20.02.2008 | St. Johannes 14, 19b (2. Fastenpredigt: „Vom Ende des Lebens“)

MITTWOCH NACH REMINISZERE – 20. FEBRUAR 2008 – 2. FASTENPREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 14,19b: „VOM ENDE DES LEBENS“

Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben.

Um das Leben geht es in den Fastenpredigten dieses Jahres. Mit dem Ursprung des Lebens hatten wir uns das letzte Mal befasst, hatten davon gesprochen, dass sich unser menschliches Leben nicht einfach dem Zufall, sondern dem lebendigen Gott verdankt, hatten auch davon gesprochen, dass durch Gott allein dieses Leben erst seinen Wert und seine Würde erhält: Wir sind geschaffen als Gottes Gegenüber, was dann allerdings auch heißt, dass wir uns vor ihm, Gott, mit diesem unserem Leben zu verantworten haben.
Über diesen Ursprung des Lebens machen wir Menschen uns in aller Regel nicht allzu viele Gedanken; das nehmen wir gerne einfach als gegeben hin, dass wir leben. Ganz anders ist das mit dem Ende des Lebens. Dieses Ende des Lebens bestimmt bewusst oder unbewusst unser ganzes Leben, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht. Denn mit diesem Ende können und wollen wir uns schlicht und einfach nicht abfinden. Gewiss, es gibt Leute, die ebenso bewusst, wie sie den Beginn des Lebens zum reinen Zufallsprodukt erklären, auch das Ende des Lebens als rein natürlichen Prozess deuten: Das hat die Natur oder die Evolution mit dem Tod so eingerichtet, erklären sie, ohne sich meist bewusst zu sein, was für eine religiöse Sprache sie da gerade verwendet haben.
Doch damit haben sich Menschen letztlich noch nie zufrieden gegeben, dass der Tod wirklich nur die Beendigung einer Reihe von Stoffwechselprozessen und das Ableben eines Menschen für den Fortbestand der Würmer unten in der Erde nun mal notwendig sei. Das geht schon damit los, dass wir einen Menschen, der gestorben ist, eben nicht irgendwo auf einem Komposthaufen oder in der Müllverbrennungsanlage entsorgen, sondern ihn, auf welche Weise auch immer, beerdigen. Das erscheint uns so selbstverständlich, und doch kommt darin schon etwas zum Ausdruck, dass das Leben für uns Menschen mehr ist als nur ein biologischer Prozess. Und dann kann man auch erleben, dass selbst Menschen, die sich in ihrem Leben sonst nicht sonderlich für Kirche und Religion interessieren, angesichts des Todes eines Menschen anfangen, diesen Tod religiös zu deuten: Dann lebt der Mensch, der da gerade gestorben ist, doch irgendwie weiter, irgendwo in einem Jenseits oder in einem anderen Menschen oder sei es auch nur im Gedächtnis der Lieben. Aber er lebt jedenfalls, ist nicht einfach tot, denn einfach tot zu sein, das geht doch nicht, das können wir doch nicht akzeptieren.
Doch diese mehr oder weniger hilflosen Versuche, mit dem Tod eines Menschen umzugehen, zu glauben, dass mit dem Tod doch nicht einfach alles aus ist, haben mit dem christlichen Glauben erst einmal gar nichts zu tun. Als Christen glauben wir nicht einfach daran, dass das Leben nach dem Tod irgendwie weitergeht; im Gegenteil: Wir stellen uns als Christen der Realität des Todes in seiner ganzen Härte und versuchen diese Realität gerade nicht irgendwie schönzureden. Wir glauben nicht daran, dass der Mensch von Natur aus so etwas wie einen unsterblichen Kern in sich trägt, der dann irgendwie weiterlebt, während der Körper im Grab zerfällt. Nein, so trennen wir als Christen nicht zwischen Leib und Seele. Beides gehört untrennbar zusammen. Es gibt in uns nicht einen edleren geistigen Teil und einen minderwertigeren materiellen Teil, die man wie beim Grünen Punkt voneinander trennen könnte. Wie eng Leib und Seele zusammengehören, das nimmt man ja auch in der Medizin zunehmend wahr. Und als Christen glauben wir auch nicht, dass das Weiterleben nach dem Tod ein gleichsam natürlicher Prozess ist, den jeder Mensch automatisch nach seinem Tod erfährt. Vertröstungsversuche sind das alles, die letztlich doch nicht zu trösten vermögen, vergebliche Versuche, den Tod aus dem Leben zu verdrängen und ihn zu verharmlosen.
Die Heilige Schrift blickt hier viel tiefer. Sie sagt: Der Tod ist eben nicht bloß ein natürlicher Prozess, sondern der Tod ist Folge der Trennung des Menschen von Gott, ja, im Tod vollendet sich eben diese Trennung des Menschen von Gott. In biblischer Sprache formuliert: Der Tod ist der Sünde Sold. Und von daher ist und bleibt der Tod etwas zutiefst Unnatürliches, weil wir Menschen eben dazu von Gott eigentlich nicht geschaffen worden sind, irgendwann nur einmal unter den Stiefmütterchen zu landen, und das war es dann.
