02.09.2009 | Apostelgeschichte 9, 31-35 (Mittwoch nach dem 12. Sonntag nach Trinitatis)

MITTWOCH NACH DEM 12. SONNTAG NACH TRINITATIS – 2. SEPTEMBER 2009 – PREDIGT ÜBER APOSTELGESCHICHTE 9,31-35

So hatte nun die Gemeinde Frieden in ganz Judäa und Galiläa und Samarien und baute sich auf und lebte in der Furcht des Herrn und mehrte sich unter dem Beistand des Heiligen Geistes.
Es geschah aber, als Petrus überall im Land umherzog, dass er auch zu den Heiligen kam, die in Lydda wohnten. Dort fand er einen Mann mit Namen Äneas, seit acht Jahren ans Bett gebunden; der war gelähmt. Und Petrus sprach zu ihm: Äneas, Jesus Christus macht dich gesund; steh auf und mach dir selber das Bett. Und sogleich stand er auf. Da sahen ihn alle, die in Lydda und in Scharon wohnten, und bekehrten sich zu dem Herrn.

Regelmäßig erhalte ich von dem Leiter einer freien, charismatisch angehauchten Gemeinde hier in Berlin ungebeten E-Mails zugeschickt, in denen dieser Mensch Werbung für die Veranstaltungen in seiner Gemeinde macht. Ja, diese Gemeinde erhebt, wie so viele Gemeinden ähnlicher Prägung, in besonderer Weise den Anspruch, ganz urchristlich zu sein, ihr Gemeindeleben so zu gestalten, wie dies auch in der Urkirche der Fall war. Und in der Tat: Wenn man sich die Worte unserer heutigen Predigtlesung anhört, muss man dann nicht zugestehen, dass solche freien Gemeinden in besonderer Weise urkirchlich sind, offenbar doch näher dran sind an dem, was damals passiert ist? Da verzeichnet die Kirche hier in den Worten unserer Predigtlesung ein beeindruckendes Wachstum, da finden Wunderheilungen statt und Massenbekehrungen. Machen wir da vielleicht doch etwas falsch, sollten nicht auch wir versuchen, ein bisschen urkirchlicher zu sein, uns mehr an dem zu orientieren, was uns St. Lukas hier schildert?
Schwestern und Brüder, wir tun gut daran, genauer hinzuschauen auf das, was hier eigentlich geschildert wird, bevor wir so leichtfertig anderen kirchlichen Gruppierungen zubilligen, sie seien wohl besonders urchristlich. Zunächst einmal sollten wir ganz nüchtern festhalten: Wir sind nicht die Urkirche, und wir sollen es auch gar nicht sein. Denn die Urkirche war insofern etwas Besonderes, Einmaliges, dass in ihr die Apostel lebten, Apostel mit einem ganz konkreten Auftrag und einer ganz besonderen Vollmacht. In unserer Mitte leben keine Apostel mehr, und weh den Leitern von Gemeinden, wenn sie sich aufspielen, als seien sie neue Apostel, als seien sie das Fundament, auf dem die Kirche aufgebaut wird. Nein, wir sind gerade darin apostolische Kirche, dass wir den einmaligen geschichtlichen Ursprung der Kirche ernst nehmen und uns zu ihm bekennen, dass wir nicht versuchen, die Apostel zu kopieren, sondern unser Leben in Kirche und Gemeinde in ihrer Nachfolge zu gestalten, wohl wissend, dass uns etwa die Vollmacht zum Heilen nicht in derselben Weise gegeben worden ist, wie dies damals bei den Aposteln der Fall war.
