05.10.2008 | Hebräer 13, 15+16 (Erntedankfest)

ERNTEDANKFEST – 5. OKTOBER 2008 – PREDIGT ÜBER HEBRÄER 13,15+16

So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.

Neulich habe ich von Missionar Schmidt 250 Millionen Dollar geschenkt bekommen. Nein, das ist kein Witz, und das ist auch kein Spielgeld, das er mir da geschenkt hat – das ist eine echte Währung. Ja, ich bin jetzt Millionär. Allerdings kann ich mir mit diesen vielen Millionen nicht allzu viel kaufen, denn es handelt sich dabei nicht um US-Dollar, sondern um Zimbabwe-Dollars, und da reichen die 250 Millionen noch nicht einmal für den Kauf einer Packung Gummibärchen.
Ja, viele Nullen können einem erst einmal ganz schön den Kopf verdrehen – genau das erleben wir ja im Augenblick in ganz großem Stil in unserer Welt. Da wollten Leute um jeden Preis immer mehr Geld bekommen, immer mehr Nullen sammeln, ihre Bank und sich selber immer reicher machen – und nun stellt sich die ganze Geschichte als eine riesige Luftblase heraus, die große Banken in den Abgrund reißt und die ganze Weltwirtschaft durcheinanderbringt. Eine neue Zahl mit ganz, ganz vielen Nullen macht da im Augenblick die Runde: 700 Milliarden Dollar sollen nun die amerikanische Finanzbranche retten. 700 Milliarden Dollar – ja, diese Zahl klingt schon geradezu obszön, wenn man bedenkt, wie viel Menschen in Armut und Hunger damit geholfen werden könnte, nein, nicht bloß mit kurzfristigen Lebensmittelhilfen, sondern mit echter Hilfe zur Selbsthilfe. Ach, wenn man von diesen 700 Milliarden Dollar doch auch nur 10% abzweigen könnte für den Kampf gegen den Hunger in der Welt – wie viel wäre damit schon gewonnen! Doch nun verpulvert man die zehnfache Summe, nur weil eine Gruppe von Leuten ihren Hals nicht voll genug bekommen konnte. Ja, das ist schon erschreckend – und zugleich so dicht dran am Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags: „Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“, so sagte es Jesus damals zum Volk, so ruft er es heute nicht bloß den Leuten in der Wall Street, so ruft er es auch uns zu.
Ja, es sind schon ganz besondere Umstände, unter denen wir in diesem Jahr das Erntedankfest begehen: Ja, Grund zum Dank haben wir allemal, dass es uns im Augenblick noch so gut geht, dass wir dieses Jahr allemal noch gehabt haben, was wir zum Leben brauchen. Aber zugleich blicken wir eben auch nach vorne, fragen uns, wie es mit unserer Wirtschaft, wie es damit letztlich auch persönlich mit uns weitergehen wird, wie sich dieses unwirkliche Szenario wohl weiterentwickeln wird, das uns in diesen Tagen und Wochen täglich neu vor Augen gestellt wird.
Die Worte unserer heutigen Predigtlesung scheinen auf den ersten Blick mit diesen Problemen, die uns im Augenblick so sehr beschäftigen, gar nichts zu tun zu haben – im Gegenteil: Diejenigen, an die diese Worte gerichtet sind, scheinen ja geradezu in einer völlig anderen Welt zu leben: Keine Panik, keine Sorge um die Zukunft, stattdessen Lobopfer und mit anderen teilen – völlig weltfremd, möchte man meinen. Doch in Wirklichkeit nennt uns der Verfasser des Hebräerbriefes hier zwei wichtige Heilmittel gegen die Habgier, gegen dieses Übel, dessen Folgen wir zurzeit so eindrücklich miterleben und das doch auch von unserem Herzen immer wieder neu Besitz ergreifen will. Ja, leben wir ruhig damit, dass das weltfremd ist, was der Hebräerbrief hier schreibt; doch wir erleben es ja gerade, was passiert, wenn Menschen sich zu sehr an die Güter dieser Welt klammern. Zu einem alternativen Leben leitet uns der Hebräerbrief hier an, leitet uns an

- zum Danken
- zum Teilen

I.

