23.12.2007 | Jesaja 52, 7-10 (4. Sonntag im Advent)

VIERTER SONNTAG IM ADVENT – 23. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER JESAJA 52,7-10

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt. Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, daß aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

„Ich kann das ‚O du fröhliche’ nicht mehr hören. Für mich ist die Weihnachtszeit keine fröhliche, sondern eine schreckliche Zeit“, sagte der Mann, dessen Frau vor einem Jahr gestorben war. „Wenn ich den Fernseher anmache, dann strahlt mir da auf allen Kanälen geballte gute Laune entgegen; dabei könnte ich den ganzen Tag nur heulen. Hoffentlich ist Weihnachten bald vorbei!“
Schwestern und Brüder: Ist man als Christ dazu verpflichtet, sich immer zu freuen? Das ist eine Frage, die sich so manchem gerade jetzt in diesen Wochen der Adventszeit stellt. Von überall hört man Aufforderungen, doch fröhlich zu sein in dieser wunderbaren, schönen, froh machenden Zeit, in der wir uns jetzt gerade befinden. Es gibt sicher Leute, die lassen sich von der Stimmung dieser Tage animieren, denen fällt es nicht schwer, sich zu freuen, weil es ihnen gut geht, ja auch, weil sie sich von Herzen darüber freuen können, dass ihr Herr und Heiland Jesus Christus für uns in Bethlehem als Mensch geboren worden ist. Ach, ist das nicht herrlich, dass wir übermorgen Weihnachten feiern?
Aber da gibt es die vielen anderen, sicher auch unter uns, die sich nicht auf Kommando mitfreuen können, für die im Gegenteil die Advents- und Weihnachtszeit eine besonders furchtbare Zeit ist, weil die beständigen Aufforderungen zur Freude ihrem eigenen Lebensgeschick ganz und gar zu widersprechen scheinen, weil diese Aufforderungen zur Freude sie nur umso schmerzlicher wahrnehmen lassen, dass da ein geliebter Mensch in ihrer Nähe fehlt, weil diese Aufforderungen zur Freude sie erst recht daran erinnern, wie einsam sie sind, was für Probleme sie mit ihren Kindern, mit ihrem Ehepartner, mit ihrer Familie haben, wie aussichtslos ihre Hoffnung ist, noch einmal Arbeit zu finden, ja, wie groß auch die finanziellen Sorgen sind, sodass sie einem den weihnachtlichen Jubel ganz und gar im Halse stecken lassen.
Und nun auch noch diese Predigtlesung, in der es nur so jauchzt und jubelt und frohlockt. Selbst die Trümmer Jerusalems sollen noch miteinander rühmen – so viele gute Stimmung ist doch nicht zum Aushalten!
Doch schauen wir genauer hin: Die Worte des Propheten Jesaja, die wir eben gehört haben, wurden von ihm damals auch nicht auf einer ausgelassenen Weihnachtsfeier vorgetragen und auch nicht auf einer Karnevalssitzung. Sondern diese Worte galten Menschen, denen überhaupt nicht nach Feiern zumute war, die sich selber schon aufgegeben hatten, keine Zukunftsperspektive mehr sahen dort im fernen Babylon, im Exil, in das sie vor langer Zeit verschleppt worden waren. Nein, Jesaja betätigt sich hier nicht als Stimmungskanone, nicht als Weihnachtsmann, sondern er tröstet die, zu denen er gesandt ist, tröstet sie nicht mit einigen netten Sprüchen, sondern tröstet sie eben so, wie nur Gott selber zu trösten vermag. Ja, wunderbar wird uns in den Worten unserer Predigtlesung vor Augen gestellt, wie Gott Menschen tröstet, wie er auch uns immer wieder trösten will. Auf dreifache Weise spendet Gott hier in diesen Worten Trost, einen Trost, den nur er selber spenden kann:

- Er schickt Freudenboten
- Er kommt selber
- Er gibt selbst Trümmer nicht auf.

I.

