20.03.2008 | Hebräer 2, 10-18 (Gründonnerstag)

GRÜNDONNERSTAG – 20. MÄRZ 2008 – PREDIGT ÜBER HEBRÄER 2,10-18

Es ziemte sich für Gott, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, daß er den, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, den Anfänger ihres Heils, durch Leiden vollendete. Denn weil sie alle von einem kommen, beide, der heiligt und die geheiligt werden, darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, und spricht: «Ich will deinen Namen verkündigen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen.» Und wiederum: «Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen»; und wiederum: «Siehe, hier bin ich und die Kinder, die mir Gott gegeben hat.» Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel, und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mußten. Denn er nimmt sich nicht der Engel an, sondern der Kinder Abrahams nimmt er sich an. Daher mußte er in allem seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu sühnen die Sünden des Volkes. Denn worin er selber gelitten hat und versucht worden ist, kann er helfen denen, die versucht werden.

„Das Heilige Abendmahl ist etwas ganz Besonderes. Darum sollte man es nur selten feiern und empfangen.“ – Diese Auffassung hat in der Vergangenheit über eine lange Zeit die Frömmigkeit und die Gottesdienstpraxis unserer lutherischen Kirche geprägt. Alle sechs bis acht Wochen, wenn es hoch kam, alle vier Wochen wurde das Heilige Abendmahl „im Anschluss an den Gottesdienst“ gefeiert, wie es so schön hieß, und wenn jemand daran öfter als viermal im Jahr teilnahm, kam das fast schon einer Selbstanzeige bei der Polizei gleich: Der schien es wohl nötig zu haben, so oft zum Heiligen Abendmahl zu kommen!
Die Zeiten haben sich geändert: Wir haben auch in unserer lutherischen Kirche wiederentdeckt, dass die Christen in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte das Heilige Abendmahl eben nicht selten, sondern ganz oft gefeiert haben, dass es für sie unvorstellbar gewesen wäre, wochen- oder gar monatelang auf das Heilige Abendmahl zu verzichten. Wir haben wiederentdeckt, dass eine häufige Feier und ein häufiger Empfang des Heiligen Abendmahls gerade nicht heißen muss, dass man das Altarsakrament nicht mehr als etwas Besonderes ansieht, dass man es gleichsam in seiner Heiligkeit entweiht, wenn man es dauernd empfängt. Nein, so haben wir erfahren, gerade dadurch, dass wir das Heilige Mahl oft empfangen, können wir immer tiefer in das Geheimnis hineinwachsen, das in diesem hochheiligen Sakrament beschlossen liegt.
Doch eines ist in der Tat richtig: Gerade wenn wir das Heilige Abendmahl so oft feiern, wie wir dies in unserer Gemeinde tun, tun wir zugleich gut daran, das Heilige Abendmahl immer wieder auch unter verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und wahrzunehmen und so immer wieder neue Aspekte zu entdecken, die mit dem Empfang dieses Heiligen Mahles verbunden sind. Ja, das Heilige Abendmahl soll in der Tat immer und immer wieder für uns etwas Besonderes sein und bleiben. Und gerade dazu kann uns nun auch die Predigtlesung dieses heutigen Gründonnerstagabends anleiten. Kein einziges Wort über das Heilige Abendmahl finden wir hier in diesen Worten aus dem Hebräerbrief, wenn wir sie uns zunächst einmal anhören. Doch in Wirklichkeit können uns gerade diese Worte in wunderbarer Weise helfen, wieder neu darüber zu staunen, was im Heiligen Mahl eigentlich geschieht und was uns dort geschenkt wird. Dreierlei lassen uns diese Worte über das Heilige Abendmahl erkennen: Wir finden im Heiligen Mahl

- Geschichte
- leibhaftige Gemeinschaft
- Rettung

I.

