13.07.2014 | Römer 12,17-21 | 4. Sonntag nach Trinitatis
Pfr. Dr. Gottfried Martens

Da kann einen nur noch die kalte Wut packen: Da werden in Nigeria 200 zumeist christliche Schülerinnen von radikalen Islamisten entführt und bald darauf in Schleier verhüllt vor einer Kamera präsentiert mit der Behauptung, sie seien nun alle zum Islam übergetreten. Da ziehen die ISIS-Milizen in Syrien und im Irak mordend durchs Land, vergewaltigen christliche Frauen, kreuzigen christliche Jugendliche und brüsten sich noch mit ihren Gräueltaten. Ja, soll man denn einfach zugucken, was da geschieht?


Da kann einen nur noch die kalte Wut packen, wenn ich aus Berichten und Erzählungen von Gliedern unserer Gemeinde höre, wie sie in ihrer Heimat bedroht, misshandelt, gefoltert worden sind, was sie alles im Gefängnis in ihrer Heimat, aber eben auch hier in Europa erlebt haben. Soll man das als Christ einfach mal so wegstecken?

Da kann einen nur noch die kalte Wut packen, wenn man erleben muss, zu was für Gemeinheiten Menschen in der Lage sind, beispielsweise in einer Ehe, in einer Beziehung, nein, nicht bloß im Iran oder in Afghanistan, sondern auch hier in Deutschland. Ja, da kann einen nur noch die kalte Wut packen, wenn man erleben muss, wozu auch scheinbar fromme Christen in der Lage sind, ja, auch in einer christlichen Gemeinde. Ja, ich sage ganz offen: Mir selber ist solche kalte Wut nicht ganz unbekannt – und ich vermute mal: Da geht es mir nicht anders als den allermeisten von euch, gerade und erst recht denjenigen, die das Böse in ihrem eigenen Leben noch in ganz anderer Form kennengelernt und erlebt haben, als dies etwa bei mir selber der Fall ist.

Ja, wie gehen wir mit diesem Bösen und mit unserer Wut über dieses Böse um? Das ist eine Frage, die nicht bloß uns heute betrifft und umtreibt – genau mit dieser Frage hatten sich auch schon damals die Christen in Rom auseinanderzusetzen, in einer Umgebung, in der die feindliche Stimmung gegen die Christen allmählich immer greifbarer wurde: eine Stimmung, die sich dann wenige Jahre später in den Exzessen während der ersten großen Christenverfolgung unter Kaiser Nero in Rom entlud.

Der Apostel Paulus gibt hier in unserer Predigtlesung drei Antworten auf diese Frage, die auch für uns heute immer noch ganz aktuell sind:
-    Überlasst Gott die Rache!
-    Lasst euch nicht böse machen!
-    Helft eurem Feind auf den Weg zum Leben!

I.
Um eines hier gleich klarzustellen: Der Apostel Paulus sagt hier nicht, dass ein richtiger Christ keine Wut über das Böse, keine Rachegefühle kennt. Wo Böses unser Gerechtigkeitsempfinden verletzt oder gar noch Schlimmeres in unserem Leben anrichtet, da ist es zunächst einmal völlig normal, dass dies bei uns Reaktionen hervorruft – Wünsche danach, dass dieses Böse besiegt und beseitigt werden möge, Wünsche danach, dass Gerechtigkeit wiederhergestellt und geschaffen werden möge. Das ist nicht nur verständlich, sondern auch richtig. Doch wichtig ist nun, wie wir als Christen mit unserer Wut über das Böse, wie wir auch mit möglichen Rachegelüsten umgehen. Und da gilt zunächst einmal und vor allem: Überlasst Gott, was allein seine Aufgabe ist! Rächt euch nicht selber, glaubt nicht, ihr wärt in der Position, in der ihr dadurch Gerechtigkeit herstellen könntet, dass ihr die anderen deutlich spüren lasst, was sie mit ihrem bösen Verhalten angerichtet haben! Das kann nur Gott allein, und das soll er allein darum auch tun.

