05.04.2007 | 2. Mose 12, 1. 3-4. 6-7. 11-14 (Gründonnerstag)
GRÜNDONNERSTAG – 5. APRIL 2007 – PREDIGT ÜBER 2. MOSE 12,1.3-4.6-7.11-14
Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein Lamm, je ein Lamm für ein Haus. Wenn aber in einem Hause für ein Lamm zu wenige sind, so nehme er's mit seinem Nachbarn, der seinem Hause am nächsten wohnt, bis es so viele sind, daß sie das Lamm aufessen können. Und sollt es verwahren bis zum vierzehnten Tag des Monats. Da soll es die ganze Gemeinde Israel schlachten gegen Abend. Und sie sollen von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und die obere Schwelle damit bestreichen an den Häusern, in denen sie's essen, Und ihr sollt nichts davon übriglassen bis zum Morgen; wenn aber etwas übrigbleibt bis zum Morgen, sollt ihr's mit Feuer verbrennen. So sollt ihr's aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen als die, die hinwegeilen; es ist des HERRN Passa. Denn ich will in derselben Nacht durch Ägyptenland gehen und alle Erstgeburt schlagen in Ägyptenland unter Mensch und Vieh und will Strafgericht halten über alle Götter der Ägypter, ich, der HERR. Dann aber soll das Blut euer Zeichen sein an den Häusern, in denen ihr seid: Wo ich das Blut sehe, will ich an euch vorübergehen, und die Plage soll euch nicht widerfahren, die das Verderben bringt, wenn ich Ägyptenland schlage. Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag haben und sollt ihn feiern als ein Fest für den HERRN, ihr und alle eure Nachkommen, als ewige Ordnung.
Heute feiern wir in diesem Gottesdienst ein Gedächtnismahl. „Gedächtnismahl“ – bei dem Wort mögen nun gleich bei einer ganzen Reihe von euch die Alarmglocken läuten: „Gedächtnismahl“ – ja, sind wir denn heute Abend in der falschen Kirche gelandet? Das ist uns doch in unserer lutherischen Kirche ein entscheidend wichtiges Anliegen, dass das Heilige Abendmahl, dessen Einsetzung wir heute feiern, eben nicht bloß ein Gedächtnismahl ist, dass man mit diesem Wort gerade nicht erfasst, worum es in diesem Sakrament eigentlich geht. Eure Alarmglocken läuten natürlich mit Recht: Nein, es geht in der Tat nicht darum, dass wir heute Abend zusammengekommen sind, um ein nettes Feierabendmahl zu halten, wie dies an diesem Abend in vielen evangelischen Kirchen geschieht, wir sind heute Abend auch nicht zusammengekommen, um miteinander einen Keks zu essen und an Jesus zu denken, an das, was er damals vor 2000 Jahren so alles gesagt und gemacht hat. In diesem Sinne feiern wir gewiss heute Abend kein Gedächtnismahl. Aber im biblischen Sinne feiern wir eben doch heute Abend ein Gedächtnismahl: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, so sagt es Jesus selber ja ausdrücklich in seinen Einsetzungsworten. Doch mit Gedächtnis meint er eben nicht, dass wir beim Heiligen Abendmahl unsere grauen Zellen hier oben ein bisschen in Schwung bringen sollen, uns an ihn erinnern sollen. Nein, das biblische Wort „Gedächtnis“ meint etwas ganz anderes, meint viel mehr: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, das bedeutet auf dem Hintergrund des Alten Testaments so viel wie: „Tut dies, damit ich bei euch gegenwärtig bin.“ Bei der Feier des Heiligen Mahles wird also in unserer Mitte gegenwärtig, was damals vor 2000 Jahren in Jerusalem geschah, nein besser noch: werden wir umgekehrt hineingenommen in dieses Geschehen damals im Abendmahlssaal von Jerusalem, überwindet Christus selber die Kluft der 2000 Jahre und lässt uns nun ganz real teilhaben an dem, was damals geschah. Und so sind wir also jetzt an diesem Abend versammelt um den Tisch, um den damals die Jünger Jesu mit ihrem Meister saßen beziehungsweise lagen, erleben mit, wie Jesus und seine Jünger ihrerseits nun wieder ein Gedächtnismahl feiern, ein Mahl, dessen Ursprünge noch einmal weitere