Wenn ein Gast in unsere Gottesdienste käme, der keinerlei Ahnung hätte von dem, was hier eigentlich geschieht, dann würde er feststellen, dass hier im letzten Teil des Gottesdienstes Menschen nach vorne kommen und etwas essen und trinken, was ihnen offenbar sehr wichtig ist. Er würde sich vielleicht fragen, was wir, die wir dies tun, wohl dabei fühlen oder was wir uns dabei vorstellen. Aber er würde erst einmal nicht wahrnehmen können, dass dieses Heilige Mahl, das wir hier feiern, eingebunden ist in eine Geschichte von vielen tausend Jahren, eine Geschichte, die dem, was auch heute Abend hier in diesem Gottesdienst geschieht, überhaupt erst einen Sinn verleiht. Ja, es mag sogar sein, dass wir selber, wenn wir zum Heiligen Abendmahl kommen, diese Geschichte mitunter aus dem Auge verlieren mögen, nur auf das schauen, was jetzt und hier am Altar geschieht. Gut und wichtig ist es daher, dass wir uns vom Hebräerbrief heute Abend wieder einmal unseren Horizont erweitern lassen, uns diese Geschichte vor Augen stellen lassen, die zum Verständnis dessen, was hier geschieht, entscheidend wichtig ist.
Eine dramatische Geschichte ist das, die uns der Hebräerbrief hier erzählt: Sie beginnt ganz am Anfang der Welt: Gott ruft durch sein allmächtiges Wort alles, was da ist, ins Dasein. Er erschafft die ganze Welt – und zielt dabei doch letztlich auf dies eine: auf uns Menschen, die er erschafft, damit sie gemeinsam mit ihm für immer in seiner Gemeinschaft leben können. Doch dann geht etwas fürchterlich schief: Die Menschen, die Gott für immer als seine Kinder in seiner Gegenwart, in seinem Lichtglanz leben lassen wollte, trennen sich von Gott, geraten unter die Herrschaft des Todes und des Teufels. Doch Gott, der Schöpfer, gibt die Menschen nicht auf; er überlässt sie nicht seinem Widersacher, sondern macht sich daran, sie wieder für sich zurückzugewinnen. Nein, das geschieht nicht im Handumdrehen; das kostet Gott unendlich viel, tut ihm unendlich weh: Er muss ihn, seinen einzigen Sohn dafür zu den Menschen schicken, ihn einen von ihnen werden lassen, muss ihn selber das Geschick der Menschen erfahren lassen, erspart es ihm nicht, zu leiden und zu schließlich zu sterben. So, und nur so konnte unsere Rettung geschehen, so stellt es uns der Hebräerbrief vor Augen, ja, nur so, dass Christus den Teufel gleichsam als Undercover-Agent entmachtet, indem er ihm sein wichtigstes Unterdrückungsmittel aus der Hand schlägt: den Tod. Christus besiegt den Tod, indem er selber stirbt, nimmt ihm seine Endgültigkeit und ermöglicht uns so unsere Rückkehr zu Gott. Ja, ein Drama spielte sich damals ab an jenem ersten Gründonnerstag, ein Drama, das auch für unser Leben von entscheidender Bedeutung war: Gott zieht seine Rettungsaktion durch, auch wenn sie seinen einzigen Sohn das Leben kostet.
Schwestern und Brüder, nur wenn wir uns das vor Augen halten, können wir beginnen zu erahnen, worum es im Heiligen Mahl eigentlich geht, woran wir hier eigentlich Anteil bekommen: Ja, wir wissen es als gute Lutheraner: Wir empfangen im Heiligen Mahl den wahren Leib und das wahre Blut unseres Herrn Jesus Christus. Aber machen wir uns das eigentlich klar, was das bedeutet, dass wir hier gerade Leib und Blut unseres Herrn empfangen? Es bedeutet, dass diese dramatische Geschichte, die der Hebräerbrief hier beschreibt, die ich gerade noch einmal zu skizzieren versucht habe, nun auch bei uns in unserem Leben ankommt, für uns Gegenwart wird, uns selber in diese Geschichte einbezieht: Das Opfer, mit dem Gott selber uns Menschen aus der Macht des Todes und des Teufels befreit hat, es liegt nun hier auf unserem Altar: Fleisch und Blut unseres Herrn, am Kreuz dahingegeben und vergossen. Hätten sie nicht am Kreuz gehangen, wären sie nicht vom Kreuz geflossen, so würden uns diese Gaben nichts nützen, dann wäre es nur ein merkwürdiges Schauspiel, das Christus uns hier zumuten würde, wenn er uns seinen Leib essen und sein Blut trinken hieße. Doch so will er es uns leibhaft erfahren lassen: Gottes Rettungsgeschichte, sie kommt nun auch bei dir, in deinem Leben an; hier wird nun Gegenwart, was vor 2000 Jahren damals auch für dich geschehen ist. Und darum gehört die Nacht, in der er, Christus verraten ward, immer mit hinein in die Einsetzungsworte, erinnert uns die Erwähnung dieser Nacht bei jeder Sakramentsfeier an diese Rettungsgeschichte, die hier am Altar auch auf uns zuläuft. Ja, das ist wirklich etwas ganz Besonderes – etwas so Besonderes, dass wir daran in jedem Gottesdienst Anteil haben sollen und dürfen.

