21.12.2008 | St. Lukas 1, 39-56 (4. Sonntag im Advent)

VIERTER SONNTAG IM ADVENT – 21. DEZEMBER 2008 – PREDIGT ÜBER ST. LUKAS 1,39-56

Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.
Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim.

Hoffenheim ist Herbstmeister in der Fußball-Bundesliga. Wer hätte das vor Beginn der Saison gedacht! Ja, bis auf einige eingefleischte Bayern-Fans finden das wohl die meisten Fußballanhänger in Deutschland ganz witzig, dass nicht der große Goliath Bayern München, sondern der kleine David TSG Hoffenheim in der Tabelle ganz vorne steht. Ja, tief in uns drin steckt offenbar doch ein leichter Hang zum Anarchischen: Wir freuen uns, wenn beim Fußball ein Underdog einen Großen schlägt, wenn ein Handyverkäufer mit Zahnlücke mit einem Mal eine große Karriere als Tenor startet und zum Millionär wird und wenn umgekehrt einem Manager sein Traumgehalt zusammengestrichen wird, ja, wir mögen in uns vielleicht sogar ganz unchristliche Gefühle wahrnehmen, wenn uns im Fernsehen gezeigt wird, wie ein irakischer Journalist Präsident Bush mit seinen beiden Schuhen bewirft. Und von daher mögen uns auch die Worte besonders gefallen haben, die wir eben im Lobgesang der Gottesmutter Maria vernommen haben: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Ja, das finden wir gut, wenn Gott selber so alles einmal auf den Kopf stellt und durcheinanderbringt, wenn er denen, die scheinbar keine Chance haben, zu ihrem Recht verhilft und denen, die sich so groß aufspielen, kräftig eins auf den Deckel gibt.
Ja, all das finden wir solange gut, wie wir selber bei diesem Schauspiel Zuschauer sind, solange wir uns damit begnügen können, die Daumen für die Kleinen zu drücken. Ja, all das finden wir so lange gut, bis wir feststellen, dass Gott uns selber dabei nicht verschont, wenn er alles auf den Kopf, nein: vom Kopf auf die Füße stellt, bis wir feststellen, dass Gott auch bei uns, in unserem Leben eine ganze Menge durcheinanderbringt, in Frage stellt, was wir doch sicher zu besitzen glaubten. Ja, Gott will auch bei uns, in unserem Leben alles noch einmal ganz neu sortieren:

- unsere Vorstellung von Gott
- unsere Vorstellung vom Glauben
- unsere Vorstellung vom Erfolg

I.

Wenn man Menschen fragt, wo denn eigentlich Gott ist, dann geht in den meisten Fällen ihr Finger fast automatisch nach oben: Ja, Gott ist oben, ganz weit oben, eben im Himmel. Und groß ist Gott, unendlich groß, unendlich stark. Und weil Gott ja ein gutes Vorbild ist, wollen wir Gott eben auch nacheifern, wollen auch ganz nach oben, wollen auch groß und stark sein, ganz klar.
Im Heiligen Evangelium des heutigen Tages bringt uns St. Lukas diese Vorstellungen, die wir uns so von Gott machen mögen, total durcheinander: Gott ist nicht oben, sondern unten, nicht groß, sondern klein, nicht stark, sondern schwach.
Um Gott hier in unserer Predigtlesung finden zu können, müssen wir schon ganz genau hinhören: Als Embryo begegnet er uns hier, so klein, dass man ihn heute in unserem Land völlig ungestraft umbringen könnte, weil er ja noch so klein ist, dass sein Leben nicht zählt. Doch Elisabeth erkennt ihn, nennt darum Maria hier „die Mutter meines Herrn“ – eines Herrn, der im Augenblick nur eine Größe von wenigen Zentimetern hat. Ja, Gott ist offenkundig ganz anders als all die Vorstellungen, die Menschen sich von ihm überall auf der Welt machen mögen. Er ist gerade nicht das Ergebnis der Projektion unserer Sehnsüchte in das Jenseits, nicht das Produkt kluger Gedanken. Er erfüllt nicht unsere Wünsche nach einem anständigen Gott, sondern lässt uns allemal verblüffter zurück als die Betrachter der gegenwärtigen Fußballbundesliga-Tabelle: Was können wir schon von einem solch winzigen, solch schwachen, solch scheinbar völlig wehrlosen Gott erwarten? Das kann doch nicht der richtige Gott sein, den Maria da unter ihrem Herzen trägt, das kann doch höchstens nur ein Abgesandter von ihm sein! Doch Elisabeth sieht es in der Kraft des heiligen Geistes klarer: Die da kommt, ist tatsächlich die Mutter des Herrn, die Mutter Gottes, ja, es ist der, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt, der da nun bei Elisabeth und ihrem ungeborenen Sohn solche Freudenausbrüche hervorruft. Ja, es stimmt, was Martin Luther in seinem Weihnachtslied besingt: „Den aller Welt Kreis nie beschloss, der liegt in Marien Schoß; er ist ein Kindlein worden klein, der alle Ding erhält allein.“ Aber das heißt zugleich auch: dieser kleine, schwache Gott da ganz unten im Leib seiner Mutter ist und bleibt doch zugleich der allmächtige Herr, stark genug, um die Gewaltigen vom Thron zu stürzen und die Reichen leer ausgehen zu lassen. Wer glaubt, diesen Gott nicht ernst nehmen zu müssen, wer glaubt, ihn in seinem Leben beiseite packen zu können, weil er doch so schwach ist, weil er sich doch nicht wehren kann, der irrt sich gewaltig.
Pack sie darum stattdessen zur Seite, deine selbstgebastelten Vorstellungen von einem Gott, der gütig lächelnd über dieser Welt und deinem Leben schwebt und dich ansonsten in Ruhe lässt! Pack sie zur Seite, deine Vorstellungen von einem höheren Wesen, an das letztlich alle Menschen glauben, auch wenn sie es mit unterschiedlichen Namen bezeichnen! Gott ist kein höheres Wesen, sondern ein kleines Kind, kein Großvater mit Rauschebart, sondern ein Embryo und doch keine harmlose, süße Erscheinung, sondern der, der auch dir in deinem Leben auf den Leib rückt, um bei dir aufzuräumen, um alles beiseite zu räumen, was dich daran hindern könnte, ihn, den wahren Gott, zu erkennen, und dein Leben auf ihn auszurichten. Ja, da mag auch bei dir eine Menge durcheinandergeraten!

