09.09.2007 | 1. Mose 28, 10-19a (14. Sonntag nach Trinitatis)

14. SONNTAG NACH TRINITATIS – 9. SEPTEMBER 2007 – PREDIGT ÜBER 1. MOSE 28,10-19a

Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wußte es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goß öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel;

„Wir haben was gegen Religion!“ – So steht es groß auf dem Plakat, das bei uns im Kirchenvorraum hängt. „Wir haben was gegen Religion!“ – So lautet der Titel einer missionarischen Veranstaltung, mit der unsere lutherische Schwestergemeinde in der Annenstraße am Freitag ihre Feierlichkeiten zum 150. Kirchweihjubiläum eingeleitet hat. „Wir haben was gegen Religion!“ – Nein, das ist wohlgemerkt kein Einwand gegen die Kirche, den die Veranstalter dieses Vortragsabends zu widerlegen versuchten, sodass die Besucher nach diesem Abend dann hoffentlich mit der Einsicht nach Hause gegangen sind: Jetzt sind wir doch nicht mehr gegen Religion, sondern für Religion. Das ist ja doch ganz nett da.
Nein: „Wir haben was gegen Religion!“ – Genau das ist die Botschaft, die wir als christliche Kirche zu verkündigen haben. Religion – das sind kluge Gedanken, die Menschen sich über Gott, über das höchste Wesen gemacht haben. Religion – das ist das Bemühen der Menschen, sich diesem höchsten Wesen auf verschiedenste Weise zu nähern, es gnädig zu stimmen, so zu leben, dass man damit rechnen kann, am Ende von diesem höchsten Wesen belohnt zu werden. Religion – das ist das Gefühl, dass es da oben doch irgendwas geben muss, auch wenn die Menschen sich das jeweils ganz unterschiedlich vorstellen mögen. Religion – das ist ein nettes Angebot für den Menschen, das er gerade in Krisenzeiten gut brauchen kann. Religion – ja, die ist heute durchaus wieder in, präsentiert sich in buntem Gewand, als ein vielfältiges Angebot, aus dem man auswählen und sich seine ganz persönliche Religion zusammenstellen kann.
Doch um all dies geht es hier in der Kirche gerade nicht: nicht darum, dass wir uns Gedanken über Gott machen, nicht darum, dass wir es mal ausprobieren, mit Gott zu leben, nicht um ein schönes Gefühl der Nähe Gottes. Sondern in der Kirche geht es um nicht weniger als um die Begegnung mit dem lebendigen Gott, und diese Begegnung mit dem lebendigen Gott bedeutet schlicht und einfach das Ende aller Religion. Genau diese Erfahrung macht auch der Jakob in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Sonntags. Ob der Jakob sehr religiös war, das wissen wir nicht. Das ist auch egal. Aber selbst wenn er es war, dann wird ihm nach dem, was er hier erlebt, alle Religion vergangen sein. Zweierlei ist ihm nach dieser denkwürdigen Nacht, von der hier berichtet wird, ganz klar:

- Gott ist hinter mir her.
- Gott begegnet mir an einem konkreten Ort.

I.

