14.10.2009 | St. Matthäus 5, 23-26 (Mittwoch nach dem 18. Sonntag nach Trinitatis)

MITTWOCH NACH DEM 18. SONNTAG NACH TRINITATIS – 14. OKTOBER 2009 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 5,23-26

Darum: wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe. Vertrage dich mit deinem Gegner sogleich, solange du noch mit ihm auf dem Weg bist, damit dich der Gegner nicht dem Richter überantworte und der Richter dem Gerichtsdiener und du ins Gefängnis geworfen werdest. Wahrlich, ich sage dir: Du wirst nicht von dort herauskommen, bis du auch den letzten Pfennig bezahlt hast.

Am kommenden Sonntag fahren wir mit 40 Teilnehmern zu der Herbstfreizeit unseres Jugendkreises nach Molzen. Darauf freue ich mich schon sehr. Ich weiß allerdings jetzt schon, was eine meiner Hauptaufgaben bei dieser Freizeit sein wird: Ich werde zumindest einigen der Jugendlichen immer wieder Druck machen müssen. Ich kenne das von vergangenen Freizeiten, bei denen wir noch weniger Teilnehmer hatten, schon sehr gut: Die einen kommen morgens nicht aus dem Bett; ein anderer begibt sich ausgerechnet in dem Augenblick schnurstracks unter die Dusche, in dem die anderen gerade dabei sind, den Bus zur Abfahrt zu besteigen, und wieder andere trödeln dann beim Ausflug so herum, dass die ganze Gruppe den nächsten Termin zu verpassen droht. Ja, da muss man einfach Druck machen, nicht um die Leute zu ärgern, nicht um ihnen die Freude an der Fahrt zu versauen, sondern letztlich zu ihrem eigenen Vorteil, damit sie nicht zurückbleiben und den Anschluss verpassen.
In der Predigtlesung des heutigen Abends macht Jesus auch Druck. Nein, er macht das nicht, um uns die Freude am Glauben zu vermiesen oder gar um uns Angst einzujagen. Sondern er macht uns Druck, weil er weiß, was für Bummelanten wir an einer bestimmten Stelle sind und wie wir uns selber schaden würden, wenn wir mit dieser Bummelei immer so weitermachen würden. Wichtig, sehr wichtig ist Jesus das Thema, um das es ihm hier geht, und darum wird er hier so drastisch, damit uns das, worum es ihm hier geht, auch wirklich klar wird, uns wirklich vor Augen bleibt.
Um die Versöhnung mit Menschen, mit denen wir in Unfrieden leben, geht es Jesus in diesen Worten, die wir eben gehört haben. Ja, bei diesem Thema neigen wir in der Tat gerne unabsichtlich oder absichtlich zu einer Verschleppungstaktik. Da haben wir uns mit einem Menschen heftig gestritten, und dann sind wir auseinandergegangen. Sehen möchten wir diesen Typen vorläufig nicht, und dem anderen geht es mit uns genauso. Und so schwelt die ganze Angelegenheit langsam weiter vor sich hin, ohne dass sich irgendeine Klärung ergibt. Wie sollte das auch gehen: Soll doch erst mal der andere kommen und einen Schritt auf mich zu machen; aber ich renn doch nicht noch hinter dem her! Oder da wissen wir vielleicht sogar ganz genau, dass wir selber es waren, die da Mist gebaut haben, einen anderen Menschen damit enttäuscht und verletzt haben. Aber auf diesen Menschen nun direkt zuzugehen, uns bei ihm entschuldigen – die Traute haben wir dann auch wieder nicht; das wäre uns dann doch zu unangenehm und peinlich. Vielleicht vergisst der andere das ja alles im Laufe der Zeit; warten wir einfach mal ab.