Solch ein Erntedankfest hat ja immer auch was Folkloristisches an sich. Die Altarräume der Kirchen werden mit Obst und Gemüse geschmückt, und längst schon hat sich herumgesprochen, dass man aus diesem Fest auch gut wirtschaftlichen Profit schlagen kann. Und so wird das Erntedankfest auch schon längst nicht mehr bloß in den Kirchen gefeiert, sondern auch an vielen Orten als Volksfest auf der Straße oder auf Bauernhöfen, die auf diesem Wege dann auch gleich ihre Produkte an den Mann und an die Frau bekommen. Was mir dabei auffällt, ist, dass in den letzten Jahren diese Feste immer häufiger nicht mehr „Erntedankfest“, sondern nur noch „Erntefest“ genannt werden. Ja, wenn man nicht mehr recht weiß, wem man denn eigentlich für die Ernte danken soll, dann lässt man den Dank eben aus dem Namen des Festes gleich raus.
Wir feiern heute hier in der Kirche kein Erntefest. Auch wenn wir in unserer Gemeinde ein paar Schrebergärtner haben, ist uns insgesamt der Bezug zur Landwirtschaft in unserer Gemeinde weitgehend verlorengegangen. Nein, wir atmen heute an diesem Tag nicht erleichtert auf, dass wir eine ausreichend große Ernte eingebracht haben, die uns das Überleben auch in den kommenden Monaten sichern wird, und wir ziehen hier erst recht keine Folklore-Show ab. Aber danken – das wollen und können wir heute allemal, nein, nicht nur heute, sondern in jedem Gottesdienst, in dem wir das Mahl der Danksagung feiern, wie das Heilige Abendmahl auch genannt wird. Heute, an diesem Erntedankfest, wird unsere Aufmerksamkeit dabei in besonderer Weise auf den ersten Teil des Glaubensbekenntnisses, auf Gott den Schöpfer und seine Schöpfung gerichtet. Ja, Grund zum Danken haben wir allemal, dass wir alle miteinander in diesem vergangenen Jahr keinen Hunger leiden mussten, wenn wir nicht gerade freiwillig auf Diät waren, dass wir in einem reichen Land leben, in dem wir alle miteinander einen Lebensstandard haben, von dem die meisten Menschen auf dieser Welt nur träumen können. Ja, natürlich können wir uns nicht alles leisten, natürlich mag es manches geben, was wir unbedingt haben wollen und wofür uns dann eben doch das Geld fehlt. Doch gerade darum ist es so wichtig für uns, dass wir zunächst und vor allem danken – danken für das, was wir haben, und nicht auf das schielen, was die anderen haben und was wir nicht haben. Dank – er ist das beste Mittel gegen Neid und Habgier, Dank, der staunend erkennt, wie gut Gott uns versorgt. Ja, es ist heilsam für uns selber, wenn sich dieser Dank durch jeden Tag unseres Lebens hindurchzieht, wenn wir schon morgens unseren Tag beginnen mit dem Dank an Gott, der uns diesen neuen Tag geschenkt hat, wenn wir uns tagsüber nicht ohne Dankgebet aufs Essen stürzen, sondern dem Geber aller guten Gaben bei jeder Mahlzeit danken für seine Gaben, und wenn wir dann am Schluss des Tages wieder innehalten und Gott erneut danken für das, was wir an diesem Tag erlebt haben, für alle Freude und alle Bewahrung, die er uns geschenkt hat. Ja, allezeit sollen wir dieses Lobopfer darbringen, wie es der Verfasser des Hebräerbriefes hier formuliert – nicht bloß am Erntedankfest, auch nicht bloß, wenn wir mal im Lotto gewonnen haben, sondern auch und gerade dann, wenn uns so manche Sorgen zu schaffen machen.
Doch dieser Dank soll sich nun gerade nicht darauf beschränken, dass Gott uns in unserem irdischen Leben immer wieder so gut versorgt. Von einem Lobopfer spricht der Hebräerbrief hier und verweist mit diesem Ausdruck auf ein anderes Opfer, das uns dieses Lobopfer überhaupt erst ermöglicht: das eine Opfer, das Christus selber am Kreuz für uns dargebracht hat, um unser Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung zu bringen. Nein, wir brauchen nicht Gott mit dem, was wir tun, zu versöhnen, und das können wir auch gar nicht, nicht mit unseren guten Werken, nicht mit irgendwelchen Opfergaben, die wir darbringen, auch nicht mit unserer Kollekte, nein, auch nicht mit unseren Dankgebeten. Es ist vielmehr genau umgekehrt: Weil Gott bereits alles für uns getan hat, weil er seinen Sohn für unsere Schuld hat sterben lassen, darum haben wir eben so viel Grund zum Dank, zum Lobopfer, das immer wieder von neuem Christus preist und das, was er für uns getan hat. Ja, gerade auch darum geht es in jedem Gottesdienst, dass wir dieses Lobopfer darbringen, es aufsteigen lassen zu Gott, wenn wir Gott mit unseren Liedern und Gebeten loben, wenn wir miteinander das Bekenntnis unseres Glaubens sprechen, uns zu dem bekennen, was er, der dreieinige Gott, für uns getan hat. Ja, gerade auch in der Feier des Heiligen Abendmahls hat dieses Lobopfer seinen Platz: Wenn Christus uns auch heute wieder hier das allergrößte Geschenk macht und sich mit uns leibhaftig verbindet, dann können wir doch gar nicht anders, als ihm dafür zu danken. Ja, das Heilige Abendmahl ist von daher immer wieder ein Freudenmahl, in dem wir jedes Mal von neuem Gott loben, ganz gleich, wie es uns in unserem Leben gerade gehen mag.
Allezeit loben wir Gott hier – ja, wir merken schon: Wir sind hier als Christen in einer anderen Welt. Unser Lob und unsere Freude, sie sind nicht abhängig vom Verlauf des DAX, sie sind nicht abhängig vom ifo-Geschäftsklimaindex, sie sind nicht abhängig davon, wie viel oder wie wenig wir auf unserem Konto haben mögen. Und darum beschränkt sich das Bekenntnis zu dem, was Gott für uns getan hat, eben auch nicht bloß auf den Gottesdienst, dürfen wir als Christen gerade auch in unserem Alltag unsere Lippen aufmachen und von dem Zeugnis ablegen, der für uns auf alles verzichtet hat, um uns und unser Leben ganz reich zu machen – reich an Gütern, die uns keine Inflation und kein Bankencrash rauben können.

