21.12.2007 | St. Johannes 20, 19-29 (Tag des Apostels St. Thomas)

TAG DES APOSTELS ST. THOMAS – 21. DEZEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER ST. JOHANNES 20,19-29

Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.
Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Es gibt immer wieder Gerüchte, wonach unverkaufte Schokoladenweihnachtsmänner gleich nach dem Heiligen Abend ausgezogen und in neuem Outfit als Osterhasen wieder in die Regale gestellt werden. Weihnachten und Ostern – Eigentlich ist es dasselbe, nur mit verschiedener Verpackung. Doch mittlerweile hat eine Fernsehdokumentation gezeigt, dass das nicht stimmt: Unverkaufte Schokoladenweihnachtsmänner mutieren nicht zu Osterhasen, sondern landen stattdessen im Gesicht von Frauen in Form von Schönheitscremes mit Kakaobeimischung.
Nun muss ich an dieser Stelle wohl nicht länger ausführen, dass es für uns Christen zu Weihnachten nicht um Weihnachtsmänner und zu Ostern nicht um Osterhasen geht. Doch wenn wir heute, drei Tage vor dem Heiligen Abend, den Tag des Apostels St. Thomas feiern, dann geht es in diesem Gottesdienst eben nun auch um genau diese Frage, wie sich eigentlich Weihnachten und Ostern zueinander verhalten – nun weniger schokoladenmäßig als vielmehr inhaltlich.
Da haben wir eben unter dem Schein dreier Adventskranzkerzen eine Ostergeschichte gehört: Der auferstandene Christus erscheint dem Thomas, der die erste Erscheinung seines Herrn verpasst und angekündigt hatte, nur dann an ihn, den auferstandenen Christus, glauben zu können, wenn der auch ihm noch einmal extra erschiene und sich dabei zugleich auch noch von ihm anfassen ließe. Ganz schön anspruchsvoll, was der Thomas hier verlangt, möchte man meinen. Doch dann geschieht das Erstaunliche: Eine Woche später, am Sonntag nach Ostern, erscheint der auferstandene Herr tatsächlich dem Thomas, und damit nicht genug: Er bietet ihm an, ihn anpacken zu dürfen, ihn berühren zu dürfen, sich mit dem Tastsinn davon zu überzeugen, dass er es tatsächlich ist: Er, der gekreuzigte und auferstandene Herr, keine Einbildung, kein Gespenst, sondern er, der Mensch gewordene Gottessohn. Und Thomas, der nimmt das Angebot an, überzeugt sich persönlich davon, dass es tatsächlich stimmt, was er nicht glauben konnte und wollte, dass er es wirklich ist, Christus, sein Herr, derselbe, der kurz zuvor doch noch am Kreuz gehangen hatte. Und als er sich davon überzeugt hat, da bleibt er allerdings nun nicht mehr freundlich-distanziert; da sinkt er anbetend Jesus zu Füßen: „Mein Herr und mein Gott“. Und Jesus – der bläst dem Thomas hier nicht den Marsch, dass er da solch eine unverschämte Bedingung gestellt hat, dass er darauf bestanden hat, ihn, Christus, anpacken zu dürfen. Nein, kein Wort der Kritik, nur die Feststellung: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du.“ Ja, Thomas durfte ihn sehen und anpacken. Doch damit nimmt er natürlich eine ganz besondere, ja, einmalige Position ein: Gemeinsam mit den anderen Aposteln ist er Augen- und Ohrenzeuge, ja Tastzeuge des Auferstandenen. Doch all diejenigen, die nach ihm, nach ihnen kommen werden, die werden ihren Glauben nicht mehr auf das gründen können, was sie sehen und ertasten; die werden sich mit ihrem Glauben allein auf das Zeugnis der ersten Apostel beziehen können, auf das, was Thomas und die anderen an diesem Osterabend und in der Zeit danach mit Jesus erlebt und erfahren haben. Nein, diejenigen, die nach Thomas und den Aposteln kommen, haben nicht einfach Pech gehabt. Im Gegenteil: Jesus preist gerade auch sie selig: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Ja, gerade dazu lässt Jesus sich von dem Thomas anpacken, damit die, die nach ihm kommen, auf diese Weise selig werden können, dass sie auf das Zeugnis der Apostel hören.
