05.03.2008 | St. Johannes 14, 19b (4. Fastenpredigt: „Vom Inhalt des Lebens“)

MITTWOCH NACH LAETARE – 5. MÄRZ 2008 - 4. FASTENPREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 14,19b: „VOM INHALT DES LEBENS“

Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben.

Um das Leben geht es in den Fastenpredigten der Passionswochengottesdienste dieses Jahres. In den bisherigen drei Predigten haben wir unser Augenmerk vor allem auf die Endpunkte des Lebens gerichtet: auf den Beginn und Ursprung des Lebens, auf sein Ende und auf die Teilhabe am Leben, die dieses Ende zu überwinden vermag. Doch das heißt gerade nicht, dass dieses Leben, das wir jetzt und hier auf Erden führen, für uns Christen unwichtig wäre, dass es gleichsam nur so eine Art von Wartesaal wären, aus dem wir hoffentlich möglichst bald herausgerufen werden. Nein, dieses irdische Leben, das Gott uns geschenkt hat, ist wichtig, hat einen Sinn, hat einen Inhalt, ja, schon allein deswegen, weil wir nicht wie die fernöstlichen Religionen glauben, dass dieses Leben, das wir jetzt haben, nur eines von vielen ist, das wir im Laufe unzähliger Wiedergeburten durchlaufen, bis wir endlich diesem Kreislauf entnommen werden und im Unendlichen aufgehen dürfen wie ein Tropfen im Ozean. Nein, wir haben nur dieses eine Leben hier auf Erden, können da nichts in einem anderen Leben wiedergutmachen; aber dieses eine Leben ist von daher auch keine Strafe dafür, dass wir es im vorherigen Leben nicht weit genug gebracht haben, um nicht noch einmal wiedergeboren werden zu müssen. Nein, dieses jetzige Leben ist Geschenk Gottes, ist etwas Positives, über das wir uns freuen dürfen. Und so wollen wir uns nun an diesem Abend darüber Gedanken machen, was denn der Inhalt dieses Lebens ist, das wir jetzt hier auf Erden führen.
Die richtige Antwort, die ein Christ auf diese Frage, was denn der Inhalt seines Lebens sei, gibt, lautet natürlich: Der Inhalt meines Lebens ist Christus. Das stimmt natürlich. Aber nun wollen wir uns überlegen, was das denn für uns ganz konkret heißt:
Blicken wir doch noch einmal auf das Ende unseres Lebens: Wenn man sich Todesanzeigen anschaut, dann findet man dort immer wieder einmal Aussagen über den Lebensinhalt eines Menschen, der nun verstorben ist: „Müh und Arbeit war dein Leben, kanntest nichts als deine Pflicht“, so heißt es dann beispielsweise. Oder: „Seine Familie war sein Leben“. Beides ist ja durchaus nicht unanständig. Aber für uns als Christen wäre dies allein doch eine sehr beschränkte Lebensinhaltsbeschreibung. Ach, eigentlich muss man ja noch nicht einmal Christ sein, um sich das klarzumachen: „Müh und Arbeit war dein Leben, kanntest nichts als deine Pflicht“: Und was ist, wenn ich in meinem Leben eben nicht die Arbeit gefunden habe, die mein ganzes Leben hätte ausmachen und bestimmen können? Was ist, wenn ich in meinem Leben keine Erfolge und Leistungen vorweisen kann, die ich mir hätte erarbeiten können? Was ist, wenn mein Lebenslauf, den ich in meinem Leben immer wieder vorlegen muss, dann doch nicht so fürchterlich beeindruckend aussieht? Habe ich dann mein Leben verfehlt? Und ist es umgekehrt vielleicht doch schon ein wenig unanständig, wenn ich in meinem Leben doch noch etwas Anderes gekannt habe als meine Pflicht, wenn ich in meinem Leben eben doch auch Freude und Muße erlebt habe, vielleicht auch manches Verrückte gemacht habe? War das dann vielleicht sogar Sünde? Nein, das war es nicht, zumindest nicht, solange ich mich dabei nicht meiner Verantwortung gegenüber anderen Menschen entzogen habe. Gott hat uns jedenfalls nicht dazu geschaffen, dass wir uns einfach zu Tode malochen, damit wir unseren Kindern auch etwas zu vererben haben. Und Gott beurteilt unser Leben eben nicht nach dem, was wir geleistet haben, was wir ihm als Lebensleistung vorweisen könnten. Im Gegenteil: Gott schenkt unserem Leben seinen Inhalt schon längst, bevor wir angefangen haben, auch nur irgendetwas zu tun. Und dieser Lebensinhalt besteht darin, dass wir als seine Kinder in seiner Gemeinschaft leben dürfen, ganz gleich, wie unser Lebensweg auch verlaufen mag. Da mag es sein, dass ich mir