12.10.2008 | 1. Korinther 12, 12-14. 26-27 (21. Sonntag nach Trinitatis)

21. SONNTAG NACH TRINITATIS – 12. OKTOBER 2008 – PREDIGT ÜBER 1. KORINTHER 12,12-14.26-27

Denn wie der Leib "einer" ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch "ein" Leib sind: so auch Christus. Denn wir sind durch "einen" Geist alle zu "einem" Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklave oder Freie, und sind alle mit "einem" Geist getränkt. Denn auch der Leib ist nicht "ein" Glied, sondern viele.
Und wenn "ein" Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn "ein" Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

„Es fängt schon an zu kribbeln!“ – So erklärte vor kurzem voller Freude der Landwirt, dem man vor zwei Monaten in München in einer weltweit erstmaligen Operation zwei Arme angenäht hatte, nachdem er seine eigenen vor sechs Jahren bei einem Arbeitsunfall verloren hatte. „Es fängt schon an zu kribbeln!“ – Ja, da tut sich was, die Arme fangen an, an den Körper dranzuwachsen – und vor allem gab es nach der Transplantation der beiden Arme keine Abstoßungsreaktionen; der Körper nahm sie als seine eigenen Arme an.
Von solchen Transplantationen wusste der Apostel Paulus noch nichts, als er den Christen in Korinth damals einen Brief schrieb, aus dem wir eben ein paar Verse gehört haben. Aber das eine wusste er natürlich auch, genau wie die Empfänger seines Briefes: Ein Körper braucht ganz verschiedene Gliedmaßen und Organe, solche, die man sehen kann, und andere, die man nicht sehen kann und die deshalb doch nicht weniger wichtig sind. Und er und die Empfänger seines Briefes wussten umgekehrt auch: Auch die Gliedmaßen brauchen den Körper; ein Arm, eine Hand, eine Niere können nicht ohne den Körper existieren, mit dem sie verbunden sind.
Vom Leib und seinen Gliedern spricht der Apostel Paulus nun in unserer heutigen Predigtlesung mit Bezug auf die Gemeinde in Korinth: Die Gemeinde dort war wirklich ein bunter Haufen: Viele der Gemeindeglieder waren Sklaven, doch gab es daneben auch reiche Leute, die selber Sklaven besaßen; es gab dort in der Gemeinde Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Ländern stammten, ja die auch einen ganz unterschiedlichen religiösen Hintergrund hatten, bevor sie in die Gemeinde gekommen waren. Und dann gab es dort in der Gemeinde auch noch diverse Gruppenbildungen der besonderen Art: Gleich mehrere Fanclubs hatten sich dort gebildet: Die einen himmelten den jetzigen Gemeindepastor an, andere dagegen seinen Vorgänger, und wieder andere waren aus einer anderen Gemeinde nach Korinth gekommen und redeten immer nur von dem Gemeindepastor, den sie vorher in ihrer Gemeinde gehabt hatten. Nein, die anderen taugten alle nichts – nur dieser eine Pastor, der war der allerbeste. Und da sagt der Apostel Paulus nun: Ihr seid alle miteinander der Leib Christi, nein, ihr seid nicht bloß wie ein Leib, der verschiedene Glieder hat, sondern ihr seid wirklich ein Leib, ja eben der Leib Christi, so gewiss wie ihr auch ganz wirklich den Leib Christi im Heiligen Mahl empfangt und nicht bloß ein Stück Brot, das euch an den Leib Christi erinnert. Ihr seid der Leib Christi – und zu dem gehört ihr alle miteinander, ja mehr noch: In diesem Leib Christi seid ihr alle miteinander aufeinander angewiesen, seid miteinander verbunden und füreinander da. Da kann sich nicht eine Gruppe in der Gemeinde ausklinken und sagen: Wir brauchen die anderen nicht, Hauptsache, wir haben uns selber.
Schwestern und Brüder, nun sind Gruppenbildungen in unserer Gemeinde vielleicht gar nicht unbedingt das größte Problem. Gewiss, auch unsere Gemeinde ist wirklich bunt gemischt, mit Menschen aus allen sozialen Schichten, mit Menschen, die in ganz verschiedenen Ländern geboren sind und unterschiedliche Muttersprachen sprechen, mit Menschen, die sich auch ihren Pastor jeweils ganz unterschiedlich wünschen. Das läuft dennoch ganz erstaunlich gut hier in unserer Gemeinde, dass wir da zusammenhalten, trotz aller Unterschiedlichkeit. Doch viel größer ist die Gefahr, dass nicht wenige einzelne Gemeindeglieder meinen, sie kämen ganz gut ohne den Leib Christi, ohne die Kirche aus: Ich kann doch auch zu Hause an Christus denken oder auch an ihn glauben. Da muss ich doch nicht unbedingt in die Kirche rennen, da muss ich doch nicht unbedingt in Verbindung mit den anderen Gemeindegliedern sein. Allein Christ zu sein, das geht doch auch!
Geht eben nicht – sagt der Apostel Paulus. Ihr seid eben keine Gemeindemitglieder, sondern ihr seid Gemeindeglieder. Wenn man in einem Verein Mitglied ist, dann heißt das vielleicht bloß, dass man ihn mit einem Jahresbeitrag unterstützt oder ihm die Daumen drückt, wenn es sich etwa um einen Sportverein handelt. Doch die Kirche ist kein Verein, mit dem man ein bisschen sympathisieren kann und dem man sich auf diese Weise zugehörig fühlt. Sondern die Kirche, die Gemeinde, sie ist der Leib Christi, und jeder, der getauft ist, ist ein Glied an diesem Leib, ja, seit heute Morgen nun auch Kevin. Und Gemeindeglied kann man eben nicht ohne Verbindung zum Rest des Leibes sein, genauso wenig wie etwa ein Finger sehr lange allein ohne den Rest des Körpers existieren kann. Der stirbt dann sehr schnell ab. Und so ruft der Apostel Paulus es auch uns heute Morgen zu: Amputiert euch bloß nicht selber, schneidet euch nicht selber vom Leib Christi ab, denn

