25.03.2009 | St. Lukas 1, 26-38 (Mariae Verkündigung)

MARIAE VERKÜNDIGUNG – 25. MÄRZ 2009 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 1,26-38

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut1 war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Vor einigen Jahren erschien im Deutschen Pfarrerblatt ein Aufsatz eines Pfarrers der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau namens Helmut Schütz mit dem schönen Titel „Marie, die reine Magd“. In diesem Aufsatz versuchte der Pfarrer nachzuweisen, dass Jesus in Wirklichkeit das Ergebnis einer Vergewaltigung Marias durch ihren eigenen Vater sei und dass man Marias Verhalten, wie es im Heiligen Evangelium des heutigen Festtags geschildert wird, als Reaktion auf diesen Übergriff zu interpretieren habe. Joachim, der Vater von Maria und von Jesus, als eine Art antiker Josef Fritzl – Der Fantasie von Pfarrern der evangelischen Landeskirche sind offenbar wenig Grenzen gesetzt, zumal die Kirchenleitung der Hessen-Nassauischen Kirche nach der Veröffentlichung dieses Aufsatzes keinerlei Handlungsbedarf sah und Pfarrer Schütz lediglich mitteilte, er habe als Pfarrer dieser Kirche natürlich die Freiheit, seine Meinung auch in diesem Sinne zu äußern.
Nun ist das Thema des sexuellen Missbrauchs innerhalb der Familie als solches leider ein sehr ernstes und aktuelles Thema, das man keinesfalls leichtfertig beiseite schieben sollte. Dass es allerdings schon sehr viel Fantasie bedarf, um dieses Thema in unserem Evangelium angesprochen zu finden, ist eine andere Sache. Was uns jedoch in der Tat bewegen sollte, ist der Ausgangspunkt der Argumentation von Pfarrer Schütz in seinem Aufsatz. Er sagt: Dass das Bekenntnis, Jesus sei von der Jungfrau Maria geboren, nur als eine symbolische Wahrheit zu verstehen sei und Jesus natürlich durch die Aktivität eines menschlichen Mannes entstanden sei, sei heutzutage unter den Theologen und Pastoren kaum noch umstritten. Und von daher sei es natürlich berechtigt, sich darüber Gedanken zu machen, wer denn nun der Erzeuger Jesu in Wirklichkeit sei, wenn es der Heilige Geist ja wohl nicht gewesen sein könne. Und wenn man die Voraussetzung teilt, die der gute Pfarrer Schütz hier zunächst benennt, dann liegen seine weiteren Überlegungen, die er da in seinem Aufsatz anstellt, gar nicht mehr so fern.
Schwestern und Brüder, ich bekenne, dass ich zu denen gehöre, die laut Pfarrer Schütz heutzutage nicht mehr ganz ernst zu nehmen sind, zu denen, die allen Ernstes daran festhalten, dass das Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis Jesu die Suche nach seinem möglichen menschlichen Erzeuger in der Tat überflüssig macht. Nun ist das keine exotische Privatmeinung, die ich da vertrete, sondern das ist unbestritten das Bekenntnis der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche der letzten zweitausend Jahre gewesen, ja, das und nichts anderes will auch der heilige Lukas selber hier in den Worten des Heiligen Evangeliums dieses Festtages zum Ausdruck bringen. Nein, Schwestern und Brüder, das ist nicht bloß eine theologische Geschmacksfrage, ob man am Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis Jesu festhält. Sondern St. Lukas macht uns hier deutlich, warum dieses Bekenntnis für uns auch heute noch solch eine Bedeutung hat:

- Es bezeugt Gottes Eingreifen in diese Welt.
- Es bezeugt die Realität der Gottessohnschaft Jesu.
- Es fordert unseren Glauben heraus.

I.