eineinhalbtausend Jahre zurückreichen: das Passahmahl. Ja, an diesem Abend in Jerusalem feiern Jesus und seine Jünger wieder von neuem, dass sie es sind, denen Gott die Freiheit schenkt, die Freiheit von der Sklaverei in Ägypten, feiern ihre Rettung durch das Blut des Passahlamms, das da auf dem Tisch liegt, feiern das Passahmahl mit den Fladen ungesäuerten Brotes, das an den schnellen Auszug des Volkes damals in Ägypten erinnert, feiern das Passahmahl mit dem Wein in den Bechern, wie es die uralte Ordnung vorsah. Und im Rahmen dieses Passahmahles stiftet Christus nun eben dieses Heilige Mahl, dessen Einsetzung wir heute voll Freude und Dankbarkeit feiern, erhält das Heilige Mahl durch diese Einbindung in das Passahmahl eine Tiefendimension, die wir uns oftmals gar nicht so bewusst machen. Ja, das Heilige Mahl ist ein neues Passahmahl, ein Passahmahl des Neuen Testaments, von Christus selbst gestiftet, ein Passahmahl, das zugleich doch an das erste Passahmahl des Alten Bundes zurückgebunden bleibt. Und so feiern wir an diesem Abend dieses neue Passahmahl, feiern es als Menschen,
- die vom Tode bedroht sind
- die durch das Blut des Lammes verschont sind
- die unterwegs zum Ziel sind.
I.
Da hatten sie sich am Abend des 14. Nisan in ihren Häusern in Ägypten versammelt, die Israeliten, wie Mose ihnen dies im Auftrag Gottes befohlen hatte. Auf dem Tisch lag das gebratene Lamm, an den Türpfosten klebte das Blut des Lammes, das sie, wie von Gott angeordnet, daran gestrichen hatten. Und während sie nun von dem Lamm aßen, von dem ungesäuerten Brot und den Kräutern, hallten Entsetzensschreie durch die Nacht: Gott hatte sein Gericht an den Ägyptern vollzogen, hatte überall die Erstgeborenen sterben lassen, überall dort, wo das Blut der Lämmer nicht an die Türrahmen gestrichen war. Das Passahmahl – es war ein Mahl im Angesicht des Todes, im Angesicht des Zorngerichtes Gottes. Und alle, die da um den Tisch versammelt waren, wussten es ganz genau: Ohne dieses Blut an unserer Tür wären wir auch dran, würde auch uns Gottes Gericht, würde auch uns der Tod treffen.
Schwestern und Brüder: Harmloser geht es bei unseren Sakramentsfeiern auch nicht zu. Nein, das Heilige Abendmahl ist eben nicht bloß ein nettes Gemeinschaftsmahl, bei dem man erfahren kann, wie schön es doch ist, mit Gleichgesinnten gemeinsame religiöse Erfahrungen zu machen. Das Heilige Abendmahl dient auch nicht bloß einfach meiner persönlichen religiösen Erbauung. Sondern wir feiern dieses Heilige Abendmahl heute Abend und immer wieder als Leute, die genau wissen, dass sie vom Tod, ja vom ewigen Tod bedroht sind, ja, dass sie diesem ewigen Tod, dem Gericht Gottes, hilflos ausgeliefert wären, wenn sie nicht auf wunderbare Weise bei der Feier dieses Mahles davon verschont würden. Ja, es geht bei diesem Heiligen Mahl, bei diesem Passahmahl des Neuen Testaments in der Tat um nicht weniger als um Leben und Tod. Klinkst du dich aus dieser Mahlgemeinschaft aus, meinst du, ohne sie auskommen zu können, dann verlässt du den schützenden Raum, in den Gott dich gerufen hat, den Raum, der dich vor dem ewigen Tod bewahrt. Nein, die Vorstellung ist nicht schön und nett, und doch ist es eine Wirklichkeit, die wir nicht verdrängen dürfen und können: Während wir uns um den Altar, um das Passahlamm des neuen Bundes versammeln und hier Verschonung, Leben und Seligkeit erfahren, bleiben Menschen draußen unter der Gewalt des Todes, haben nichts, das sie vor dem Verderben, vor dem Tod schützen könnte. Nein, die Grenze verläuft nicht mehr zwischen Ägyptern und Israeliten, nicht zwischen irgendwelchen Völkern oder gar Rassen. Die Grenze zwischen Tod und Leben, zwischen Gericht und Verschonung verläuft zwischen denen, die Gottes Einladung zu seinem Mahl fernbleiben, und denen, die hier ihre Rettung erfahren.