- ihr braucht Christus
- ihr braucht die Gemeinde
- die Gemeinde braucht euch.

I.

Um Christus geht es in der Kirche. Ja, das klingt selbstverständlich; aber es ist trotzdem gut, wenn wir uns daran immer wieder erinnern lassen. Die Kirche ist keine Pizzeria und kein Reiseunternehmen und keine fromme Eckkneipe, sondern sie ist der Leib Christi: In ihr werden Menschen in die Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus aufgenommen und in dieser Gemeinschaft erhalten. In der Taufe, so beschreibt es Paulus hier, sind wir in den Leib Christi eingefügt worden, und durch das Heilige Mahl nimmt Christus umgekehrt mit seinem Leib wiederum in uns Wohnung, wirkt in uns durch seinen Heiligen Geist. Ja, so eng, so intensiv sind wir mit Christus verbunden, fester noch, als unser Arm mit dem Rest unseres Körpers verbunden ist. Und das ist für uns, wie gesagt, lebensnotwendig, überlebensnotwendig, dass wir so mit Christus verbunden sind, nein, nicht nur irgendwie geistig, nicht nur irgendwie so, dass wir an ihn denken oder Christus ganz gut finden, sondern so, dass er, Christus, mit seinem Leib und seinem Blut in uns Wohnung nimmt. Denn nur in dieser realen Verbindung mit Christus können wir das Ziel unseres Lebens erreichen, für immer in Gottes neuer Welt leben. Wer meint, auf diese Verbindung verzichten zu können, wer meint, sich von diesem Leib Christi amputieren zu können, der beraubt sich damit des Lebens, des ewigen Lebens.
Ja, ihr braucht Christus, ihr alle, die ihr heute Morgen hier in der Kirche sitzt. Ihr braucht Christus, nein nicht unbedingt, damit ihr euch wohlfühlt, da habt ihr auch andere Möglichkeiten; aber ihr braucht Christus, damit euer Leben nicht in der Trennung von Gott endet. Und wenn ihr etwas davon ahnt, dass ihr euch in der Vergangenheit bereits selber vom Leib Christi amputiert hattet, dann dürft ihr es heute erfahren, wie Christus selber euch wieder von Neuem transplantiert, euch wieder einfügt in seinen Leib, wenn ihr ihn selber hier im Heiligen Mahl leibhaftig empfangt. Da wachst ihr wieder an, habt wieder von Neuem teil an dem Leben, das Christus euch schenken will, ja das er selber in Person ist.