Jakob ist auf der Flucht. Seinen Bruder Esau hatte er auf ziemlich miese Weise betrogen, hatte sich mit einer Lüge den Segen seines Vaters Isaak erschlichen. Doch der Preis, den er dafür zahlen muss, ist hoch: Er muss sich auf die Flucht begeben, weil er befürchten muss, von seinem Bruder Esau umgebracht zu werden. Alles hat er, Jakob, zurückgelassen: seine Familie, seine Heimat, seinen Besitz – und auch den Gott, an den er glaubte, so denkt er wahrscheinlich. Dieser Gott gehörte zu einem bestimmten Abschnitt seines Lebens, der nun vorbei ist. Nun muss er allein klarkommen. Nach Haran will er fliehen, in die Stadt ganz im Norden, aus der sein Opa Abraham und seine Mutter Rebekka stammten, 700 Kilometer von Beerscheba entfernt, von wo er geflohen war. 700 Kilometer – das schafft man nicht an einem Tag zu Fuß, und so befindet er sich gerade mitten in der Einöde, als die Sonne untergeht. Eine Taschenlampe hat er nicht mit, und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich einfach dort, wo er gerade ist, hinzupacken, ganz allein in der Wildnis. Einen Stein legt er sich noch als Schutz hinter seinen Kopf. Dann schläft er ein. Und kaum ist er eingeschlafen, da merkt er, dass er eben doch nicht ganz allein ist. Gott ist ihm auf den Fersen, ist nicht dort in Beerscheba zurückgeblieben, dort in seiner vertrauten Umgebung. Gott ist hinter ihm her. Nein, das ist für Jakob zunächst einmal gar keine nette und schöne Erfahrung. Er erschrickt und fürchtet sich, dass er diesen Gott nicht einfach so abschütteln kann, wie er sich dies gedacht hatte. Doch dann hört er eine Zusage, mit der er nach dem, was er gerade angestellt hatte, nun überhaupt nicht mehr rechnen konnte: Gott verspricht ihm, das Land, auf dem er gerade liegt, ihm und seinen Nachkommen zu geben, verspricht ihm, dem bereits über vierzigjährigen Junggesellen, eine Nachkommenschaft, so zahlreich wie der Staub auf Erden, ja verspricht ihm auch, ihn auf allen Wegen zu begleiten, die jetzt vor ihm liegen. Die menschlichen Schweinereien, die Jakob begangen hat, heben Gottes Zusage nicht auf; Gott bleibt auch dem Betrüger und Flüchtling treu, gibt ihn nicht auf, bleibt hinter ihm her.
Ja, wir haben was gegen Religion. Eine Religion kann ich praktizieren, wie ich mir das vorstelle und wünsche. Und wenn ich keine Lust und kein Interesse an ihr habe, dann kann ich sie eben aufgeben, zurücklassen als eine Episode in meinem Leben, die irgendwann mal vorbei ist, weil ich jetzt was Wichtigeres in meinem Leben zu tun habe oder weil ich irgendwo ahne, dass ich mit dem, was da in meinem Leben gelaufen ist, vor einem Gott, wenn es ihn denn gibt, doch nicht bestehen könnte.
Doch hier geht es nicht um Religion. Hier geht es um den lebendigen Gott. Und den kannst du eben nicht in deinem Leben hinter dir zurücklassen, wie du willst. Den kannst du nicht in die Ecke packen wie deine Konfirmationsurkunde und ihn in deinem Leben abhaken. Den kannst du nicht irgendwo in deiner Vergangenheit parken als eine nette Erinnerung. Nein, er, der lebendige Gott, der bleibt dir auf den Fersen, der kommt hinter dir her, der gibt dich nicht auf, der lässt sich von dir nicht abwimmeln, nicht mit blöden und nicht mit intelligenten Ausreden. Du kannst dich flüchten in deine Arbeit, du kannst dich flüchten in deine Hobbys, in all das, was dir gerade Spaß macht, du kannst dich flüchten in dein beschauliches Familienleben, du kannst dich flüchten in Alkohol oder andere Drogen – was du auch versuchen magst: Du wirst Gott nicht los. Er bleibt an dir dran, und wenn du meinst, du hättest es doch geschafft, ihn abzuhängen, wirst du am Ende feststellen, dass er dir doch von vorne entgegengekommen ist und du ihm am Ende eben doch nicht ausweichen konntest.
Nein, du wirst Gott nicht los. Immer wieder will er dir begegnen in deinem Leben, auch und gerade da, wo du gar nicht mit ihm rechnest. Dem Jakob ist Gott damals begegnet, als der ganz unten war: auf der Flucht, allein und verlassen. Ja, das ist eine Erfahrung, die schon so mancher Mensch hat machen müssen: Ganz unten musste er erst mal ankommen in seinem Leben, bis er seine Flucht, ja auch seine Flucht vor Gott schließlich abblies, sich von dem Gott packen ließ, von dem er doch nichts mehr wissen wollte. Ja, Gott hat da manchmal einen ganz langen Atem. Aber er wartet nicht immer, bis wir unten sind, kann auch auf ganz anderen Wegen Menschen begegnen, ihnen die Augen öffnen für die Wirklichkeit ihres Lebens. Das muss erst mal gar nicht schön und nett sein, das kann im Gegenteil ganz schön wehtun, wenn wir in der Begegnung mit Gott erst so richtig erkennen, wer wir eigentlich sind. Aber Gott will uns dann doch vor allem seine große Verheißung, sein Versprechen vernehmen lassen: „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.“ Dahin will Gott uns bringen, dass wir es nicht mehr als Bedrohung wahrnehmen, dass er hinter uns her ist, sondern als das größte Glück unseres Lebens: „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.“ Ich bleibe dir auf den Fersen, nicht, um dich fertigzumachen, sondern um mein Versprechen an dir endgültig einzulösen, mein Versprechen, das ich dir ganz konkret in deiner Taufe gegeben habe. So redet er, der lebendige Gott, so spricht er in dein Leben hinein. Nein, hier geht es nicht darum, wie du dir Gott vorstellst. Sondern Gott stellt sich dir vor, gibt sich dir zu erkennen, will in dir nicht bloß ein schönes Gefühl hervorrufen, sondern ein begründetes Vertrauen, ein Vertrauen, das darauf beruht, dass er, der lebendige Gott, auch in dein Leben eingegriffen hat und es auch weiter tun will. Ja, „ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“ Das ist die Basis, auf der dein Leben stehen darf; das ist keine religiöse Idee, sondern Wort des lebendigen Gottes, des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs und damit auch deines Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Ja, genau so sieht deine Zukunft aus: „Ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“ Wenn wir dieses Versprechen haben, dann können wir tatsächlich alle Religion in der Pfeife rauchen!

