20.09.2008 | Epheser 5, 15-20 (Vorabend zum 18. Sonntag nach Trinitatis)

VORABEND ZUM 18. SONNTAG NACH TRINITATIS – 20. SEPTEMBER 2008 - PREDIGT ÜBER EPHESER 5,15-20

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus; denn es ist böse Zeit. Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.

„Mensch, das hätte ich nie gedacht, dass du ein Christ bist!“ Wenn so etwas einem gesagt wird, kann man als Christ ganz unterschiedlich darauf reagieren: Da gibt es die einen, die stolz wie Oskar sind, wenn sie solch einen Satz hören, die ihn für ein Kompliment halten: Offenbar habe ich es meinem Gesprächspartner gezeigt, dass man als Christ ganz normal ist, kein Hinterwäldler, kein Sonderling, kein moralisch verklemmter Typ. Im Gegenteil: Wenn dem anderen an meinem Verhalten aufgefallen wäre, dass ich wohl ein Christ bin, dann hätte ich vermutlich etwas falsch gemacht! Und da gibt es die anderen, die angesichts solch einer Äußerung eher schamrot anlaufen: Da kennt der andere mich schon eine ganze Weile und hat das mit meinem Christsein immer noch nicht mitbekommen. Strahlt mein Glaube denn so wenig aus, lebe ich meinem Glauben denn so wenig erkennbar, dass andere das gar nicht merken?
Ja, wie ist das: Unterscheiden wir uns als Christen mit unserem Verhalten, mit unserem Leben vom Verhalten und Leben von Nichtchristen? Ja, sollen wir uns überhaupt unterscheiden, oder müssen wir es umgekehrt vielleicht sogar? Und damit sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung dieses heutigen Abends. Denn da geht es genau um diese Frage, wie wir als Christen unser Leben in einer nichtchristlichen Umgebung führen sollen und können und in welcher Weise wir uns damit von unserer Umwelt unterscheiden.
Beim ersten Hinhören auf unsere Predigtlesung haben wir vielleicht gleich einen ganz praktischen Hinweis im Gedächtnis behalten, worin sich Christen von Nichtchristen nach den Worten des Apostels Paulus unterscheiden: Christen besaufen sich nicht. Nein, Paulus hat nicht grundsätzlich etwas gegen Wein oder gegen Alkohol; er kann im Gegenteil den Timotheus sogar ausdrücklich dazu auffordern, regelmäßig ein wenig Wein für seinen Magen zu trinken. Aber Besaufen ist eben etwas Anderes: Es geht darum, dass ich die Kontrolle über mich selbst, über mein Verhalten verliere, mich von etwas beherrschen lasse, das mich nicht mehr verantwortlich handeln lässt. Und da machen Christen nicht mit, so betont der Apostel. Christen sind freie Menschen, die sich nicht von etwas oder jemand anderem beherrschen lassen als von Christus allein. Und sie lassen sich von daher eben auch nicht davon unter Druck setzen, dass alle anderen das doch auch machen, dass man sich als einzelner da doch nicht ausklinken kann. Kann man eben doch, sagt der Apostel. Und auch wenn das, was der Apostel hier schreibt, natürlich auch auf alle möglichen anderen Drogen bezogen werden kann, auf Nikotinabhängigkeit genauso wie auf Spielsucht oder Internetsucht, weiß der Apostel schon, warum er gerade das Thema „Saufen“ anspricht. Das war eben auch damals schon ein größeres gesellschaftliches Problem, und der unkontrollierte Alkoholkonsum führte eben damals wie auch heute zu dem, was Martin Luther hier mit „unordentlichem Wesen“ übersetzt, zu einem Leben, das nicht mehr wir beherrschen, sondern in dem wir beherrscht werden. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Süchte und Abhängigkeiten sind Krankheiten, die behandelt werden müssen und aus denen wir uns nicht mit etwas gutem Willen und einigen kräftigen moralischen Appellen befreien können. Dass Alkoholabhängigkeit eine lebenslange Krankheit bleibt, die konsequente Abstinenz erfordert, dürfte sich ja allmählich herumgesprochen haben. Aber dieser Sucht, dieser Abhängigkeit von welcher Droge auch immer geht eben oft genug ein schuldhaftes Verhalten voraus. Und Paulus will, dass Christen sich gar nicht erst in diesen Gefahrenbereich hineinbegeben, in dem sie abhängig werden können. Ja, sollen es die anderen ruhig mitbekommen, dass ich Christ bin, weil ich nicht bei allem mitmache; das schadet nichts.