II.

Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, was ich euch gerade erzählt habe, wisst ihr eigentlich längst. Das ist eigentlich nichts Neues. Doch merkwürdigerweise vergessen wir es dann eben doch immer wieder in unserem Alltag, lassen uns von dem, was alles auf uns so eindringt, so sehr beeindrucken und beeinflussen, dass von dem Dank, von dem Lobopfer dann doch oft so wenig übrigbleibt, dass wir dann doch wieder anfangen, uns zu sorgen, uns an das zu klammern, was wir haben, weil sich unser Herz dann doch wieder so sehr an das hängt, was wir haben und besitzen.
„Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.“ – So schreibt der Hebräerbrief, will bei den Empfängern seines Briefes, will auch bei uns unserer Vergesslichkeit entgegenwirken. Wie gesagt: Eigentlich ist das doch völlig klar: Wenn ich weiß, dass ich von Gott reich beschenkt bin, dass er mir ein Leben geschenkt hat, das stärker ist als der Tod, wenn ich mir vor Augen halte, wie gut Gott für mich auch in meinem alltäglichen Leben sorgt, dann ist es doch eigentlich völlig klar, dass ich von dem, was ich habe, auch kräftig abgebe – erst recht, wenn ich weiß, dass Gott selber sich darüber freut. Nein, noch einmal: Wir brauchen Gott nicht erst noch zu versöhnen. Aber weil Gott uns mit sich versöhnt hat, darum sollte es uns nicht egal sein, worüber Gott sich in unserem Leben freut. Und der freut sich eben darüber, wenn wir es nicht nur mit unserem Kopf, sondern auch mit unserem Herzen kapiert haben, dass es nicht gut für uns ist, wenn wir uns an Geld und Besitz klammern, dass Habgier uns schadet und unser Leben vergiftet.
Mit anderen zu teilen – das ist natürlich auch eine ganz nüchterne Angelegenheit, die auch mit unseren Finanzen zu tun hat: Wir geben etwas von dem ab, was wir haben, weil wir wissen: andere brauchen das. Da sammeln wir beispielsweise heute die Kollekte des Erntedankfestes nicht für unseren eigenen Gemeindehaushalt ein, sondern für die Bausteinsammlung. Wir unterstützen unsere Schwestergemeinde in Erfurt, die nicht so viel Geld hat wie wir und deren Kirche dringend saniert werden muss, weil dem Pastor bei der Predigt tatsächlich allmählich die Decke auf den Kopf zu rieseln beginnt. Und da geben wir fröhlich ab, obwohl das scheinbar doch Wahnsinn ist, obwohl wir doch selber gerade eine größere Baumaßnahme bei uns laufen haben und das Geld auch selber gut gebrauchen könnten. Und genau dasselbe gilt ja auch für jeden einzelnen von uns: Da gibt es niemanden bei uns, der sein Geld deswegen in die Kollekte steckt und seinen Kirchenbeitrag überweist, weil er einfach nicht weiß, wohin mit seinem Geld. Da haben wir alle miteinander unsere ganz persönlichen Baustellen in unserem Leben, die doch scheinbar erst mal versorgt werden müssten, bevor wir uns daran machen könnten, nun auch noch etwas abzugeben. Und doch tun wir’s, funktioniert unser Gemeindeleben nur deshalb, weil wir es tun, weil uns der Dank über das, was Gott uns geschenkt hat, Herzen und Hände öffnet – so weit, dass ich darüber auch selber immer wieder nur staunen kann.
