27.02.2008 | St. Johannes 14, 19b (3. Fastenpredigt: „Von der Teilhabe am Leben“)

MITTWOCH NACH OKULI – 27. FEBRUAR 2008 – 3. FASTENPREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 14,19b: „VON DER TEILHABE AM LEBEN“

Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben.

Um das Leben geht es in den Fastenpredigten dieses Jahres. Von Gott, dem Schöpfer und Ursprung des Lebens, haben wir bereits gesprochen, ebenso wie vom Ende des Lebens, über das wir uns nicht mit Vertröstungen hinweghelfen können, angesichts dessen umgekehrt die Worte Jesu in der Jahreslosung dieses Jahres überhaupt erst ihre ganze Kraft entfalten: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Christus hat den Tod besiegt, hat ein Leben, das auch der Tod nicht zerstören kann, ja, ist dieses Leben selber in Person. Und an dieses Leben sollen wir nun auch herankommen. Die Frage ist nur, wie dies geschieht.
„Anteilhabe am Leben“ – Wir merken schon, dass es in unserem christlichen Glauben um viel mehr geht, als dies in den zumeist üblichen Vorstellungen von Religion und Religiosität erkennbar wird oder wahrgenommen werden kann:
Viele Leute stellen sich das mit dem Glauben ja so vor: Da hört man eine Geschichte von Jesus, hört, dass er von den Toten auferstanden ist, und das findet man schön und gut, das findet man richtig, das glaubt man auch, dass das wirklich stimmt, dass Jesus auferstanden ist. Und dieses Wissen um das, was da in der Bibel steht, und die Zustimmung zu dem, was man da gehört hat, das ist dann der Glaube. Doch das wäre eben viel zu wenig. Ich kann ja noch so viel über das wissen, was in der Bibel steht, und ich kann das noch so sehr alles für richtig halten: Das ändert alles nichts daran, dass ich am Ende einmal sterben werde, dass mein Leben dann vorbei ist. Und sollte Gott dann etwa mich dafür belohnen, dass ich mich so gut in der Bibel ausgekannt habe oder dass ich ihm das auch alles abgenommen habe, was er mir da in der Bibel aufgeschrieben hat? Sollte Gott mich dafür belohnen, indem er mich ewig leben lässt? Wenn das so laufen würde, dann hätte sich das Jesus mit seinem Tod und seiner Auferstehung letztlich auch schenken können; dann hätte Gott stattdessen ja auch einfach irgendwelche anderen netten Geschichten in der Bibel aufschreiben lassen können, die man wissen und glauben müsste.
Und da gibt es dann die anderen, deren Frömmigkeit so aussieht, dass sie glauben, dass Jesus einfach immer bei ihnen ist und sie begleitet. Das ist ja nicht falsch, genauso wenig wie das falsch ist, die Bibel gut zu kennen und dem zuzustimmen, was da in der Bibel drinsteht. Aber dadurch, dass ich glaube, dass Jesus immer bei mir ist, wird ja nicht mein größtes Problem gelöst, dass nämlich mein Leben irgendwann zu Ende ist, ja, und was dann? Nein, wenn Jesus nur so eine Art von Schutzengel ist oder eine Art von moralischer Stärkung für die schwachen Stunden des Tages, dann wäre auch dies viel zu wenig, dann käme ich dadurch auch noch nicht an das Leben heran, in das hinein er auferstanden ist und an dem er auch uns Anteil geben will.
Nein, durch mein Denken oder mein Fühlen werde ich nicht wirklich mit Jesus verbunden; da mag sich etwas in meinem Kopf abspielen – aber Leben, wahres Leben bekomme ich durch mein Denken und mein Fühlen nicht. Das bekomme ich tatsächlich nur dadurch, dass ich mit Christus ganz real verbunden werde. Und genau das geschieht nun in den Gnadenmitteln, in der Taufe, im Heiligen Abendmahl, in der Beichte: Da wird mir ganz real dieses Leben geschenkt, das ich brauche, da werde ich mit Christus ganz real verbunden.