Doch alle Versuche, von uns aus irgendetwas an dieser Lage zu ändern, sind vergeblich und werden vergeblich bleiben, so zeigt es uns die Heilige Schrift sehr deutlich, so zeigt es uns auch schon unsere Erfahrung: Da hat die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer ein hervorragendes Buch geschrieben mit dem schönen Titel: „Das Leben als letzte Gelegenheit“. Darin bringt sie die Einstellung des heutigen Menschen zum Leben und damit zum Tod wunderbar auf den Punkt: Der Mensch ahnt um seine Endlichkeit, und er versucht nun, in den paar Jahren, die ihm noch bleiben, möglichst viel in sein Leben hineinzupacken, versucht, das Leben zu beschleunigen, um immer mehr erleben zu können, versucht, sich auf verschiedene Weisen ein Anrecht auf eine zumindest durchschnittlich lange Lebenszeit zu sichern. Genau das ist es, was wir in unserer Umgebung, was wir vielleicht auch bei uns selber immer wieder beobachten und wahrnehmen können.
Nein, als Christen machen wir uns nicht daran, diese menschlichen Versuche, mit dem Tod fertigzuwerden, irgendwie religiös zu unterfüttern. Die Botschaft, an die wir glauben, ist eine ganz andere, und diese Botschaft hat einen Namen: Sie heißt Jesus Christus. Und dieser Jesus Christus stellt nun eine ungeheuerliche Behauptung auf, die wir eben in der Jahreslosung gehört haben: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ „Ich lebe“ – das sagt nicht bloß eine Person der Vergangenheit, um ihren augenblicklichen Zustand zu beschreiben. Sondern „Ich lebe“ – das sagt heute Abend jemand zu uns, der selber gestorben ist, der selber den Tod in seiner ganzen Grausamkeit durchlitten hat. Der lässt seine Botschaft uns nicht durch einen spiritistischen Zirkel vermitteln, sondern der hat diese Botschaft selber leibhaftig seinen Jüngern, den Aposteln, mitgeteilt, hat sie selber sehen und erfahren lassen, dass er den Tod, dieses scheinbar unausweichliche Ende des Lebens eines jeden Menschen, besiegt und überwunden hat.
Das, Schwestern und Brüder, ist das Besondere, ja das ist letztlich der Angelpunkt des christlichen Glaubens: Er ist keine zeitlos gültige Wahrheit, dass der Tod nur Einbildung ist oder dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht. Sondern der christliche Glaube verkündigt, dass es in unserer menschlichen Geschichte einen gegeben hat, der stärker gewesen ist als der Tod, der den Tod besiegt hat, der tatsächlich wieder zurückgekommen ist, nein, nicht als reanimierte Leiche, nicht als klinisch Toter, den man noch mal im letzten Augenblick wiederbelebt hat und der schon so weit weggetreten war, dass er sich selber von oben sehen konnte, sondern als jemand, der ganz und gar mausetot war, bei dem alle menschlichen Wiederbelebungsversuche vergeblich gewesen wären. Der ist zurückgekommen, nicht so, dass er einige Jahre darauf dann doch noch einmal sterben musste, sondern ist so zurückgekommen, dass er den Tod ein für allemal hinter sich gelassen hat.
Schwestern und Brüder, ja stellen wir uns das nur mal vor, dass das stimmt: Da gibt es einen Menschen, der den Tod besiegt hat, der stärker ist als der Tod, und der verspricht, auch uns daran Anteil zu geben, der verspricht: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Ja, dann ist es doch klar, dass wir uns an diesen Menschen wenden werden, dass wir versuchen werden, mit ihm in Verbindung zu kommen, damit es uns auch so ergeht wie ihm, damit wir uns nicht bloß mit irgendwelchen Vorstellungen darüber zufrieden geben müssen, dass es nach dem Tod irgendwie weitergehen könnte, sondern damit wir ganz konkret dieses Leben von ihm bekommen, das der Tod nicht mehr zerstören kann. Ja, daran hängt in der Tat im christlichen Glauben alles: Wenn Christus nicht wahrhaftig auferstanden wäre, dann könnten wir einpacken, dann würden wir uns hier nur noch was in die Tasche lügen, dann wäre es völlig sinnlos, Christ sein zu wollen. Weil aber Christus wahrhaftig auferstanden ist, ist eben dieser Tag seiner Auferstehung der Wendepunkt der Weltgeschichte, das wichtigste Ereignis überhaupt, das je auf diesem Erdball stattgefunden hat, das wichtigste Ereignis damit auch unseres eigenen Lebens.
