27.05.2009 | St. Matthäus 10, 16-20 (Mittwoch nach Exaudi)

MITTWOCH NACH EXAUDI – 27. MAI 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 10,16-20

Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch den Gerichten überantworten und werden euch geißeln in ihren Synagogen. Und man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen, ihnen und den Heiden zum Zeugnis. Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.

Sie hieß Margarete Guradze und war Glied der Zionsgemeinde in Hamburg unserer Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche – und sie war zugleich Jüdin. Lange war es der Gemeinde gelungen, sich schützend vor sie zu stellen. Doch eines Tages wurde auch Margarete Guradze abgeholt, damals in jenen schrecklichen Jahren des Dritten Reiches. Der Pastor der Gemeinde, selbst jüdischer Herkunft und nur deshalb noch im Dienst, weil er nicht zur evangelischen Landeskirche gehörte und darum nicht dem Arierparagraphen unterlag, besuchte sie noch im Sammellager, um sie geistlich zu trösten und zu stärken. Dort fand er Margarete Guradze getrost und gefasst vor. Von allen Seiten war ihr Gift angeboten worden, damit sie sich vor der Deportation noch das Leben nehmen konnte. Doch sie erklärte ihrem Pastor: „Ich weiß, dass ich diesen Weg gehen muss, so wie der Apostel Paulus sagt: ‚Ich habe mir gewünscht, verbannt zu sein, stellvertretend für meine Brüder, die Jesus nicht angenommen haben.’ Ich finde es wichtig, dass bei diesem Transport überzeugte Christen dabei sind, die die anderen durch die gute Botschaft von Jesus Christus ermutigen und stärken können.“ Frau Guradze wurde bald darauf in den Gaskammern von Auschwitz ermordet.
Wie ist das möglich, dass Menschen in solch einer furchtbaren Situation, in der sie einem verbrecherischen Staat völlig hilflos ausgeliefert sind, in der sie ihrer eigenen Ermordung entgegenblicken, so getrost sein können, so zu ihrem Glauben stehen, ja sogar noch von ihrem Glauben Zeugnis ablegen können? – Schwestern und Brüder, das frage ich mich immer wieder, wenn ich solche Berichte höre, wenn ich lese, wie verfolgte Christen an ihrem Glauben festhalten, obwohl sie dabei und dafür Entsetzliches durchmachen müssen. Und ich frage mich dann immer wieder auch: Hätte ich die Kraft, hätte ich den Mut, um in solch einer Situation auch so zu reagieren wie diese Christen, wie Frau Guradze damals, wie unzählige Christen in Nordkorea, in so vielen islamischen Ländern heutzutage? Morgen früh werde ich wieder einige Stunden auf einem Zahnarztstuhl verbringen. Nein, da bin ich kein großer Held, und manchmal denke ich dann: Wie viele Schmerzen wären wohl nötig, um mich, wenn es darauf ankäme, weich zu bekommen, dass ich nicht mehr zu dem stehe, was ich euch jetzt hier von der Kanzel verkündige?
In der Predigtlesung dieses heutigen Abends gibt uns Christus selber eine Antwort auf diese Frage, die auch ihr euch vielleicht schon mal gestellt habt. Er macht deutlich: Es hat überhaupt keinen Zweck, dass ihr euch jetzt im Augenblick den Kopf darüber zerbrecht, wie ihr dann in solch einer Situation einmal reagieren würdet. Dann, wenn es darauf ankommt, wenn es soweit ist, dann hängt es nicht von euch, von euren Kräften, von eurer Glaubensstärke ab. „Nicht ihr seid es, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.“ Wenn es soweit ist, dann redet Gottes Geist durch uns, der Geist unseres Vaters, der in der Taufe unser Vater geworden ist, dann schenkt uns dieser Geist die Kraft, die wir selber nie und nimmer hätten, um uns zu Christus zu bekennen. „Sorgt euch nicht“, sagt Christus darum, „es soll euch zu der Stunde gegeben werden“.
