24.12.2007 | 1. Timotheus 3, 16 (Heiliger Abend (Christvesper II))

HEILIGER ABEND (CHRISTVESPER II) – 24. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER 1. TIMOTHEUS 3,16

Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

„Angela Merkels größtes Geheimnis gelüftet!“ – Ich bin fast versucht, mit euch zu wetten, ob ihr da nicht doch ein wenig genauer neugierig hinschauen würdet, wenn ihr solch eine Schlagzeile auf einer Zeitung oder Zeitschrift lesen würdet. Ja, was ist denn nun das größte Geheimnis bei Angela Merkel, das nun endlich aufgedeckt worden ist? Und es mag ja sogar sein, dass einige von euch vielleicht jetzt sogar neugierig darauf warten, dass ich euch Angela Merkels größtes Geheimnis nun in dieser Predigt verrate. Tue ich aber nicht, ich weiß es auch gar nicht; ich habe mir das Beispiel einfach nur ausgedacht, um deutlich zu machen, wie sehr wir Menschen auf Geheimnisse und auf die Enthüllung von Geheimnissen abfahren. Das finden wir spannend, das interessiert uns, da hören wir zu.
Jetzt zu Weihnachten geht es auch um ein Geheimnis, das gelüftet wird. Allerdings ist dieses Geheimnis eigentlich schon längst bekannt, so können wir es der Predigtlesung dieses Heiligen Abends entnehmen. Doch mittlerweile ist der Inhalt dieses Geheimnisses wieder so in Vergessenheit geraten, so sehr von allem möglichen Anderen überwuchert und verdeckt worden, dass oft genug nur noch absolute Insider um den eigentlichen Kern dieses Geheimnisses wissen. Und so möchte ich euch jetzt in dieser Predigt wieder neu dieses größte Geheimnis überhaupt enthüllen, ein Geheimnis, das nicht bloß unsere Neugierde befriedigt, sondern dessen Kenntnis für unser ganzes Leben Konsequenzen hat. Erzählen will ich euch, was der Apostel Paulus uns in diesen geheimnisvollen Worten, die wir eben gehört haben, eigentlich sagen will, will euch erzählen von dem einen Geheimnis, das in Wirklichkeit ein dreifaches Geheimnis ist, das Geheimnis,

- worum es zu Weihnachten geht
- worum es in der Kirche geht
- worum es in unserem Leben geht.

I.