II.

Doch Gott bringt nicht allein unsere Vorstellungen von ihm, Gott, selber durcheinander, sondern auch unsere Vorstellungen von dem, was Glauben heißt.
Wenn wir vom Glauben sprechen, dann meinen wir oft, Glauben hieße so viel wie etwas verstehen zu können, etwas, was man verstanden hat, annehmen zu können und sich dafür zu entscheiden. Und von daher meinen wir dann auch, über den Glauben anderer Urteile fällen zu können: Wenn jemand gut reden kann, viel über den Glauben weiß, dann denken wir, er habe wohl einen starken Glauben. Und wenn jemand offenbar nicht so viel vom Glauben versteht, sich nicht so gut ausdrücken kann, in seinem Glauben vielleicht auch nicht sehr viele beglückende Erfahrungen gemacht hat, dann meinen wir, er habe wohl eher einen schwachen Glauben. Ja, es gibt sogar kirchliche Gruppierungen, die den Glauben so sehr von unseren Gehirnleistungen, von unserem Verstehen, von unserem Redenkönnen abhängig machen, dass sie sagen, man könne und dürfe kleine Kinder noch gar nicht taufen, weil die ja noch nichts verstünden und darum auch noch nicht glauben könnten. Nein, man solle mit der Taufe warten, bis sie soweit seien, dass sie selber glauben, das heißt: sich selber entscheiden, selber ihren Glauben formulieren könnten.
Doch Gott selber stellt diese menschlichen Vorstellungen, die wir uns vom Glauben machen mögen, ganz und gar auf den Kopf, nein: auch wieder vom Kopf auf die Füße. Der kleine Johannes wird uns hier geschildert, noch nicht einmal geboren, noch nicht einmal dazu in der Lage, auch nur ein Wort zu sagen. Und doch hüpft und jubelt er im Leib seiner Mutter, als Maria mit dem Jesuskind unter ihrem Herzen in seine Nähe kommt. Ein Kind, noch nicht einmal geboren, glaubt doch schon, erkennt seinen Herrn auf seine Weise viel besser, als so viele Erwachsene mit überdurchschnittlichem Intelligenzquotienten dies vermögen. Glauben ist eben viel mehr als bloß Verstehen, als ein Vorgang in unseren Gehirnzellen, als eine sogenannte bewusste Entscheidung. Johannes glaubt im Mutterleib, und das geistig behinderte Kind, das kein Wort zu sprechen vermag, das glaubt in der Kraft seiner Taufe, in der Kraft des heiligen Geistes nicht weniger als ein Propst oder Bischof. Die demenzkranke Frau, die schon eine Minute später vergessen hat, dass sie gerade das Heilige Abendmahl empfangen hatte, die glaubt, weil Christus auch in ihr lebt und am Werk ist, der psychisch kranke Mann, der diese Welt so ganz anders wahrnimmt, als wir dies tun, er glaubt auch, auch wenn die Worte, die er von sich gibt, unserem Verständnis von Glauben nicht unbedingt entsprechen mögen. Schwestern und Brüder: Dass wir uns nicht missverstehen: Glauben ist keine natürliche Veranlagung im Menschen, weder im kleinen Baby noch in einem behinderten Menschen. Er ist und bleibt Gabe und Wirkung des heiligen Geistes, Geschenk Gottes. Aber Gott macht sein Geschenk eben nicht von unserer Leistungsfähigkeit abhängig, schenkt Menschen die Gemeinschaft mit ihm auch da, wo sie dies nicht in einer uns verständlichen Weise zu artikulieren vermögen. „Selig bist du, die du geglaubt hast!“ – So sagt es Elisabeth auch zu Maria. Nein, Maria hat zu ihrer Schwangerschaft nichts beigetragen, sie konnte nur staunend feststellen, dass Gott schon längst an ihr gehandelt hatte. Ja, all das, was wir an Erscheinungsweisen des Glaubens kennen mögen, all das sind immer schon Folgen dessen, was Gott längst zuvor an uns und in uns gewirkt hat.
Keinen Grund haben wir also, uns unseres Glaubens, unserer Glaubensstärke zu rühmen, und keinen Grund haben wir zu verzagen, wenn wir unseren Glauben vielleicht nicht so gut formulieren können. Daran hängt es nicht. Ja, wie gut, dass Gott unsere Vorstellungen vom Glauben so sehr durcheinanderbringt und sie noch einmal ganz neu ordnet!