Zu der Stunde – Das gilt überhaupt für unser Leben. Gott schenkt uns die Kraft, die wir in schweren Zeiten in unserem Leben brauchen, nicht immer schon im Voraus. Er schenkt sie uns gerade dann, wenn wir sie brauchen, in der Stunde, nicht früher. Darauf dürfen wir uns verlassen, ja eben diese Erfahrung hat vielleicht auch so mancher von euch schon in seinem Leben gemacht, hat selber schon darüber gestaunt, wie Gott, wenn es drauf ankam, gesorgt hat, nein, nicht vorher, sondern eben zu der Stunde.
Was sagen uns diese Worte unseres Herrn also heute, in unserer Situation, in unserer Zeit, in unserem Land, in dem wir jedenfalls zurzeit nicht damit rechnen müssen, um unseres Glaubens willen vor Gericht gestellt, vielleicht gar umgebracht zu werden?
Nein, es ist nicht angemessen, die Unannehmlichkeiten, die wir um unseres Bekenntnisses zu Christus willen möglicherweise zu erleiden haben, in irgendeiner Weise mit dem zu vergleichen, was Millionen von jüdischen Mitbürgern, darunter auch nicht wenige Christen, vor knapp 70 Jahren hier in unserem Land zu erleiden hatten. Und wir können unsere Situation auch wahrlich nicht vergleichen mit der Situation von Christen in all den Ländern unserer Erde, in denen es für Christen nicht möglich ist, öffentlich und frei Gottesdienste zu feiern, wie wir dies auch heute Abend wieder können.
Was uns bleibt, ist zweierlei: Zum einen tun wir gut daran, diejenigen Christen immer wieder in unsere Fürbitte einzuschließen, die in ihren Heimatländern verfolgt werden. Ja, wir tun gut daran, uns über ihr Schicksal auch genauer zu informieren, ja, auch zu sehen, wo es Möglichkeiten gibt, sie zu unterstützen. Christus weiß, dass Christen oft genug wie Schafe unter Wölfen leben. Aber zugleich fordert er uns auf: Seid klug wie die Schlangen. Nutzt die Möglichkeiten, die ihr habt, einander zu helfen, einander beizustehen, macht den Mund auf, wo ihr könnt. Der Beistand des Geistes Gottes, der uns Christen verheißen ist, schließt nicht aus, dass wir Christen nicht auch von uns aus versuchen, uns mit den Mitteln des Wortes, die wir haben, zu verteidigen. Ja, in einem Vers, der unserer Predigtlesung folgt, fordert Jesus seine Jünger sogar ausdrücklich auf, von einer Stadt zur nächsten zu fliehen, wenn sie verfolgt werden. Christen sollen das Martyrium nicht von sich aus suchen. Aber weil sie dennoch um ihres Glaubens willen schikaniert, verhaftet, umgebracht werden, brauchen sie unsere Unterstützung, unsere Fürbitte, unser Eintreten für sie, wo sie selber es nicht mehr können.
Und zum anderen geht es darum, dass wir hier und jetzt die Möglichkeiten nutzen, die wir haben, um uns von Christus im Glauben stärken zu lassen, um mit seinen Worten immer vertrauter zu werden, um uns von seinem Geist prägen und bestimmen zu lassen. Wir wissen nicht, ob nicht auch in unserem Land einmal wieder Zeiten kommen werden, in denen es für uns schwer werden wird, uns frei zu Christus zu bekennen. Jetzt haben wir noch alle Möglichkeiten. Machen wir darum davon Gebrauch, wo wir nur können. Jede Gottesdienstteilnahme ist eine Investition in die Zukunft, jede Lektüre der Heiligen Schrift hilft uns, dann, wenn es darauf ankommt, auch anderen gegenüber von der Hoffnung, die in uns ist, Zeugnis ablegen zu können. Ja, was wir jetzt und hier erfahren, das wird uns helfen, ganz gleich, was auch auf uns zukommen mag, das wird uns auf jeden Fall helfen, wenn auch wir einmal in der letzten Stunde unseres Lebens gefordert werden, wie auch immer diese einmal aussehen mag.
Darum können wir in der Tat ganz getrost und ohne Sorge in die Zukunft blicken, weil wir es schon hier und jetzt einüben, ganz wegzuschauen von uns, von unseren Fähigkeiten und Möglichkeiten, hin auf Christus, hin auf seinen Geist, der in uns ist und der uns dann, wenn es drauf ankommt, auch hindurchhelfen wird. Er hat es in den letzten 2000 Jahren bei unüberschaubar vielen Christen bereits getan, er tut es auch jetzt in dieser Stunde, und er wird es auch bei uns tun. Christus weiß, was er ankündigt und was er uns zusagt. Darum sorgt euch nicht. Amen.