„Ihr sollt auch leben“ – sagt Christus auch zu uns. Nein, das ist, wie gesagt, nicht selbstverständlich. Wenn wir nach unserem Tod weiterleben, dann liegt das nicht daran, dass wir in uns einen unsterblichen Teil haben, sondern dann hängt das einzig und allein daran, dass Christus auch in uns ein neues Leben eingepflanzt hat, als wir mit ihm zusammengekommen sind in unserer Taufe. Und in unserer Taufe ist ja eben noch mehr passiert: Da hat Gott, unser Schöpfer, zugleich all das von uns weggenommen, was uns daran hindern könnte, in seiner Gemeinschaft zu leben.
Dass das Leben nach dem Tod irgendwie weitergeht, ist ja im Grunde genommen erst mal nicht unbedingt eine gute Nachricht. Es wäre ja auch möglich, dass wir dieses Leben, das nach dem Tod weitergeht, für immer getrennt von Gott verbringen müssten in dem Wissen, dass es ihn gibt. Eine furchtbare Existenzform, eine furchtbare Zukunftsperspektive wäre das, von der Christus selber jedoch immer wieder ganz offen und realistisch spricht und die wir von daher auch nicht einfach verdrängen dürfen, weil sie uns nicht passt, weil sie uns inhuman oder was auch immer erscheinen mag. Erinnern wir uns daran: Wir sind Geschöpfe, wir sind nicht der Schöpfer, wir sind nicht dazu in der Lage, Gott Vorschriften zu machen, wie er sich denn bitteschön uns gegenüber verhalten soll. Natürlich hat Gott das Recht dazu, am Ende des Lebens eines Menschen zu erklären, dass dieser Mensch sein Leben offenkundig verfehlt hat, weil er nur um sich selber, nur um sein eigenes, irdisches Leben gekreist ist und sein Leben getrennt von ihm, Gott, dem Ursprung alles Lebens, verbracht hat. Wer sollte Gott daran hindern, einem Menschen genau das Leben in alle Ewigkeit zu geben, das er sich sein ganz irdisches Leben lang gewünscht hat: ein Leben ohne Gott?
Machen wir uns also nichts vor: Genau das wäre eigentlich die Zukunftsperspektive für alle Menschen, nicht nur für einen Stalin und einen Hitler, sondern auch für dich und für mich: ein Leben nach dem Tod ohne Gott. Doch wenn Christus sagt: „Ihr sollt auch leben“, dann meint er eben nicht irgendein Leben nach dem Tod, sondern dann meint er das Leben, das er auch selber hat: das Leben in der vollendeten Gemeinschaft mit Gott. Nein, dieses Leben können wir uns nicht verdienen, das kann uns nur geschenkt werden, das hat darin seinen Grund, dass Christus selber stellvertretend für uns diese Gottesferne durchlitten hat, als er am Kreuz für uns starb. Ohne dieses Kreuz, ohne den Kreuzestod Jesu Christi könnte es für uns also kein Leben geben, das diesen Namen wirklich verdient. Der Tod, der der Auferstehung Jesu voranging, war kein Betriebsunfall, sondern war selber Rettungshandeln Gottes, war für uns nötig, damit der Tod nicht einfach unsere Trennung von Gott endgültig besiegelt.
Alles, wirklich alles hängt von daher daran, dass wir mit diesem Christus in Verbindung kommen, dass auch für uns gilt, was er für uns getan hat. Ja, wir merken schon: Es geht in unserem christlichen Glauben wirklich um Leben und Tod und um nicht weniger, nicht bloß um irgendein religiöses Hintergrundgeräusch, das unser Leben ein bisschen schöner und tröstlicher macht. Und die Botschaft des christlichen Glaubens ist eben keine Vertröstung, sondern bewährt sich gerade da, wo wir mit dem Tod konfrontiert werden, mit dem Tod eines geliebten Menschen oder mit unserem eigenen Tod: Da müssen wir uns nicht in pseudoreligiöse Lyrik flüchten, sondern dürfen ganz nüchtern und realistisch feststellen: Dieser Mensch, den wir da zu Grabe tragen, der ist getauft, in dem hat Christus gelebt durch sein Heiliges Abendmahl, der war mit Christus verbunden. Und darum dürfen wir gewiss sein: Mit diesem Menschen wird genau dasselbe geschehen, was auch mit Christus geschehen ist, der wird eben auch einmal auferstehen, genau wie damals vor knapp 2000 Jahren Christus auferstanden ist. Und weil mit dem Tod unsere Existenz in den Grenzen von Raum und Zeit endet, dürfen wir zugleich auch schon davon reden, dass dieser Mensch jetzt schon bei Christus ist, dass er jetzt schon an der Vollendung teilhat.
Und das soll auch für uns gelten, und darum ist es so wichtig, dass wir uns das nächste Mal noch einmal ganz konkret Gedanken machen über die Teilhabe an dem Leben, das Christus hat und das Christus schenkt. Ja, diese Teilhabe brauchen wir – todsicher. Amen.