30.08.2009 | St. Markus 7, 31-37 (12. Sonntag nach Trinitatis)

12. SONNTAG NACH TRINITATIS – 30. AUGUST 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MARKUS 7,31-37

Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren auf und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Und er gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

„Warum glaubst du eigentlich?“ Vielleicht seid ihr das auch schon mal gefragt worden von anderen Menschen, ja, zumeist von Menschen, die selber nicht glauben, nicht glauben können, wie sie es selber oft genug auch ganz offen aussprechen. Und dann mögen wir um Antworten ringen auf diese Frage, mögen vielleicht auf unsere Biographie verweisen oder uns gute Argumente für den christlichen Glauben zurechtlegen. Doch bei all diesen Antworten merken wir schnell: Die treffen das Eigentliche noch nicht, die mögen letztlich doch nicht zu begründen, weshalb wir eigentlich glauben.
Ja, warum glauben wir selber eigentlich? Wie haben wir das geschafft, glauben zu können – oder: haben wir das überhaupt geschafft, können wir das überhaupt schaffen? Und wenn wir erst einmal etwas weiter nachdenken, stellt sich uns schnell die viel tiefere Frage: Können wir das eigentlich so selbstbewusst von uns behaupten, dass wir glauben? Tun wir uns nicht auch selber immer wieder so schwer mit dem Hören auf Gottes Wort, mit dem Bekenntnis zu Christus, ja, müssten wir nicht ehrlicherweise unseren Fragestellern zustimmen: Ja, ich kann auch nicht glauben!? Ja, diese Antwort wäre in der Tat die richtige und beste, dass wir feststellen, dass wir selber auch nicht glauben können. Das entspricht nicht nur dem, was Martin Luther in seinem Kleinen Katechismus schreibt, das entspricht genau auch dem, was wir eben im Heiligen Evangelium dieses Sonntags gehört haben:
Eine Heilungsgeschichte berichtet uns St. Markus hier: Christus heilt einen taubstummen Menschen, ermöglicht es ihm, zu hören und zu sprechen. Ja, Christus kümmert sich hier ganz konkret um das körperliche Leid dieses Menschen, befreit ihn mit der Heilung von den ganz massiven Einschränkungen, unter denen er als Taubstummer in seiner Umgebung, in der Gesellschaft zu leiden hatte. Doch wenn St. Markus diese Geschichte in seinem Evangelium berichtet, dann geht es ihm nicht allein um die Heilung dieses einen Menschen, von dem hier die Rede ist, dann geht es ihm zugleich um uns, dann sollen und dürfen wir uns selber in diesem taubstummen Menschen wiedererkennen, dürfen in dem, was St. Markus hier schildert, erkennen, wie Christus auch uns behandelt hat, den Glauben in uns gewirkt hat, die Fähigkeit, ihn zu hören und ihn zu bekennen. Ja, uns alle miteinander betreffen die Worte des Heiligen Evangeliums, auch wenn wir noch sehr gut hören können und vielleicht auch nicht gerade auf den Mund gefallen sind. Denn alle miteinander waren und sind wir auf diese Behandlung unseres Herrn Jesus Christus angewiesen, die uns St. Markus hier vor Augen stellt, eben weil wir selber gar nicht glauben können. So lasst uns also nun der Schilderung des Evangelisten folgen und darin immer wieder neu uns selber erkennen und wahrnehmen:
Mit einer scheinbar belanglosen geographischen Feststellung beginnt St. Markus hier: Jesus kam durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Doch belanglos ist diese Bemerkung in Wirklichkeit überhaupt nicht, denn das Gebiet der Zehn Städte war im Wesentlichen heidnisches Gebiet. Jesus geht zu den Heiden, zu Menschen, die bisher noch nicht zum Gottesvolk gehörten, und nur weil er dies tut, wird schließlich auch dieser taubstumme Mensch geheilt. Hätte Jesus sich darauf beschränkt, nur zu Angehörigen seines Volkes zu gehen, dann hätte dieser Mensch keine Chance gehabt. Eine gute Botschaft ist das auch für uns: Jesus beschränkt sich in seiner Zuwendung nicht bloß auf ein Volk, nicht bloß auf einige Menschen. Allen Menschen soll geholfen werden, alle Menschen sollen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Ja, dass wir glauben können, das liegt daran, dass Jesus auch bei uns Grenzen überschritten hat, bis zu uns hierher nach Deutschland, nach Berlin gekommen ist, genauso wie er in so viele andere Länder auf der ganzen Welt gekommen ist. Jesus ist auch zu uns gekommen; das ist der erste Grund, den St. Markus hier nennt, der erste Grund dafür, dass wir glauben, dass uns Ohren, Herzen und Mund geöffnet worden sind für ihn, für sein Wort.