Von der Kirche spricht St. Lukas hier, und wenn wir da genauer hinschauen, dann stellen wir fest, in was für einer ungewöhnlichen Weise Lukas dieses Wort hier in unserer Predigtlesung gebraucht. Üblicherweise beschreibt das griechische Wort ekklesia die Ortsgemeinde, die Versammlung von getauften Christen, die das Wort Gottes hören und das Heilige Mahl empfangen. Das ist Kirche. Doch hier redet St. Lukas von der einen Kirche, Luther übersetzt: von der einen Gemeinde, in ganz Judäa und Galiläa und Samarien. Kirche ist also offenbar zugleich noch viel mehr als bloß die Ortsgemeinde, auch wenn sie dort immer wieder in besonderer Weise sichtbar und erkennbar wird. Sondern auch die Gesamtheit aller christlichen Gemeinden in einem Gebiet, ja in der Welt insgesamt ist wieder Kirche, nein, nicht bloß im Sinne einer Addition, dass da ein Gemeindeverband entsteht, der sich dann auch irgendwelche Strukturen, irgendeine Verfassung gibt. Jede Gemeinde ist gewiss ganz Kirche, aber sie ist nicht die ganze Kirche, und darum ist es gerade nicht urchristlich, wenn sich eine Gemeinde isoliert, nur noch sich selber sieht, nur noch im eigenen Saft schmort. Damals zog der Apostel Petrus umher und visitierte die Gemeinden, so wie dies heute die Bischöfe, Pröpste und Superintendenten bei uns tun und damit ihr bischöfliches Amt wahrnehmen. Nein, solche Visitationen sind ja nicht zuerst und vor allem irgendwelche Kontrollen, sondern sie sollen geistliche Hilfen sein, sollen die Gemeinde davon profitieren lassen, dass sie in die Gesamtkirche eingebunden ist, dass andere noch einmal einen anderen Blick auf sie werfen, als sie selber dies zu tun in der Lage ist. Wir haben hier in unserer Gemeinde in den letzten Jahren zweimal eine Visitation durch den zuständigen Superintendenten erlebt, und wir haben beide Male erfahren, was für eine Hilfe solch eine Visitation sein kann. Uns geht es ja richtig gut in unserer Gemeinde, wir fühlen uns hier wohl, haben den Eindruck, dass bei uns doch alles ganz erfreulich läuft. Und da ist es wichtig, dass immer wieder ein anderer mal auf unsere Gemeinde schaut, in sie hineinschaut, uns hilft, über den Tellerrand hinauszublicken, und umgekehrt die Erfahrungen aus anderen Gemeinden in unsere Gemeinde hineinbringt. Die Kirche Jesu Christi ist, gottlob, größer als unsere St. Mariengemeinde; wie gut, wenn wir dies bei solchen Visitationen und vielen anderen Anlässen erfahren, uns immer wieder vom Schmoren im eigenen Saft abbringen lassen!
Nein, Petrus kommt nicht nach Lydda, weil es da gerade brannte, weil es da gerade Krach in der Gemeinde gab. Im Gegenteil: Gerade weil Frieden herrscht, weil die Verfolgungen durch den früheren Christenverfolger Saulus nun aufgehört haben, bieten sich der Gemeinde, der Kirche nun ganz neue Chancen, geht es darum, diese Friedenszeit recht zu nutzen, und genau dabei will Petrus der Gemeinde in Lydda helfen. Schwestern und Brüder: Ahnen wir eigentlich noch, wie gut wir es haben, dass wir als Gemeinde nun schon so lange in solch einer Friedenszeit leben dürfen, dass sich uns schon so lange optimale Möglichkeiten bieten, Gottes Wort weiterzusagen und selber unseren Glauben zu praktizieren? Ahnen wir eigentlich noch, wie gut wir es haben, dass wir so einfach, ohne Gefahr für Leib und Leben, hierher zum Gottesdienst kommen können, dass wir in einem Land leben, das uns bei allen Problemen, die wir heutzutage haben, doch so viele Chancen als Christen bietet, dass wir darüber immer wieder nur staunen können? Und nutzen wir diese Friedenszeit entsprechend zum geistlichen Wachstum nach innen und nach außen, wie dies die ersten Gemeinden damals gemacht haben? Gewiss, eins ist klar: Wenn eine Gemeinde wächst, ist das nie ihr Verdienst, liegt das immer daran, dass Christus, der Herr der Kirche, Menschen hinzutut, wie St. Lukas das in der Apostelgeschichte immer wieder formuliert. Doch das ändert ja nichts daran, dass wir dankbar die Möglichkeiten wahrnehmen sollen und dürfen, die sich uns als Christen und als Kirche in unserem Land heutzutage bieten. Petrus kam damals jedenfalls gerade in solch einer Friedenszeit nach Lydda, nutzt auf seine Weise diese Zeit, um die Christen dort vor Ort zu stärken, ihnen Mut zu machen, ihren Weg als Christen auch in der Öffentlichkeit zu gehen.
Und dann berichtet St. Lukas hier von der Heilung des Äneas, dieses Mannes, der seit acht Jahren gelähmt in seinem Bett gelegen hatte. Petrus heilt diesen Menschen, ohne dass der ihn darum überhaupt gebeten hätte, heilt ihn ganz schlicht und einfach durch sein Wort, das nicht sein eigenes ist, sondern das seines Herrn Jesus Christus selber, heilt ihn, indem er sich auf diesen Herrn und seine Fähigkeiten beruft.
