21.09.2008 | St. Matthäus 9, 9-13 (Tag des Apostels und Evangelisten St. Matthäus)

TAG DES APOSTELS UND EVANGELISTEN ST. MATTHÄUS – 21. SEPTEMBER 2008 – PREDIGT ÜBER ST. MATTHÄUS 9,9-13

Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

Da hatte ich mich während meines Urlaubs gerade ins Solebecken der Therme gleiten lassen, als ich Zeuge eines Gesprächs wurde, das ein Stück weiter geführt wurde: „Der Jesus ist doch in Wirklichkeit gar nicht auf dem Wasser gelaufen – der ist bloß Wasserski gefahren! Hi, hi, hi!“ Die Dame, die diesen geistreichen Erguss gerade von sich gegeben hatte, fand das offenbar ungeheuer witzig, ihr Begleiter anscheinend nicht minder. Immerhin war es mal zur Abwechslung nicht der blöde Witz von Jesus, der über irgendwelche Steine unter Wasser über den See gelaufen ist, dachte ich; doch da war das Pärchen aus dem Solebecken auch schon wieder verschwunden.
Ja, es ist merkwürdig, was die Leute heute noch so von Jesus wissen. Dass er übers Wasser gelaufen ist, das wissen offenbar noch viele, die ansonsten vom christlichen Glauben offensichtlich nicht mehr viel Ahnung haben. Aber damit haben sie eben doch noch nicht so ganz den Kern der christlichen Botschaft erfasst. Nein, Jesus war eben nicht eine maritime Version von David Copperfield; das Ziel seiner Sendung bestand eindeutig nicht bloß darin, die Leute mit ein paar außergewöhnlichen Tricks zum Staunen zu bringen.
Ja, was sollte man eigentlich unbedingt von Jesus wissen? Genau darum ging es dem Apostel und Evangelisten St. Matthäus, als er sich damals vor gut 1900 Jahren hinsetzte und sein Evangelium schrieb, aus dem wir eben einige ganz besondere Verse gehört haben, die Verse, in denen Matthäus seine Berufung in die Nachfolge seines Herrn Jesus Christus schildert. Ja, auch in diesem kurzen Abschnitt, wie in seinem ganzen Evangelium, geht es St. Matthäus darum, den Leuten klarzumachen, was an diesem Jesus wirklich so entscheidend wichtig ist, warum es eben nicht reicht, ihn zu bestaunen oder sich gar über ihn lustig zu machen. Ja, St. Matthäus schildert ihn, Jesus, so, dass erkennbar wird: Der, von dem hier die Rede ist, ist nicht einfach bloß eine interessante Person der Vergangenheit, sondern er macht auch jetzt noch genau dasselbe, was er damals getan hat:

- Er lädt ein.
- Er feiert.
- Er gibt sich zu erkennen.

I.