II.

Nun kann man diese Worte, die Jakob damals in jener Nacht vernahm, jedoch auch leicht missverstehen: Wenn Gott immer bei mir ist, wenn er mich auf allen Wegen begleitet und behütet – wozu brauche ich dann eigentlich noch so etwas wie Kirche, so etwas wie den Gottesdienst? Ich weiß: Gott ist immer da; darüber muss ich mich doch nicht extra noch mal in der Kirche informieren lassen! Nun ja, wenn ich mal wieder ein Bedürfnis verspüre, zum Gottesdienst zu gehen, dann komme ich ja auch. Aber ansonsten brauche ich das doch eigentlich gar nicht. Ja, genauso machen wir aus dem Wort des lebendigen Gottes doch wieder ein Stück Religion, ein Mittel zur Befriedigung unserer Wünsche und Vorstellungen.
Jakob selber sieht das jedoch anders: Er zieht am nächsten Morgen nicht einfach fröhlich los in dem Wissen, dass Gott ja versprochen hat, immer bei ihm zu sein. Sondern er wacht auf mit schlotternden Knien: Fürwahr, der Herr ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Ja, so erkennt Jakob: Derselbe Gott, der mir verspricht, mich auf allen meinen Wegen zu behüten, begegnet mir doch an einem konkret fassbaren Ort, lässt eine irdische Stätte zu einer Pforte des Himmels werden. Gott geht immer mit und lässt sich zugleich doch konkret an heiliger Stätte finden – genau diese Spannung zieht sich durch die ganze weitere Geschichte des Volkes Israel hindurch, dass man beides nicht gegeneinander ausspielen darf: Die Zusage der Begleitung Gottes macht die heilige Stätte nicht überflüssig, und die Gegenwart Gottes an heiliger Stätte bedeutet umgekehrt auch nicht, dass Gott außerhalb dieser Stätte nichts zu sagen und nichts auszurichten hätte.
Schauen wir uns noch einmal genauer an, was Jakob dort in Bethel eigentlich wahrnehmen darf: Er sieht eine Rampe, nicht nur eine Leiter, wie Martin Luther dies etwas verniedlichend übersetzt. Eine Rampe sieht er, ganz ähnlich wie der Turm, den die Leute damals in Babel gebaut hatten, damit er an den Himmel reiche. Diese Rampe, dieser Turm, den Jakob hier sieht, er reicht nun in der Tat bis in den Himmel, sodass die Engel Gottes daran auf und nieder steigen können. Doch diese Rampe haben eben nicht Menschen errichtet, sondern es ist Gott, der diese Rampe vom Himmel bis zur Erde erstehen lässt. Was die Menschen damals in Babel machten, das war Religion: der Versuch, mit menschlicher Anstrengung an Gott heranzukommen, ihn zu erreichen. Was Jakob hier sieht, ist das genaue Gegenteil von Religion: Nicht der Mensch, sondern der lebendige Gott schafft die Verbindung zwischen Himmel und Erde, macht einen Ort auf der Erde zur Pforte des Himmels.
Pforte des Himmels, Himmelstür – die Worte klingen so hübsch, so nett. Jakob empfand das damals ganz anders: „Wie schauerlich ist diese Stätte!“ – So entfährt es ihm am nächsten Morgen. Wo ein Mensch dem lebendigen Gott begegnet, seine Gegenwart erfährt, da ist dies niemals nett, niemals bloß interessant. Da kann man eigentlich nur noch mit Jesaja schreien: „Weh mir, ich vergehe!“ Ja, wem das einmal in seinem Leben aufgegangen ist, dass er dem lebendigen Gott begegnet ist, dessen Leben kann und wird nie mehr so bleiben, wie es vorher war. Und so richtet Jakob hier einen Gedenkstein auf, markiert den Ort, an dem er nicht bloß eine bestimmte Erfahrung gemacht hat, sondern den Ort, an dem Gott selber Wohnung genommen hat: Dies ist nichts anderes als Gottes Haus, auf Hebräisch: Beth-el.