II.

Ein Zweites stellt der Hebräerbrief hier in diesen Worten unserer Predigtlesung sehr eindrücklich heraus: Jesus, der Sohn Gottes, ist wirklich ganz Mensch, ist wirklich ganz einer von uns geworden.
Zu der Zeit, als der Hebräerbrief damals geschrieben wurde, kam gerade eine geistige Strömung auf, die behauptete, es sei gar nicht so wichtig, dass Gottes Sohn wirklich Mensch geworden sei. Wichtig sei nur seine Botschaft, wichtig sei nur, dass er durch diese Botschaft auch weiter den Menschen geistig nahe sei. Ja, solche Vorstellungen geistern bis heute herum und bekommen immer wieder einmal neue Nahrung, wenn im ägyptischen Wüstensand mal wieder ein Bruchstück einer Schrift, die aus dieser Strömung stammt, gefunden wird. Dann wird schnell behauptet, nun habe man ja die ursprüngliche Botschaft des Christentums entdeckt, in der es doch nur darum ginge, den Menschen zur Erkenntnis seiner selbst zu bringen.
Nein, die ursprüngliche Botschaft des christlichen Glaubens, die findest du hier in den Worten, die du eben gehört hast. Und sie lautet: Es gab und gibt für uns Menschen nur eine Möglichkeit, gerettet zu werden – und diese Möglichkeit besteht darin, dass Gottes Sohn selber Fleisch und Blut annimmt, nein, nicht bloß vorübergehend, sondern so, dass er für immer wahrer Mensch bleibt, für immer teilhat an unserem Menschenschicksal. Nein, Christus hat keinen vornehmen Abstand zu uns Menschen gehalten, er hat alles, wirklich alles mitgemacht und durchlitten, was wir Menschen hier auf Erden nun mal durchleiden müssen: Schau ihn dir an, wie er da an diesem Gründonnerstagabend im Garten Gethsemane kniet und zittert am ganzen Leibe! Schau ihn dir an, wie ihn die Versuchung plagt, er solle abhauen, sich dem entziehen, was jetzt auf ihn zukommt, schau ihn dir an, wie er seinen Vater anfleht, er möge den Kelch von ihm nehmen, ihm dieses Leiden, diese Tortur ersparen, die nun vor ihm liegt! Schau ihn dir an, wie sie ihm wenige Stunden darauf mit den Geißelhieben die Haut vom Körper fetzen; schau ihn dir an, wie sie ihm bald darauf die Hände und Füße mit den dicken Eisennägeln durchbohren; schau ihn dir an, wie er schließlich am Kreuz elend erstickt! So und nicht anders hat Christus uns gerettet, mit dem Einsatz seines ganzen Leibes, mit dem Einsatz seines ganzen Lebens.
Und so und nicht anders begegnet er dir auch heute Abend wieder hier im Heiligen Mahl. Da sendet er dir nicht bloß eine Grußbotschaft aus der Ferne; da ist er dir nicht bloß irgendwie geistig nahe, erst recht nicht bloß in deinen Gedanken, in deiner Erinnerung. Nein, leibhaftig kommt er zu dir, so leibhaftig, wie er für dich gelitten hat und in den Tod gegangen ist, genauso leibhaftig ist er nun im Brot und Wein des Heiligen Mahles gegenwärtig. Nein, Christus schwebt nicht irgendwo über dir; er begibt sich auf eine Ebene mit dir, macht sich für dich so klein, dass du ihn mit deinem Munde empfangen kannst, lässt es dich gerade so spüren und erfahren: du und ich, wir gehören zusammen; du bist mein Bruder, meine Schwester; kein Blatt Papier passt zwischen uns. Ja, nur weil Christus wahrhaftig Mensch geworden ist, konnte er uns erlösen – das und nicht weniger darfst du immer wieder von Neuem erfahren, wenn du ihn empfängst im Heiligen Mahl, wenn er dich zu seinem Bruder, zu seiner Schwester erklärt, dir Anteil gibt an dem, was er für dich getan hat.