Alle Jahre wieder werden vor Weihnachten Umfragen veranstaltet, bei denen getestet wird, ob die Deutschen eigentlich noch wissen, worum es zu Weihnachten eigentlich geht. Bei den Ergebnissen dieser Umfragen weiß man dann immer nicht, ob man sich kaputtlachen oder heulen soll, wenn da so manches Kind vermutet, an diesem Tag sei doch wahrscheinlich der Weihnachtsmann gestorben, oder wenn Erwachsene darauf tippen, an dem Tag sei doch Jesus gestorben oder auch auferstanden – oder war es gar nicht Jesus, sondern Christus? Also, einer von den beiden Typen war es auf jeden Fall!
Ja, man kann heute schon von Herzen froh sein, wenn den Leuten das noch klar ist, dass wir zu Weihnachten die Geburt Jesu feiern, dass Weihnachten eben nicht bloß ein Fest der Liebe, der Familie, der Geschenke oder des Friedens ist. Aber auch wenn Menschen noch so viel Allgemeinbildung aufweisen, dass sie wenigstens auf die Idee kommen, Weihnachten mit Jesu Geburt in Verbindung zu bringen, haben sie damit noch längst nicht kapiert, worum es zu Weihnachten eigentlich geht, was das eigentliche Weihnachtsgeheimnis ausmacht.
Zu Weihnachten geht es nämlich schlicht und einfach um Gott. In diesem Jahr haben wir ja in der Öffentlichkeit erstaunlich intensive Diskussionen über Gott erlebt: Da war auf der einen Seite Richard Dawkins mit seinem Bestseller „Der Gotteswahn“, der behauptet, der Glaube an Gott sei eine Wahnvorstellung, und diejenigen, die daran immer noch festhielten, seien Psychopathen. Und da erlebten wir auf der anderen Seite unlängst, dass ausgerechnet die beiden deutschen Nobelpreisträger dieses Jahres, Ertl und Grünberg, sich öffentlich zu ihrem Glauben an Gott bekannten. So einfach, wie Herr Dawkins mit diesem Thema fertigzuwerden glaubt, geht es offensichtlich also doch nicht. Aber nun besteht das große Geheimnis des christlichen Glaubens nicht darin, dass Gott existiert. Um zu diesem Schluss zu kommen, muss man, das wage ich auch angesichts des Buches von Herrn Dawkins zu behaupten, in der Tat nur seinen Verstand etwas intensiver bemühen. Sondern das große Geheimnis des christlichen Glaubens, das wir jedes Jahr zu Weihnachten feiern, besteht darin, dass wir Gott in einem Ziegenstall finden, oder, wie es das Kirchenlied formuliert, das der Apostel Paulus hier zitiert: „Er ist offenbart im Fleisch.“
Gott ist also nicht bloß eine Idee, er lässt sich nicht bloß irgendwo überm Sternenzelt finden, sondern er will mit uns Menschen zu tun haben, gibt sich zu erkennen, ja mehr noch: Er kommt selber mitten hinein in den Gestank dieser Welt, liegt als kleines Baby in einem Futtertrog, umgeben von stinkenden Ziegen. Nein, Maria und Joseph machen in Bethlehem keine romantischen Ferien auf dem Bauernhof, die sind dort schlicht und einfach obdachlos. Und eben darum gilt das Geheimnis des Weihnachtsfestes nicht bloß denen, die heute Abend in trautem Familienkreis einen festlichen, harmonischen Abend verleben, sondern das Geheimnis des Weihnachtsfestes gilt gerade denen, denen es heute ganz ähnlich geht wie Maria und Joseph mit ihrem Kind damals, es gilt den Traurigen, den Einsamen, den Verzweifelten, denen, die überhaupt nicht wissen, wie es mit ihnen, mit ihrem Leben eigentlich weitergehen soll. Zu denen kommt Gott, erlebt am eigenen Leibe, was das heißt, traurig, einsam, arm und verzweifelt zu sein, will gerade ihnen neue Hoffnung schenken: Ihr seid bei mir nicht abgeschrieben; hier bin ich, hier bin ich da für euch, als Kind in der Krippe, als Mann am Kreuz. Denn Christus, der Gott im Ziegenstall, ist seinen Weg weitergegangen, hat es zugelassen, dass er abgelehnt, nicht ernst genommen wurde, hat es zugelassen, dass man ihn schließlich für seinen Anspruch, der wahre Gott aus dem Ziegenstall zu sein, hingerichtet hat. Doch sein Vater hat ihm Recht gegeben, hat ihn auferweckt, hat damit der ganzen Welt gezeigt: Es stimmt: Christus hatte Recht; in ihm, dem Kind im stinkenden Futtertrog, könnt ihr Gott in dieser Welt finden – und nirgends sonst. Was für ein gut getarntes Geheimnis! Wie wenig ist das heute noch bekannt! Und doch: Kann es eigentlich eine aufregendere Botschaft geben?!

II.

Und damit sind wir schon bei dem zweiten Geheimnis, dem Geheimnis, worum es eigentlich in der Kirche geht.
„Gott ja – Kirche nein!“ – So lautet ja heute ein weit verbreiteter Slogan. An einen lieben Gott da oben kann ich ja vielleicht noch glauben. Aber die Kirche – lassen Sie mich bloß mit diesem blöden Verein in Ruhe! Leute, die so über die Kirche reden, haben meistens nicht sehr viel mit ihr zu tun, haben vielleicht einmal negative Erfahrungen mit Gottes Bodenpersonal gemacht, begnügen sich vielleicht auch damit, hier und da eine reißerische Schlagzeile über Missstände in der Kirche aufzuschnappen und sich an den Verfehlungen und dem Versagen der Kirche zu weiden, die man, wenn man genauer hinschaut, natürlich reichlich entdecken kann.
All dies will ich auch gar nicht kleinreden; aber wer sich nur auf das Versagen von Menschen und Institutionen konzentriert, der hat eben noch überhaupt nichts mitbekommen von dem eigentlichen Geheimnis der Kirche. Denn in Wirklichkeit ist die Kirche der Ort, an dem jede Woche Weihnachten stattfindet. Nein, natürlich steht in der Kirche nicht das ganze Jahr über ein Tannenbaum, natürlich singen wir nicht das ganze Jahr über im Gottesdienst „O du fröhliche“. Aber das ist ja auch nicht das Entscheidende an Weihnachten. Weihnachten bedeutet ja, so macht es das Kirchenlied deutlich, das der Paulus hier zitiert, dass der Himmel auf die Erde kommt, dass Himmel und Erde miteinander verbunden, ja eins werden. Das ist damals passiert, als Gottes Sohn Mensch geworden ist, als er als kleines Baby zur Welt gekommen ist. Und genau das passiert eben auch in jedem Gottesdienst, der hier in unserer Kirche gefeiert wird. Da kommt der Himmel auf die Erde, da werden Himmel und Erde eins – nein, nicht weil wir hier im Gottesdienst so in Ekstase geraten, weil wir so von himmlischen Gefühlen überwältigt werden, sondern schlicht und einfach, weil wir hier das Heilige Abendmahl feiern. Da kommt eben derselbe Christus, der damals im Ziegenstall gelegen hat, auch jetzt hier in unseren Stall, in unsere Kirche, können wir ihn finden hier auf dem Altar. Und wenn er kommt, bringt er den ganzen Himmel mit, da feiern auch alle Engel mit, da singen sie nicht weniger kräftig als auf den Feldern von Bethlehem, nein nicht nur am 25. Dezember, sondern auch noch am 20. Sonntag nach Trinitatis.
Und das soll kein Geheimtipp bleiben, von diesem Geheimnis der Kirche sollen möglichst viele Menschen erfahren. Ja, letztlich ist die Kirche nichts anderes als eine Einrichtung zur Betreibung von organisiertem Geheimnisverrat, eine Einrichtung, die die eine Aufgabe hat, dieses eine Geheimnis immer wieder allen Menschen zu verraten, wo Gott zu finden ist, dass er zu uns gekommen ist und kommt, ja dass wir die Möglichkeit haben, schon hier und jetzt den Himmel auf Erden zu finden. Überall auf der Welt findet dieser Geheimnisverrat statt, auch wieder nicht bloß heute am Heiligen Abend, nein, so sagt es das Kirchenlied: Er, Christus, wird gepredigt den Heiden, all denen, die diese wunderbare Botschaft noch nicht kennen.