Präpositionen, Verhältniswörter, bringen in der Heiligen Schrift immer wieder zum Ausdruck, wie diese Verbindung mit Christus ganz konkret aussieht: So lässt sich diese Verbindung mit Christus, die uns in der Taufe geschenkt wird, mithilfe der Präpositionen in, mit und unter bestimmen:
Wir sind mit Christus begraben durch die Taufe in den Tod, schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief. Da haben wir in einem Satz gleich beides zusammen: Das Ende des Lebens, den Tod, und das Verhältnis zu Christus. Nein, die Taufe ist keine Informationsveranstaltung für den Täufling, sondern sie ist ein glatter Totschlag: Dort in der Taufe wurde nämlich unser Leben beendet, in das wir hineingeboren wurden: unser Leben in der Trennung von Gott, der „alte Adam“, wie Martin Luther es formuliert. Das Ende unseres Lebens wird also nicht schöngeredet und nicht verdrängt, sondern es wird im Gegenteil sogar vorgezogen: In der Taufe sterben wir und werden wir begraben. Doch wir sterben in der Taufe eben nicht allein, sondern wir werden mit Christus so eng verbunden, dass wir an seinem Todes- und Lebensgeschick Anteil gewinnen: Wir sterben mit Christus und werden mit ihm begraben, um gerade so dann auch Anteil an seinem Leben zu gewinnen. Da geht es nicht um Denken oder Fühlen, sondern um reale Schicksalsgemeinschaft, auch wenn man mit dem Auge so wenig davon erkennen kann: Da fließt ein wenig Wasser, da scheint so wenig zu passieren; doch in Wirklichkeit vollzieht sich in diesem Augenblick unser Todesgeschick: Das Leben des Menschen, der wir bis zu diesem Augenblick waren, endet; wir haben seit diesem Augenblick den Tod hinter uns – vor uns liegt nun nur noch das Leben mit Christus, das nie mehr aufhört. Was nun noch auf uns wartet, ist der leibliche Tod; aber der kann uns nun nicht mehr schaden, seit wir mit Christus gestorben und dadurch mit ihm auf Tod und Leben verbunden sind.
Mit Christus sterben und leben wir. Der Apostel Paulus gebraucht daneben immer wieder die Präposition „in“: Seit unserer Taufe leben wir in Christus. Sinnenfällig formuliert er dies im Galaterbrief: Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Christus umgibt uns seit unserer Taufe wie ein Kleid; wir stecken in ihm drin, wir leben in ihm und haben eben so Anteil an seinem Leben, weil wir in ihm sind. Noch einmal: Es geht hier nicht um Denken, Verstehen, Fühlen, es geht um eine Realität, die auch dann noch gilt, wenn unsere Gehirnzellen allmählich in den Generalstreik treten, ja auch und gerade dann, wenn sie einmal endgültig absterben. Auch und gerade dann bleibe ich in Christus, habe Anteil an seinem Leben.
Und zugleich befinde ich mich seit dem Tag meiner Taufe unter Christus, unter seiner Herrschaft, befinde mich unter ihm als dem Haupt seines Leibes. Ein Herrschaftswechsel hat in meiner Taufe stattgefunden; die Mächte des Todes können mir nun nicht mehr schaden, seit Christus im Wasser der Taufe der Herr meines Lebens geworden ist.
Gemeinschaft mit Christus, Anteil an seinem Leben: Genau darum und um nicht weniger geht es auch im Heiligen Abendmahl. Das Heilige Abendmahl ist eben nicht bloß ein frommer Ritus, bei dem wir uns an Jesus erinnern, bei dem unser Gedächtnis als kleine Eselsbrücke noch ein Stück Brot und einen Schluck Wein erhält, damit es in unserem Erinnerungsvermögen Klick macht. Sondern auch hier geht es um nicht weniger als um mein Leben, nein, eigentlich nicht um mein Leben, sondern um das Leben Christi, das auch meines wird. Ging es in der Taufe vor allem darum, dass wir in Christus leben, so geht es im Heiligen Abendmahl nun vor allem darum, dass Christus in uns lebt, wobei man das eine gegen das andere nicht ausspielen kann: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“, so formuliert es Christus selber.