Nein, natürlich erspart dir das Sakrament nicht deinen leiblichen Tod, erspart es dir auch nicht Krankheiten, Schicksalsschläge und Schmerzen. Aber es schützt und bewahrt dich vor Gottes Gericht, vor seinem Zorn, vor der ewigen Trennung von Gott. Ja, es ist des Herrn Passah – heute Abend und immer wieder, wenn wir uns hier um seinen Altar versammeln, und darum hat dieses Mahl auch einen tiefen Ernst: Du kommst hierher als einer, der vom Tod bedroht ist und der sich selber niemals retten könnte.
II.
Schwestern und Brüder, das klingt schon ganz schön gruselig, was hier in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Abends von Gott berichtet wird: Gott, der nachts durch die Straßen Ägyptens zieht und in den Häusern die Erstgeborenen sterben lässt; Gott, der sich nur durch das Blut der Passahlämmer davon abhalten lässt, sein Strafgericht auch an den Häusern der Israeliten zu vollstrecken! Was ist das für ein Gott, der so sein Gericht vollzieht, den Erstgeborenen sterben lässt!? – So mögen wir fragen.
Doch genau darum geht es nun auch bei dem Passahmahl des neuen Bundes: Wir kommen hier zusammen, weil Gott sein Strafgericht vollzieht und den Erstgeborenen sterben lässt. Nur sind es nun nicht mehr die Ägypter, an denen er dies Gericht vollzieht, nicht die Feinde des Volkes Gottes. Sondern es ist Gottes erstgeborener Sohn selber, den dieses Strafgericht trifft: Gott lässt ihn sterben, lässt ihn umbringen, damit wir seinem Zorngericht entkommen können. Da am Kreuz können wir beides in eins sehen: Gottes furchtbaren Zorn über die Abwendung der Menschen von ihm, über unsere Abwendung von ihm – und Gottes unendliche Liebe, mit der er seinen Zorn auf seinen eigenen Sohn lenkt, um uns zu verschonen.
Ja, das Passahmahl des neuen Bundes, das wir heute Abend feiern, ist wieder von Neuem ein Mahl der Verschonung, gefeiert von Menschen, die nur darüber staunen können, dass das Gericht Gottes an ihnen vorbeizieht. Nein, das liegt nicht daran, dass wir besser wären als andere, dass wir diese Verschonung verdient hätten. Es liegt einzig und allein an dem Blut des neuen Passahlamms, das auch hier auf unserem Tisch, auf unserem Altar liegt: Er lässt sich am Kreuz abschlachten, damit wir am Leben bleiben. Und an diesem Leben, an dieser Verschonung erhalten wir nun eben ganz konkret Anteil dadurch, dass wir an diesem Passahmahl teilhaben, dass wir das Passahlamm essen, dass wir ihn, Christus, mit seinem Leib in diesem Heiligen Mahl mit unserem Mund empfangen. Und das Blut dieses Passahlamms sollen wir nun nicht mehr an die Türpfosten schmieren, sollen es trinken aus dem Kelch, den er, Christus, das Passahlamm, uns selber bereitet hat. Was Christus für dich am Kreuz erworben hat, das wird heute Abend für dich Gegenwart, ja, es ist nicht weniger als deine Rettung, die du heute Abend feiern, ja die du ganz konkret empfangen darfst. Ahnst du es darum wenigstens, wie kostbar die Gabe ist, die du hier nachher wieder empfängst? Ahnst du es, was es Gott selber gekostet hat, dass du an diesem Mahl heute Abend teilnehmen darfst? Ahnst du es, was mit dir geschieht, wenn du dies Passahlamm nachher wieder in dir aufnimmst, mit Leib und Seele mit ihm verbunden, mit Leib und Seele mit ihm eins wirst? Verschont wirst du, gestärkt und bewahrt zum ewigen Leben durch sein Opfer, an dem du nun gleich wieder Anteil gewinnst, durch dieses Gedächtnismahl im besten biblischen Sinne dieses Wortes!