Nicht um Schadenfreude geht es also dem Apostel, dass wir uns schon mal vor Augen ausmalen, wie Menschen, die uns Böses angetan haben, irgendwann mal in der Hölle brutzeln werden, und uns innerlich schon einmal am künftigen Anblick der Gesichter derer weiden, die jetzt hier noch uns gegenüber obenauf erscheinen. Sondern es geht dem Apostel darum, dass wir einüben, in solchen Situationen konsequent abzugeben, nicht selber Richter, nicht selber Gott zu spielen. Das setzt natürlich voraus, dass wir selber ernst nehmen, was wir als Christen bekennen, dass Gott tatsächlich die ganze Welt richten wird, alle Menschen zur Verantwortung ziehen wird für das, was sie gesagt und getan haben, womit sie anderen Menschen Schaden zugefügt haben. Eigene Rache ist von daher in der Tat Ausdruck des Unglaubens, eines Fehlens an Vertrauen darauf, dass Gott tun wird, was er selber angekündigt und versprochen hat. Und so kann und soll uns jede Verletzung, die wir von anderen erfahren, jedes Unrecht, das uns zugefügt wird, immer wieder neu eine Übung im Glauben sein, dass wir immer wieder neu lernen, darauf zu vertrauen, dass Gott das Recht schaffen wird, das wir selber eben nicht zu schaffen vermögen – erst recht nicht dadurch, dass wir an anderen Rache üben.

II.
Und damit sind wir schon beim Zweiten, was der Apostel Paulus den Christen in Rom, was er auch uns ans Herz legt: Lasst euch nicht böse machen!

Das ist ja das Gefährliche an dem Bösen, von dem wir betroffen werden, dass es uns nicht nur verletzt und wehtut, sondern dass es uns verändert, dass es uns so verändert, dass wir selber so werden wie das, was uns da begegnet. Und gerade so erreicht das Böse sein Ziel bei uns – nicht schon dadurch, dass es uns Schmerzen, Ärger, Wut empfinden lässt, sondern dadurch, dass es uns veranlasst, selber böse zu werden, selber Böses zu tun. Und dabei hat es ja leichtes Spiel, denn dieses Böse steckt ja schon selber in uns drin, wartet nur darauf, durch irgendetwas angestachelt, aktiviert zu werden. Und schon legt es los. Wir mögen doch denken, dass wir dem Bösen Paroli bieten, ja, das Böse besiegen, wenn wir auf das Böse selber mit Bösem antworten, wenn wir dem anderen genauso begegnen, wie der uns begegnet: „Wenn der mir blöde kommt, dann komme ich ihm auch blöde! Der hat doch angefangen, hat das doch schon vor mir so gemacht!“ Und wir merken gar nicht, wie wir gerade darin vom Bösen besiegt werden, dass es uns genau das tun lässt, was es immer will, nämlich selber Böses.

Eine ungewöhnliche Gegenstrategie gegen das Böse zeigt uns der Apostel Paulus hier. Sie besteht aus zwei Schritten: Zum einen sollen wir darauf bedacht sein, uns im Umgang mit anderen niemals selber ins Unrecht zu setzen. Kein Böses rechtfertigt es, dass wir selber Unrecht tun – im Gegenteil: Wir müssen immer damit rechnen, dass wir dann nur auf das angesprochen werden, was wir gesagt oder getan haben, nicht auf das, was andere zuvor gesagt oder getan haben mögen. Gut ist es, wenn wir da keine Angriffsflächen bieten, wenn wir gerade als Christen keine Angriffsflächen bieten, die andere dazu veranlassen, unser Verhalten und unser Christsein gegeneinander auszuspielen. Und dann geht Paulus noch einen Schritt weiter: Wenn wir dadurch, dass wir Böses mit Bösem beantworten, gegen das Böse nur verlieren können, haben wir eigentlich nur eine Chance: Dass wir auf das Böse mit Gutem reagieren. Damit erzielen wir bei denen, die uns Böses wollen, nicht nur in vielen Fällen einen Überraschungseffekt, der sie zutiefst durcheinanderbringt, weil das in ihrer Logik von Schlag und Gegenschlag und Gegengegenschlag nicht vorgesehen ist, sondern wir überwinden sie damit letztlich, denn wenn wir auf Böses nicht böse reagieren, haben sie keine Chance, uns zu vereinnahmen und damit letztlich unter ihre Kontrolle zu bringen.