III.

Und damit sind wir schon beim Dritten, was dir hier im Heiligen Abendmahl geschenkt wird: Rettung vom Tod und vom Teufel.
In den Versen unserer heutigen Predigtlesung zeichnet der Hebräerbrief eines der eindrücklichsten Bilder unseres Menschseins, das ich kenne: Er nennt uns Menschen „die, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten“. Menschen, getrieben von der Angst, etwas zu verpassen, nicht genügend im Leben mitzubekommen; Menschen, ihr ganzes Leben lang auf der Flucht vor ihrer Endlichkeit, mit der sie einfach nicht klarkommen können; Menschen, die sich selber etwas in die Tasche lügen müssen, weil sie dem Tod nicht ins Auge zu sehen vermögen – wie aktuell ist diese Beschreibung unserer menschlichen Existenz!
Doch hier im Heiligen Mahl erfährst du sie, die Rettung aus dieser elenden Existenzweise: Er, der durch seinen Tod dem Teufel die Gewalt über den Tod entrissen hat, verbindet sich mit dir und gibt dir damit an seinem Sieg über Tod und Teufel Anteil. Ewiges Leben, Unsterblichkeit empfängst du hier im Heiligen Mahl; und mit jedem Gang zum Heiligen Mahl fügst du dem Teufel die nächste entscheidende Niederlage bei, kann er dir nicht mehr schaden, wenn Christus, der Sieger, dich an seinem Leben Anteil haben lässt. Nein, auch verklagen kann dich der Widersacher Gottes nicht mehr: Denn hier im Heiligen Mahl tritt Christus als der Hohepriester in unsere Mitte, lässt dich teilhaben an der sühnenden Kraft seines Opfers, nimmt damit endgültig alles weg, was dich von Gott jemals noch trennen könnte.
Und so ruft es dir Christus heute Abend und auch danach immer wieder zu: Komm her zu mir, ich will dir helfen – Ich will dir helfen, bei mir zu bleiben. Ja, komm her mit all deiner Schuld, ich will sie dir abnehmen; komm her mit all deinem Versagen. Was dich zu Fall gebracht hat, das ist mir nicht fremd; ich bin doch in allem versucht worden genau wie du. Komm her, ich will mich wieder neu zu dir bekennen, will mich wieder neu mit dir verbinden. Komm her mit deiner Krankheit, mit deiner Todverfallenheit, ich will auch dich in die Herrlichkeit führen, in den Lichtglanz der ewigen Gegenwart Gottes, in dem sich die Bestimmung deines Lebens erfüllen soll und wird. Komm her, all das brauchst du, nein, nicht bloß alle Jubeljahre einmal, sondern so oft es geht. Du brauchst mich, und darum brauchst du auch mein Heiliges Mahl, wo du mir begegnen kannst. Ja, komm her, ich führe dich immer wieder neu in die Freiheit. Amen.