große Ziele für mein Leben gesteckt habe und sie schließlich doch nicht erreicht habe, mich stattdessen finanziell irgendwie so durchs Leben wurschtele. Das ändert nichts daran, dass mein Leben einen Sinn, einen Inhalt hat: als Gottes Kind in seiner Gemeinschaft zu leben. Da mag es sein, dass ich die Erfüllung meines Lebens immer darin gesehen habe, eine Familie zu haben. Aber dann wird mir diese gewünschte Erfüllung doch nicht geschenkt, weil ich den rechten Partner, die rechte Partnerin nicht finde oder weil meine Ehe in die Brüche geht oder weil sich meine Kinder von mir entfremden. Schmerzlich mögen diese Erfahrungen sein, aber das ändert nichts am Inhalt unseres Lebens, dass wir als Gottes geliebte Kinder in seiner Gemeinschaft leben. Da mag ich mir für mein Leben so viel vorgenommen haben, und dann kommt eine Krankheit, kommt eine Behinderung, schränkt meine Leistungsfähigkeit ein, lässt mich vielleicht gar immer mehr von anderen abhängig werden. Schmerzliche Erfahrungen mögen das sein, doch der Inhalt meines Lebens bleibt dennoch bestehen: dass ich als Gottes geliebtes Kind in seiner Gemeinschaft leben darf. Schwestern und Brüder, ihr merkt: So könnten wir nun unser Leben noch weiter durchdeklinieren; immer wieder läuft es auf dasselbe hinaus: Unser Leben hat einen Sinn, den uns niemand zerstören kann, weil Gott selbst diesen Sinn unserem Leben eingestiftet hat – schon als er uns unser irdisches Leben geschenkt hat, und dann noch einmal ganz neu am Tage unserer Taufe.
„Mir hat noch nie einer was geschenkt“ – so hat der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder einmal sein Lebensmotto beschrieben. Bei allem Respekt vor seiner Lebensleistung: Da hat Gerhard Schröder leider doch das Entscheidende, worum es im Leben geht, verpasst: Dass nämlich alles, was er hat und ist, Geschenk ist und bleibt und dass wir als Menschen nur darin die Erfüllung unseres Lebens finden können, dass wir aus diesen Geschenken unseres Lebens schöpfen.
Als Gottes geliebtes Kind in seiner Gemeinschaft leben – das heißt für unseren Alltag ganz konkret: Wir leben als Christen immer bezogen auf ein Gegenüber. Ich kämpfe mich nicht einfach allein durchs Leben, sondern mein Leben ist ganz wesentlich Gespräch mit ihm, meinem Vater, mit dem ich verbunden bin. Nein, Schwestern und Brüder, es geht mir jetzt nicht darum, dass ich euch hier einen Vortrag darüber halten will, wie oft ein anständiger Christ am Tag zu beten hat. Es geht mir um etwas viel Elementareres: Das Gespräch mit Gott, das Gebet, äußert sich nicht bloß darin, dass wir zu bestimmten Tageszeiten die Hände falten – darin äußert es sich natürlich auch, ganz gewiss. Sondern das Gespräch mit Gott reicht eben viel tiefer: Es äußert sich beispielsweise darin, dass unser Leben als Christen geprägt ist von Dankbarkeit, von Dankbarkeit, die das genaue Gegenteil ist zu der Einstellung: „Mir hat noch nie einer was geschenkt!“ Ja, natürlich ist es gut und wichtig, dass wir diesen Dank Gott gegenüber auch immer wieder ganz konkret in Worten, im Gebet formulieren. Aber Dankbarkeit lässt sich eben nicht reduzieren auf die Minuten am Tag, an denen wir unsere Andacht halten oder das Tischgebet sprechen. Dankbarkeit ist eine Haltung, die uns frei macht von der Sorge, wir könnten etwas verpassen, wir könnten nicht genug mitbekommen, sondern die uns im Gegenteil immer wieder wahrnehmen lässt, was wir haben, was uns geschenkt ist, wie Gott, unser Vater, für uns sorgt, ja, was er durch Christus für uns getan hat.
Leben im Gegenüber zu Gott – das bedeutet weiterhin, dass wir unsere Sorgen und unseren Kummer nicht einfach in uns hineinzufressen brauchen, sondern Sorgen und Kummer aussprechen dürfen, sie Gott, unserem Vater nennen, bei ihm abgeben dürfen. Nein, das heißt nicht, dass Gott dann mit einem Mal alle Sorgen und allen Kummer aus unserem Leben verschwinden lässt. Aber er lässt uns mit all dem, was er uns erfahren lässt, eben niemals allein dastehen, lässt uns dann auch immer wieder erfahren, was für eine Hilfe und was für ein Trost das Gebet sein kann, wenn wir merken, dass wir selber so gar nicht mehr weiterkommen.