Und dann schildert St. Markus, wie dort in diesem heidnischen Gebiet der Zehn Städte nun ein Taubstummer zu Jesus gebracht wird. Ja, er wird gebracht, denn allein konnte er sich ja nicht verständlich machen, wurde er von den anderen auch gar nicht wahrgenommen. Ja, heil wird dieser Mensch am Ende, weil es andere gegeben hat, die ihn zu Jesus gebracht haben. Und nicht anders ist es ja auch bei uns gewesen. Dass wir glauben, dass Jesus unsere Ohren und Herzen geöffnet hat, hängt auch damit zusammen, dass es auch in unserem Leben Menschen gegeben hat, die uns zu ihm, Jesus, gebracht haben. Nein, von allein wären wir vermutlich nicht auf die Idee gekommen, zu ihm, Jesus, zu gehen, uns von ihm helfen zu lassen. Aber da gab es eben unsere Eltern, unsere Paten, Freunde, Bekannte, die uns diesen Dienst erwiesen haben, die dafür gesorgt haben, dass wir bei Jesus angekommen sind, als wir selber vielleicht noch gar nicht diesen Wunsch äußern konnten, weil wir noch viel zu klein waren oder weil wir noch gar keinen Bezug zu dem hatten, was Glauben eigentlich heißt. Ja, Gott sei Dank, dass es diese Menschen in unserem Leben gegeben hat und vielleicht auch immer noch gibt, Menschen, die für uns vor Jesus eintreten, die für uns bitten, wenn wir selber dazu gar nicht in der Lage sind.
Und dann steht dieser Taubstumme vor Jesus. Kein Wort kann er hören, kein vernünftiges Wort kann er von sich geben. Und er selber, der Taubstumme, kann daran auch mit allem guten Willen gar nichts ändern. Ja, genau das ist die Situation, in der wir Menschen uns allesamt von Geburt an befinden: Wir sind nicht dazu in der Lage, das Wort Gottes aufzunehmen und anzunehmen, wir sind nicht dazu in der Lage, uns von uns aus zu Christus zu bekennen. Verschlossen sind unsere Herzen vor dem Wort Gottes; unsere Ohren sind gleichsam geistlich auf Durchzug gestellt, und aus unserem Mund mag alles Mögliche kommen, nur nicht das Bekenntnis: Jesus Christus ist mein Herr. Nein, daran können wir nichts ändern, nicht bei uns selber und auch nicht bei anderen; da kommen wir auch mit allen Tricks nicht weiter. Da kann nur einer helfen: Er, Christus, der Herr, selber.