II.

Ja, ihr braucht Christus, ganz klar. Aber an Christus kommen wir eben nicht anders heran als durch die Kirche, durch die Gemeinde. So hat Christus selber das eingerichtet, dass er die Kirche, die Gemeinde, zu seinem Leib gemacht hat. Wenn du Christus finden willst, wenn du ihm begegnen willst, dann wirst du ihn nicht bei dir im Wohnzimmer oder im Schlafzimmer antreffen, auch nicht im Büro oder beim Spaziergang im Wald, sondern du wirst ihn nur finden in seiner Gemeinde, dort, wo Menschen sich in seinem Namen versammeln. Ja, so hat Christus das selber eingerichtet, und das hat er auch aus gutem Grund so gemacht: Du schaffst das eben nicht, allein an Christus zu glauben. Da lügst du dir selber was in die Tasche, wenn du meinst, das würdest du auch so hinbekommen. Du brauchst die anderen Glieder der Gemeinde, brauchst sie auf ganz vielfältige Weise:
Zunächst einmal würdest du heute Morgen hier gar nicht sitzen, wenn es nicht andere Glieder der Kirche gegeben hätte, die dich auf diesen Weg hierher gebracht hätten. Das mögen deine Eltern gewesen sein, die dich im christlichen Glauben erzogen haben, das mögen Freunde gewesen sein, die dich hierher in die Kirche gebracht haben, das mögen andere Christen gewesen sein, die dir vorgelebt haben, was es heißt, ein Christ zu sein, das mag bei manchen vielleicht auch ein Pastor gewesen sein, der sie geprägt und zum Leben mit Christus ermutigt hat. Wie auch immer: Christus redet in aller Regel nicht direkt vom Himmel zu uns herab, sondern er gebraucht die Glieder seines Leibes, um Menschen zum Glauben zu ermutigen und sie bei ihm, Christus, zu erhalten. Und wer einmal ein bisschen genauer in unsere Gemeinde hineingeschaut hat, der weiß dann eben auch, was für unterschiedliche Gaben und Begabungen Christus hier in seiner Gemeinde, in seinem Leib brauchen kann und tatsächlich auch einsetzt: So wenig wie alle Glieder an einem Körper dieselbe Aufgabe haben, so wenig haben alle Glieder der christlichen Gemeinde dieselben Gaben und Aufgaben: Da gibt es Gemeindeglieder, die packen einfach ganz praktisch mit an, wenn es hier in der Gemeinde etwas zu tun gibt, die kochen, die holen mit dem Auto Gemeindeglieder ab, die reparieren kaputte Sachen, die schmücken den Altar mit Blumen, die machen sauber, die kümmern sich um die Finanzen in der Gemeinde oder verhandeln mit irgendwelchen Handwerkern. Nein, Schwestern und Brüder, unser Gemeindeleben, das funktioniert nicht einfach von selbst, das funktioniert deshalb, weil wir ein Leib mit vielen verschiedenen Gliedern sind. Da gibt es Gemeindeglieder, die haben musikalische Begabungen und setzen sie ein, ja auch hier im Gottesdienst oder als Begleiter bei Freizeiten, da gibt es Gemeindeglieder, die haben pädagogische Begabungen und setzen sie ein in der Arbeit mit Kinder und Jugendlichen. Da gibt es Gemeindeglieder, die haben die Möglichkeit, unsere Gemeinde finanziell stärker zu unterstützen als andere, da gibt es Gemeindeglieder, die unsere Gemeinde mit ihren Gebeten, mit ihrer Fürbitte unterstützen, gerade auch dann, wenn sie sonst nicht mehr viel mit anpacken können. Nein, das sind keine unwichtigen Dienste. Unwichtige Dienste gibt es nicht, so wenig wie es unwichtige Glieder gibt. Der Leib Christi hat keinen Blinddarm, den man ohne Probleme wegoperieren kann. Im Gegenteil: Wenn sich ein Glied selber vom Leib Christi amputiert, dann haben wir hier in unserer Gemeinde Phantomschmerzen, dann tut uns das weh. Ja, auch dazu brauchst du die Gemeinde, dass du wissen darfst: Da gibt es andere, die merken das, denen ist das nicht egal, ob ich bei Christus dabei bin oder mich von ihm trenne. Ja, die warten auf mich, die sind auch hinter mir her, die lassen nicht zu, dass ich einfach nur in der Versenkung verschwinde. Ja, wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, so formuliert es der Apostel hier. Wenn Gemeindeglieder von Leid, von Schicksalsschlägen getroffen werden, dann ist das den anderen nicht egal, dann bewegt sie das auch, wenn sie es denn mitbekommen, weil die Betroffenen doch selber auch mit dabei sind in der Gemeinde. Ja, geteiltes Leid ist halbes Leid, und geteilte Freude ist doppelte Freude – nirgends gilt dies so sehr wie in der christlichen Gemeinde. Ja, gerade auch so helfen sie dir, deine Mit-Glieder am Leib Christi, so helfen sie dir, an Christus dranzubleiben. Und eben darum brauchst du sie, die Gemeinde, den Leib Christi.