Wenn man auf das Portal römisch-katholischer Kirchen blickt, dann findet man daran häufig an einer Stelle eben diese Inschrift auf Deutsch oder Latein: Haus Gottes und Pforte des Himmels. Und diese Inschrift steht dort mit Recht. Gott, der uns versprochen hat, immer bei uns, immer hinter uns her zu sein, begegnet uns an ganz konkreten Orten, lässt sie zum Beth-el, zum Haus Gottes werden. Die Himmelsleiter, ja, die Himmelsrampe, sie findet ihren Endpunkt auf Erden genau auf den Steinmalen, die wir in unseren Kirchen stehen haben, in unseren lutherischen Kirchen nicht weniger als in den römisch-katholischen Kirchen, auf den Steinmalen, die wir Altar nennen. Genau da, ganz konkret, ist der Ort, wo Himmel und Erde eins werden. Denn wer diese Himmelsleiter, diese Himmelsrampe in Wirklichkeit ist, das hat Christus selber im Neuen Testament ganz unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen auf dem Menschensohn.“ Er, Christus, ist die Brücke zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch, wo er ist, da ist die Pforte des Himmels, da kommen wir an Gott heran, nicht weil wir zu Gott aufsteigen, sondern weil er für uns greifbar, fühlbar wird, sich von uns essen und trinken lässt im Heiligen Sakrament.
Wie schauerlich ist diese Stätte! – Ach, Schwestern und Brüder, wenn wir es doch nur ahnen würden, was hier passiert, wenn sich im Sakrament der Himmel öffnet und der Heilige Gott selbst uns begegnet! Wenn wir es doch nur ahnen würden, was hier geschieht! Dann würden wir überhaupt nicht mehr auf die Idee kommen, uns jemals während der Austeilung des Heiligen Mahles noch in der Kirchenbank unterhalten zu wollen, als ginge uns das, was da vorne geschieht, im Augenblick ja noch gar nichts an, ja, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass wir einfach mal kurz hier nach vorne kommen können, um anschließend weitermachen zu können wie bisher, als sei es ja ganz normal, dass der Herr des Weltalls in unserem Leib Wohnung nimmt! Ach, wenn uns das doch nur aufginge, was hier eigentlich geschieht! Dann würden wir stattdessen nur noch mit Jakob ausrufen können: „Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht!“ Gewiss, wir sollen, wir dürfen zum Sakrament kommen, ein jedes Mal, wenn Christus uns ruft: Kommt, denn ist es alles bereit! Doch mögen wir wenigstens ein Gespür dafür behalten, dass es eigentlich angemessen wäre, dass wir auf Knien hier nach vorne gerutscht kommen, dem entgegen, vor dessen Heiligkeit wir doch eigentlich vergehen müssten! Genau so werden wir das Sakrament zum Segen empfangen, wenn wir wissen, wie unwürdig wir sind, wenn wir darüber staunen können, wie das möglich ist, dass er, der lebendige Herr, uns nicht verstößt, sondern in uns, ausgerechnet in uns Wohnung nimmt, die wir es überhaupt nicht verdient haben.
Nein, wir stellen uns hier nicht bloß etwas vor, wir spielen hier nicht bloß etwas. Hier ist heiliges Land. Und was wir hier erfahren und empfangen, das lässt sich eben nicht ersetzen durch das Wissen darum, dass Gott uns ja überall begleiten will. Ja, das will er tun, aber er will es so tun, dass wir ihm hier immer wieder begegnen, ihn hier empfangen, hier selber immer wieder zu einem Beth-el, zu einer Wohnstatt Gottes werden, ihn gerade so in uns tragen auch in der Woche, die vor uns liegt. Und genau daran sollen uns eben auch die Kirchgebäude überall im Land erinnern: Sie sind eben nicht bloß Versammlungsräume, in denen Menschen ihre religiösen Gefühle kultivieren, sondern Orte, an denen alle menschliche Religion ihr Ende findet – dort, wo der lebendige Gott in unsere Mitte tritt. Darum steht der Altar in der Mitte der Kirche, predigt stumm auf seine Weise: „Wir haben was gegen Religion!“ Hier geht es nicht um unsere Gedanken, nicht um unsere Wünsche und Gefühle. Hier steht ein Grenzstein auf der Grenze zu einer anderen Realität, die uns gerade nicht verfügbar ist und uns doch so konkret erreicht, so konkret, dass wir nur stammelnd bekennen können: „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels!“ Amen.