Und der macht sich jetzt bei diesem taubstummen Menschen an die Arbeit: Beiseite nimmt er ihn zuerst einmal, entzieht ihn den Blicken der Gaffer, der Schaulustigen, den Blicken all derer, die nur verächtlich auf ihn herabgeschaut hatten: „Behinderter, ist wohl ein bisschen blöde!“ Nein, Jesus hält nichts von Massenheilungen, und er nutzt die Heilungen, die er vollbringt, auch nicht dazu, um Menschenmassen anzulocken und sich selber als Starprediger und Wunderheiler feiern zu lassen. Ganz persönlich wendet er sich diesem einen behinderten Menschen zu, ohne dass andere dabei zugucken, ihn bedrängen können. Was jetzt geschieht, ist nur eine Angelegenheit zwischen Jesus und dem Taubstummen; alle anderen geht das nichts an. Und genau so geht Jesus eben auch bei uns vor, wenn es darum geht, bei uns den Glauben hervorzurufen und immer wieder neu zu wecken: Glauben ist eben nicht eine Form von Massenhysterie, er entsteht nicht durch den Rausch der großen Zahl. Ich kann mich mit meinem Glauben auch nicht einfach hinter jemand anders verstecken oder mich darauf berufen, dass ja meine Großmutter oder meine Eltern gläubig waren. Sondern wenn Jesus uns den Glauben schenkt, dann wendet er sich uns ganz zu, jawohl, jedem einzeln, behandelt jeden von uns dabei auch ganz individuell, nicht einfach wie am Fließband. Ganz persönlich geht er dabei vor; was da zwischen ihm und uns geschieht, das ist nicht für die breitere Öffentlichkeit bestimmt, das müssen auch wir von uns aus ihr nicht unbedingt präsentieren. Ja, so wirkt Jesus auch bei uns den Glauben, dass er uns beiseite nimmt.
Und dann macht Jesus hier scheinbar etwas sehr Merkwürdiges, ja geradezu Ekliges, so mögen wir es empfinden: Er bohrt seine Finger tief in die Ohren des Taubstummen hinein, berührt seine Zunge mit seiner Spucke und spricht das lösende Wort: „Hefata“, „Tu dich auf!“ Was zunächst so merkwürdig aussieht, ist in Wirklichkeit ein Zeichen dafür, wie persönlich Jesus sich gerade diesem taubstummen Menschen zuwendet: Erzählen kann er ihm ja nichts, also nutzt er andere Möglichkeiten, mit ihm zu kommunizieren: Er lässt es ihn fühlen und spüren, was er jetzt mit ihm machen will: an seine Ohren und an seinen Mund will er ran, dort etwas verändern, dort etwas neu machen. Und genau so geschieht es dann auch: Das äußere Zeichen und das wirksame Wort sorgen dafür, dass der Taubstumme nun mit einem Mal kann, wozu er vorher nicht der Lage war: Er kann hören, und er kann reden.
Genauso persönlich, individuell und zugleich doch auch scheinbar befremdlich geht Jesus auch mit uns um: Er weiß darum, dass wir Menschen nicht nur aus Geist und Verstand bestehen, und darum handelt er auch an uns durch wirksame Zeichen: Wasser ist da in der Heiligen Taufe über unseren Kopf geflossen; eine Hand wird uns in der Heiligen Beichte immer wieder auf den Kopf gelegt, und auch an unseren Mund geht Jesus ganz direkt heran, legt sich selbst mit seinem Leib und Blut in ihn hinein. Ja, genau so erreicht er uns, genau so bewirkt er auch bei uns, was wir selber niemals bewirken können: Dass wir offen werden für ihn, dass wir sein Wort so hören können, dass es uns auch erreicht, dass wir mit dem Mund, der ihn selber empfangen hat, dann auch ihn loben können, uns mit diesem Mund zu ihm bekennen können.
Ja, Grenzüberschreitungen nimmt Jesus dabei bei uns vor, kommt viel dichter an uns heran, als wir dies normalerweise bei anderen zulassen würden. Dass uns jemand in den Ohren herumprokelt oder mit seiner Spucke unsere Zunge berührt, dagegen würden wir uns wohl doch kräftig wehren. Und ebenso mag es manchem zunächst unangenehm erscheinen, wenn da eine Hand auf seinen Kopf gelegt wird oder ihm sein Mund ohne sein Zutun gefüllt wird mit den äußeren Zeichen von Brot und Wein. Doch Jesus weiß, was er tut, warum er uns gerade so und nicht anders behandelt. Was durch diese äußeren Zeichen geschieht, reicht viel tiefer, als wir es von außen her ermessen könnten, da kommt es geradezu zu einer Neuschöpfung, so stellen es auch die staunenden Menschenmassen am Ende unserer Geschichte fest: Er hat alles gut gemacht; das Urteil der Schöpfungsgeschichte gilt auch für ihn, Jesus, für das, was er hier tut. Denn in ihm ist eben kein Geringerer als Gott der Schöpfer selber am Werk.