III.

Und schließlich bringt Gott auch noch unsere menschlichen Vorstellungen vom Erfolg ganz und gar durcheinander.
Wann bin ich in meinem Leben erfolgreich? Wenn ich alle Prüfungen in der Schule und in der Ausbildung bestehe? Wenn ich einen guten Beruf habe, wenn ich eine bestimmte Einkommensgrenze überschreite? Wenn ich eine attraktive Frau beziehungsweise einen attraktiven Mann heirate, eine Familie gründe, Kinder habe, etwas ansammle, was ich meinen Kindern mal vererben kann? Habe ich dann ein erfolgreiches Leben, wenn ich all das vorweisen kann? Und wenn nicht – bin ich dann ein Loser, habe ich mein Leben verpasst?
Maria macht in ihrem Lobgesang deutlich, dass in Gottes Augen ganz andere Maßstäbe zählen: Reich ist unser Leben dann, wenn Gott unsere leeren Hände füllt, wenn er unser Leben ausfüllt, wenn er unser Schatz, die Mitte unseres Lebens ist. Reich ist unser Leben dann, wenn Gott in ihm immer wieder am Werk ist, wenn er uns in seinen Augen ganz groß dastehen lässt und uns so eine Karriere machen lässt, die wir uns selber nie erarbeiten könnten.
Schauen wir auf Maria selber: Die besaß keinen Plasmafernseher, die besaß keinen Zweitwagen, die hatte keine akademischen Titel, die konnte Gott nichts Anderes vorweisen als ihre Niedrigkeit, dass sie also gerade nichts hatte, womit sie ihn oder andere Menschen hätte beeindrucken können. Und doch singt sie in ihrem Lied davon, dass sie zugleich die größte Karriere gemacht hat, die man sich als Mensch nur vorstellen kann: „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.“ Ganz groß raus kommt Maria, schlicht und einfach weil Gott sie erwählt, weil er sie beschenkt, weil er sie in seinen Dienst nimmt.
Und genau so will Gott auch deine Vorstellungen von einem erfolgreichen Leben durcheinanderbringen und ganz neu ordnen: Was dir vielleicht so wichtig erscheinen mag: Geld, Karriere, Besitz, Anerkennung, Ruhm, das beeindruckt ihn wenig, das erweist sich ohnehin früher oder später als sehr vergänglich. Die Zusammenbrüche von ganzen Banken und Konzernen, sie sind von daher schon eine beeindruckende Illustration dessen, was Maria hier besingt. Wirklich reich wird auch dein Leben einzig und allein, wenn du Gott dieses Leben füllen lässt, wenn du seine Gaben als den wahren Reichtum deines Lebens erkennst: Dass er dir immer wieder deine Schuld vergibt, dass er dich immer wieder in seine Arme schließt, dass er dir Versprechen gibt, die er niemals brechen wird, so wenig, wie er seine Versprechen gebrochen hat, die er seinem Volk im Alten Testament gegeben hatte.
Ja, große Dinge hat Gott auch an dir getan, angefangen mit dem Tag deiner Heiligen Taufe. Lass dir darum von Maria zeigen, wie man sich darüber freut, wie man darüber jubelt: nicht als Zuschauer, nicht als schadenfroher Betrachter, sondern als Betroffener, als einer, der in Wirklichkeit ein viel größeres Wunder in seinem Leben erfahren hat als das Wunder von Hoffenheim. Was auch in deinem Leben noch geschehen mag: Du hast schon eine große Karriere gemacht. Denn auch zu dir ist er gekommen, um in dir den Glauben zu wirken: Er, der kleine, unscheinbare und in Wirklichkeit doch so starke Gott! Amen.