03.05.2008 | 1. Korinther 4, 9-15 (Tag der Apostel Philippus und Jakobus d. J.)

TAG DER APOSTEL PHILIPPUS UND JAKOBUS D. J. – 3. MAI 2008 – PREDIGT ÜBER 1. KORINTHER 4,9-15

Denn ich denke, Gott hat uns Apostel als die Allergeringsten hingestellt, wie zum Tode Verurteilte. Denn wir sind ein Schauspiel geworden der Welt und den Engeln und den Menschen. Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christus; wir schwach, ihr aber stark; ihr herrlich, wir aber verachtet. Bis auf diese Stunde leiden wir Hunger und Durst und Blöße und werden geschlagen und haben keine feste Bleibe und mühen uns ab mit unsrer Hände Arbeit. Man schmäht uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir's, man verlästert uns, so reden wir freundlich. Wir sind geworden wie der Abschaum der Menschheit, jedermanns Kehricht, bis heute.
Nicht um euch zu beschämen, schreibe ich dies; sondern ich ermahne euch als meine lieben Kinder. Denn wenn ihr auch zehntausend Erzieher hättet in Christus, so habt ihr doch nicht viele Väter; denn ich habe euch gezeugt in Christus Jesus durchs Evangelium.

Deutschland ist Weltmeister in der Automatisierungs- und Fertigungstechnik. Ein wichtiger Markt der Zukunft ist das, denn der Automatisierungsgrad wird sich in der Zukunft in der industriellen Produktion sicher immer noch weiter erhöhen: Menschen können dadurch eingespart werden, und das hat für die Unternehmen gleich einen doppelten positiven Effekt: Sie sparen zum einen Personalkosten, und sie senken damit zugleich auch die Fehlerquote in ihrer Produktion, denn der Mensch ist immer ein gewisser Risikofaktor; er ist in aller Regel nicht so zuverlässig wie eine Maschine, und von daher ist es für viele Unternehmen sinnvoll, den Menschen so weit wie möglich aus der Produktion zu entfernen. Ohne den Faktor Mensch läuft vieles besser und glatter.
Mit dem Faktor Mensch ist das ja auch in der Kirche immer wieder so eine Sache. Gewiss, die Möglichkeiten zum Einsatz von Automatisierungstechnik sind in der Kirche eher begrenzt. Nun gut, ich verschicke meine Predigten nach dem Gottesdienst immer wieder per E-mail an viele Gemeindeglieder und Gäste, die sich dafür interessieren; doch nur die wenigsten von ihnen würden deshalb auf die Teilnahme am Gottesdienst verzichten wollen, weil die Lektüre einer Predigt am Computer doch letztlich auch reicht. Und natürlich kann ein Fernsehgottesdienst für Gemeindeglieder, die nicht mehr zum Gottesdienst kommen können, ein erfreuliches Angebot sein, wenn er mal keinen Grund bietet, sich darüber aufzuregen. Doch ein Gottesdienst live ist eben doch noch mal was Anderes, nicht zuletzt, wenn es dann um das Heilige Abendmahl geht. Da kommt man ohne den Faktor Mensch dann doch nicht aus. Aber umgekehrt machen Menschen eben auch in der Kirche immer wieder die Erfahrung, dass mit dem Einsatz von Menschen im Unternehmen Kirche immer zugleich auch die Fehlerquote steigt. Ja, wenn es dann um ganz konkrete Menschen geht, denen man in der Kirche begegnet, da wünscht man sich dann doch immer wieder ganz still im Inneren oder vielleicht sogar recht lautstark, dass diese Menschen doch ersetzt werden mögen, weil sie nichts Rechtes zustande bringen, weil sie gerade nicht so sind, wie man sie sich wünscht, weil sie immer wieder versagen und Anstöße und Ärgernis bereiten. Ach, wenn man sich doch nur einen Pastor nach seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen zusammenbacken könnte, dann sähe es in der Kirche doch ganz anders aus, dann könnte man mit der Kirche doch viel mehr erreichen als mit den Typen, mit denen man sich in der Praxis zufriedengeben muss!
Schwestern und Brüder, solche Gedanken mögen uns nicht erst heute kommen; sondern genau mit solchen Gedanken hatte sich damals auch schon der Apostel Paulus in der Gemeinde in Korinth herumzuschlagen, nimmt dies hier in unserer Predigtlesung zum Anlass, einiges ganz Grundlegende zum Thema „Faktor Mensch“, ja ganz konkret zum Thema „Faktor Apostel“ zu sagen: Was kann man von Aposteln, was kann man überhaupt von Menschen, die Christus in seinen Dienst gerufen hat, erwarten?
