13.02.2008 | St. Johannes 14,19b (1. Fastenpredigt - „Vom Ursprung des Lebens“)

MITTWOCH NACH INVOKAVIT – 13. FEBRUAR 2008 – 1. FASTENPREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 14,19b: „VOM URSPRUNG DES LEBENS“

Jesus spricht: "Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe und ihr sollt auch leben."

„Mensch, gib mir mal ein Heft, in dem der christliche Glaube ganz einfach zusammengefasst ist, ohne viele Fremdwörter und Verweise auf Bibelstellen, die man dann doch nicht versteht!“ – So wurde ich vor einiger Zeit von einem jungen Erwachsenen aus unserer Gemeinde angesprochen. Ich habe lange überlegt, was ich ihm da in die Hand drücken soll. Entweder sind die Bücher, die ich habe, für Nichttheologen zu kompliziert geschrieben, oder ich könnte andererseits irgendwelche sehr einfach gestrickten Heftchen besorgen, die dann aber inhaltlich zumeist recht problematisch sind und die frohe Botschaft des Evangeliums mit dem Holzhammer nahezubringen versuchen. Ja, wie kann man Menschen, die in unserer christlichen Begriffswelt nicht gleich zu Hause sind, die Kerninhalte des christlichen Glaubens nahebringen? Der Gedanke hat mich nicht mehr losgelassen, und so soll auch die Fastenpredigtserie dieses Jahres eben dazu dienen, dass wir uns genau darauf besinnen wollen, worum es im christlichen Glauben eigentlich geht und wie man das vielleicht doch auch einfach und verständlich darlegen kann. Ja, helfen sollen uns diese Predigten, ein Stück weit sprachfähiger zu werden, wenn wir in unserem Freundes- und Bekanntenkreis auf unseren Glauben angesprochen werden und Menschen vielleicht doch auch hier und da mehr darüber erfahren wollen.
Die Jahreslosung des Jahres 2008 scheint mir einen guten Aufhänger zu liefern, von dem her wir darlegen und entfalten können, was eigentlich das Zentrum des christlichen Glaubens ausmacht: Vom Leben spricht Christus hier, und damit gebraucht Christus ein Wort, das gewiss verschiedene Dimensionen hat, das Menschen aber doch sehr unmittelbar anzusprechen vermag. Und so soll es in diesen Fastenpredigten nun jeweils um das Thema „Leben“ gehen, heute zunächst einmal um den Ursprung des Lebens.
Man kann trefflich darüber streiten, ob es Gott gibt. Diese Diskussion wird in unserem Lande nicht nur an irgendwelchen Stammtischen geführt, sondern wird in den letzten Monaten und Jahren bei uns auch in verschiedenen Büchern ausgetragen, von denen manche geradezu zu Bestsellern geworden sind. Leicht kann man bei solchen Diskussionen abheben, leicht gewinnt man in solchen Diskussionen den Eindruck, als gehe es hier nur um irgendwelche Ideen oder Gedankengebäude, über die man sich zwar auch mal ganz nett unterhalten kann, die aber mit uns, mit unserem Leben nichts zu tun haben.
Fangen wir also mal ausnahmsweise nicht mit Gott an, sondern mit uns selber, genauer gesagt: mit unserem Leben. Dass wir leben, dürfte eine Behauptung sein, die von den wenigsten Gesprächspartnern bestritten werden dürfte. Doch was heißt eigentlich „Leben“? Man kann natürlich versuchen, Leben rein biologisch zu definieren und zu erklären, dass etwas lebendig ist, wenn es Stoffwechsel hat und sich reproduzieren kann und irgendwie auf Reize von außerhalb seiner selbst zu reagieren vermag. Doch mit solch einer Beschreibung von Leben dürften wir uns wohl kaum zufrieden geben. Gewiss, es mag Menschen geben, deren Leben im Wesentlichen tatsächlich auf Stoffwechsel und Fortpflanzung, auf Essen und Sex reduziert bleibt. Doch auch wenn wir solche Menschen als hirnlos ansehen mögen, dürften wir wohl kaum auf die Idee kommen, dass man das Leben solcher Menschen einfach beenden dürfte, weil man damit ja nur bestimmte biologische Prozesse von Stoffwechsel und Fortpflanzung beendet. Und uns selber wollen wir erst recht nicht auf diese biologischen Prozesse reduziert sehen. Wir sprechen davon, dass wir einen Geist, eine Seele, ein Bewusstsein haben, und auch wenn sich weder Geist noch Seele noch Bewusstsein bei irgendeiner Röntgenaufnahme sichtbar machen lassen, würden wir doch energisch bestreiten, dass sich Geist, Seele oder Bewusstsein auch nur auf irgendwelche Stoffwechselvorgänge im Körper reduzieren ließen.