Aber nun fällt es ja auf, dass Paulus diesen Satz vom Weinsaufen extra in seinem Brief hier unterbringen muss. Das hätte er wohl kaum getan, wenn Alkoholmissbrauch damals in der Gemeinde kein Thema gewesen wäre, wenn den Gemeindegliedern das so völlig klar gewesen wäre, dass sie auf die Ermahnung des Apostels nur ganz gelangweilt geantwortet hätten: Das wissen wir doch längst; auf die Idee wären wir als Christen doch gar nicht mehr gekommen. Ja, es gibt genügend Christen, die sich eben nicht an das halten, was der Apostel hier schreibt; es gibt Alkoholmissbrauch auch in der christlichen Gemeinde, ganz klar, ja, leider auch mehr als genug in unserer Gemeinde. Und so mancher hat diesen Satz „Mensch, das hätte ich nie gedacht, dass du ein Christ bist“ vielleicht schon zu hören bekommen, nachdem die anderen ihn bisher vielleicht nur als Kampftrinker kennengelernt hatten.
Unterscheiden sich Christen und Nichtchristen also nun in ihrem Verhalten? Ja, sagt uns der Apostel, es gibt Verhaltensweisen, die mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar sind und bei denen Christen auffallen mögen, wenn sie sie nicht an den Tag legen. Aber auch Christen stehen immer wieder in der Gefahr, sich auch in diesen Bereichen so anzupassen, dass man im Alltag gar nicht wahrnimmt, dass sie doch einen ganz anderen Herrn haben, Christus, an den sie glauben.
Doch nun würden wir den Worten des Apostels Paulus überhaupt nicht gerecht, wenn wir den Unterschied im Leben zwischen Christen und Nichtchristen bloß daran festmachen, dass Christen sich die eine oder andere moralische Entgleisung verkneifen. Bürgerliche Anständigkeit ist es nicht unbedingt, was Christen und Nichtchristen in ihrem Verhalten voneinander unterscheidet. In den Worten unserer heutigen Predigtlesung setzt der Apostel vielmehr viel tiefer an. Er bringt tatsächlich nur dieses eine konkrete Beispiel mit dem Saufen; doch ansonsten schickt er den Christen in Ephesus keine lange Liste mit Vorschriften, wie sie sich wann genau zu verhalten haben. Sondern er formuliert ganz bewusst scheinbar sehr allgemein: „Seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise. Werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.“ Nicht das macht also das Leben eines Christen aus, dass er sich an tausendachtzig Gesetzesvorschriften hält, sondern dass er in seinem Leben immer wieder danach fragt, was der Wille des Herrn ist, dass er davon immer wieder sein Denken, Reden und Handeln bestimmen lässt. Und diesen Willen des Herrn kann ich, wie gesagt, nicht in einem Gesetzbuch nachlesen, sondern diesen Willen des Herrn kann ich nur so erkennen, dass ich mich immer wieder neu von seinem Wort prägen lasse, davon, was er, Christus, für mich getan hat und tut, davon, was er gesagt, wie er selber gehandelt hat, davon, dass er, Christus, die Nummer eins in meinem Leben sein will, weil er doch seit meiner Taufe schon mein Herr ist. Ja, das macht schon einen Unterschied aus, ob ich in meinem Leben nur danach frage: Bringt mir das was? Bekomme ich auch genug ab? Worauf habe ich gerade Lust? – oder ob ich auch danach frage: Was will Christus jetzt von mir? Was erwartet er jetzt von mir? Wo will er mich brauchen? Da bekomme ich nicht immer gleich die klaren Antworten, die ich mir wünsche; aber ich sehe mein Leben mit diesen Fragen doch aus einer ganz anderen Perspektive. Und wenn wir Christus in seinem Wort immer besser kennenlernen, dann wissen wir ja auch: Christus ist kein Oberfeldwebel, der uns in unserem Leben nur herumschikanieren will; er erwartet von uns nicht, dass wir uns selber kaputtmachen, keine Freude mehr am Leben haben dürfen, sondern in preußischer Pflichterfüllung nur rund um die Uhr für ihn zur Verfügung stehen. Liebe – darin lässt sich der Wille des Herrn doch immer wieder zusammenfassen: Liebe, die wir empfangen und weitergeben dürfen. Ja, das soll und wird in der Tat dann als Christen unser Leben bestimmen, wenn wir in der Gemeinschaft mit ihm, Christus, leben, dass wir in diesem Sinne jeden Tag nach dem Willen des Herrn fragen, in diesem Sinne weise sind, also Gott mit im Blick haben, wenn wir unseren Tagesablauf planen, wenn wir die Welt wahrnehmen, die uns umgibt, wenn wir dann auch Entscheidungen treffen. Ja, das wird sich dann gewiss auch immer wieder so auswirken, dass wir uns in unserem Verhalten von denen unterscheiden, die diese Frage nach dem Willen des Herrn nicht stellen, die Gott in ihrem Leben so gar nicht im Blick haben. Aber wo und wie das erkennbar wird – das wird bei jedem Menschen in seinem Leben sicher wieder etwas anders aussehen.