Es war der 30. September des Jahres 1989: Mehr als 4000 Menschen drängten sich seit Tagen auf dem Gelände der Deutschen Botschaft in Prag zusammen; die hygienischen Zustände waren unbeschreiblich; die Menschen saßen im Dreck; es stank wie die Pest. Doch am Abend dieses Tages trat der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher auf den Balkon der Botschaft und sprach dort den wohl berühmtesten Halbsatz der deutschen Geschichte: „Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen zu sagen, dass heute Ihre Ausreise …“. Was er danach sagen wollte, ging im Jubel der Menschenmenge unter. Ein Freudenbote war zu ihnen gekommen, und die Botschaft dieses Freudenboten war für sie purer Trost, nein, keine billige Vertröstung, sondern Trost, der sie mitten in dem Matsch, mitten zwischen den stinkenden Nachttöpfen schon jubeln ließ.
Von solchen Freudenboten weiß auch Jesaja hier zu berichten: Sie laufen über die Berge des judäischen Berglandes, um den paar Bewohnern Jerusalems, die nach der Zerstörung der Stadt dort ausgeharrt hatten, eine unfassliche Nachricht zu überbringen: Wir sind gekommen, um euch Frieden zu verkündigen, Gutes zu predigen, Heil zu verkündigen. Eine Botschaft überbringen sie, die die Lebensperspektive der Menschen dort in der Stadt radikal verändert, ihnen eine ganz neue Hoffnung zu vermitteln vermag.
So tröstet Gott also, dass er Freudenboten zu Menschen schickt, die diesen Trost dringend nötig haben, weil sie für sich keine Lebensperspektive mehr erkennen können, dass er Freudenboten schickt, die eine Botschaft übermitteln, die weder von der Stimmung der Boten noch von der Stimmung derer, denen sie diese Botschaft verkündigen, abhängt.
Und nicht anders ist das heute auch: Eigentlich mache ich hier auf der Kanzel Woche für Woche nichts anderes, als was Hans-Dietrich Genscher damals auf dem Balkon in Prag gemacht hat: Ich überbringe euch eine Botschaft, die für euch, für euer Leben von größter Bedeutung ist: Ich bin gekommen, um euch mitzuteilen, dass euch die gesamte Schuld eures Lebens vergeben ist. Ich bin gekommen, um euch mitzuteilen, dass Gott selber entschieden hat, dass ihr in alle Ewigkeit in seiner Gegenwart werdet leben dürfen. Ich bin gekommen, um euch mitzuteilen, dass Gott euch niemals fallen lassen wird, auch nicht im Dunkel des Todes. Nein, die Botschaft habe ich mir nicht selber ausgedacht, mit dieser Botschaft hat Gott selber mich losgeschickt. Und diese Botschaft hängt nicht davon ab, ob ich gerade mal in guter Stimmung bin oder nicht. Mein Auftrag besteht nicht darin, euch mit meiner guten Laune anzustecken, mit meiner vorhandenen oder auch nicht vorhandenen Fröhlichkeit. Nein, was ich euch auszurichten habe, das gilt, auch wenn ihr euch saumies fühlt, auch wenn ihr dieses Weihnachtsfest mit Tränen in den Augen feiern werdet, das gilt, ganz unabhängig von allen Gefühlen, die wir haben mögen. Und gerade so vermag diese Botschaft Trost zu spenden: Auch wenn ich mich im Augenblick vielleicht überhaupt nicht freuen kann: Gottes Versprechen gilt eben doch auch mir; er lässt mich nicht hängen in meinem Elend, in diesem Matsch, in dem ich mich gerade befinde. Der wird mich da rausholen, auch wenn ich es jetzt selber noch gar nicht begreifen kann. Denn in dem Boten spricht Gott selber zu mir; ja, in dem Freudenboten darf ich Gottes eigene Stimme hören. So tröstet Gott, so tröstet er dich und mich auch jetzt wieder in dieser Adventszeit.

II.