Wie gerne wüssten wir neugierigen Menschen, was wohl damals in dem Matthäus vor sich gegangen ist, als er die Worte Jesu hörte: „Folge mir!“ Da sind wir nur allzu leicht geneigt, darüber zu spekulieren, wie der Matthäus auf diese irrwitzige Idee verfallen konnte, nur wegen dieser beiden Worte Jesu seinen Laden dichtzumachen, seinen Beruf aufzugeben, sich von nun ab auf Wanderschaft mit Jesus zu begeben. Fand er es vielleicht auf die Dauer ziemlich ätzend, da auf seiner Zollstation zwar ordentlich Geld scheffeln zu können, aber von den allermeisten Leuten gehasst und abgelehnt zu werden? Hatte er vielleicht doch ein schlechtes Gewissen, weil er da bei seiner Tätigkeit eben doch so vieles machen musste oder vielleicht auch einfach nur machte, was in Gottes Augen nicht in Ordnung war? Oder hatte er vielleicht einfach nur eine Midlife Crisis und war froh, endlich aus dem bisherigen Trott seines Lebens ausbrechen zu können? Nichts von all dem steht hier in den Worten unserer Predigtlesung – und dabei hätte derjenige, der diese Worte aufgeschrieben hat, dazu eine Menge sagen können: Schließlich schildert er hier seine eigene Berufung, wusste er ganz genau, was da in ihm vorgegangen war. Aber das war eben nicht entscheidend, das war noch nicht einmal wichtig genug, es überhaupt zu erwähnen. Ob er mit seinem bisherigen Leben zufrieden oder unzufrieden war, ob er ein schlechtes Gewissen oder doch eher ein dickes Fell hatte, all das war nicht ausschlaggebend dafür, dass er mit einem Mal alles stehen und liegen ließ und dem folgte, der diese beiden Worte zu ihm gesagt hatte: Folge mir!
Nein, so macht es uns Matthäus mit dieser so nüchternen, knappen Schilderung deutlich: Das waren allein die Worte Jesu selber, die diese Kraft hatten, ihn aus seinem bisherigen Leben, aus seinem bisherigen Trott, ja, auch aus der ganzen Schuld seines bisherigen Lebens herauszureißen und ihm ein ganz neues Leben zu schenken – ein Leben in der Gemeinschaft mit diesem Herrn, dessen Worte so viel zu bewirken vermochten.
Das macht dieser Jesus also, das hat er damals gemacht und das macht er bis heute: Er joggt nicht bloß über Wasser, sondern er lädt Menschen ein, in seiner Gemeinschaft zu leben. Und wenn Jesus einlädt, dann ist das nicht bloß so eine unverbindliche Einladung wie die Werbezettel, die wir bei uns im Briefkasten vorfinden und die man zum größten Teil gleich im Altpapier entsorgen kann. Sondern wenn Jesus einlädt, dann vermag diese Einladung das Leben von Menschen total umzukrempeln, so zeigt es das Beispiel des Matthäus, so haben es Menschen seitdem immer wieder erfahren.
Gewiss, die Art der Nachfolge, in die Jesus den Matthäus damals rief, die ist und bleibt historisch einmalig. Wir können heute nicht mehr so hinter Jesus hergehen, wie es der Matthäus damals konnte. Jesus nachzufolgen bedeutet für uns heute zumeist nicht mehr, dass wir uns zwischen Beruf und Leben in der Gemeinschaft mit Jesus entscheiden müssen. Aber das heißt nicht, dass die Einladung Jesu, die uns heute in seinem Wort erreicht, weniger Kraft hätte, als sie es damals bei dem Matthäus hatte. Jesus kriegt das auch heute noch fertig, Menschen, die ihr halbes oder ganzes Leben von ihm nichts wissen wollten, in seine Gemeinschaft zu rufen. Jesus kriegt das auch heute noch fertig, Menschen, die eigentlich am Sonntagmorgen ganz gerne ausschlafen würden, allen Ernstes in die Kirche zu befördern. Jesus kriegt das auch heute noch fertig, dass Menschen von ihm einfach nicht loskommen, auch wenn sie selber vielleicht gar nicht erklären können, warum eigentlich. Jesus kriegt das auch heute noch fertig, dass Menschen wie der Matthäus damals sich von Geld und Besitz trennen, sich nicht mehr an ihr Hab und Gut klammern, weil ihnen das Leben mit Jesus so wichtig geworden ist, dass sie gerne zum Verzicht bereit sind. Jesus kriegt das fertig, dass Menschen von Bindungen und Süchten frei werden, denen sie bisher vergeblich in ihrem Leben zu entkommen versuchten. Ja, Jesus kriegt das fertig, dass Menschen von ihren Bekannten, ja von ihrer eigenen Familie kaum wiedererkannt werden, seit Jesu Wort diese Menschen erreicht und an ihnen zu arbeiten begonnen hat. Ja, wenn wir wissen wollen, wer dieser Jesus wirklich ist, was der wirklich gemacht hat und noch macht, dann zeigt es uns St. Matthäus hier als allererstes: Dieser Jesus lädt ein – mit Macht, ja, der lädt auch dich ein, will auch dein Leben immer wieder neu machen, dich in seiner Gemeinschaft leben lassen. Nein, dieser Jesus will sich nicht bloß aus der Distanz beobachten und beurteilen lassen – der kommt auch an dich ganz dicht heran mit seiner Einladung.