Da steht bei dem jungen Mädchen Maria mit einem Mal ein Mann im Wohnzimmer. Dass dieser Mann irgendwelche Flügel gehabt hat, wird im Neuen Testament nicht berichtet; auch nicht, dass er zu ihr durchs Fenster oder den Schornstein hereingeflattert gekommen wäre. Nein, er kommt einfach zu ihr hinein ins Haus – ein ungewöhnlicher Vorgang, zugegebenermaßen, denn das schickte sich damals wirklich nicht, als Mann einfach in eine Wohnung zu gehen, in der eine junge Frau allein war. Kein Wunder, dass sich die Nachbarn in Nazareth bald darauf die Mäuler zerrissen haben werden, als erkennbar wurde, dass Maria noch vor ihrer Hochzeit schwanger war. Doch der besagte Besucher namens Gabriel macht sich nicht über Maria her, sondern begrüßt sie im Gegenteil ganz feierlich: Freue dich, du Hochbegnadete!
Und Maria – die weiß gar nicht, wie ihr geschieht, und sie kann es auch gar nicht wissen. Nein, das liegt nicht daran, dass sie zwischenzeitlich verdrängt hätte, was ihr zuvor an Schrecklichem widerfahren war – ein Vorgang, der in der Tat immer wieder bei Opfern sexueller Gewalt beobachtet werden kann! Sondern es liegt bei Maria daran, dass sie nun überhaupt erst erfährt, was Gott allein zuvor entschieden hat und nun ausführt: Er selbst kommt in diese Welt, in einmaliger Weise, so, wie er es zuvor nicht getan hatte und auch danach nicht mehr tun wird: Er wird selber Mensch. Und dazu können wir Menschen keinen Beitrag leisten, kann auch Maria, die Hochbegnadete, keinen Beitrag leisten. Hochbegnadet ist sie nicht deshalb, weil sie sündlos wäre, weil sie besondere Qualitäten vorzuweisen hätte, die sie von anderen Menschen, von anderen jungen Frauen unterscheiden könnten. Sondern hochbegnadet ist sie einzig und allein, weil sie von Gott auserwählt ist, Mutter Gottes, Mutter seines Sohnes zu werden. Gott kommt persönlich in diese Welt, auf einmalige Weise, und er wählt darum auch einen einmaligen Weg, eben den Weg der jungfräulichen Empfängnis, um den Herren der Schöpfung sehr deutlich zu zeigen, dass sie nicht immer die Macher sind, dass auch sie keinen Beitrag zur Erlösung und Rettung der Menschen leisten können.
Wer dieses Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis Jesu ablehnt oder umzudeuten versucht, weil er in seinem Leben das noch nie erlebt hat, dass eine Frau ohne Zutun eines Mannes schwanger geworden ist, der nimmt letztlich das Eingreifen Gottes in diese Welt nicht ernst. Die Welt ist für den, der so argumentiert, letztlich ein geschlossenes System, in das Gott jedenfalls nicht direkt einzugreifen vermag oder zumindest nicht eingreift, sondern höchstens versuchen kann, das, was Menschen hier in dieser Welt so anrichten, irgendwie noch in eine richtige Richtung zu lenken. Ja, die Menschen, die darauf verweisen, dass es das nach unserer Erfahrung nicht gibt, dass eine Frau ohne Mitwirkung eines Mannes schwanger wird, die haben ja völlig recht – aber wenn sie das als Argument gegen das Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis Jesu einsetzen, dann stellen sie Gottes Initiative, mit den Worten des Engels Gabriel: dann stellen sie Gottes Gnade in Frage, die eben gerade nicht bloß menschliches Tun ergänzt, sondern allem menschlichen Tun immer schon vorausgeht.

II.

Und damit sind wir schon beim Zweiten: St. Lukas macht uns hier in seiner Erzählung sehr deutlich, dass Maria in keiner Weise doof oder ahnungslos ist oder vielleicht auch noch nicht so richtig aufgeklärt. Nein, Maria glaubt nicht an den Klapperstorch, sondern sie weiß auch ohne die Lektüre der BRAVO schon genau, dass für eine Schwangerschaft ein Mann nötig ist. „Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß?“ Aufgeklärter hätten wir Menschen des 21. Jahrhunderts auf die unglaubliche Ankündigung des Engels auch nicht reagieren können, als es Maria damals getan hat.
Doch Gabriel antwortet auf ihre Frage eben nicht: „Das habe ich eben alles nur symbolisch oder bildlich gemeint. Denke doch mal daran, was da neulich nachts los war; dann kommst du vielleicht doch selber darauf, wieso du jetzt schwanger bist.“ Sondern Gabriel verkündigt ihr, dass der Heilige Geist über sie kommen und die Kraft des Höchsten sie überschatten wird und dass darum, ja darum das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt wird. Nein, Jesus wird nicht deshalb einmal Gottes Sohn genannt werden, weil irgendwelche Anhänger von ihm später einmal vor lauter Begeisterung ein bisschen übertrieben haben und ihn zum Sohn Gottes erklärt haben, obwohl er es in Wirklichkeit natürlich gar nicht war. Und Jesus wird auch nicht deshalb Gottes Sohn genannt werden, weil er später einmal von Gott als sein Sohn adoptiert werden wird, so wie auch wir von Gott in unserer Taufe als Söhne und Töchter Gottes adoptiert worden sind. All das würde ja nichts daran ändern, dass Jesus eigentlich ein stinknormaler Mensch war, der später einfach eine große Karriere gemacht hat.
Sondern die jungfräuliche Empfängnis Jesu ist Ergebnis des Wirkens des Heiligen Geistes, des Wirkens Gottes selber, durch das sich Gott mit uns Menschen so eng verbindet, dass er selber Mensch wird. Eine Realität wird hier durch das Wort des Engels gestiftet, die unabhängig ist von unseren Vorstellungen, die wir uns von Jesus machen mögen, eine Realität, die nicht weniger als unser Heil, als unsere Rettung bedeutet. Wäre Jesus nur ein normaler Mensch wie wir auch, wäre seine Gottessohnschaft nur ein netter Ehrentitel, mehr nicht, dann wären wir verloren, dann wäre Jesus in Wahrheit nicht die Brücke, die uns Menschen mit Gott verbindet, dann hätte sein Tod am Kreuz für uns keine Bedeutung, dann wäre die Botschaft vom Kommen Gottes in diese Welt letztlich doch nur ein leeres Gerede, rhetorische Floskeln, mehr nicht. Dann wäre es natürlich genauso unsinnig anzunehmen, dass dieser Jesus, ganz gleich, ob er nun das Ergebnis einer Vergewaltigung oder eines Seitensprungs war, tatsächlich heute leibhaftig hier im Sakrament mit seinem Leib und Blut im Brot und Wein gegenwärtig sein könnte. Dann könnten wir hier ein nettes symbolisches Essen und Trinken zur Erinnerung an ihn veranstalten; aber wieso sollte der Heilige Geist heutzutage etwas in unserer Mitte bewirken können, wenn er damals gar keine Realität unabhängig von unserem Glauben, von unserer Vorstellung, unabhängig von der Gefühlswelt Marias geschaffen hat?
Nein, nette symbolische Redewendungen nützen mir für mein Heil letztlich gar nichts. Denn mein Heil besteht ja nicht darin, dass ich mich von irgendwelchen hübschen Gedanken hier in meinem Leben angerührt und getröstet fühle, sondern mein Heil steht ganz konkret auf dem Spiel, wenn ich eben nicht bloß symbolisch, sondern ganz real und wirklich einmal in einem Sarg in die Erde gelassen werde. Da helfen mir dann keine frommen Vorstellungen weiter, sondern da hilft mir nur ein Heiland, der selber Gott ist und zugleich doch selber Mensch geworden ist, ja, leibhaftig und real, so real wie meine Leichenstarre, meine Verwesung, die irgendwann einmal über mich kommen wird. Ja, wie gut, dass das, was St. Lukas uns hier schildert, nicht bloß frommes Gerede ist, sondern eine Wirklichkeit beschreibt, die auch mich zu retten vermag.