Ja, ich weiß, das klingt so schön und sogleich doch so realitätsfern. Man muss sich ja wohl wehren dürfen – sonst können die anderen doch alles mit einem machen! Doch es geht hier nicht darum, ob man sich wehren darf und soll. Es geht darum, ob wir darin böse werden und selber Böses tun. Und wer sich der Logik der Vergeltung entzieht, der erweist sich darin gerade nicht als schwach, sondern als stark, lässt das Böse gerade ins Leere laufen. Ja, das einzuüben fällt schwer. Aber es ist doch ein Weg, der gegangen werden kann, der erfolgreich gegangen werden kann, so hat es uns Christus selber gezeigt: Er, der selber nicht Böses mit Bösem vergolten hat und gerade so das Böse besiegt hat durch seinen Tod am Kreuz. Er stärkt uns den Rücken, hilft uns, nicht selber durch das Böse böse zu werden.

III.
Und damit sind wir schon bei dem Dritten, was uns St. Paulus hier vor Augen stellt: Helft eurem Feind auf den Weg zum Leben!

Wenn wir von Bösem getroffen werden, dann nehmen wir uns zunächst einmal verständlicherweise als Opfer wahr, besiegt von einer Übermacht, gegen die wir keine Chance haben. Doch der Apostel Paulus leitet uns dazu an, diejenigen, die uns Böses zufügen, noch einmal mit anderen Augen zu sehen: Dass sie Böses tun, ist in aller Regel Ausdruck ihrer Bedürftigkeit, ja, Ausdruck von Schwäche. Böses ist nur scheinbar stark, es ist in Wirklichkeit jämmerlich, erst recht ohne Zukunftsperspektive. Und dazu kommt natürlich ein anderes: Wer Böses tut, verrennt sich damit in seinem Leben, steht damit in der Gefahr, vom Weg zum Leben abzukommen, oder befindet sich längst auf einem Weg, der gerade nicht zum Leben, sondern in den Tod, in den ewigen Tod führt. Und eben dies wünschen wir als Christen keinem Menschen, wollen doch nichts lieber, als was Gott selber auch will, dass nämlich alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, und wenn es in der Bibel heißt „alle Menschen“, dann ist damit nicht bloß ein Freundeskreis von uns sympathischen Menschen gemeint.

Nehmen wir also gerade auch die Menschen, die uns Böses antun, als Aufgabe wahr, als Aufgabe, die Gott selber uns stellt, auch diese Menschen für ihn, für seine Liebe zu gewinnen! Stellen wir ihre Defizite, ihre Schwachpunkte nicht bloß, sondern helfen wir ihnen gerade da, wo sie schwach sind! Ja, begegnen wir ihnen so mit Liebe, dass sie durch diese Liebe aufmerksam werden für den, der die Liebe in Person ist, helfen wir ihnen damit, umzukehren und den Weg zum Leben zu gehen. „Kohlen auf dem Haupte eines Menschen zu sammeln“ heißt eben gerade nicht, ihn zu blamieren. Sondern das war ein antiker Bußritus, dass Menschen eine Schale mit glühenden Kohlen auf ihrem Kopf trugen, um damit ihre Schuld zu bekennen. Ja, genau dahin wollen wir mit Menschen führen, dass sie zu Gott umkehren und gerade so seine Vergebung und in der Vergebung das ewige Leben empfangen.

Das klingt dir immer noch zu schwer? Dann denke daran, wovon du selber lebst: nicht davon, dass du im Unterschied zu anderen doch so ein gutes Herz hast, so ein guter Mensch bist. Sondern auch du lebst einzig und allein von Gottes Vergebung, lebst davon, dass Gott dich mit seiner Güte immer wieder zur Umkehr leitet. Ja, davon lebst du, dass Gott auch in deinem Leben das Böse mit Gutem überwunden hat durch seinen Sohn Jesus Christus. Wie gut, dass Gott diesen Weg gewählt hat bei mir und bei dir – und keinen anderen! Amen.