Wenn wir in der Kirche die Aposteltage feiern, geht es an diesen Tagen immer wieder um den „Faktor Mensch“ und seine Bedeutung in der Kirche. Gleich im Doppelpack werden uns heute zwei Apostel vor Augen gestellt, wobei das Bild, das wir uns dabei von ihnen machen können, insgesamt doch recht schemenhaft bleibt. Von Philippus wissen wir immerhin etwas mehr als von Jakobus dem Jüngeren. Philippus gehörte zu den ersten Jüngern, die Jesus berief, so berichtet es uns St. Johannes in seinem Evangelium. Jesus findet Philippus, der ebenso wie Andreas und Petrus ursprünglich aus Betsaida stammt, und kaum hat Jesus ihn gefunden, wird Philippus selber missionarisch aktiv und bringt den Nathanael zu Jesus. Offenbar also ein ganz fähiger Kerl, dieser Philippus, möchte man meinen, wenn der hier gleich anfängt, Menschen für Jesus zu rekrutieren. Solche Typen wünscht man sich doch in der Kirche. Im weiteren Verlauf des Evangeliums berichtet uns dann St. Johannes jedoch gleich von zwei Begebenheiten, bei denen der Philippus ziemlich auf dem Schlauch steht: Bei der Speisung der 5000 spricht Jesus den Philippus an und fragt ihn, wo sie denn Brot kaufen sollen, um den vielen Menschen zu essen zu geben. Und Philippus fängt gleich an zu rechnen und stellt fest, dass die Versorgung dieser Leute das Haushaltsbudget der Jünger bei weitem übersteigt. Ganz seinen irdischen Fähigkeiten und Möglichkeiten verhaftet bleibt er, kommt gar nicht auf die Idee, dass vor ihm der stehen könnte, für den es kein Problem ist, auch 5000 Menschen satt zu bekommen. Und noch deutlicher wird dies dann an dem Abend, an dem Jesus verhaftet wird. Da hatte Jesus gerade zu seinen Jüngern gesagt, dass er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, so haben wir es ja eben auch im Heiligen Evangelium gehört. Und dann hatte Jesus noch einmal ausdrücklich hinzugefügt: Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Doch Philippus kapiert mal wieder gar nichts und sagt zu Jesus: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ Da steht Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, vor ihm, und Philippus meint, immer noch irgendwo anders suchen zu müssen, um Gott zu finden. Und so muss es Jesus dem Philippus noch einmal direkt auf den Kopf zu sagen: „Wer mich sieht, der sieht den Vater!“ Doch Jesus entlässt den Philippus deshalb nicht aus seinem Dienst, weil der so schwer von Kapee ist, weil der nicht so schnell und flexibel reagiert, wie man das von einem leistungsstarken Mitarbeiter eigentlich doch erwarten könnte. Sondern er gebraucht auch diesen gewiss motivierten, aber eben doch etwas begriffsstutzigen Fischer vom See Genezareth, um sein Weltunternehmen mit aufzubauen.
Von Philippus wissen wir wenigstens noch etwas aus den Evangelien. Der Jakobus der Jüngere taucht dagegen nur in den sogenannten Apostellisten des Neuen Testaments aus, in denen die Namen der zwölf Apostel überliefert worden sind. Sonst weiß man von ihm überhaupt nichts. In der freien Wirtschaft würde solch eine Pflaume heute wohl mit Sicherheit ziemlich schnell aussortiert werden. Da hörte ich in den letzten Tagen, dass es beim Radiosender rs.2 einen neuen Moderator der Morgensendung gibt und dass der innerhalb eines Monats bis zum 27. Mai berühmt werden muss, das heißt: dass er eine Million Unterstützungsunterschriften in diesem Monat sammeln muss, damit er auch nach dem 27. Mai noch Radiomoderator bleiben darf. Das ist natürlich letztlich nur ein geschickter Werbegag; aber dahinter steckt natürlich die Einsicht: Einen Menschen, den niemand kennt, hört sich auch niemand gerne im Radio an; die Leute sollen sich mit dem Moderator identifizieren, seinetwegen gerade diesen Sender und keinen anderen einschalten. Jakobus der Jüngere wäre nicht nur bei rs.2 glatt durchgefallen, sondern sicher auch in so mancher SELK-Gemeinde: Der taugt doch nichts, der hat doch keine Ausstrahlung, der ist so still, der fällt doch gar nicht auf – so einen wollen wir nicht haben! Doch Jesus kann unter seinen Aposteln eben auch so einen gebrauchen, der gar nicht auffällt, der in aller Stille seinen Dienst versieht, dem es nicht darum geht, berühmt zu werden und der Nachwelt auf diese Weise erhalten zu bleiben. Ja, Jesus rechnet beim „Faktor Mensch“ offenbar ganz anders, als wir dies heutzutage zumeist zu tun pflegen.
Und das gilt auch für den Apostel Paulus: Der war auch bei vielen Gemeindegliedern in Korinth ganz unten durch, weil er so gar keine Ausstrahlung besaß, weil seine Predigten grottenschlecht und langweilig waren, weil es geradezu eine Anfechtung und Zumutung war, ihm beim Predigen zuzuhören. Und so gab man dem Paulus auch deutlich zu erkennen, dass er für die Korinther eigentlich unter ihrem Niveau war, dass er als Faktor Mensch für eine Kirche, die nach außen ausstrahlen will, eigentlich nur eine Belastung darstellt.