Und doch brauchen wir sie zugleich immer wieder, die Erinnerung des Hebräerbriefs: Vergesst es nicht, auch in Zukunft, mit anderen zu teilen. Und das mit dem Teilen, das geht ja nun auch weit darüber hinaus, dass wir irgendwo unsere Euros abdrücken – bei der Gemeinde oder bei irgendwelchen wohltätigen Einrichtungen. Das könnte ja sogar so etwas wie ein Freikauf sein, mit dem wir uns die Menschen, die unsere Hilfe brauchen, ein Stück weit vom Hals halten. Das griechische Wort „koinonia“, das Luther hier mit „Teilen“ übersetzt, heißt eigentlich so viel wie: „Gemeinschaft“; es ist dasselbe Wort, das der Apostel Paulus gebraucht, um unsere gemeinsame Teilhabe am Leib und Blut des Herrn im Heiligen Mahl zu beschreiben. Nein, der Hebräerbrief möchte nicht bloß, dass wir von unserem Besitz abgeben; er ermuntert uns dazu, unser Leben mit anderen zu teilen, unsere Zeit, unsere Zuwendung.
Vergesst die Koinonia nicht – das heißt also: Vergesst nicht, dass ihr als Christen keine Einzelkämpfer seid, dass ihr in der Gemeinschaft der Gemeinde lebt und die Gemeinde euch braucht – angefangen damit, dass ihr die anderen hier beim Gottesdienst nicht allein dasitzen lasst und zu Hause bleibt. Vergesst die Koinonia nicht – das heißt: Bleibt nicht auf Distanz zu den anderen in der Gemeinde, teilt den Kummer und die Sorgen der anderen, seid bereit, auch Menschen mitzutragen, die eure Geduld und eure Nächstenliebe auf eine harte Probe stellen, deren Verhalten euch befremdet. Versucht, sie zu verstehen, euch in ihre Lage hineinzuversetzen statt über sie zu urteilen, begegnet ihnen in Liebe, auch wenn sie euch überhaupt nicht liebenswert erscheinen. Vergesst die Koinonia nicht – das heißt: Besucht einander in der Gemeinde, esst miteinander, feiert miteinander, nehmt euch Zeit füreinander – ja, solche Opfer gefallen Gott.
Ja, Schwestern und Brüder, ich weiß, das klingt alles wie aus einer anderen Welt: Hier geht es nicht um Gewinnmaximierung, hier herrscht nicht der Slogan: „Unterm Strich zähl ich“, hier versuchen Menschen nicht, ihre Zukunft abzusichern. Sondern hier in der Gemeinde kommen Menschen zusammen, die wissen, dass ihre Zukunft abgesichert ist von keinem Geringeren als von Gott selber; hier kommen Menschen zusammen, für die hier im Gottesdienst diese Zukunft schon ein Stück Gegenwart wird, die hier und jetzt schon in die Dankgesänge einstimmen, die sie einmal in aller Ewigkeit singen werden und die sich nicht mehr ans Irdische klammern, weil ihnen der Himmel schon geschenkt ist. Nullen auf Geldscheinen und Bilanzen werden sich am Ende und mitunter auch schon sehr viel früher als völlig wertlos erweisen. Doch wer Gott mit seinem Bekenntnis lobt, wer aus dem Glauben heraus fröhlich abgibt von dem, was er hat, der erweist sich als wirklich reicher Mensch, ja, dessen Lebenskurve wird am Ende ganz steil ansteigen – bis in den Himmel! Amen.