III.

Und dann spricht der Apostel Paulus hier noch von einem dritten Geheimnis, dem Geheimnis, worum es eigentlich in deinem Leben geht.
Solange du dich damit zufrieden gibst, dass du ja immerhin gebildet genug bist zu wissen, dass wir an Weihnachten den Geburtstag Jesu feiern, solange du dich damit zufrieden gibst, auch dieses Jahr wieder als Zuschauer hierher zu kommen, um dich in die rechte Weihnachtsstimmung versetzen zu lassen, so lange hast du von dem Geheimnis von Weihnachten eigentlich noch nichts verstanden. Nein, worum es zu Weihnachten eigentlich geht, das kannst du erst dann begreifen, wenn dir aufgeht, dass es dabei um dich, um dein Leben geht, wenn dir aufgeht, dass dieses Kind in der Krippe auch um deinetwillen da in diesem stinkenden Ziegenstall gelegen hat.
Dieses Kind, dessen Geburt wir morgen am Christfest feiern, das ist auch heute Abend in unserer Mitte gegenwärtig, das spricht dich heute Abend an und will nichts lieber, als dass es auch bei dir Weihnachten wird, dass er, Christus, in deinem Leben einen festen Platz bekommt und dort auch dann noch bleibt, wenn die Geschenke alle ausgepackt worden sind und der Tannenbaum von der BSR entsorgt worden ist.
Das ist also das größte Geheimnis von Weihnachten, das Geheimnis, von dem so viele Menschen auch heute Abend wieder gar nichts mitbekommen, dass es zu Weihnachten um sie geht, um dich und mich, um unser Leben, darum, dass auch wir in den Himmel kommen. In den kommen wir nämlich nicht von uns aus, nicht mit unseren guten Werken, nicht mit unserem anständigen Leben. In den kommen wir nur, wenn wir uns an dieses Kind in der Krippe halten, wenn wir ihm glauben, wenn wir in ihm den lebendigen Gott erkennen, der zu uns gekommen ist, um uns ins ewige Leben zu retten. ER, Christus, wird geglaubt in der Welt, so heißt es in dem Kirchenlied, das der Apostel Paulus hier zitiert. Ja, überall auf der Welt geht den Menschen das auf, was Weihnachten auch für sie bedeutet, dass Gott auch zu ihnen gekommen ist, um sie zu erreichen, um sie in seiner Gemeinschaft leben zu lassen.
Schwestern und Brüder, ob Angela Merkel ein großes Geheimnis hat, das kann uns piepsegal sein. Hauptsache, wir wissen um das Geheimnis von Weihnachten, Hauptsache, wir wissen, dass es zu Weihnachten um unser Leben geht, Hauptsache, wir erkennen und glauben es, dass Gottes Sohn auch für uns Mensch geworden ist und dass er auch weiter zu uns kommt und auf uns wartet, hier an seinem Altar, an jedem Sonntag neu. Nun habe ich es euch also verraten, das Geheimnis von Weihnachten, das größte Geheimnis deines und meines Lebens. Und das dürft ihr auch gerne überall weitererzählen. Amen.