Doch damit unser Gebet, ja unser ganzes Leben tatsächlich auch ein Dialog bleibt, damit wir nicht auch in unseren Gebeten letztlich doch nur um uns selber, um unsere eigenen Gedanken kreisen, ist es so wichtig, dass wir unsere Gebete, ja unser ganzes Leben immer wieder neu prägen lassen durch das Hören auf Gottes Wort. Gott ist doch nicht eine Vorstellung, die wir in unserem Kopf entwickeln, und auch nicht bloß irgendeine dunkle Ahnung, die wir haben mögen. Sondern er spricht durch sein Wort in unser Leben hinein, lässt uns Dinge immer wieder neu wahrnehmen, weitet unseren eigenen engen Horizont. Ja, Gott in seinem Wort immer besser kennenzulernen, das ist in der Tat eine Lebensaufgabe, die bleibt, ein Lebensinhalt, der uns in unserem Leben bis ans Ende immer weiter wachsen lässt, uns vor allem hoffentlich dies eine immer klarer aufgehen lässt: was es heißt, dass wir um Christi willen tatsächlich allein aus Gnaden leben dürfen. Dazu soll uns jeder Gottesdienst, jede Predigt, jeder Empfang der heiligen Sakramente, jedes Studium der Heiligen Schrift helfen, dass dieser Lebensinhalt uns mehr und mehr in unserer ganzen Lebenshaltung prägt.
Als Gottes geliebtes Kind in seiner Gemeinschaft zu leben, das heißt von daher dann auch: Gottes Gebote als Hilfen zum Leben wahrzunehmen. Wenn darin der Inhalt meines Lebens besteht, aus Gottes Liebe zu leben, dann ist es klar, dass andere mögliche Lebensinhalte damit ihren Anspruch einbüßen, das Wichtigste im Leben zu sein. Dann behalten sie gewiss die Bedeutung, die ihnen zusteht, aber an erster Stelle stehen sie dann in meinem Leben gerade nicht: der Beruf, die Familie, das Geld, das Hobby, was auch immer. Wenn darin der Inhalt meines Lebens besteht, aus Gottes Liebe zu leben, dann werde ich mir selbstverständlich die Zeit nehmen, um diese Liebe immer wieder leibhaftig empfangen zu können in den Gaben des Heiligen Mahles. Wenn darin der Inhalt meines Lebens besteht, als Gottes geliebtes Kind in seiner Gemeinschaft zu leben, dann lässt mich diese Liebe eben gerade nicht nur auf Gott schauen, sondern immer zugleich auch auf meinen Nächsten, dann wird diese Liebe, die ich empfange, auch meinen Umgang mit meinem Nächsten bestimmen.
Es gehört zu den Eigenheiten des christlichen Glaubens, dass er eben gerade nicht eine Sammlung von Gesetzesvorschriften für jede Lebenslage enthält. Gewisse Grenzziehungen werden in den Geboten vorgenommen, doch was das nun jeweils positiv heißt, diese Gebote zu erfüllen, dafür finden wir in aller Regel gerade keine Einzelanweisungen in der Heiligen Schrift. Der Kirchenvater Augustin hat das einmal sehr prägnant auf den Punkt gebracht: „Liebe, und tu was du willst!“ Wenn Liebe dein Handeln bestimmt, dann wird sich daraus alles andere ergeben, ja, wenn die Liebe dein Handeln bestimmt, die du von Gott empfangen hast, Liebe, die nicht bloß ein süßliches Gefühl ist, sondern die sich ganz konkret gezeigt hat in der Lebenshingabe unseres Herrn am Kreuz. Wenn dich diese Liebe in die Nachfolge deines Herrn gerufen hat, dann geht es in deinem Leben eben nicht mehr darum, deinen Willen durchzusetzen, dich selber zu verwirklichen, sondern gerade in der Hingabe an andere die Erfüllung deines Lebens zu finden.
Das klingt jetzt sehr hochtrabend, und wir wissen, wie sehr wir an diesem Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten immer wieder scheitern, wie sehr wir immer wieder darauf angewiesen sind, Gottes Vergebung und damit immer wieder neu den Inhalt unseres Lebens als Geschenk zu empfangen. Doch so wenig wie Gottes Liebe zu uns nur ein schöner Gedanke oder gar eine Utopie ist, so wenig braucht es auch unser Leben aus der Liebe Gottes zu sein. Nein, unser Leben hier auf der Erde ist kein Aufenthalt in einem Wartesaal, keine Zeit, die hoffentlich bald vorbei ist, sondern unser Leben hier auf der Erde ist reich gefüllt, reich gefüllt mit Gottes Liebe und mit Möglichkeiten, diese Liebe an andere weiterzureichen. Und was du daraus auch machen magst: Das eine steht fest: Du bleibst Gottes geliebtes Kind und darfst leben in seiner Gemeinschaft. Amen.