II.

Ein Zweites machte Jesus damals genauso, wie er es noch heute macht, ein Zweites, was über ihn zu wissen für uns ganz wichtig ist: Er, Jesus, feiert, und zwar ganz kräftig.
Immer wieder stellen uns die Evangelisten, stellt uns auch St. Matthäus vor Augen, wie Jesus zu Tisch gesessen beziehungsweise eigentlich zu Tisch gelegen hat, gegessen und getrunken hat, ganz kräftig gefeiert hat, nein, natürlich nicht allein vor dem Fernseher, auch nicht bloß im intimen Rahmen eines kleinen Freundeskreises, sondern in ganz großem Stil mit allen möglichen Gestalten, die ein anständiger Mensch damals nie bei sich über die Türschwelle gelassen hätte: „Zöllner und Sünder“ – so nennt Matthäus diese Typen, sich selber eingeschlossen. „Zöllner und Sünder“ – das klingt in unseren Ohren so harmlos: Zollbeamte sind heute in aller Regel sehr ehrenwerte Leute, und dass wir alle miteinander kleine Sünderlein sind, das kommt einem nicht nur im Karneval leicht über die Lippen, das ist ja auch nicht weiter tragisch, möchte man meinen. Doch damals waren „Zöllner und Sünder“ schon ganz ordentliche Kraftausdrücke. „Zöllner“ – das klang wie „Abzocker“, „Finanzbetrüger“, das klang nach „Heuschrecke“ oder vielleicht auch nach „Florida-Rolf“. Und „Sünder“ war damals schon ein ziemlich übles Schimpfwort, das klang so ähnlich wie „Dreckschwein“. Mit Abzockern und Dreckschweinen, mit Leuten, bei denen wir uns vielleicht schleunigst zum Waschbecken begeben würden, wenn wir ihnen die Hand schütteln müssten, mit solchen Leuten feiert Jesus ein großes Fest. Da gibt es keine Bodyguards und keine Gesichtskontrollen an der Tür; wer sich für solch eine Gesellschaft nicht zu fein, nicht zu gut ist, der ist willkommen.
So einer ist dieser Jesus – bis heute. Jesus liebt es zu feiern, nein, nicht bloß alle Jubeljahre einmal, sondern zumindest an jedem Sonntag. Nein, das Fest, das er veranstaltet, ist keine oberflächliche Party, die man nur dadurch erträgt, dass man sich möglichst schnell volllaufen lässt. Sondern dieses Fest hat Tiefgang, lässt diejenigen, die daran teilnehmen, nicht unverändert, hilft ihnen, in ihrem Leben noch einmal ganz neu anzufangen. Ja, jeder ist dazu eingeladen, bei diesem Fest mitzufeiern; es gibt keine Verfehlung im Leben, kein Versagen, keine Schuld, die einen für die Teilnahme an diesem Fest disqualifizieren würde. Und doch vollzieht sich angesichts der Einladung zu diesem Fest immer wieder eine bemerkenswerte Scheidung: Da kommen zu dieser Feier immer wieder diejenigen, die erkennen, dass sie es gar nicht verdient haben, zu diesem Fest eingeladen zu werden, und die doch zugleich wissen, dass sie allein bei diesem Jesus ein neues Leben geschenkt bekommen, ja mehr noch: die darum wissen, dass dieser Jesus allein ihr kaputtes Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung zu bringen vermag. Und da gibt es auf der anderen Seite diejenigen, die draußen vor bleiben, sich nicht zu diesem Fest einladen lassen: Wenn ich sehe, wer zu diesem Fest alles kommt, dann komme ich ganz bewusst nicht. Ich habe das nicht nötig; ich bin selber anständig genug, und die Anständigen wird Gott auch ohne solch ein blödes Fest in den Himmel lassen! Wenn ich Gutes tue, immer nett und freundlich zu anderen bin, dann bin ich ja wohl allemal ein besserer Mensch als diese Heuchler, die da zu dieser Feier rennen!
Was für ein Irrtum: Wer sich aus dieser Feier ausklinkt, wer meint, auch ohne die Teilnahme an dieser Feier am Ende in den Himmel kommen zu können, der liegt total daneben. Die Tischgemeinschaft mit Jesus – sie ist der Weg, auf dem wir in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen werden. Das war damals nicht anders als heute. Jesus erwartet uns bei seiner Feier – und keiner soll behaupten, er sei nicht eingeladen, weil er zu alt, zu jung, zu gut, zu schlecht, zu anständig oder zu unanständig sei. Ja, Jesus will feiern – auch mit dir!