Nein, Leben ist mehr als ein biologischer Prozess. Aber was ist es dann? Wir merken schon, wie wir hier gleich in ganz aktuelle Diskussionen hineinkommen. Lässt sich unser menschliches Leben grundlegend vom Leben anderer Lebewesen unterscheiden, oder hat der australische Philosoph Peter Singer recht, der behauptet, das Leben eines gesunden Schimpansen sei allemal schützenswerter als das Leben eines geistig behinderten Menschen? Lässt sich menschliches Leben von bestimmten Fähigkeiten, die der Mensch hat, her definieren, und haben wir von daher das Recht, zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben zu unterscheiden, je nachdem, inwiefern dieses Leben den Maßstäben, die wir an es anlegen, entspricht?
Schwestern und Brüder, wir haben jetzt die ganze Zeit vom Leben gesprochen, ohne von Gott zu sprechen, und könnten nun in all diese Fragen noch viel tiefer eindringen. Aber je mehr wir dies täten, desto deutlicher würde erkennbar: Wenn wir bei der Bestimmung dessen, was Leben ausmacht, was vor allem menschliches Leben, unser Leben ausmacht, meinen, ohne Gott auskommen zu können, dann landen wir immer wieder in Sackgassen oder bei Lebenseinstellungen, die uns selber innerlich zutiefst erschrecken lassen.
Fangen wir also noch einmal an bei der biologischen Beschreibung des Lebens. Das klingt ja alles so einfach: Stoffwechsel, Fortpflanzung, Reaktion auf die Umwelt. Doch machen wir uns eigentlich klar, wie kompliziert die Prozesse in Wirklichkeit sind, die sich hinter diesen scheinbar so einfachen, elementaren Vorgängen verbergen? Machen wir uns klar, was für ein kompliziertes System auch noch die einfachste funktionierende Zelle in Wirklichkeit ist, wie viel Knowhow in ihr drinsteckt, dass sie so funktioniert, wie sie funktioniert? Machen wir uns klar, wie genial verschlüsselt diese Informationen sich in den Nukleinsäuren RNS und DNS befinden, was eigentlich nötig ist, damit nicht bloß zufällig mal ein paar Aminosäuren miteinander reagieren, sondern daraus Leben entstehen kann? Machen wir uns klar, mit was für irrsinnigen Zufällen wir rechnen müssen, wenn wir meinen, die biologische Beschreibung des Lebens ohne einen Verweis auf einen intelligenten Urheber vornehmen zu können? Nein, Schwestern und Brüder, es geht nicht darum, dass wir als Christen nach irgendwelchen Erklärungslücken in der Biologie oder Physik oder Chemie Ausschau halten, um dann triumphierend den lieben Gott als Lösung präsentieren zu können. Damit würden wir uns nur in völlig unnötige Rückzugsgefechte verwickeln lassen, falls sich wieder einmal eine Erklärungslücke schließen lässt. Natürlich ist es möglich, das Leben und die Entstehung des Lebens ohne einen Rückbezug auf Gott zu beschreiben. Die Frage ist nur, ob diese Beschreibungsversuche wirklich vernünftig sind, oder ob wir als Christen hier nicht vernünftigere Alternativen anzubieten haben als den immer gleichen Rückbezug auf den Zufall als Alleserklärer.
Doch in Wirklichkeit fallen die Entscheidungen in dieser Frage ja ohnehin nicht auf der Ebene des Verstandes; der Mensch besteht eben nicht bloß aus Verstand, er hat einen Willen, er hat bestimmte Interessen, die über den Wunsch, seinen Stoffwechsel in Gang zu halten und sich fortzupflanzen, deutlich hinausgehen. Und dieses Interesse besteht letztlich eben darin, selber sein zu wollen wie Gott, selber die Nummer eins sein zu wollen, selber bestimmen zu wollen, was gut und richtig ist. Dass der Gedanke an Gott da nur als störend, ja geradezu als bedrohlich empfunden wird, ist erst einmal nur allzu verständlich.