Ein weiteres Kennzeichen des Lebens eines Christen besteht darin, dass er die Zeit auskauft, so formuliert es Paulus hier: Als Christen wissen wir, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist, begrenzt durch unsere Endlichkeit, begrenzt zugleich durch das Kommen des Herrn. Nein, das lässt uns gerade nicht in Panik geraten, dass wir meinen, wir müssten dann auch so viel wie möglich mitnehmen in dieser kurzen Lebensspanne, die uns nur zugemessen ist. Die Angst, bloß nichts zu verpassen, die so viele Menschen heute umtreibt, braucht uns als Christen nicht zu beherrschen. Im Gegenteil: Gerade weil wir eine Hoffnung haben, die weit über das Ende unseres irdischen Lebens hinausreicht, können wir diese Zeit, die uns bleibt, auskaufen, brauchen wir sie also auch nicht zu verplempern, weil wir das Ende unserer Zeit verdrängen. Gerade gestern haben wir auf dem Waldfriedhof in Dahlem Abschied genommen von unserem Bruder Rainer B. Noch vor zwei Wochen kniete er mit uns am Altar und empfing den Leib und das Blut unseres Herrn, scheinbar kerngesund. Zwei Tage später war er tot. Ja, gut tun wir daran, unser Leben als Christen bewusst so zu führen, dass wir darum wissen, dass jeder Tag, den wir erleben, der letzte sein könnte. Das braucht uns als Christen eben nicht in depressive Verstimmungen zu stürzen, sondern lässt uns dann gleichsam von selbst erkennen, was denn im Leben nun wirklich wichtig ist und was nicht. Und auch das mag dann immer wieder dazu führen, dass wir Christen uns anders verhalten, anders leben als diejenigen, die ihr Ende verdrängen, ja verdrängen müssen, weil sie eben keine Hoffnung haben.
Worin unterscheidet sich das Leben eines Christen von einem Nichtchristen? Kurz gesagt unterscheidet es sich darin, dass es ein Leben ist, das vom Geist Gottes bestimmt und erfüllt ist, so formuliert es der Apostel. Nein, dieser Geist Gottes ist nicht irgendein Glücksgefühl, kein frommer Ersatz fürs Besäufnis, sondern der Geist Gottes wirkt so in uns, dass er unser Leben oft ganz unmerklich prägt und verändert, dass er uns hilft, den Willen des Herrn immer wieder zu erkennen, dass er uns hilft, unser Leben auch und gerade angesichts unserer Endlichkeit doch bewusst und fröhlich zu führen.
Und dieser Geist Gottes, mit dem werden wir ganz konkret immer wieder beschenkt hier im Gottesdienst, da, wo er am Werk ist in der Predigt, in der Absolution, im Empfang des Heiligen Mahles. Da dürfen wir uns immer wieder, wie es der Apostel formuliert, erfüllen lassen mit dem Heiligen Geist, damit der uns dann wieder leitet durch die Woche, die vor uns liegt. Und dieser Empfang des Geistes, der wirkt sich hier im Gottesdienst bei uns auch ganz unmittelbar aus, so betont es St. Paulus hier: Er wirkt sich darin aus, dass wir miteinander singen: Psalmen, Lobgesänge, geistliche Lieder, in denen Christus, unser Herr, gepriesen und verherrlicht wird. Nein, die Lieder im Gottesdienst sind nicht einfach bloß Füllmasse zwischen den eigentlich wichtigen Stücken des Gottesdienstes, im Gegenteil: Wo Christen zusammenkommen und Gottesdienst feiern, da werden sie auch singen, weil sie zu diesem Singen allen Grund haben, weil die Freude über das, was uns hier im Gottesdienst geschenkt wird, sich auch Ausdruck verleihen will.
Ja, das unterscheidet Christen nun in der Tat erkennbar von Nichtchristen, dass sie diese feste Verabredung mit ihrem Herrn jede Woche haben, dass der Gottesdienst seinen festen Platz in ihrem Leben hat. Denn ohne den Gottesdienst würde unser Leben als Christen vertrocknen, würde es geistlos werden. Und umgekehrt wirkt sich der Gottesdienst dann auch wieder so in unserem Alltag aus, dass wir hier immer wieder neu das Danken einüben, das Danken, das auch bei allen Sorgen und allem Klagen seinen Platz in unserem Leben als Christen behält. Ja, Danken will geübt sein, erst recht, wenn es darum geht, allezeit für alles zu danken, wie Paulus es hier formuliert. Ach, wie schön wäre es, wenn wir als Christen gerade auch darin erkennbar wären für andere Menschen, dass wir dankbar sind, dass diese Dankbarkeit in unserem Leben ausstrahlt! Und genau das erlebe ich ja auch immer wieder, ja auch hier in unserer Gemeinde, dass das tatsächlich geschieht, erlebe es, wie der Dank und die Freude, die aus dem Glauben erwachsen, Menschen in ihrem Umgang mit anderen bestimmen. Nein, Christsein lässt sich nicht mit einer Blutprobe und einer Promillemessung bestimmen. Was euch als Christen ausmacht, ist der Geist Gottes, der in euch wohnt und euch prägt. Lasst euch darum auch heute wieder von diesem Geist so richtig volllaufen! Amen.