Jesus macht seinen Jüngern, macht uns in dieser Frage, in der Frage der Versöhnung mit anderen Menschen mächtig Druck. Ein nahezu grotesken Beispiel nennt er hier: Da hat sich ein Mensch ein Opfertier gekauft, um es im Tempel als Opfer darbringen zu lassen, um dadurch alles in Ordnung bringen zu lassen, was zwischen ihm und Gott steht. Und da ist er mit diesem Tier nun schon auf dem Weg zum Priester, da fällt ihm mit einem Mal ein, dass ein anderer Mensch etwas gegen ihn hat, dass da zwischen ihnen beiden etwas steht. Er, der Mensch mit seinem Opfertier, kann gar nicht erkennen, dass er daran Schuld hat, aber das ist egal: Ihm wird klar: Mein Bruder hat etwas gegen mich. Und das ist Grund genug dafür, so macht es Jesus hier deutlich, dass dieser Mensch sein Opfertier stehen lassen soll, es vielleicht irgendwo anbinden soll und erst mal loslaufen soll, hin zu diesem Bruder, um die Angelegenheit zwischen ihm und sich zu klären. Und dann erst, so Jesus, soll er wieder in den Tempel zurückkehren und dann das Opfer darbringen lassen, das sein Verhältnis zu Gott in Ordnung bringt. Mensch, wäre es nicht vernünftiger gewesen, wenn dieser Mann sein Opfer erst mal hätte darbringen lassen und dann zu diesem Menschen marschiert wäre, der etwas gegen ihn hatte? Nein, sagt Jesus, die Zeit drängt, drängt so sehr, dass selbst der Gottesdienst im Tempel dahinter zurückstehen muss. Die Versöhnung mit dem Bruder ist so wichtig, dass alles andere erst mal zu warten hat.
Und das gilt natürlich erst recht, wenn ich selber von einem eigenen Verschulden gegenüber anderen weiß: Dann ist es höchste Zeit, um zu dem anderen hinzugehen, ja, schon allein, weil ich mir selber sonst gewaltig schaden würde, so zeigt es uns Jesus hier. Wenn jemand damals in der Antike Schulden nicht zurückzahlte, dann konnte es passieren, dass er von einem Richter zu Schuldhaft verurteilt wurde, dass er im Gefängnis landete, weil er die Angelegenheit nicht rechtzeitig geklärt hatte. Und damit vergleicht Jesus nun auch die Schulden im übertragenen Sinne, die wir gegenüber einem anderen Menschen haben. Die können und sollen wir nicht auf die lange Bank schieben, sollen schleunigst die Angelegenheit in Ordnung bringen, solange wir noch Zeit dazu haben. Wir haben es gerade neulich hier in der Gemeinde erlebt, dass wir mit einem Mal gleich drei Vollstreckungsbescheide erhielten: Eine Behörde hatte vergessen, die Zahlungen, die unsere Gemeinde geleistet hatte, weiterzumelden, und mit einem Mal flatterten uns diese Vollstreckungsbescheide ins Haus. Ja, da kommt man schon ziemlich schnell ins Rotieren, damit da nicht plötzlich irgendwelche Leute bei uns im Gemeindehaus auftauchen und alle möglichen Gegenstände wegtragen, die sie beschlagnahmt haben. Ja, das ist schon merkwürdig: In solchen Angelegenheiten, in denen es um unser Geld und unseren Besitz geht, da kommen wir, wenn es eng wird, schnell in die Pötte. Aber wenn es um die Klärung des Verhältnisses zu einem Bruder, zu einer Schwester geht, da bleiben wir oft so lahm, spielen wir so gerne auf Zeit.
Doch Jesus macht uns Druck: Ihr wisst nicht, wie viel Zeit euch noch bleibt, euch mit Menschen zu versöhnen, mit denen ihr im Unfrieden lebt, euch gerade auch mit Brüdern und Schwestern in der Gemeinde zu versöhnen. Ihr wisst nicht, wie lange ihr noch lebt, wie lange die anderen noch leben; ihr wisst nicht, wann der letzte Tag überhaupt anbricht. Macht euch darum auf die Socken, vergeudet eure Zeit nicht damit, euch gute Argumente auszudenken, warum das jetzt im Augenblick ja alles nicht geht und keinen Zweck hat.