III.
Umgürtet um ihre Lenden sollten die Israeliten damals das Passah feiern, das heißt mit hochgekrempelten Gewändern, sodass diese sie nicht mehr am schnellen Laufen, am schnellen Hinwegeilen hindern konnten. Die Wanderschuhe sollten sie schon an den Füßen, den Wanderstab in der Hand haben. Ganz klar sollte ihnen sein: Dieses Passahmahl ist ein Mahl des Aufbruchs, ein Mahl, bei dem sie zugleich Abschied nehmen von ihrem bisherigen Leben, ihren Blick nach vorne, in die Zukunft, auf ein neues Ziel richten, von dem sie im Augenblick noch nichts sehen konnten, das ihnen nur von Gott angekündigt war.
Und genau so sollen und dürfen auch wir dieses Passahmahl des neuen Bundes feiern als die, die hinwegeilen. Wer zu diesem Mahl kommt, der bringt damit zum Ausdruck, dass diese arme Erde nicht seine Heimat ist, der lässt seinen Blick ausrichten nach vorne, verkündigt den Tod des Herrn, bis dass er kommt. Wie diese Zukunft, die vor uns liegt, wie dieses Gelobte Land einmal aussehen wird – wir wissen es noch nicht; uns fehlt dazu im Augenblick noch jegliche Vorstellungskraft. Was wir wissen dürfen, ist, dass der Weg dorthin möglicherweise noch durch manche Wüste führen wird, dass wir nicht auf einem roten Teppich unserer himmlischen Heimat entgegenmarschieren werden. Aber was wir haben, ist die Zusage, die Gott uns gegeben hat, dass wir dort am Ziel einmal ankommen werden, dass der Aufbruch in diese Zukunft sich allemal lohnt. Und was wir hier im Heiligen Mahl erfahren dürfen, ist schon ein erster Vorgeschmack des Kommenden, etwas, was uns Lust macht auf mehr. Ja, in die Freiheit brechen wir heute Abend auf, gestärkt durch das Passahlamm, durch den Leib und das Blut des Herrn. Nichts soll uns daran hindern, dem himmlischen Ziel entgegenzueilen. Was sind die Fleischtöpfe Ägyptens im Vergleich zu dem Land, darin Milch und Honig fließt? Ja, was würden wir gewinnen, wenn wir auf das Passahmahl verzichten und uns mit den Annehmlichkeiten des Alltags begnügen, andere Termine für wichtiger halten als die Teilhabe an diesem Passahlamm? Ja, wir brauchen diese Wegzehrung immer wieder, nicht nur heute Abend, brauchen sie immer wieder, damit wir auf dem Weg nicht schlappmachen, sondern weiterziehen – bis wir einmal am Ziel ankommen, an dem alle Passahmahle einmal endgültig hinter uns liegen werden, abgelöst werden von einem ganz neuen Essen, dem Hochzeitsmahl des Lammes in seinem Reich. Ja, kommt, macht euch bereit, stärkt euch noch einmal neu bei diesem Passah! Der Marsch zum Ziel geht los – noch heute Abend! Amen.