Und Paulus nimmt diese Vorwürfe zum Anlass, einiges ganz Grundlegende über den Dienst der Apostel zu sagen: „Ich denke, Gott hat uns Apostel als die Allergeringsten hingestellt“, schreibt er den Korinthern, ja, wir „sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christus, wir schwach, ihr aber stark; ihr herrlich, wir aber verachtet.“ Auswechseln, nach Möglichkeit durch Automaten ersetzen – das wäre die Konsequenz, die man heute daraus ziehen würde. Doch Paulus bewertet dies nun ganz anders: Gerade so und nicht anders, durch solche Typen, über die sich die Leute kaputtlachen, auf die sie herabschauen, weil sie unter ihrem Niveau zu sein scheinen, durch solche Typen, mit denen man nun wirklich nach außen hin keine Werbung machen kann, die sich auch nicht als Fotomodelle für Reportagen über die Gemeinde eignen, durch eben solche Typen will Christus seine Kirche bauen.
Was einen Apostel ausmacht, ist nicht seine Leistungsfähigkeit, sind nicht seine Erfolge, ist nicht seine Ausstrahlung, sondern ist einzig und allein seine Berufung durch Christus, eine Berufung, die ihn prägt bis in sein Lebensgeschick hinein. Ziel eines Apostels ist es nicht, Karriere zu machen, sondern allein Christus zu bezeugen mit dem, was er verkündigt, ja mit seinem ganzen Leben. Der äußere Erfolg mag dabei durchaus ausbleiben; im Gegenteil: „Wir sind geworden wie der Abschaum der Menschheit, jedermanns Kehricht, bis heute“, schreibt St. Paulus. Der heilige Paulus – Abschaum der Menschheit; der heilige Philippus – der letzte Dreck für die Menschen. Was damals Paulus von sich und seinen Apostelkollegen bezeugte, das sollte auch uns wieder neu darüber nachdenken lassen, was wir von dem Faktor Mensch in der Kirche eigentlich erwarten können: Setzen wir unsere Hoffnungen auf Begabungen und Fähigkeiten der Pastoren, dann liegen wir offenbar voll daneben, dann haben wir noch gar nicht wahrgenommen, wie Christus seine Kirche auch heute unter uns zu bauen gedenkt. Wo Pastoren ihre Gemeindeglieder nur mit ihrer persönlichen Ausstrahlung, mit ihren persönlichen Erfolgen fesseln, da bricht das, was sie da scheinbar aufgebaut haben, anschließend sehr schnell wieder zusammen. Doch die Worte dessen, der damals von den Leuten nur wie ein mittelmäßiger Clown, ja wie jedermanns Müllkippe behandelt wurde, die vermögen auch heute noch Kirche zu bauen und zu erhalten, weil sie die Worte dessen sind, der selber verachtet, verspottet, ausgestoßen, ja schließlich selber am Kreuz umgebracht worden ist.
Auf den Auftrag, auf die Berufung derer, die im Namen Christi und an seiner Statt ihren Dienst unter uns versehen, sollen wir darum achten, gerade da, wo ihre Schwachheit uns allzu deutlich vor Augen steht. Doch das bedeutet gerade nicht, dass der Faktor Mensch als solcher für Paulus völlig unwichtig wäre. Sehr persönlich wird er am Ende unserer Predigtlesung, spricht die Korinther als ihr geistlicher Vater an, der die Korinther durchs Evangelium gezeugt hat. Da entsteht schon eine Verbindung der ganz besonderen Art, wo die Apostel, wo die Boten Christi Menschen das Evangelium verkündigen und dieses Evangelium bei den Menschen Glauben wirkt. Da entsteht erst recht eine Verbindung der ganz besonderen Art, wenn es sich um die Erstverkündigung des Evangeliums handelt, wie bei den Aposteln, wenn sie damit auch die ersten Bezugspersonen für diejenigen sind, die durch das Evangelium zum Glauben gefunden haben. Ja, da kann der Faktor Mensch dann auch ganz positive Begleiterscheinungen haben, die sich durch Automaten niemals ersetzen ließen. Ja, Christus weiß, warum er seine Kirche gerade durch ganz konkrete Menschen, ja gerade auch durch berufene Diener seines Wortes baut, warum er sein Wort gerade auch durch ganz konkrete Menschen mit ihren Eigenarten und ihrer Lebensgeschichte verkündigen lässt.
Doch die, die er zu diesem Dienst gebraucht, sollen eben niemals zu Machern werden, sollen niemals den Eindruck erwecken, als seien sie mit ihren Fähigkeiten dazu in der Lage, Glauben zu wirken. Nein, diesen Glauben wirkt allein das Evangelium vom gekreuzigten Christus, diese scheinbar so idiotische Botschaft, die in Wirklichkeit doch die Kraft hat, Menschenherzen zu überwinden. Nein, diesem Evangelium sollen die, die es verkündigen, mit ihrem Auftreten gerade nicht widersprechen, sollen und dürfen im Gegenteil an seiner äußerlichen Schwachheit Anteil haben. Und darum ist es gut, dass wir auch die unscheinbaren Apostel Philippus und Jakobus in der Kirche nicht übersehen, sondern uns durch sie daran erinnern lassen, worauf es in der Kirche allein ankommt: auf den, dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist, auf ihn, Christus. Amen.