III.

Und damit sind wir schon beim Dritten, weshalb das Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis Jesu für unseren Glauben von so entscheidender Bedeutung ist: Es fordert nämlich unseren Glauben heraus, genauso, wie es damals den Glauben Marias herausgefordert hat.
Skeptisch hatte Maria zunächst verständlicherweise auf die Worte des Erzengels reagiert. Doch der Verweis des Erzengels darauf, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist, leitet schließlich auch Maria dazu an, im Glauben anzunehmen, was ihr zuvor von Gabriel angekündigt worden war: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“
Ein Vorbild des Glaubens ist Maria, die Mutter Gottes, damit zugleich auch für uns. Ja, sie fragt, sie zweifelt zunächst, verständlicherweise. Aber am Ende lässt sie sich eben doch vom Wort Gottes, das der Bote ihr übermittelt, überwinden, lässt dieses Wort wichtiger sein als ihre Fragen und Einwände.
Und eben darum halten wir als Kirche am Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis Jesu fest: Dass wir nachfragen, dass wir zunächst Zweifel äußern, ist verständlich. Aber dann geht es am Ende allein darum, wem wir mehr zutrauen: unserer beschränkten Weltsicht oder Gottes Möglichkeiten, ja Gottes Wirklichkeit, die er uns in seinem Wort verkündigen lässt.
Wer die jungfräuliche Empfängnis Jesu in Frage stellt, weil er so etwas noch nie erlebt hat oder weil er meint, für alles eine innerweltliche Erklärung finden zu können, der bringt damit in geradezu klassischer Weise seinen Unglauben zum Ausdruck, seinen Unglauben, der sich am eigenen Verstand statt an Gottes Wirklichkeit schaffendem Wort orientiert. Wer das Heilige Evangelium des heutigen Festtags nur als Ausdruck frommer Gedanken versteht, die sich der heilige Lukas damals so gemacht hat, der mag sich trotz seiner klaren Aussagen weiter auf die Suche nach dem leiblichen Vater Jesu begeben und vielleicht künftig noch weitere abstruse Erklärungsversuche anbieten. Wer aber in diesen Worten Gottes Stimme selber wahrnimmt und erkennt, der wird einfach nur staunen und ihn, Gott, dafür loben, welche Wege er zu unserem Heil, zu unserer Rettung gewählt hat.
„Mir geschehe, wie du gesagt hast“: Mögen die Worte der Gottesmutter Maria auch unseren Glauben immer wieder von neuem prägen: Ja, mir geschehe, wie du es gesagt hast in meiner Heiligen Taufe. Mir geschehe, wie du es mir gesagt hast eben wieder in der Heiligen Absolution. Mir geschehe, wie du es gleich wieder sagen wirst: Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut, für euch gegeben und vergossen. Mir geschehe, wie du gesagt hast, dass ich mich nicht zu fürchten brauche, weil auch ich begnadet, erwählt, geliebt, gerettet bin. Ja, all das steckt mit drin im Bekenntnis zur jungfräulichen Empfängnis Jesu. Möge uns auch der heutige Festgottesdienst wieder neu dazu helfen, fröhlich in dieses Bekenntnis mit einzustimmen! Amen.