Nein, wie gesagt, Jesus lässt das Argument nicht gelten, dass erst mal der andere kommen, erst mal der andere den ersten Schritt machen soll. Wenn wir wissen, dass der was gegen uns hat, sollen wir uns von uns aus auf den Weg zu ihm begeben. Und Jesus lässt erst recht keine Argumente gelten, wenn wir nicht dazu bereit sind, für das einzustehen, was wir anderen angetan, womit wir sie enttäuscht und verletzt haben, wenn wir nicht dazu bereit sind, uns dafür bei ihnen zu entschuldigen.
Nein, es geht hier nicht um Benimmfragen, nicht um Fragen der Etikette. Es geht hier um nicht weniger als um unser Verhältnis zu Gott. Seine Vergebung nehme ich letztlich nicht ernst, wenn ich die Versöhnung mit einem anderen Menschen verweigere. Nicht ernst nehme ich dann, was für eine Überwindung es Gott gekostet hat und immer wieder von Neuem kostet, mir schon wieder die ganze Schuld meines Lebens zu vergeben, obwohl ich mit der doch schon so oft zu ihm gekommen bin und schon so oft ihm gesagt habe, dass ich mich bessern will. Und dann komme ich doch immer wieder mit demselben Mist an und erwarte oft so schnell von ihm, dass er mir vergibt, als ob das für ihn eine Selbstverständlichkeit wäre. War und ist es gar nicht für ihn. Das war mehr als schmerzhaft für ihn, dass er von sich aus auf uns zugegangen ist, die wir von ihm nichts wissen wollten, dass er unter die Schuld unseres Lebens tatsächlich einen Schlussstrich gezogen hat, versprochen hat, nie mehr darüber zu sprechen. Aber er hat es gemacht bei uns, macht es immer wieder, will uns so die Kraft schenken, um tatsächlich diese Zumutungen auf uns zu nehmen, auf andere Menschen von uns aus zuzugehen, von denen wir ahnen, dass sie etwas gegen uns haben. Ja, das ist ihm tatsächlich ganz, ganz wichtig, dass wir dies tun; gerade auch um solche Versöhnung zwischen uns Menschen zu stiften, ist er, Christus, in diese Welt gekommen. Ja, er möchte vor allem dies, dass wir mit unserer Unversöhnlichkeit nicht unser Heil verspielen, dass uns die Aufrechterhaltung eines Konfliktes mit einem Menschen wichtiger ist als das Leben in der ewigen Gemeinschaft mit Gott.
Früher war es in manchen Gegenden üblich, dass Gemeindeglieder in lutherischen Gemeinden, bevor sie zum Heiligen Abendmahl gingen, was damals allerdings auch nur selten geschah, erst einmal zu allen Menschen hingingen, an denen sie schuldig geworden waren, und sich bei ihnen entschuldigten. Erst dann konnten sie zum Heiligen Abendmahl gehen. Ihr, Schwestern und Brüder, seid herzlich eingeladen, auch jetzt und hier schon zum Heiligen Abendmahl zu gehen, wenn ihr denn nicht gerade den festen, eisernen Vorsatz habt, euch mit irgendeinem Menschen gewiss niemals mehr zu versöhnen. Dann allerdings solltet ihr dem Heiligen Abendmahl tatsächlich fernbleiben. Aber wenn das nicht der Fall ist, dann kommt erst noch, empfangt hier Gottes Versöhnung, und dann geht nach Hause und denkt mal darüber nach, ob es da Menschen gibt, zwischen denen und euch noch etwas steht. Und dann wartet nicht lange, dann geht in der Kraft der Vergebung, die ihr jetzt gleich empfangt, geht und versucht, was an euch ist, das in Ordnung zu bringen, nicht irgendwann, sondern bald. Jesus meint es ernst, er weiß, wovon er redet. Und darum hat er den ersten Schritt gemacht, ist auf euch zugegangen, um sich mit euch zu versöhnen. Denn er will doch nur eins: Dass ihr, versöhnt mit Gott und den Menschen, auch einmal selig werdet. Amen.