Omne vivum e vivo – Alles Lebendige kann nur aus Lebendigem kommen, diese These Louis Pasteurs hat bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren. Leben entsteht nicht einfach spontan; es muss selber einen lebendigen Ursprung haben. Weil dies so ist, versuchen Wissenschaftler immer wieder, das Leben hier auf der Erde mit einer sogenannten Panspermie-Theorie zu erklären, wonach das Leben auf irgendeine wundersame Weise aus dem Weltall auf diese Erde herabgerieselt ist. Doch damit verschiebt man die Problematik natürlich nur. Am Ende werden wir doch wieder zurückgeworfen auf den Einen, der nicht nur der Ursprung allen Lebens ist, sondern selber dieses Leben in seiner vollendeten Fülle ist.
Mit uns selber haben wir heute in dieser Predigt angefangen, nicht mit Gott. Doch wir haben gemerkt: Wenn wir vom Leben reden, kommen wir nicht umhin, letztlich auch von Gott zu reden, von ihm, dem Ursprung allen Lebens. Die Heilige Schrift, die Bibel, macht es genau umgekehrt: Sie führt nicht allmählich vom Nachdenken über das Leben zu Gott, sondern in ihr meldet sich Gott von Anfang an selber zu Wort, ist von Anfang an der Leben schaffende Gott, der als der Schöpfer dem Menschen seine ganz besondere Bestimmung, seine einzigartige Würde verleiht.
Um unser ganz irdisches, hier und jetzt erfahrbares Leben geht es heute in dieser Predigt. Wenn dieses Leben nicht nur ein zufälliger biologischer Vorgang ist, wenn es von Gott selber geschaffen und gewollt ist, dann hat das allerdings nun auch ganz praktische Konsequenzen:
Dann hat das Leben eines jeden Menschen seinen Wert, der sich einer Beurteilung durch andere Menschen schlicht und einfach entzieht. Ob ein Mensch bei Bewusstsein ist, was für einen Intelligenzquotienten er hat, ob er laufen, denken, sprechen kann – das ist für die Frage nach dem Wert und der Würde seines Lebens nicht von entscheidender Bedeutung. Dann ist behindertes, pflegebedürftiges, ungeborenes Leben genauso heilig und unantastbar wie das Leben der Menschen, die sich selber für das Maß aller Dinge halten. Dann gibt es eben keine Über- und Untermenschen, sondern nur den Menschen, der seinen Wert und seine Würde dadurch hat, dass er Gegenüber Gottes ist, von Gott so gewollt und geliebt, wie er ist.
Und das gilt eben nicht bloß für „den Menschen“ im Allgemeinen, das gilt ganz konkret für dich und für mich: „Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur“, so heißt es in einem Lied aus unserem Jugendliederbuch. Unendlich wertvoll bist du in Gottes Augen, ganz gleich, ob du in deinem Leben versagst oder nicht, ganz gleich, ob du noch im Vollbesitz deiner Kräfte bist oder nicht. Nein, der Glaube an Gott macht dich gerade nicht winzig klein, sondern ganz groß, gibt deinem Leben erst seine wahre Bedeutung.
Aber damit sind wir nun schon beim Letzten, worum es heute in dieser Predigt gehen soll: Wenn mein Leben einen Ursprung hat, wenn es Gabe und Geschenk Gottes ist, dann muss ich mich mit eben diesem Leben auch vor ihm, dem Geber, verantworten, dann muss ich damit rechnen, dass mich Gott nach diesem Leben fragen wird. Und darum können wir uns, wenn wir uns mit Gott befassen, eben niemals bloß ins Unverbindliche zurückziehen, als sei die Frage nach Gott einfach nur ein interessanter theoretischer Gedanke, den man mal eine Weile verfolgen kann. Nein, dass ich von Gott geschaffen bin, heißt eben auch, dass ich diesen Gott mein Leben lang nicht loswerde, dass ich ihn verdrängen, vergessen, verleugnen kann, dass ich aber nicht verhindern kann, dass er nach mir fragt, ja dass sich an der Frage, wie ich zu ihm stehe, mein ganzes Leben entscheidet. Und damit sind wir nun schon bei dem, dessen Wort wir am Beginn dieser Predigt in der Jahreslosung vernommen haben, sind wir schon bei ihm, Christus. Aber darum soll es nun in der nächsten Fastenpredigt gehen. Amen.