Christus in mir – nein, nicht bloß in meinen Gedanken, in meinem Gedächtnis, sondern in mir ganz, in meiner Seele, in meinem Körper, er, derselbe Christus, der am Ostermorgen das Grab in Jerusalem verlassen hatte. Der und kein anderer kommt zu mir im Heiligen Mahl leibhaftig, begrüßt mich nicht nur, sondern macht sich so klein für mich, dass er in mich eingehen, in mir leben kann und tatsächlich lebt. Christus in mir – machen wir uns das überhaupt immer wieder einmal klar, was das bedeutet? Ich trage Christus in mir, wenn ich nachher die Kirche verlasse, ich trage Christus in mir, wenn ich auf dem Operationstisch liege, ich trage Christus in mir, wenn es aufs Sterben zugeht. Ach, wie sollte der Tod für mich jemals das Ende sein können, wenn doch der lebendige Christus in meinem Körper Wohnung genommen hat? Wie sollte ich da nicht auferstehen, wo sich doch der auferstandene Herr mit mir unlöslich verbunden hat? Reale Anteilhabe am wirklichen Leben, dem Leben, das Christus in Person ist: Darum geht es in unserem Glauben, darum geht es in jedem Gottesdienst.
Und das könnte man nun weiter durchgehen: Leben wird mir ganz real in jedem Beichtgottesdienst, in jeder Absolution geschenkt: Alles, was mich von Gott, der Quelle des Lebens, trennen könnte, wird dort weggenommen; ich krieche in meine Taufe zurück, werde wieder neu von Christus und seiner Gerechtigkeit umhüllt. Da passiert tatsächlich etwas in der Absolution, da lasse ich nicht bloß ein wenig Seelenmassage an mir betreiben, damit ich mich nachher besser fühle: Da erfüllt sich ganz real wieder aufs Neue das Wort Jesu in der Jahreslosung: Ich lebe, und ihr sollt auch leben.
Ja, auch das Wort gibt dir Anteil an diesem Leben Christi, das Wort, das dir in der Absolution auf den Kopf zugesprochen wird, das Wort des Evangeliums, das dir in der Predigt verkündigt wird. Auch da geht es nicht bloß um Information und erst recht nicht bloß um Unterhaltung: Nein, Christus arbeitet an dir und in dir durch sein Wort, wenn er es dich hören lässt, nimmt auch durch deine Ohren in dir Wohnung, er, der doch das Wort des Lebens in Person ist, wie Johannes es formuliert.
Teilhabe am Leben – darum geht es im christlichen Glauben, ja nichts anderes als solche Teilhabe am  Leben ist auch der Glaube selber. Der Glaube ist kein Gefühl, er ist nicht bloß die Kenntnis von irgendwelchen Glaubensinhalten, er ist nicht bloß die Zustimmung zu dem, was verkündigt wird, sondern der Glaube ist nichts anderes als Gemeinschaft mit Christus und damit Teilhabe am Leben. Statt vom Glauben kann Christus im Johannesevangelium auch vom Bleiben reden: Bleibt in mir, so sagt er es in seiner Rede vom Weinstock und den Reben. In Christus bleiben – genau das ist Glauben. Ich brauche im Glauben nichts zu empfinden, ich brauche im Glauben nicht alles zu verstehen. Glaube, Gemeinschaft mit Christus, wird schon dem kleinen Baby in der Taufe geschenkt; Glaube, Gemeinschaft mit Christus, hat auch der schwerstbehinderte Junge, auch wenn er diesen Glauben gar nicht artikulieren kann; Glaube, Gemeinschaft mit Christus, habe ich auch dann, wenn ich irgendwann einmal dement werde und meinen eigenen Namen nicht mehr kenne. Denn er, Christus, lebt in mir und ich in ihm. Das hängt nicht von meinen Fähigkeiten ab. Und dass Christus in mir lebt, das wirkt sich aus – schon jetzt in meinem Leben, und dann erst recht, wenn mein irdisches Leben irgendwann einmal zu Ende geht. Ja, auch und gerade dann bleibe ich in Christus, geborgen in ihm, werde ich von ihm und mit ihm hindurchgetragen in das Leben, in dem es einmal keine Predigten mehr geben wird, weil wir dann selber sehen werden, was wir jetzt noch hören: Das Wort des Lebens. Amen.