III.

Aber nun brauchst nicht nur du die Gemeinde, sondern die Gemeinde braucht umgekehrt auch dich. Die Kirche, die Gemeinde ist eben nicht bloß ein Selbstbedienungsladen, in den man mal reingeht, wenn man was braucht und der einem ansonsten egal sein kann. Nein, weil die Gemeinde der Leib Christi ist und weil du auch ein Glied am Leib Christi bist, darum brauchen die anderen auch dich. Da höre ich beispielsweise immer wieder mal das Argument bei Konfirmanden oder Jugendlichen: Wenn die anderen nicht kommen, die ich kenne, komme ich auch nicht. Und wenn das jeder sagt, dann ist es klar, dass nachher gar keiner kommt, weil jeder darauf wartet, dass die anderen erst mal kommen und man sich ihnen anschließen kann. Christus braucht Glieder an seinem Leib, die einfach so kommen, weil sie wissen, wie wichtig es ist, mit ihm, Christus, Gemeinschaft zu haben. Christus braucht solche Glieder, die anderen mit ihrem Kommen, mit ihrem Vorbild Mut machen, ja, Christus braucht dafür auch dich. Und er braucht dich auch mit den Gaben, die er dir gegeben hat, mit deiner Fähigkeit, auf andere Leute zuzugehen, mit deiner Fähigkeit, hier in der Gemeinde mit anzupacken, mit deinem Mut, auch vor anderen Menschen zu deinem Glauben zu stehen, mit deiner Bereitschaft, einfach in Liebe für andere Menschen da zu sein.
Nein, versteht das jetzt nicht falsch: Christus nimmt bei uns keine Leistungstests vor, er sortiert nicht aus und sagt: Den oder die kann ich brauchen, und für den oder die habe ich keinen Platz in meinem Leib. Du musst selber gar nicht gleich erkennen können, mit was für Gaben Christus auch dich brauchen kann. Hauptsache, du bist erst mal mit dabei, klinkst dich nicht aus, amputierst dich nicht. Jeden Menschen kann Christus in seinem Leib brauchen, und darum möchte er ganz besonders dies eine nicht: Dass es in seinem Leib zu irgendwelchen Abstoßungsreaktionen kommt, dass die anderen Glieder meinen, dieser oder jener würde aber gar nicht zu diesem Leib dazupassen. In der Medizin gibt es Medikamente, die solche Abstoßungsreaktionen verhindern, und solche Medikamente gibt es in der Kirche auch: Ja, gerade auch dazu ist das Heilige Mahl da, dass wir es miteinander erfahren: Wir hängen alle an Christus, sind alle mit Christus verbunden, ohne Unterschied. da können und dürfen wir keinen abstoßen. Und dann mag es sogar passieren, dass wir auch in unserer Gemeinde immer wieder ein schönes Kribbeln verspüren, die Freude darüber, wenn da wieder neu ein Glied am Leib Christi anwächst, die Freude darüber, wenn ein Glied, das sich vom Leib Christi getrennt hatte, wieder neu seinen Platz in der Gemeinschaft des Leibes Christi findet. Nein, das mit dem Leib und den Gliedern, das ist nicht bloß ein schönes Bild, das ist eine Realität, die auch für dich gilt – so gewiss du getauft bist! Amen.