Eine neue Schöpfung findet statt, wenn das Wasser der Heiligen Taufe über unseren Kopf fließt; da wird ein neuer Mensch geschaffen, der teilhat an einer Welt, in der es am Ende einmal endgültig keine Krankheiten, keine Einschränkungen und Behinderungen mehr geben wird. Eine neue Schöpfung findet statt, wenn uns in der Heiligen Beichte die Hand aufgelegt wird und dabei eine neue Realität geschaffen wird, dass wir nun vor Gott richtig und gerecht dastehen, auch wenn wir das gar nicht verdient haben. Und eine neue Schöpfung findet auch jedes Mal statt, wenn Christus mit Seinem heiligen Leib und Blut in uns Wohnung nimmt, in uns lebt und arbeitet. Zu neuen Menschen werden wir dadurch gemacht, zu neuen Menschen, die glauben können, weil Christus selber diesen Glauben dadurch wirkt, dass er diese Grenzüberschreitungen an uns vornimmt und dabei sein lösendes, rettendes Wort spricht.
Und dann kann der Geheilte nun hören und sprechen, kann tun, was ihm vorher völlig unmöglich war. Jetzt ist er dazu in der Lage, auch längeren Predigten seines Herrn und Heilandes zu lauschen; jetzt kann er seinen Mund auch dazu benutzen, deutlich und artikuliert ein Bekenntnis zu ihm, Christus, seinem Herrn und Retter, abzulegen. Ja, das kann er, weil Jesu Wort bewirkt, was es sagt, weil es das auch schon bewirkt hat, bevor er selber überhaupt angefangen hatte zu hören. Nein, das Wort Gottes ist eben nicht bloß eine interessante Information zum Auswendiglernen. Es ist machtvolles Schöpferwort, das Blockaden und Fesseln zu überwinden vermag, Wunder bewirken vermag, die wir uns von uns aus gar nicht vorstellen konnten und können. Genauso geschieht es auch bei uns, in unserer Mitte, in unserer Gemeinde immer wieder, dass Jesus durch sein Wort und seine Zeichen unsere Ohren, Herzen und Münder erreicht und öffnet, uns den Glauben schenkt und uns dazu befähigt, uns zu ihm zu bekennen. Nein, nichts liegt an uns, wenn wir an ihn, Christus, glauben. Es liegt allein an ihm, an dem, was er durch den Heiligen Geist an und in uns gewirkt hat.
Und alles andere geschieht dann gleichsam von selbst: Wer erfahren hat, dass Christus ihm eine neue Perspektive für sein Leben eröffnet hat, wer nun auf Gottes Wort hören und seinen Mund gebrauchen kann, der wird diesen Mund dann auch nicht halten, der wird seine Ohren nicht wieder von Neuem verstopfen, der wird dann auch gerne auf Gottes Wort hören und dann auch von dem erzählen, wer der ist, der ihm da eine ganz neue Lebensausrichtung geschenkt hat. Damals hat Jesus den Leuten ausdrücklich verboten, von dieser Heilung zu erzählen, weil er nicht als der große Wunderheiler dastehen wollte. Und die Leute haben es doch getan, haben nicht den Mund gehalten, haben weitererzählt, was sie einfach nicht verschweigen konnten. Uns verbietet heutzutage keiner, von ihm, Jesus, zu erzählen, von dem, was er für uns getan hat und tut. Legen wir uns doch bloß nicht selber freiwillig einen Maulkorb auf, halten wir doch bloß nicht den Mund, sondern quatschen ganz kräftig aus, was dieser Jesus bei uns gewirkt hat: den Glauben an ihn, diesen menschenunmöglichen Glauben, der doch zustande kommt, wenn Jesus sich an die Arbeit macht – bei uns und, Gott geb’s, auch bei vielen anderen Menschen. Amen.