Wie gesagt, Schwestern und Brüder: Wir werden nicht dadurch besonders urchristlich, dass wir nun versuchen, es Petrus nachzumachen, selber Heilungen zu vollbringen und damit vielleicht auch noch kräftig für unseren Verein zu werben. Der Auftrag und die Vollmacht des Petrus sind nicht unbedingt unser Auftrag und unsere Vollmacht. Und doch sollten wir uns auch anhand der Predigtlesung dieses Abends noch einmal neu die Frage stellen, inwiefern wir nicht auch heutzutage heilende Kirche sind, ja auch heilende Kirche zu sein haben.
Eines macht St. Lukas hier ganz deutlich: Die Heilung, die der Äneas hier erlebt, ist nicht der Grund dafür, dass er anfängt, an Christus zu glauben, dass er selber Christ wird. Petrus findet den Äneas in der christlichen Gemeinde vor, als der noch gelähmt daliegt, keine Hoffnung hat, dass sich daran bis zum Ende seines Lebens noch mal was ändern wird. Wenn man acht Jahre bereits gelähmt ist, dann wird man realistisch, dann weiß man, dass all die guten Sprüche und Ratschläge, die man sich anhören muss, letztlich doch alle nichts helfen. Doch auch diese realistische Sicht der Dinge hindert den Äneas nicht daran, sich taufen zu lassen, Glied der christlichen Gemeinde zu werden. Und die Gemeinde weist ihn nicht ab, beschränkt sich nicht darauf, nur junge, dynamische, erfolgreiche Machertypen bei sich aufzunehmen. Nein, in ihrer Mitte hat auch dieser gelähmte Mensch seinen Platz. Und damit sind wir schon ganz dicht dran an der Frage, ob und wie wir auch heutzutage als Kirche heilende Kirche sind und auch zu sein haben:
Ja, das erfahren wir auch bei uns in der Gemeinde, dass etwa Menschen mit Behinderungen in unserer Mitte ihren Platz haben, nicht ausgegrenzt, nicht ausgeschlossen werden, im Gegenteil: dass sie bei uns willkommen sind. Eine heilende Erfahrung ist das für sie, nein, nicht in dem Sinne, dass Menschen, die in unsere Gemeinde kommen, nun serienmäßig von irgendwelchen Krankheiten geheilt würden. Aber das kann man miterleben, wie das Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen gut tut, hier in der Gemeinde angenommen zu sein. Das kann man miterleben, wie Menschen hier in unserer Gemeinde aufatmen, aufblühen, erfahren, wie die Gemeinschaft unserer Gemeinde in der Tat heilende Kräfte hat, Kräfte, die auch Verwundungen heilen lassen. Bei der Kinderbibelwoche habe ich das bei einigen Kindern erlebt, und ich erfahre es auch sonst immer wieder hier bei uns in der Gemeinde. Ja, bei uns herrscht ein anderer Geist, im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade Menschen in Not spüren dies, erleben uns in der Tat als heilende, heil machende Gemeinde. Und das ist wirklich gut so. Ja, an Leib und Seele soll uns geholfen werden – wie gesagt, nicht so, dass Christus einfach mal allen Gliedern unserer Gemeinde ihre Krankheiten, Behinderungen und Nöte wegnimmt. Aber wir haben es eben auch in unserer Gemeinde immer wieder erleben dürfen, dass wir für kranke Menschen gebetet haben, für sie vor Gott eingetreten sind, uns auf Christus und seinen Namen berufen haben und dann erlebt haben, dass auch für diese Menschen galt: Jesus Christus macht dich gesund. Nein, solche Erfahrungen hängen wir bewusst nicht an die große Glocke; aber sie sollten uns doch daran erinnern, dass wir als Gemeinde immer auch eine heilende Gemeinde sind, nicht weil wir das irgendwie so toll könnten, sondern weil wir Christus, den allerbesten Arzt, in unserer Mitte haben. Und darum brauchen wir uns auch in keiner Weise vor anderen Gemeinden, die sich besonders urchristlich vorkommen, zu verstecken. Entscheidend ist doch, dass wir Gemeinde Jesu Christi sind, dass er, der Herr, an uns und in uns handelt. Und das tut er, ganz gewiss. Mögen wir uns dafür auch durch die Worte unserer heutigen Predigtlesung wieder neu die Augen öffnen lassen! Amen.