III.

Doch Jesus kümmert sich nicht nur um diejenigen, die an seiner Feier teilnehmen; er spricht auch mit denen, die draußen vor der Tür stehen bleiben, versucht auch sie zu gewinnen, lehrt sie, damit sie erkennen können, warum er das tut, was er da tut:
Von sich selber spricht Jesus hier, und wer genau hinhört, der erkennt: Hier redet nicht bloß irgendein Veranstalter von Aussteigerpartys. Hier passiert unendlich mehr. Denn, so deutet es Jesus hier an: In mir begegnet ihr keinem Geringeren als dem lebendigen Gott. „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken“, beginnt Jesus. „Ich bin der HERR, dein Arzt“, so hatte Gott selber sich im Alten Testament seinem Volk zu erkennen gegeben. Und nun steht er hier vor den Pharisäern, er, der HERR, der Arzt, der Kranke wirklich genesen lässt, die, die sich selber nicht zu helfen, sich selber nicht zu retten vermögen. „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“, fährt Jesus fort. Ein Wort Gottes – in seinem Mund: In ihm redet nun Gott selber, in ihm handelt auch Gott selber, zeigt Wohlgefallen an Barmherzigkeit, nicht an irgendwelchen Vorschriften, die Sünder und Gerechte voneinander scheiden. „Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten“, so schließt Jesus. „Ich bin gekommen“ – woher? Nein, nicht aus Bethlehem, nicht aus Nazareth, nicht aus Kapernaum. Sondern ich bin gekommen – von Gott natürlich, um meinen Auftrag auszuführen. Und der gilt den Sündern, der gilt denen, die von Gott getrennt sind. Für die tue ich alles, für die lasse ich mich schließlich sogar ans Kreuz nageln. Ja, schaut ihn euch an: So sieht er aus, er, der lebendige Gott!
Ärgerlich, anstößig ist dieser Anspruch Jesu bis heute für so viele Menschen: Gott soll ich nicht da finden, wo ich ihn mir vorstelle: in meinem reinen Herzen, im Wald, in meinen Gedanken? Sondern ich soll ihn finden in einem Menschen, der Betrüger zu sich einlädt und mit dem Abschaum der Gesellschaft Feste feiert, ja, der schließlich als Verbrecher am Kreuz hingerichtet wird? Das darf ja wohl nicht wahr sein! Doch Jesus hört nicht auf, sich uns Menschen immer wieder zu erkennen zu geben, immer wieder zu uns zu reden in seinem Wort, will uns immer wieder die Augen dafür öffnen, wie wunderbar die Botschaft ist, die er zu verkündigen hat:
Gott will mit dir, mit deinem Leben zu tun haben; du bist ihm nicht egal. Gott schreibt dich nicht ab – ganz gleich, was in deinem Leben gewesen ist oder auch jetzt noch abläuft. Gott wartet nicht darauf, dass du endlich ein so guter Mensch wirst, dass du seine Einladung verdient hast. Er will nur eins: Dass du merkst, wie sehr du ihn brauchst, dass du merkst, dass seine Liebe auch dir gilt. Darum hat er Christus in diese Welt geschickt, darum spricht er durch diesen Jesus Christus auch zu dir: Komm, lass dich einladen, komm, lebe mit mir, feiere mit mir, bleib bei mir. Ja, so ruft er es dir heute wieder zu: dein Heiland Jesus Christus, er, der sich nicht beim Wasserski vergnügt hat, sondern in den Tiefen des Todes versunken ist, damit dein Leben heil wird, damit du für immer mit ihm leben kannst – und die anderen neben dir alle auch! Amen.