Gott tröstet uns nicht mit einigen gut gemeinten Worten, nicht mit einem freundlichen „Kopf hoch, wird schon wieder!“ Solch ein Trost taugt nichts, der versucht meine Gefühle zu beeinflussen, aber der ändert nichts an meiner Lage. Der Trost, den Gott spendet, der ist von ganz anderer Qualität, der verändert meine Lage ganz und gar, der hängt nicht an meinen Emotionen, sondern lässt sich in diesem Satz zusammenfassen: Gott kommt selber.
Da saßen die letzten Zurückgebliebenen in dem Ruinenhaufen von Jerusalem. Da, in der Mitte der zerstörten Stadt, konnte man noch die Umrisse des Tempels erahnen, in dem Gott selber einmal inmitten seines Volkes gewohnt hatte. Doch jetzt war der Tempel weg, ja, viel schlimmer noch: Gott selber war weg; aus der Stadt Gottes war ein Ort der Gottesferne geworden. Doch nun kommen die Freudenboten über die Berge gelaufen und verkündigen sie, die unfassliche Botschaft: Der HERR kehrt nach Zion zurück; alle Welt wird es sehen können, dass dein Gott doch der König ist, dass er eben doch die Geschicke der Welt, die Geschicke seines Volkes in seiner Hand hält. Gott kommt zurück, wohnt wieder bei seinem Volk – darin besteht das Heil, das die Boten verkündigen, das Heil, das noch viel weiter reicht als bloß die Nachricht, dass die verschleppten Juden nun endlich wieder in ihre Heimat zurückkehren durften.
Gott tröstet nicht aus der Distanz; er tröstet so, dass er selber kommt. Genau darum geht es auch hier und heute, genau darum geht es in jedem Gottesdienst. Hier im Gottesdienst reden wir nicht bloß über Gott, hier werden uns nicht bloß irgendwelche ewigen allgemeingültigen Wahrheiten fürs Poesiealbum mitgeteilt, sondern hier kommt Gott selber in unsere Mitte, lässt uns seine Gegenwart erfahren. Er lässt uns nicht bloß ausrichten, dass wir uns niemals einsam zu fühlen brauchen, sondern er verbindet sich mit uns im Heiligen Abendmahl, schafft hier eine Wirklichkeit, die bestehen bleibt, ganz gleich, wie es uns geht. Er lässt uns nicht bloß mitteilen, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, sondern gibt uns hier und jetzt Anteil am ewigen Leben durch den Leib und das Blut seines Sohnes.
Nein, Gott verlangt nicht von mir, dass ich darüber juble, dass ich deswegen gleich anfange zu jauchzen und zu frohlocken. Er ist einfach da, kommt zu mir mit all meiner Traurigkeit und bleibt, bleibt an meiner Seite, bis ich selber merke, wie tröstlich das ist, dass er da ist, dass er mich hält und trägt, dass seine Zusage gilt: Ja, dein Gott ist König. Auf einem Esel ist er damals in Jerusalem eingeritten, dieser König; und nicht weniger unscheinbar regiert er auch heute in deinem und meinem Leben. Aber er ist da, spricht auch jetzt und hier zu dir in dieser Predigt, will dir gerade so eine Advents- und Weihnachtsfreude schenken, die viel tiefer reicht, die ihren Platz hat auch neben und in all deiner Traurigkeit. So sieht er aus, der Trost, den nur Gott selber zu spenden vermag.

III.

Und noch ein Drittes ist kennzeichnend für die Art und Weise, wie Gott tröstet: Er gibt selbst Trümmer nicht auf.
„Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems“, so heißt es hier in der Botschaft Jesajas. Wie eingefallene Mauern und herumliegende Steine fröhlich sein können, geschweige denn Jubellieder anstimmen können, übersteigt, ehrlich gesagt, meine Vorstellungskraft. Etwas Toteres als einen Trümmerhaufen kann ich mir eigentlich kaum vorstellen. Doch Gott gibt auch diesen Trümmerhaufen nicht auf, will auch ihm neues Leben einhauchen, will auch diesem Trümmerhaufen Jerusalem einen neuen Anfang schenken.
Nun wollen wir hier nicht weiter darüber spekulieren, wie sich wohl ein frohlockender Steinhaufen anhören mag. Es geht hier nicht bloß um Steine. Es geht um uns. „Hat doch alles keinen Zweck“, so mögen auch wir manchmal denken, wenn wir auf unser eigenes Leben blicken. „Da lässt sich doch sowieso nichts mehr machen; da lässt sich doch sowieso nichts mehr retten.“ Doch Gott lässt sich von solchen Selbstanalysen überhaupt nicht beeindrucken. Er, der eingestürzte Mauern zum Singen bringen kann, der ist auch dazu in der Lage, uns in unserem Leben neue Anfänge, neue Hoffnung zu schenken, auch wenn das doch eigentlich völlig ausgeschlossen erscheint. Gott gibt niemanden auf, ganz gleich, in was für einer Lage er sich befindet; er gibt auch dich nie und nimmer auf. Und wenn du in deinem Leben noch so sehr versagt hast, und wenn es noch so dunkel um dich herum in deinem Leben scheint: Gott schreibt dich nicht ab. Immer wieder will er dich durch seine Boten erreichen, immer wieder will er dich hier im Heiligen Mahl in die Arme schließen, auch wenn du selber davon gar nichts merkst und spürst. Er wartet nicht darauf, dass sich deine Stimmung bessert, er ist nicht nur da für diejenigen, die jetzt zu Weihnachten lauthals ihr „O du fröhliche“ anstimmen können. Der hält bei dir aus, auch wenn du selber keinen Ton hervorbringen magst. Denn Gott vertröstet nicht; er spendet Trost, der wirklich trägt. Und gerade so will er dich das Wunder der Weihnacht ganz neu erfahren lassen: Gott kommt, kommt mitten hinein in das Dunkel dieser Welt, kommt als König in der Futterkrippe, lässt sich finden von denen, die alle schon abgeschrieben hatten, von den Hirten auf dem Felde. Ja, sie erfahren, worin die Freude der Weihnacht in Wirklichkeit besteht: Euch, euch ist heute der Heiland geboren. Und eben darum seid fröhlich, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet. Amen.