicht mehr nötig als einige aufmunternde Worte unseres himmlischen Chefs. So leicht setzen wir unsere begrenzten Möglichkeiten mit den Möglichkeiten Gottes gleich, meinen, Gottes Möglichkeiten dann eben doch auf das einengen zu können, was uns vernünftig und nachvollziehbar erscheint. Ja, so oft erweisen wir uns als völlig blind gegenüber dem, was Gott in unserem Leben, im Leben seiner Kirche bewirken will, und sind dann gefrustet, wenn wir noch nicht einmal das schaffen, was wir uns selber sogar noch zugetraut hätten. Kleinglaube – so nennt Jesus das, ein Glaube, der vielleicht in manchen Lebenslagen, besonders hier im Gottesdienst, durchaus recht kräftig erscheint und von dem dann wieder so herzlich wenig übrigbleibt, wenn wir die Kirchentüren hinter uns gelassen haben und in unseren Alltag zurückkehren, der doch scheinbar seine eigenen Gesetze hat, in dem Gott dann oftmals nur noch so wenig Platz bei uns hat. Kleinglaube – daran litten damals die Jünger, daran leiden wir als Gemeindeglieder und Pastoren gleichermaßen, und daran leidet vor allem auch er selber, Christus, unser Herr.
Auf geradezu erschütternde Weise bricht es hier in unserer Predigtlesung aus ihm heraus: „O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, wie lange muss ich hier noch bei euch sein? Wie lange muss ich euch noch ertragen?“ Nein, noch nicht einmal erahnen können wir es, was das für ihn, Jesus, bedeutet haben muss, für ihn, der mit Gott, seinem Vater, in völlig ungetrübter Gemeinschaft verbunden war und ist, noch nicht einmal erahnen können wir es, was das für ihn, Jesus, bedeutet haben muss, inmitten von Menschen zu leben, die völlig blind für das Wirken Gottes, für seine Möglichkeiten waren, die ihm so wenig zutrauten, ihm so wenig vertrauten. Nein, das nervte Jesus nicht bloß ein wenig, das bedeutete für ihn Passion, Leiden, das war schon ein Teil seines Kreuzweges, inmitten dieser Menschen leben zu müssen, die nichts kapierten, die nichts begriffen von dem, was er ihnen doch die ganze Zeit gepredigt hatte.
Doch genau darin liegt nun auch der ganz große Trost dessen, was St. Matthäus uns hier berichtet. Jesus schmeißt nicht die Brocken hin, er klinkt sich nicht aus, sondern er geht seinen Leidensweg weiter, schleppt sich ab mit dem ganzen Unglauben, mit dem ganzen Kleinglauben seines Volkes, seiner Jünger, ja auch mit unserem Kleinglauben, mit unserem Versagen, mit unserer Schuld. Er nagelt nicht uns fest auf unser Versagen, er nagelt auch nicht seine Diener fest auf ihr Versagen in ihrem Dienst in seinem Auftrag, sondern er lässt am Ende sich festnageln, seufzt und schreit am Ende nur noch – damit unser Kleinglaube, unser Versagen uns nicht den ewigen Tod einbringt.
Und dann nimmt er die Dinge selber in die Hand: Bringt den Jungen mir nun her, so fordert er die Leute auf. Wenn seine Jünger es nicht schaffen, dann ist damit für den Jungen noch nichts verloren, dann macht er es eben selber: Noch in derselben Stunde wird der Junge wieder gesund, wird geheilt durch das mächtige Wort Jesu selbst.
Wie gut, dass genau dies auch immer wieder in der Kirche geschieht: Wo wir Menschen, wo gerade auch wir Diener der Kirche immer wieder jämmerlich versagen, uns von unserem Kleinglauben gefangen nehmen lassen, da gibt Jesus selber noch längst nicht auf, bewirkt dennoch auf seine Weise, was wir ihm selber niemals zugetraut hätten. Immer und immer wieder beschämt uns Christus in unserem Kleinglauben, lässt Wunder geschehen, die weit über das hinausgehen, was wir zu hoffen wagten, lässt Menschen heil werden durch sein tröstliches Wort, durch die Erfahrung seiner Nähe hier im Heiligen Mahl. Mut schöpfen sollen und dürfen wir aus diesen Erfahrungen, die er, unser Herr, uns gerade auch hier in unserer Gemeinde in den vergangenen Jahren hat machen lassen, Mut, Christus, unserem Herrn, immer noch mehr zuzutrauen, Menschen nicht aufzugeben, uns ihnen zuzuwenden, auch wenn wir ahnen, dass wir selber bei ihnen doch gar nichts bewirken können. Aber Christus will’s tun – und er kann es auch, kann sogar uns kleingläubige Menschen gebrauchen, um schließlich doch noch zum Ziel zu bringen, was er will, um schließlich doch noch Menschen seine liebevolle Zuwendung erfahren zu lassen.
Ja, gerade darum lässt er uns auch in der Kirche, lässt er gerade auch uns Pastoren immer wieder mal kräftig auf die Nase fallen, damit wir wissen, wem wir vertrauen können und wie wenig wir uns dagegen auf uns selber verlassen sollen und dürfen. Christus lässt die Dinge in unserem Leben und in seiner Kirche gewiss nicht immer so laufen, wie wir uns das wünschen und vorstellen; aber er lässt das nicht geschehen, weil ihm seine Hände gebunden wären. Im Gegenteil: Nichts ist ihm unmöglich. Und eben darum gilt auch uns seine Zusage, wenn wir ihm vertrauen: Nichts wird euch unmöglich sein. Ach Herr, wir glauben; hilf unserem Kleinglauben! Amen.