Eine Ostergeschichte ist das, was wir gerade gehört haben – und doch zugleich auch eine Geschichte, die wie ein Eingangsportal zur Feier des Christfestes heute an diesem Aposteltag passt: Ja, nur von dieser Ostergeschichte her können wir eigentlich recht verstehen, was wir nun wieder zu Weihnachten feiern werden:
Es geht zu Weihnachten eben nicht bloß ums Babygucken bei Kerzenschein. Nein, wir haben nichts von Weihnachten verstanden, wenn wir uns nicht immer zugleich auch vor Augen halten, dass dieses Kind in der Krippe dort seinen Weg beginnt, der ihn schließlich ans Kreuz und durch das Grab hindurch zur Auferstehung führt. Weihnachten ohne Karfreitag und Ostern ist ein bisschen nette Folklore, ein bisschen Kitsch, mehr nicht. Das Kind in der Krippe wird sich äußerlich verändern, wird größer werden, wird einige Jahre darauf tiefe Wunden in seinen Händen und Füßen tragen, Wunden, die dieses Kind auch noch nach seiner Auferstehung zeichnen und erkennbar machen werden. Aber eines bleibt eben doch die ganze Zeit gleich: In diesem Kind, in diesem Gekreuzigten, in diesem Auferstandenen kommt Gott selber leibhaftig zu den Menschen, lässt sich Gott selber von uns Menschen anpacken. Das Wort wird Fleisch – die Botschaft der Heiligen Nacht hält sich durch bis zur Begegnung des heiligen Thomas mit seinem auferstandenen Herrn. Der christliche Glaube ist keine Idee, keine blutleere Theorie, kein Gedankenkonstrukt. Sondern er bezieht sich auf das größte Ereignis der Weltgeschichte überhaupt: Darauf, dass der allmächtige Gott ganz einer von uns wird, ein Mensch aus Fleisch und Blut, einer, der als Baby in die Windeln macht, der am Kreuz vor Schmerzen schreit und der nach seiner Auferstehung gebratenen Fisch zu sich nehmen und sich betasten lassen kann. Ganz und gar Mensch ist er, und zugleich tun diejenigen doch recht daran, die vor dem Kind in der Krippe, vor dem Wanderprediger in Galiläa, vor dem Auferstandenen niederfallen und ihn anbeten, wie Thomas es hier tut: „Mein Herr und mein Gott!“ Ja, Schwestern und Brüder, ich hoffe, ihr kennt diese Geschichte gut, wenn bei euch mal wieder jemand ankommt und behauptet, er habe ja im Roman „Sakrileg“ gelesen, Jesus sei ja in Wirklichkeit nur ein ganz normaler Mensch gewesen und erst im vierten Jahrhundert von Kaiser Konstantin zum Gott erhoben worden. Schau ihn dir an, den Thomas, wie er da Christus anbetet mit Worten, die klarer und deutlicher ja wohl nicht sein können: „Mein Herr und mein Gott!“
„Mein Herr und mein Gott!“ – Darum dass du genau dies erkennst und bekennst, geht es nun auch zu Weihnachten. Nicht um ein sozialromantisches Drama, nicht nur um das süße Jesulein, sondern darum, dass auch du vor diesem Kind in der Krippe auf die Knie fällst und das Bekenntnis des Thomas nachsprichst: Du, neugeborener Säugling, du bist mein Herr und mein Gott. Gewiss, du kannst ihn nicht selber sehen, aber du hast den Thomas, dessen Worte du eben gehört hast, der dir mit seinen Worten, mit seinem Zeugnis helfen will, an dieses Kind zu glauben, wie auch er es getan hat. Ja, Thomas will auch dich dorthin führen, wo du ihm, dem leibhaftigen Gott, selber begegnen kannst, dort, wo Ostern und Weihnachten immer wieder eins werden: hier am Altar. Da darfst du in der Tat auf die Knie sinken mit deinem Leib, wenn es dir denn körperlich noch möglich ist, darfst du mit deinem Leib auf die Knie sinken und den anbeten, der auch heute Abend leibhaftig zu dir kommen will: ihn, das Kind in der Krippe, ihn, den leibhaft auferstandenen Herrn. Nur weil er damals in der Krippe in Bethlehem lag, kann er heute Abend mit seinem Leib und Blut zu dir kommen; nur weil er damals nicht im Grabe geblieben, sondern leiblich auferstanden ist, kannst und darfst du ihn heute Abend mit deinem Mund berühren und empfangen. Ja, sehen kannst du zunächst einmal nur die Hostie und den Wein; doch Thomas will dir helfen, tiefer und weiter zu blicken, dass du in diesem Brot und in diesem Kelch ihn selber entdeckst, dass Brot und Wein für dich die Windeln sind, an denen du ihn, deinen Herrn, das fleischgewordene Wort, erkennen kannst. Gewiss, für uns gilt, was Jesus damals dem Thomas gesagt hat: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Doch wem Thomas mit seinem Zeugnis die Augen geöffnet hat, der kann dann auch zugleich mit einstimmen in das Präfationsgebet des Christfestes: „Sichtbar schauen wir Gott, der in uns die Liebe zu den unsichtbaren Gütern entzündet.“ „Sichtbar schauen wir Gott“ – was Thomas am Sonntag noch Ostern erlebte, das soll für uns auch zu Weihnachten Wirklichkeit werden, ja, das dürfen wir immer wieder erfahren, wenn Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen – in jeder Feier des Heiligen Sakraments. Amen.